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versehenen Tischdecke dabei zu fassen vermocht, so daß sich im Moment eine ganze Ladung von Dingen, die dem verderblichen „Zug nach unten" nicht widerstehen mochten, auf dem Körper Heinz Döring's Rendezvous gaben, und da sich dabei auch ein ziemlich volles Glas Wasser befand, das sein boshaftes Naß in aufdringlichster Weise auf den Brustlatz des Schläfers ergoß, so war es kein Wunder, daß der sonst ganz respektabel tiefe Schlummer dadurch mit unangenehmer Plötzlichkeit unterbrochen wurde.
Leise fluchend sprang der Baumeister auf, besah sich kopfschüttelnd den Schaden, den dieser rote Teufel von „Engelhorn" angerichtet hatte, wechselte die Kleidung noch einmal, rückte vorsichtshalber den Tisch mit der ebenso geschmackvollen wie Praktischen Decke ab, und legte sich dann zum zweiten Male nieder, neugierig, wie die zweite Station lauten werde, auf der der Eilzug seiner Träume notgedrungen anhalten würde.
Ach, der Aermste sollte sich in seinen unheilvollen Ahnungen nicht betrogen haben' Keine fünf Minuten verharrte er auf seinem Sopha, von den letzten Wellenschlägen des eben überwundenen Kummers noch in den schnell wieder aufdämmernden Traum verfolgt, da drängten sich auf einmal, erst wie in leisen Tasten, dann aber unerbittlich lauter werdend, die Klänge eines nicht gerade „wohltemperierten" Klaviers in den Raum und eine frische, silberreine Mädchenstimme Hub gleich darauf an: „Noch ist die blühende, goldene Zeit,
O du schöne Welt, wie bist du so weit!
Und so weit ist mein Herz und so klar wie der Tag, Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag!
Ihr Fröhlichen, singt, weil das Leben noch mait:
Noch ist die schöne, die blühende Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!"
Natürlich waren auch etliche jener Fröhlichen, denen das Leben noch maite, vorhanden und ließen sich durchaus nicht nötigen, in den verheißenden Refrain einzufallen und so klang es alsbald, in einem etwas gemischten, aber offenbar ehrlich gemeinten Chorus, während der Baumeister Heinz Döring auf seinem Karrapö einen gelinden Tobsuchtsanfall bekam: „Noch sind die Tage der Rosen," mit jenen kühnen Klangfiguren auf dem letzten Worte, die die meisten Leute so schön finden, daß sie sich gewöhnlich nie zur rechten Zeit von ihnen zu trennen vermögen. Und dann begann die zweite Strophe: „Frei ist das Herz und frei ist das Lied ..."
Aber das ging über die Kräfte unseres totmüden Radfahrers. Mit beiden Beinen zugleich sprang er auf den Erdboden und raste zum Knopf der elektrischen Klingel.
„Mensch!" schrie er den Kellner an, der ganz bestürzt auf das nervöse Signal des Baumeisters heraufgelaufen kam, „was ist denn das für eine Gesellschaft da unten, die fortwährend brüllt?"
„Es brüllt doch niemand!" erklärte verständnislos der befrackte Jüngling. „Ah so, Sie meinen, wer das schöne Lied jetzt singt?" Das ist Fräulein Gisela Wallrath und noch verschiedene andere von unseren Pensionärinnen!"
„So? ... Na, dann grüßen Sie, bitte, von mir und sagen Sie den Herrschaften, es wäre ein sehr schönes Lied und ihre Stimmen noch viel schöner, aber schlafen könnte man dabei nicht und ich wäre hundemüde! Ob sie sich den Gruß nicht lieber bis nach der Abendtafel aufheben wollten?"
„Schön, ich werde es bestellen!"
„Sie, hören Sie 'mal, Ober, bestellen Sie das lieber nicht!" rief Döring, sich mäßigend, hintendrein, „es genügt, wenn Sie in meinem Namen höflichst bitten, etwas gedämpfter zu konzertieren, weil man jeden Ton hier hört und ich gerne ein bischen ruhen möchte!"
„ Wie Sie befehlen!" bemerkte der Schwalbenschwanz und sprang die Treppe hinab, fest entschlossen, der fröhlichen Runde kein Wort von allem zu verschweigen. Heinz Döring hörte am geöffneten Fenster, wie unten Plötzlich eine Art Entrüstungssturm losbrach und jemand ganz wütend auf die Tasten losschlug, jedenfalls, um chm dadurch zu beweisen, wie gleichgültig ihm
sein Schlummer sei. Es war ganz recht, daß der Kellner kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Das waren ja Vandalen ärgster Art da unten! Dann aber lauschte er überrascht dem Tone einer Damenstimme, die da erklärte:
„Höflich ist der Herr nicht, meine Herrschaften; aber bei der entschieden mitternächtigen Stunde hat er ein Recht, daß wir seine Müdigkeit respektieren. Hören wir also auf und gehen zum Lawntennis-Platze!"
„Sehr gut!" riefen lachend einzelne Stimmen.
Daraufhin erschallte noch ein Gemurmel, das zur Hälfte aus Beifall, zur Hälfte aus Mißbilligung zusammengesetzt sein mochte und dann wurde es still dort unten.
„Verrücktes Frauenzimmer: das muß man sagen!" brummte Heinz Döring in seinen Bart und huschte dann wieder auf seine Lagerstatt.
«.Fortsetzung folgt.)
Sommers Anfang.
Am 21. Juni erreicht unser Tagesgestirn seinen nördlichsten Stand. Seitdem die Sonne am 21. März den Aequator überschritten hat, ist sie immer weiter auf der nördlichen Himmelskugel gerückt, uns von Tag zu Tag mehr Licht, mehr Wärme spendend. Diese Zeit des Bor- wärtsschreitens der Sonne vom Aequator bis zum nördlichsten Stande ist für uns der Frühling, mit dem höchsten Stande an unserm Himmel beginnt der Sommer.
Die für uns so sichtbare und fühlbare Veränderung der Stellung unserer Tages-Königin wird nur scheinbar durch eine Bewegung der Sonne bewirkt, ebenso wie ihr Auf- und Untergang. Die Bewegung der Erde ist es, die den Sternenhimmel mit all den Fixsternen, Planeten, Kometen, mit Mond und Sonne täglich von Osten nach Westen führt, und welche die Glieder unfers Sonnensystems, abgesehen von ihren etwaigen eigenen Bewegungen, scheinbar unter den Fixsternen dahinwandern läßt. Letztere sind zu weit entfernt, als daß die Veränderung der Stellung unserer Erde im Weltenraume infolge ihrer Reise um die Sonne einen nur irgendwie auffälligen Einfluß auf die Erscheinung der Fixsterne ausüben könnte. Vermögen doch die genauesten Messungen, mit den vorzüglichsten Instrumenten ausgeführt, nur für eine ganz geringe Anzahl von Fixsternen Stellungs-Aender- ungen infolge der Bewegung unserer Erde nachzuweisen.
Diese Bewegung ist eine doppelte: die Umdrehung um die Achse und der Umlauf um die Sonne. Nichts kann ruhiger vor sich gehen, als das Vorrücken unseres Planeten im Weltenraume, nichts gleichmäßiger als seine Umdrehung. Letztere bringt uns den Wechsel von Tag und Nacht und giebt uns das Maß für die Zeit. So weit astronomische Beobachtungen zurückreichen, ist keine Aenderung in der Dauer der Erdumdrehung nachzuweisen. Wir merken von der Erdbewegung nichts, daher sind wir auch gewiß, die Wirkung dieser Bewegung, den Auf- nnd Untergang der Gestirne u. s. w., für ihre Ursache zu halten, uns selbst aber im Raume ruhend zu wähnen. So haben wir Wohl auch, wenn wir in einem Nachen auf ruhigem Flusse dahingleiten, den Eindruck, als ob die Ufer an uns vorbeizögen, wir selbst aber auf der Stelle blieben.
Den Umlauf der Erde um die Sonne giebt uns das Maß für längere Zeit, das Jahr. Auch der Wechsel der Jahreszeiten wird mit dadurch verursacht. Dabei wirkt aber außerdem der Umstand mit, daß die Achse unsers Planeten nicht senkrecht auf der Bahnebene steht, sondern um 23fls Grad von der senkrechten Stellung abweicht, und daß sie diese Lage im Weltenraume unverändert beibehält. So kommt es, daß an einer Stelle der Erdbahn, eben an der, wo wir uns am 21. Juni befinden, das Nordende der Erd-Achse der Sonne am meisten zugekehrt ist. An der entgegengesetzten Stelle, an oer die Erde am 21. Dezember steht, ist das Südende der Erdachse dem Zentral-Gestirne in gleichem Maße zugewendet. An den in der Mitte zwischen diesen beiden befindlichen Bahnpunkten, am 21. März und am 22. September, sind Nord- und Süd
pol gleich weit von der Sonne entfernt — die Sonne steht in der Ebene des Erd-Aequators. Da dann Tag und Nacht auf der ganzen Erde gleich lang sind, so nennt man diese beiden Zeitpunkte die Aequinoktien, während die beiden dazwischen liegenden den Namen „Solstitien" führen, weil die Sonne an ihnen ihre scheinbare Bewegungs-Richtung wechselt und daher zeitweise stillzustehen scheint. Diese vier Punkte bilden die Grenzen für die astronomischen Jahreszeiten.
Paris, 18. Juni. Der Eifelturm wird bekanntlich für die Weltausstellung von oben bis unten neu angestrichen, sodaß er mit farbigen Abstufungen oben in goldigem Schimmer erstrahlen soll. Mit dem Aufträgen der ersten Schicht ist man nun fertig. 60 Arbeiter waren dabei zwei Monate beschäftigt und verwendeten 50 Tonnen gelber Farbe. Mit der zweiten Schicht wird man im September beginnen.
(Begräbnis mittelst Automobiles Das Automobil verdrängt infolge der erheblichen Verbesserungen, die es in den letzten Jahren erfahren hat, immer mehr die bisher in Gebrauch befindlichen Verkehrsmittel. In New-Aork bestehen sogar heute schon mehrere Leichenbestattungsgeschäfte, die das Begräbnis mittels Automobile veranstalten. Es ist nicht allein der Leichenwagen ein Automobil, sondern auch die sonstigen Trauerwagen werden durch Motore in Bewegung gesetzt. _
(Triftiger Grund.) Köchin (zu ihrem Soldaten): „Warum bist Du zwei Tage nicht gekommen?" — Soldat: „Ich litt an Appetitlosigkeit."
(Verfängliche Frage.) Fritzchen: Du, sag mal, Papa, ist Dummheit eigentlich erblich?"
Mutmaßliches Wetter am 21. und 22. Juni.
«Nachdruck verboten.)
Vom biskayischen Golfe her ist ein Luftwirbel von 755 nun nach der Normandie, aus Nordwesten ein gleich tiefer über Großbritanien und der Nordsee bis in die Provinz Westfalen vorgedrungen. Auch über Mittel- und Ünter- italien liegt ein Luftwirbel von 755 nun, über Ungarn und Siebenbürgen ein solcher von 752 nun. Ueber Nordskandinavien zeigt sich ein Hochdruck von 765 mm. Für Mittwoch und Donnerstag ist zwar zeitweilig heiteres, aber auch mehrfach, namentlich in den Nachmittags- und Abendstunden, gewitterhaft bewölktes Wetter mit Neigung zu vereinzelten Störungen in Aussicht zu nehmen.
Am 22. und 23. Juni.
Im Südwesten von England und dem unteren Ausgang des Aermelkanals liegt nunmehr ein Luftwirbel von 745 mm, über Mittelund Südrußland eine Depression von 755 ww, über Nordskandinavien und Nordrußland ein Hochdruck von 765 mm. Letzterer beherrscht mit seinem allerdings noch unter Mittel stehenden Vorposten das Deutsche Reich, fast ganz Oesterreich- Ungarn, sowie Oberitalien. Für Donnerstag und Freitag ist vormittags noch zeitweilig aufgeheitertes, dann aber vorwiegend gewitterhaft bewölktes und zu mehrfachen elektrischen Entladungen geneigtes Wetter zu erwarten.
Telegramme.
Paris, 20. Juni. Dem Vernehmen nach soll Präsident Loubet beabsichtigen, Bourgeois den Auftrag zur Bildung des Kabinets zu erteilen. Leon Bourgeois benachrichtigte den Präsidenten Loubet telegraphisch, daß er morgen Vormittag in Paris eintreffen werde.
Wien, 20. Juni. Nach dem Saatenstandsbericht von Mitte Juni ist der Stand der Wintersaaten im Allgemeinen befriedigend. Der Stand des Roggens ist zumeist zufriedenstellend. Für Weizen ist allgemein gute Hoffnung vorhanden. Die Sommersaaten stehen ein wenig zurück. Gerste ist häufig schütte und gelb, Hafer befriedigt am wenigsten; Zuckerrüben sind vielfach durch den Drahtwurm beschädigt urw teilweise verunkrautet. ,
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.