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trübte den blauen Himmel, kein Lüftchen regte sich. Dem abspannenden Einfluß der Witterung schrieb es unser Fähnrich zu, daß sein Pegasus sich nicht zu kühnem Fluge aufschwingen wollte, so sehr er sich auch abquälte — noch hatte er seine poetischen Ergüsse nicht über die beiden Zeilen gebracht:
„Leb' wohl, leb' Wohl, du herrliche Maid!
Von dir zu scheiden, bringt mir so tiefes Leid .
Die weiße, staubige Marschstraße erschien ihm heute endlos, sein einzigster Wunsch war, daß es bald zum Gefecht käme, von dem er für seine Lebensgeister die nötige Anregung erwartete durch die er in den Augenblicken, in welchem ab und zu ein Stillstand der Bewegungen eintritt, eher befähigt sein würde, den Einflüsterungen seiner Muse den entsprechenden Ausdruck zu geben.
^Fortsetzung folgt.)
Berlin. Welch sonderbare Blüten die rücksichtslose „Konkurrenz um jeden Preis" in unserer Millionenstadt manchmal hervorbringt, ging wieder aus einer Verhandlung hervor, die jüngst Vor dem hiesigen Gewerbebericht stattfand. Vierzig Frühstücksaustragcfrauen und zwei Jungens klagten gegen eine inzwischen in Konkurs geratene „Berliner Frühstücksliefcrungsgesell- schaft" auf recht beträchtlichen rückständigen Lohn. Diese menschenfreundliche Gesellschaft hatte es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, ihren Abonnenten nicht nur des Leibes Nahrung zu liefern — allerdings diese zu dem ortsüblichen Preise —, sondern daneben verpflichtete sie sich auch, ihren Kunden noch jede gewünschte Zeitung als Gratiszugabe dem Frühstück beizufügen. Natürlich fand eine derartige seltene Zuvorkommenheit die gebührende Anerkennung, und aus der Zahl der Klägerinnen geht hervor, daß das Geschäft „geblüht" haben muß. Leider fehlte es aber bald an dem nötigen Kleingeld, sodaß die armen Frauen leer ausgehen werden. Wir führen deshalb diesen Fall an, um daran die Bemerkung zu knüpfen, daß es uns nicht Wunder nehmen würde, wenn nun umgekehrt eine unserer zuvorkommenden Tageszeiten auf den naheliegenden Gedanken käme, ihren Abonnenten neben der bezahlten geistigen Nahrung kostenfreies Frühstück zu liefern. Vielleicht rentiert sich die Sache in der Weise, daß die betreffende Zeitung neben ihrer Druckerei noch eine eigene Bäckerei errichtet!
Königsberg i. Pr., 30. Aug. Im Innern des hiesigen Hauptpostamts hängt zur Zeit folgende Bekanntmachung aus: „Unausgezahlt ist geblieben: eine Postanweisung über 0,01 -/A an W. Reisner hier, eingeliefert beim Postamt 5. Der unbekannte Absender, bezw. Empfänger der Postanweisung wird hierdurch aufgefordert, sich innerhalb 4 Wochen zu melden und nach erfolgtem Nachweise seiner Berechtigung die Postanweisung in Empfang zu nehmen." So kann die Summe von einem Pfennig manchmal unverhältnismäßig viele Weiterungen veranlassen, aber die Vorschriften sind nun einmal dazu da, um befolgt zn werden, mag es sich um Großes handeln oder um Kleines.
Basel, 30. Aug. Der sprichwörtliche Reichtum Basels ist keine Sage. Von den 7263 Steuerzahlern sind allerdings 3188 „kleine", mit einem eingeschätzten Steuerkapital von 5000 bis 55000 Franken, 772 Pflichtige versteuern bis 100000 Franken, 553 bis 200000 Franken, 434 bis eine halbe Million und 180 über eine halbe, aber nicht eine ganze Million. Die Zahl der Millionäre beträgt 154. Diese interessanten Menschen versteuern 320 Millionen oder 41 Prozent des Gesamtsteuerkapitals. Aber wegen der Progression beträgt die Steuer der Millionäre 52 Proz. oder 947 000 Fr. von 1814 000 Fr.
Unter einer Rattenplage leidet gegenwärtig Kopenhagen. Sie ist so groß geworden, daß man Preise für die Tötung von Ratten aussetzen mußte. In den letzten drei Wochen hat nun der große Krieg gegen die Ratten begonnen. In der ersten Woche wurden nach den amtlichen Berichten 6094 Ratten getötet, in der zweiten 6616 und in der dritten 6780.
Man hofft unter den Ratten allmählich eine Sterblichkeitsziffer von 10000 in der Woche zu erreichen, obwohl das Jagdmaterial gegenwärtig ausgegangen ist. Man schlägt vor, die Antirattenbewegung auf das ganze Land auszudehnen. Die Frage der Vertilgung der Ratten soll eine Nationalfrage werden. — Wenn unter diesen Umständen die Pest in Kopenhagen eingeschleppt würde — das könnte eine schöne Geschichte werden; denn die Pest ist nach Prof. Kochs Anschauung ursprünglich eine Rattenkrankheit, und diese Tiere, sowie die Stiche ihres Ungeziefers, gelten als die Hauptverbreiter der Seuche.
Aus Italien, 22. Aug. Bei einer großen kirchlichen Feier, die in Genua stattfand, erblickte man — berichtet das „Neue Wiener Tagblatt" — unter den kostbaren Altarschmuckgegenständen in der dortigen Kathedrale auch eine kleine Vase, die sich schon über 600 Jahre im Besitze der Kirche befinden soll. Diese Vase ist aus einem einzigen Smaragd geschnitten und hat an ihrer weitesten Stelle einen Umfang von mehr als zwölf Zoll bei einer Höhe von etwa sechs Zoll. Jede nur mögliche Vorsicht wird gebraucht, um das unschätzbare Kleinod vor einem Unfall oder Diebstahl zu sichern. Verschiedene Schlösser müssen erst geöffnet werden, ehe man zu dem Schränkchen gelangt, in welchem die Vase aufbewahrt wird, und jeder Schlüssel befindet sich in der Obhut einer anderen Person. Das Juwel, dessen Alter man überhaupt nicht berechnen kann, wird nur höchst selten einmal öffentlich zur Schau gestellt und dann auch nur auf besondere Anordnung des Senats. Im Jahre 1476 gab man einen Erlaß heraus, in welchem es unbefugten Personen verboten wurde, sich dem Kleinod auf Armeslänge zu nähern. Ein italienischer Raritätenkenner stellt die allerdings unbewiesene und Wohl auch kaum zu beweisende Behauptung auf, daß diese Smaragdvase einst dem König Salomo von der Königin von Saba zum Geschenke gemacht worden sei.
(Für alle Radfahrer) dürfte sicherlich eine Neuerung, die eine ganz wesentliche Erleichterung des Tretens bedingt und aller Voraussicht nach in der nächsten Saison zur Einführung kommen wird, von allgemeinem Interesse sein. Wie uns das Intern. Patentbureau von Heimann u. Co. in Oppeln mitteilt, handelt es sich um eine ganz neuartige Einrichtung zur Uebertragung der Kraft von der Tretkurbelachse auf die Hinterradnabe und zwar ohne Kette oder Kegelräder. Das neue Transmissionsmittel besteht in einer Kugelbahn und führen sich die Kugeln in einer Hülse, die von dem großen Rade auf der Tretkurbelachse nach der Hinterradnabe zu führt und kann diese Kugellaufbahn in einem Oelbade gehalten werden. Durch diese Kugelübertragung wird das Treten naturgemäß ganz wesentlich erleichtert und dürfte hierin kein geringer Fortschritt auf dem Gebiete der Fahrradtechnik liegen. (Obengenanntes Patentbureau erteilt den geschätzten Abonnenten dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)
Können die Tiere rechnen? Mit dieser Frage hat sich ein russischer Arzt, Dr. Timoflew, neuerdings eingehend beschäftigt und zahlreiche Versuche angestellt. Papageien, so behauptet er, können nur bis 4 zählen, Krähen bis 10, Hunde bis 24, Katzen nur bis 6. Die Pferde scheinen am befähigsten im Rechnen. In einem Dorf im Gouvernement.Pohaw studierte Dr. T. das Pferd eines Bauern und entdeckte, daß es immer bei der 20. Furche innehielt und zwar nicht aus Müdigkeit. Ein anderes Pferd war von seinem Besitzer so gezogen worden, daß es bei jeder 25. Werst Futter bekam. Einmal aber blieb es bei der 22. Werst stehen. Diesen Irrtum erklärt Dr. T. dadurch, daß das Tier seinen Weg nach den Telegraphenstangen berechnet und sich nun geirrt hatte, weil drei ganz ähnliche am Wege gestanden hatten. Dasselbe Pferd war daran gewöhnt, sein Futter in einem Stall zu verzehren, neben dem die Stadtuhr 12 schlug. Dr. T. sah selbst, wie das Pferd die Ohren spitzte, und aufhorchte, aber enttäuscht den Kopf
sinken ließ, wenn weniger als 12 Schläge ertönten.
(Falsches Haar.) Leute, die falsches tragen, dürfte die Mitteilung einer eigentümlichen Entdeckung interessieren, die kürzlich j„ Antwerpen gemacht worden. Von der dortigen Bahnstation war ein Ballen mit Menschenhaar gestohlen worden und es ergab sich später, dan das Haar den Köpfen Irrsinniger und Verbrecher entstammte, das denselben in öffentlichen Irrenanstalten und Gefängnissen abgeschnitten worden.
(Gegen die Motten.) Ein wirksames, leicht zu gebrauchendes und nicht unangenehm riechendes Mittel gegen die Motte erhält man, indem man Tabakblätter klein zerschneidet, 10 Teile davon mit je 1 Teil Patschuliblätter und Melonenblüten mischt, flo Teil Ol. Lpieae zusetzt und das Ganze in kleine Päckchen von 5—10 Gramm verteilt die man, in Mousselin eingewickelt, zwischen Kleider re. legt.
Der Dreyfus-Prozeß zeigt grausame Scherze; vor einigen Tagen wurde folgender erzählt: Ein Gast betritt ein Restaurant und wendet sich an den Kellner: „Ich bitte um eine Flasche Bordereau". — Kellner: „Bordereau? „Sie meinen Wohl Bordeaux?" — Gast: „Ach das ist ganz egal. Gefälscht sind ja beide."
sBei Tisch.) Frau (Zeitung lesend): „Denke dir, hier steht von einer Henne mit vier Beinen." — Mann: „Das wird wohl 'ne Ente sein!"
(Selbstbewußt.) „Gnädige Frau, ich bitte um die Hand ihrer Tochter Helene — und gratuliere Ihnen zur Verlobung!"
sDie Hauptsache.) Meyer: „Mein Sohn is gewesen rm Krieg und hat sehr oft im Feuer gestanden!" — Cohn: „War er gut versichert?"
Mutmaßliches Weiter am 5. und 6. September.
(Nachdruck verboten)
Der letzte, nach Mittel- und Südskandinavien ge. wandelte Lustwirbel von 750 min, wird von einem aus Westen langsam heranziehenden Hochdruck nach den russischen Ostseeprovinzcn verdrängt. Auch von Südwesten her dürfte bald wieder eine Verstärkung des Lustdrucks zu erwarten sein. Südwestlich des 48. Breitegrades zeigt sich noch ein schwacher Hochdruck. Für Dienstag und Mittwoch ist bei vorherrschend südwestlichen Winden größtenreils bewölktes, aber noch immer vorwiegend trockenes Wetter in Aussicht zu nehmen.
Telegramme.
Stuttgart, 3. Sept. Heute mittag kurz vor 12 Uhr trafen Ihre Majestäten der König und die Königin mit Gefolge aus Friedrichshafen hier ein, um die letzten Vorbereitungen für den Empfang des Kaisers und der übrigen fürstlichen Gäste zu treffen. Zahlreiche Fremde sind bereits hier eingetroffen. Die Gasthöfe sind schon jetzt beinahe überfüllt. Man sieht auch zahlreiche fremde Uniformen, grüne und blaue Husaren, ebenso Kürassiere. Das Wetter hat sich wieder Prachtvoll gestaltet.
Wildparkstation, 3. Sept. Der Kaiser trat um 6.40 Uhr abends mittels Sonderzugs die Reise nach dem Elsaß au. Die Kaiserin gab mit den Prinzen August Wilhelm und Oskar dem Kaiser das Geleite zum Bahnhos.
Paris, 3. Sept. Das Kriegsgericht in Rennes wird, wie die hiesigen Zeitungen glauben, das Urteil nicht vor Freitag oder Samstag fällen.
Rennes, 3. Sept. Hauptmann Tavernier, welcher Paty de Clam kommissarisch vernommen hat, erhielt die Aufforderung, als Zeuge vor dem Kriegsgericht in Rennes zu erscheinen, um nötigenfalls Erläuterungen zu geben bei bestimmten Stellen der Aussage, welche er entgegennahm.
BestelliiiM mlf lieii „EWltt"
für den Monat September wollen bei den Poststellen und Postboten gemacht werden. In Neuenbürg abonniert man in der Geschäftsstelle d. Bl.
Redaktion. Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg