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Verwandtschaft, was er mit dem Umstande er­klärte, daß Ellen, als Deutsche vorerst einem gewissen Vorurteil begegne. Bis zur Hochzeit vergingen, so sehr Georges drängte, immerhin noch einige Monate, während welcher Ellen Gelegenheit fand, ihres Verlobten ungezügelte Heftigkeit kennen zu lernen, was sie indes nicht weiter besorgt machte. Kurz vor der Trauung verkaufte Frau Turnau die Anwartschaft auf ein Vermögen, welches Ellen später zufallen mußte für zwanzigtausend Mark. Sie gedachte diese Summe dem Franzosen als Mitgift ihrer Tochter einzuhändigen. Detroit seinerseits zeigte ein Schreiben seines Vaters vor, in dem der alte Herr dem Sohne mitteilte, daß er außer der Besitzung noch ein Baarvermögen von zwei- malhunderttausend Franks besitze, von welchem er die Hälfte der jungen Frau als Morgengabe zugedacht habe. Die Scheukuugsakte seien bereits vollzogen und werde er Ellen bei ihrer Ankunft in den Besitz derselben setzen. Frau Turnau zeigte sich hochbeglückt über so glänzende Aus­sichten ihrer geliebten Tochter. Die Trauung fand statt, trotzdem der erwartete Zeuge von der Familie des Marquis ausblieb und man noch in der letzten Stunde, einen alten Vetter Turnaus aufzufinden wußte, der dessen Stelle vertreten mußte.

Bevor die Neuvermählten die Mutter ver­lassen konnten, zeigte sich noch eine finanzielle Schwierigkeit. Der Verkauf jener Anwartschaft konnte nur unter der Bedingung erfolgen, daß diejenigen Personen, denen im Falle, eines vor­zeitigen Todes Ellens, das Vermögen zufiel, ihrerseits gesichert würden. Dazu sollte der Schwiegersohn Rat schaffen, eventuell dessen Vater. Dötroit machte Einwendungen. Sein Vater sei alt und allen Geschäften abhold, auch nach Art alter Leute mißtrauisch Unbekannten gegenüber. Er schlug vor, die Angelegenheit in Form einer Lebens­versicherung zu ordnen. Man wandte sich an eine der größten, zahlungsfähigen Lebensver­sicherungen Deutschlands und das Leben Ellen Detroits wurde zu dem hohen Betrage von einhundertundfünfzigtausend Markversichert. Nach­dem die Angelegenheit, die mehrere Wochen in Anspruch nahm, geordnet und Georges den ersten bedeutenden Beitrag von den, ihm von seiner Schwiegermutter ausgezahlten 20000 Mark ent­richtet hatte, reiste das junge Paar, nach herz­lichem Abschied von der betrübten Mutter ab, in die Schweiz. Dort wollten sie die Flitterwochen verleben. In der ersten Zeit erhielt Frau Turnau fleißig Nachricht von ihren Kindern, welche die schönsten Punkte der Schweiz nach und nach be­suchten. Allmählich wurden die Nachrichten spär­licher und nach vier Wochen schrieb Ellen mehr­mals in klagendem Ton. Dötroit zeigte sich nämlich als großer Bergsteiger und nötigte seine junge Frau, ihn auf allen Touren, auch den ge­fährlichsten und beschwerlichsten zu begleiten. Eben wollte die besorgte Mutter, die des Schwieger­sohnes bekannte Heftigkeit in so weiter Entfern­ung fürchten mochte, daran gehen, demselben ihre Meinung über sein Verhalten kund zu thun, als sie eine Depesche mit der kurzen Mitteilung er­hielt:Daß Ellen bei einer Tour auf den Mond- blanc abgestürzt und verunglückt sei. Die Leiche werde in Genf zur letzten Ruhe geleitet." Ent­geistert sank Frau Turnau in ihren Stuhl zu­rück. Ellen tot! auf diese gräßliche Weise! es konnte nicht sein! Ein Traum äffte sie, aus dem sie erwachen werde. Aber nein, es war kein Traum, Wirklichkeit, grause Wirklichkeit umgab sie. Ihr Kind, ihre süße Ellen war für immer dem Mutterherzen entrissen. Da hatte sie nun Ellen so glänzend versorgt, um sie auf so un­natürliche Weise zu verlieren! Und vielleicht war sie auch zu dieser Tour nur widerwärtig gefolgt! Vielleicht ging sie gar von bösen Ahnungen ge­peinigt in den Tod! Ruhelos schritt die Aermste auf und nieder. Plötzlich kam ihr ein Gedanken. Sie wollte nach Genf, Ellens Leiche noch ein­mal sehen und schnell entschlossen ergriff sie ein Blatt Papier, um Dvtroit ihre Absicht anzu­kündigen. Da wurde ihr eine zweite Depesche gebracht, des Inhalts, daß ihr Schwiegersohn als des Mordes verdächtig in Haft genommen wor­den sei. Wie Schuppen fiel es von den Augen

der unglücklichen, gebrochenen Frau. Die Lebens­versicherung fiel ihr ein, über deren Höhe sie damals Differenzen mit Dötroit gehabt. War es möglich, konnte er so verworfen sein, um schnöden Mammonswillen zum Gattenmörder herabzusinken? Sie wollte es nicht glauben, er hatte doch Ellen geliebt? Das kleine Vermögen, welches sie besaß, konnte ihn, den so viel Reichern, unmöglich ge­lockt haben. Wie hoch war doch die Summe, welche der alte Marquis ihrem unglücklichen Kinde zugedacht. Mechanisch suchte sie in den Fächern ihres Schreibtisches, bis sie den Brief fand, den Georges vergessen hatte, zurück zu­fordern. Da stand es: 100 000 Franks meinem neuen Töchterchen. Ort und Name der Besitz­ung befanden sich am Kopfe des Schreibens. Ein entsetzlicher Verdacht bemächtigte sich der armen Mutter und ließ sie halb unbewußt handeln. Sie richtete ein Telegramm an den alten Marquis und harrte in dumpfer Verzweiflung der er­betenen Rückantwort. Endlich erschien der Bote und gefoltert von bösen Ahnungen entriß sie mit bebenden Fingern demselben die Depesche. Ihr Inhalt lautete:Marquis Detroit ist im Schlosse anwesend, er lebt und ist Vater eines dreijährigen Sohnes, welches der einzige Erbe des Namens und der Besitzung ist. Verwandte, namens De­troit existieren nicht."

Das war des Rätsels Lösung. Frau Turnau brach fast zusammen. Sie und ihr armes Kind waren demnach die Beute eines gewissenlosen Schwindlers, der von Anfang an nichts Gutes im Schilde führte. Er war es gewesen, der den Frauen zu der Lebensversicherung geraten, die Höhe derselben festgesetzt und Alles in die Wege geleitet hatte. Gewiß hatte er schon damals die Absicht, die ihm so schnell und so leicht geglückt war. Gottlob waltete neben der göttlichen noch die irdische Gerechtigkeit, der er nicht entronnen war. Ellen und Frau Turnaus Schicksal würde gerächt werden. Matt und zum Tode betrübt ging die Schwergeprüfte an ihre Reisevorbereit­ungen, um ihrem armen hingeopferten Kinde den letzten Dienst zu erweisen.

(Ueber das Abschneiden der Rosen.) Es herrscht die Ansicht, man schone dadurch seine Rosenstöcke, daß man die einzelnen Rosen ver­blühen lasse. Das ist eine irrige Ansicht, denn gerade in der Zeit des Abblühens entzieht die Blume ihrem Stocke die meiste Nahrung. Es ist daher zu raten, die Rose sobald abzuschneiden, als sie ihre schönste Form zeigt, und sollte man sie nur zur Zimmerzierde u. s. w. benützen können. Eine abgeschnittene Rosenblume hält sich stets länger, wenn sie ordentlich gepflegt wird, als wenn sie am Stocke belassen wäre. Der Rosenstock aber entwickelt, wenn fleißig die erblühenden und erblühten Blumen abgeschnitten werden, eine Menge neuer Knospen.

(Gegen das Kauen an den Fingernägeln) wird in derPädagog. Ztg." die Lehrerschaft aufgerufen. Wie weit diese Unsitte unter den Kindern verbreitet ist, zeigt das Ergebnis einer Prüfung der Fingernägel, die bei 1000 Kindern an Berliner Gemeindeschulen vorgenommen wurde. Bei 130 Kindern war der freie Nagelrand bis zu der Stelle abgebisseu, wo der Nagel fest mit dem Nagelbette verwachsen ist. Bei 100 Kindern war die vordere Hälfte des Nagels weggebisfen und die Fingerkuppe war, weil der Gegendruck des Nagels fehlte, mehr oder weniger trommel­schlägelartig verdickt.

(Schwierige Frage.)Wenn Sie für uns arbeiten wollen, dann dürfen Sie zunächst nur das Papier auf einer Seite beschreiben." Angehen der Reporter: Sehr Wohl, auf welcher?"

(Durchschaut.) Gattin:Höre mal, mein lieber, guter Karl, ich-" Gatte (unter­

brechend):Thut mir leid, ich bin jetzt schlecht bei Kasse."

(Gute Aussicht.) Erster Grenadier:Na, bei Deiner Köchin Fortschritte gemacht?" - Zweiter Grenadier:Und ob! Stehe bereits mit einem Fuß in ihrem Speiseschrank."

(Immer Protz.) Vater (zum Fenster hin­aussehend, als eben der Freier seiner Tochter per Wagen ankommt):Rebekka, das ist kein Bräutigam für Dich, der fragt n Kutscher um de Tax'

(Erster Gedanke.) Wärterin:Herr Staats­anwalt, es sind Drillinge." Staatsanwalt; Da könnte man dem Storch doch mit dem groben Unfugparagraphen zu Leibe gehen."

Palindrom.

Lies vorwärts oder rückwärts mich,

Das gleiche Wesen bleibe ich.

Komm' ich mit Beistand in der Not,

Dann danke deinem güt'gen Gott.

Mutmaßliches Wetter am 20. und 21. Juni.

«Nachdruck verboten.)

Der Hochdruck über Nordschottland und Süd­skandinavien ist auf ca. 763 inin ab geflacht, da­gegen ein Hochdruck von 765 mm bei den Lo- foden eingetroffen. Ueber Istrien und Dalmatien liegt eine Depression von ca. 758 mm, während über Südostfrankreich, Italien und der südlichen Hälfte von Oesterreich-Ungarn das Barometer wenig unter Mittel steht. Für Dienstag und Mittwoch ist demgemäß bei zunehmender Gewitter­neigung mehrfach bewölktes, jedoch auch zeit­weilig aufgeheitertes Wetter mit warmer Temperatur in Aussicht zu nehmen.

Telegramme.

Friederikshaven, 19. Juni. Der Danziger DampferArtushof" wurde von dem englischen DampferMauritius" angerannt und ist gesunken. 10 Mann ertranken, die übrigen 8, darunter der Kapitän,wurden von demMauritius" ausgenommen.

Hannover, 19. Juni. DieWaterloo- Feier" der durch Erlaß vom 24. Jan. mit den althannover'schen Regimentern verbundenen hies. Garnison nahm einen glänzenden Verlauf. Auf dem Waterlooplatz fand eine Parade sämtlicher Regimenter statt. Der kommandierende General des 10. Armeekorps hielt eine in ein Hoch auf den Kaiser ausklingende Ansprache. Die Fefi- teilnehmer von der althannover'schen Armee sandten an den Kaiser ein Telegramm ab.

Hamburg, 18. Juni. Bei den heutigen Rennen in Hamburg-Horn,Deutsche Derby", gewann Baron G. Springer mitGalifard" den Hauptpreis von 100000

Paris, 18. Juni. Gegenüber auswärts verbreiteten Gerüchten vom Tode Dreyfus teilt die Agence Havas mit, daß dieselben durch nichts begründet seien. Der Kreuzer Sfax, welcher Dreyfus an Bord habe, befinde sich zur Zeit auf offener See. Eine von heute datierte Depesche aus Brest besage, der dortige Unter­präfekt habe heute Nacht eine Depesche erhalten, welche die Ankunft des Kreuzers für die nächste > Zeit verkünde. General Mercier hielt I gestern in einer Versammlung der Vaterlandsliga eine Ansprache, in welcher er erklärt, er werde vor dem Kriegsgerichte in Rennes unbekümmert um die Folgen seine Aussagen machen. Die nationalistischen Blätter messen dieser Erklärung « große Bedeutung zu. !

Paris, 18. Juni. Präsident Loubet empfing vormittags Casimir Perier und besprach mit ihm die politische Lage. Dem Vernehmen nach ist das wichtigste Zugeständnis, welches Waldeck Rousseau für die Kabinetsbildung zu , erreichen suchen soll, das, daß Casimir Perier das Portefeuille des Krieges übernehme. Es j scheint, daß selbst gewisse Sozialisten ihn wissen ließen, sie wären sehr erfreut, wenn er das Kriegs­ministerium übernehmen werde.

Paris, 19. Juni. Casimir Perier lehnte definitiv den Eintritt in das Kabinett Waldeck- Rousseau ab) dieser wird nunmehr ein Kabinett aus der republikanischen Vereinigung bilden.

Er ist von den Antworten, die er wegen dem Eintritt in das Kabinett bei seinen Besprechungen erhielt, befriedigt. Da er sich erst heute Vor­mittag wieder zu Loubet begiebt, werden erst heute die Namen der Persönlichkeiten bekannt, an die er sich gewandt hat.

Redaktion, Drck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.