blühend-hübsche Mädchen, in Träumerei versunken, hinaus ans die schmale Gasse, der Davoneilenden nach, jedoch in Wahrheit, ohne irgend etwas dort zu sehen. Ihr inneres Auge sah ja ganz etwas Anderes, ach im Augenblick so Fernes! Ein liebes, blondhaariges, krausköpfiges Gesicht, aus dem zwei Sterne leuchtend strahlten, die so gut und treu zu blicken wußten. Nein! Es konnte ja unmöglich richtig sein, was Rahel Grey gesagt, die vielleicht in ihrem ganzen Leben noch niemals einen Mann so recht von Herzen lieb gehabt; nein, der Besitzer dieser treuen, blauen Augen konnte nicht genau so falsch und treulos sein, wie naturnotwendig alle Männer
— Alle! wenn Jungfrau Rahel Recht hatte, welche steif und fest behauptete, daß es beim stärkeren Geschlecht — zumal bei dessen jüngerem Teil — nun einmal heiße: „Aus den Augen, ^»us dem Sinn!" —
Sonderbarerweise aber war die Kriegserklärung der alten Jungfrau mit scharfer Zunge gegen die sogenannten „Herren der Schöpfung" geschleudert, im Grunde eine Art von Brautwerbung gewesen, und zwar zu Gunsten eines schon bejahrten, sehr gesetzten Freiers, dem zu Liebe die ehrenwerte Jungfrau Rahel allen andern Männern samt und sonders mit freigebiger Bereitwilligkeit den Fehdehandschuh hm- warf, denn die Moral davon war die gewesen: Daß jedes ehrbare, sittsame Mädchen Wohl daran thäte, wenigstens einen Gatten zu erwählen, der sich sozusagen bereits die Hörner abgelaufen habe, und den sie selber klug am Fädchen lenken könne, wie es ihr behage, — mit anderen Worten: Daß nur bei einem solchen sie mit Gewißheit darauf rechnen dürfe, den ihr gebührenden Platz einzunehmen, den nämlich: Herr im Hause zu sein! —
Um welcher Tugenden willen in Wahrheit aber die würdige Rahel dem alternden Junggesellen, ihrem Vetter Giles Breadbottom, dessen Haushalt sie in allen Ehren führte, so warm das Wort sprach, das freilich ahnte die unschuldige Anny nicht. Wie konnte sie auch wissen, daß die Männerfeindin selber ans Heiraten noch dachte, und zwar ihr Auge auf nichts Geringeres gerichtet hatte, als Anny's eigenen Vater, den hochgeachteten Hof-Glasermeister ihrer Majestät der Königin Elisabeth von England: Lancelot Joung, der noch ein recht stattlicher Mann zu nennen war, und von dessen unpraktischem Künstlersinn sie hoffen durfte, daß er sich nicht unempfindlich zeigen werde gegen die kriegslistigen Bemühungen, wenn das unbequeme Töchterchen nur erst glücklich aus dem Hause und unter die Haube gebracht worden. In diesem Falle beabsichtigte die edelmütige Rahel Grey mit großer Selbstverleugnung das Opfer zu bringen, der jungen Hausfrau das Feld zu räumen, um dafür deren vereinsamten Vater das Hauswesen zu besorgen; alles Weitere folgte dann von selber
— dessen war sie sicher.
Diese kleine Heirats-Jntrigue spielt, — wie schon oben angedeutet — keineswegs in unserer Zeit, sondern — lang, lang ist's her, — damals, als einst vor drei Jahrhunderten, zu Ende des 16. Jahrhunderts, die jungfräuliche Königin Elisabeth noch über England herrschte, während in Schottland der Sohn ihrer durch sie geächteten und Hingerichteten Todfeindin Maria Stuart: Jakob VI., regierte, welchen später eine rächende und gerechte Vorsehung dazu bestimmte, ihr eigener Nachfolger auf Englands Thron zu werden.
Damals unter dem Regiment der Königin Elisabeth nun war's, als in einem schmalen Gäßchen der City, der Altstadt Londons der sehr geschickte Hof-Glasermeister Lancelot Uoung mit seinem einzigen, frischherangeblühtenTöchterlein sehr zurückgezogen lebte, eigentlich nur mit seinem Gewerbe beschäftigt, das er so kunstgerecht zu handhaben verstand, wie nicht leicht ein Zweiter. Deshalb war er auch Hof-Glasermeister, und Ihre Majestät hatte sogar manchen besonders ehrenvollen Auftrag ihm schon zuerteilt, mit Hintansetzung des anderen Hof-Glasers Giles Bread, eine Begünstigung, welche aus den früheren Freunden Feinde mit der Zeit gemacht, wenigstens von Seiten des Zurückgesetzten, der jede erlittene Vernachlässigung, die seine Person erfahren,
sowie jede Bevorzugung des Andern für eine persönliche Beleidigung ansah, die eigentlich Niemand, als Lancelot Döring selber, gegen ihn verschuldet, und für welche er also diesen allein verantwortlich zu machen habe. — So kam es, daß die ehemaligen Freunde sich zu meiden begannen, und daß der Verkehr zwischen ihnen mehr und mehr aufhörte, bis endlich sogar Giles entschiedene Zeichen von Feindseligkeit an den Tag zu legen begann, welcher sonderbarerweise den guten Uoung, der seinerzeit stets alles Menschenmögliche gethan, um den einstigen Freund wieder zu versöhnen, in eine solche Mißstimmung zu versetzen schien, daß er seitdem in eine geradezu unerklärliche Schwermut und Menschenscheu versank, während er doch sonst ein recht lebensfroher Mann gewesen. Seit Kurzem war indessen plötzlich wieder, — was seit lange nicht geschehen — Giles ins Haus gekommen, und stellte darauf wiederum als häufiger Gast sich ein. Es hätte aber Jeder blind sein müssen, um nicht zu erkennen, daß diese häufigen Besuche und die damit verbundene Liebenswürdigkeit des ältlichen Junggesellen eigentlich nicht dem Vater, sondern im Grunde nur der Tochter galt, die - inzwischen vom Kind zur holden Jungfrau herangeblüht — Gnade vor seinen Augen fand. Seltsamerweise indessen begann seitdem Meister Lancelot sichtlich wieder freier aufzuatmen, während seine Weiche Melancholie sich eher auf die hübsche Anny zu übertragen schien, deren lustige Lieder mehr und mehr verstummten, je öfter der ihr offenbar sehr unwillkommene Freier das Haus betrat, und je deutlicher seine Absichten dabei zu Tage traten.
Vielleicht, daß ihr derselbe minder zuwider gewesen wäre, und sie als gehorsame, liebevolle Tochter sich nicht dem Wunsch und Willen ihres Vaters widersetzt hätte, würde nicht ein anderes, unvergessenes, und so viel schöneres, jugendfrisches Bild die Person des gesetzten Bewerbers so tief in den Schatten gedrängt haben. — So ein schmucker Page war freilich etwas Anderes, als ein ehrwürdiger Hof-Glasermeister! — Als sie zum Besuch bei ihren schottischen Verwandten an der Grenze weilte, wohin ihr Vater bei Gelegenheit einer Geschäftsreise sie gebracht, da war es geschehen, daß sie sich sehen und lieben lernten, — da hatte ein glücklich-unglücklicher Zufall es gewollt, daß John Ramsay, dem hübschen Pagen König Jakobs, auf der Jagd der Unfall mit dem Pferde passierte, der ihn krank Zurückbleiben ließ in dem Hause, in dessen Nähe der Sturz geschah, wohlgepflegt und gehegt durch zarte Frauenhände, denen der Schaden mehr zu thun gab, als Wohl im Grunde nötig; war er ja doch längst genesen, als er noch immer den Patienten spielte, um seine Rückkehr an König Jakobs Hof solang wie möglich zu verzögern. Allein Schön-Anny hatte dies nicht unrecht finden können, ebenso wenig wie seine übermütige Lustigkeit und seine zärtlichen Blicke, und der allertraurigste Tag ihres ganzen jungen Lebens schien es ihr zu sein, wie der schöne, schmucke Jüngling mit den kühnen, blauen Augen, dem die Pagentracht mit dem wallenden Feder-Barett so herrlich zu Gesichte stand, ihren Blicken entschwand, — ach, vielleicht für immer! — und sie zum letzten Mal durch ihre Thränen die Bänder mit den königlichen Farben Schottlands, die von seinen Schultern wehten, von Weitem flattern sah.
iFortsetzung folgt.)
(Ein halbes Jahr Gefängnis für einen Kuß.) Aus Elberfeld wird gemeldet: Daß man Damen in keinerlei Weise belästigen darf, auch in der Eisenbahn nicht, erfuhr in der letzten Strafkammersitzung ein schon vorbestrafter Kaufmann aus Barmen, der auf der Fahrt von Rittershausen nach Wipperfürth das Ladenfräulein Anna Schmitz bei der Fahrt durch einen Tunnel trotz ihres Widerstrebens umarmt und geküßt hatte. Auf der nächsten Station versperrte er dem Mädchen, das um Hilfe rufen wollte, den Weg zum Fenster. Das Mädchen erzählte ans der weiteren Reise den Mitreisenden den Fall, denen es gelang, den Namen des Mannes festzustellen. Der Angeklagte wurde trotz seines Leugnens zu einem halben Jahre Gefängnis verurteilt.
In Gröst bei Merseburg stahl die Ehefrau des Rentier Hülse ihrem Manne 57 000 Mark. Die Thäterin wurde sofort entdeckt. Sie gab an, daß sie 30000 Mark im äußersten Gebälk der Scheune ihres Verwandten, des Gntbesitzers Fuß in Roßbach, untergebracht und etwa 21 000 Mark unter der Brücke zwischen Leiha und Almsdorf versteckt habe, wo das Geld auch bald darauf richtig gefunden wurde. Die fehlende Summe will die liebenswürdige Gattin die getrennt von ihrem Manne lebt, verausgabt haben.
Aus Amerika. Die dreijährige Radfahrt eines Ehepaares um die Welt wird demnächst vollendet werden. In Chicago wollen 50000 Radfahrer dem mutigen Paare einen glänzenden Willkomm bereiten. Den 10. April 1895 verließen Mr. Darwin M' Hwat und feine Gattin Chicago und langten 52 Tage später in San Francisco an. Auf dem Seewege fuhren Sie nach Japan und durchquerten dann zu Rad Japan, China, Birma, Indien, Persien, Rußland, Oesterreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und England. Sie legten so nahezu einen Weg von 30000 englischen Meilen, ausschließlich der Seereisen, zurück. Die Kosten dieser Reise beliefen sich auf ungefähr 11000 Dollars. Ob sich das glückliche Paar nun nicht nach einer anderen Seßhaftigkeit als nach der auf dem Radsattel sehnen wird?
Um den Ansichtskarten-Sammlern von allen möglichen Orten der Erde Karten zuzusenden, läßt eine Dresdener Kunstverlagsanstalt eine Weltreise im nächsten Februar unternehmen. Der Preis für die Vorausbestellung von 100 Karten beträgt 25 ^
(Verzweifelter Pumpversuch.j Studiosus (an seine Tante schreibend): „Mein liebes Tantchen ! Denke dir, ich habe soeben die Entdeckung gemacht, daß der eine Genius auf den 100 Mark-Scheinen dir ganz frappant ähnlich sieht. Da ich zu meinem großen Schmerze noch kein Bild von dir habe, würdest du durch Uebersend- nng eines solchen Scheines zum Glücklichsten der Sterblichkeit machen deinen dich hochschätzendm Neffen Karl."
(Verbessert.) Fremder: „Ich begreife nicht, wie einer diesen Hügel romantisch finden kann!" — Führer: „Ja, ja, so nicht .... aber den sollten Sie mal auf den Ansichtspostkarten sehen!"
Auflösung des Arithmogriphs in Nr. 186: Florenz, Lorenz, Lore, Renz, Flor, Enz, Rolf, Lenz, Zorn, Renzo, Elfen, Zone.
Richtig gelöst von Alb. Enßlin, Emma Bogt, Luise Wcßinger, Max Süßkmd, Friedrich Herrigel, Gotthilf Weissert, Klara Silbereisen, Karl Gaiser in Neuenbürg; Hedwig Kuli und August König in Herrenalb.
Telegramme.
Erfurt, 30. Nov. Im Prozeß wegen der Straßenunruhen in der Pfingstwoche wurde bereits gestern Abend das Urteil gefällt. 9 Angeklagte wurden freigesprochen, 6 wegen Beteiligung an dem Aufruhr zu bmonatlichem bis 12monatlichem Gefängnis, einer wegen Beleidigung der Polizei zu 4monatlichem Gefängnis, verurteilt.
Konstantinopel, 30. Nov. Der Botschafter in Berlin, Tewfik-Pascha, wurde zum Marschall ernannt.
New-Jork, 30. Nov. Verschiedene Dampfer trafen in den nordatlantischen Häfen mit Mannschaften oder Teilen derselben von untergegangenen Segelschiffen ein. Wenigstens 30 Schooner find gesunken, 86 sind an der Küste von Neuengland gestrandet, außerdem sind in dem Hafen von Boston 30 Schiffe ganz oder zum Teil zum Wrack geworden. Hierbei sind etwa 40 Personen umgekommen. Am Kap Cod sind über 30 Schiffe gestrandet.
Boston, 30. Nov. Der Dampfer „ Portland" ging am Sonntag vormittag bei North- truro (Massachusets) dicht an der Küste unter. Alle an Bord, die aus 49 Personen bestehende Mannschaft und 65 Passagiere, ertranken.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh kr Neuenbürg.
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