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dessen schlecht geschlafen und fühlte sich jetzt un­wohl. Ferner hatte man ihr gemeldet, daß der Sekretär Mr. Jules von einem heftigen Fieber ergriffen zu sein scheine. Jetzt brachte der Diener ihr die Karte Lang's und meldete, daß derselbe warte. Die Gräfin betrachtete einige Sekunden lang die Karte, als müsse sie jeden Buchstaben des Namens studieren; ein eigentümlich schmerz­licher Ausdruck zeigte sich dabei in ihrem Antlitze. Endlich sagte sie langsam, als wäre eine Todes­mattigkeit über sie gekommen:Führe den Herrn in den Salon."

Lang befand sich in einer seltsamen Stimm­ung, während er die Dame des Hauses erwartete. Er war nicht aufgeregt, nicht von einer sieber­haften Spannung gequält, es war vielmehr eine apathische Gleichgültigkeit, ähnlich jener eines Verurteilten, welcher bereits den Todeskampf vorher durchgemacht hat. und für den die ent- scheidene Stunde keine Schrecken mehr hat.

Jetzt trat die Gräfin in den Salon. Nichts verriet in Miene oder Haltung, daß sie einem Besucher gegenüber stehe, der ihr nicht fremd sei. Die Ruhe Lang's half Beiden über oie Verlegenheit der sonderbaren Situation hinweg.

Sie werden erstaunt sein," begann er nach den ersten Förmlichkeiten,Frau Gräfin, daß ich es wagen konnte, mich Ihnen vorzuftellen; und ich bitte daher, meine Rechtfertigung gütigst anhören zu wollen."

Die Gräfin neigte das Haupt, sprach aber kein Wort.

Ich fürchte nur," fuhr Lang fort,die Erörterung meiner Beweggründe werden Sie noch mehr in Erstaunen versetzen; aber von dieser Unterredung hängt das Glück meines Lebens ab."

(Fortsetzung folgt.)

Are Kaiserreise nach Jerusalem.

VII.

7 Bon Haifa nach Cäfarea.

Am 26. Oktober wird Kaiser Wilhelm II. von Haifa nach Cäsarea mit seinem glänzenden Gefolge aufbrechen. Wir befinden uns hier auf der großen Heerstraße, die seit mehreren Jahr­tausenden Eroberer von Nord nach Süd und von Süd nach Nord geführt. Der Nahr-el-Kelb trägt noch die Gedenktafeln pharaonischer und assyrischer Heerzüge; auf diese Völker folgte Alexander der Große, dann kämpften die Nach­folger der Diadochen, der VI. Ptolomäer und der große Antiochus auf den steinigen Streifen Landes zwischen Berg und Strand, welche sich hier an der früher Phönizischen Küste entlang ziehen. Pompejus und Crassus, die Kaiser Augustus, Bespasian sind alle diesen Strand entlang gezogen zu Pferde oder in Sänften. Auch der erste Kreuzzug in seiner enthusiastischen Siegesgewißheit mit Helden, wie Gottfried von Bouillon, Tankred, Raimund, den zwei Roberts ergoß sich längs dieser Küste. Ihm folgte der zweite mit gelichteten Scharen und verbitterten Gemütern. Und nachdem in St. Jean de Acre das Königreich Jerusalem sein Ende erreicht hatte, haben damaskenische Emire und egyptische Mameluken in Safrangewändern an diesen Küsten unter Bibars vollendet- was Sultan Saladin begonnen. Der schwere Tritt der vielen Heere hat aber die Heerstraße nicht geebnet, sie ist heute ein steiniger Pfad, der sich durch und über Felsen windet; ein leichtes Feldgeschütz könnte nicht ohne Einbuße von Rädern fortkommen und müßte sogar an vielen Stellen getragen werden. Wie Egypter und Assyrier ihre zweirädrigen Kriegskampfwagen auf solchen Wegen fortbe- wegten, ist ein ungelöstes Rätsel.

An der Spitze des türkischen Gefolges, das den Kaiser nach Palästina und Syrien begleitet, ist der General Schakir Pascha gestellt worden, der den Posten eines Chefs beim Militärkabinet in Konstantinopel begleitet. Schakir Pascha war bereits wiederholt in Berlin und erfreut sich des besondern Wohlwollens des Kaisers. Außerdem hat der Sultan unserm Kaiser zur Eskorte sein Garde - Kavallerie - Regiment Erthogrul bestellt, das berühmte, auf arabischen Schimmeln be­rittene Regiment.

Als die Reisepläne des Kaisers bei den türkischen Behörden bekannt wurden, mußte eiligst daran gedacht werden, ihm den Weg zu bereiten, ihm eine ebene Bahn zu machen auf dem Gefilde, alle Thäler zu erhöhen, alle Berge und Hügel zu erniedrigen, daß, was ungleich ist, eben, und was höckerig ist, schlicht werde (Jes. 40, 3. 4); denn die Wege und Straßen Palästinas befinden sich bekanntlich in so traurigem Zustande, daß man sich damit vor dem Herrscher eines ge­ordneten Staates nicht sehen lassen darf. Es wurden sofort tausende von Arbeitern zwischen Haifa und Liberias, zwischen Jaffa und Ramleh und zwischen Jerusalem und Jericho eingestellt, welche die solid angelegten Straßen bald wieder in guten Stand gebracht haben. Auch für den Fall, daß der Kaiser die Absicht hätte, zu Lande von Haifa nach Jaffa zu fahren, ist Vorsorge getroffen, indem der deutsche Ingenieur Voigt beauftragt worden ist, diese Straße in fahrbaren Zustand zu setzen. Da sie durchaus durch ebenes Gebiet geht, erfordert diese Arbeit für die trockene Jahreszeit wenigstens nicht allzuviel Kraft und Aufwand; die Hauptsache dabei war der Vau von Brücken über die vielen Bäche, welche durch jene, vielfach sumpfigen Gegenden fließen.

Die sonst so stille Fahrstraße nach Jaffa wird belebt sein von Fremden und vom ein­heimischen Volke. Es ist ein ziemlich ebener Weg, der, um den Karmel herum, zwischen Berg und Meer hinführt.

Bei Dustry erreicht man nach ^dreistündigem Ritte die Ruinen des Forts, welche den einge­hauenen Weg beschützen, der dort durch die be­sonders breite Riffmauer hinaus nach Athlit, dem wunderbarsten Schlosse am Meere, führt. Im Jahre 1218 erwarben die Tempelritter dieses Schloß und machten dasselbe zum Haupt­sitz ihres Ordens, da ihnen die Hospitaliter- Ritter oder Johanniter nach dem Verluste von Jerusalem in St. Jean d'Acre zuvorgekommen waren. Die Lage war sehr fest. Ein flaches, erhöhtes Felsenriff springt kühn ins Meer hin­aus, zwei natürliche Häfen bildend, außer der Riffmauer schützt eine äußere Mauer mit Thürmen, Thoren und Gräben das Vorgebirge, welches viele, zum teil monumentale Gebäude trug.

Kaiser Friedrich II., der Hohenstaufe, ein großer Kenner landschaftlicher und baulicher Schönheit, war von dem schönen Templerschloß so entzückt, daß er es sich von dem Orden für die Dauer seines Aufenthalts in Palästina zum Sitz erbat, doch die Templer, welche in dem Streite zwischen dem Papst nnd Kaiser die Partei für den Papst ergriffen hatten, antworteten mit der Drohung,sie würden ihm einen Ort an­weisen, von dem es keine Rückkehr gibt."

Laupheim, 25. Sept. Im Oberamt Blau­beuren verkaufte Einer sein kürzlich gekauftes Kirchenbaulos um ein gutes Vesper bestehend aus 1 Stein Bier, 1 Backsteinkäs nebst Brot und 1 Gläsle (Schnaps) an einen Geschäfts­reisenden, weil dasLaus doch nix gwinnt". Der gute Mann täuschte sich aber doch ein wenig, denn nach eingetroffener Ziehungsliste ist das Los mit 500 ^ herausgekommen. Man steht den Mann jetzt oft sich hinter den Ohren kratzen.

sÖkonomisch.s Parvenü:Sagen Sie ein­mal, haben Sie nicht noch ein wenig Färb übrig, daß Sie mein Töchterlein damit malen könnten?!"

Telegramme.

Stuttgart, 24. Sept. Der 19. ordent­liche Parteitag des Vereins der deutschen Volkspartei wurde eröffnet mit einer Be­grüßungsrede des Vorsitzenden des engeren Ausschusses, Rechtsanwalt Schickt er. Bei der Verlesung des Kassenberichts durch I. O. Galler- Stuttgart bemerkt dieser, die Zahlen stellen nicht den richtigen Umsatz der Partei dar und seien deshalb auch nicht für die Presse bestimmt; zugleich fordert er die Vereine zu größerer Opferwilligkeit auf zu Gunsten der Zentralkasse. Nachdem Payer darauf hingewiesen, daß es im Interesse der Partei liegen und daß zugleich dem demokratischen Prinzip Rechnung getragen würde, einen neuen Vorort zu wählen, da die

Führer der schwäbischen Parteiangelegenhesti, die großen parlamentarischen Arbeiten zu erledig haben, überbürdet würden, wird Frankfurt a. U als neuer Vorort bestimmt. Alsdann sprachen Prof. Dr. Quidde-München über: ,j>ie Rechtspflege im deutschen Reich," Rechtsanwch Conr.Haußmann über die durch die Reichstags- Wahlen geschaffene Politische Lage. Der Ausfall der Reichstagswahlen entspricht so ziemlich den von der Partei gehegten Erörterungen. Das Wachsen der sozialdemokratischen Stimmen gebe Zeugnis von dem wachsenden Politischen Pessimismus.

Paris, 25. Sept. Die Zeitungen be­stätigen, daß der Justizminister sehr schwankend sei und sich noch nicht entschlossen habe, die Re­vision des Dreyfusprozesses einzuleiten. Tei Ministerpräsident und der Unterrichtsminister seien dagegen überzeugt, die Revision sei das einzige Mittel, die Angelegenheit zu Ende zn bringen.

Paris, 25. Sept. In der von ihm ern- berufenen Versammlung hielt Deroulede eine Rede, in der er zu Beginn erklärte, er nehme die Verantwortung für die Versammlung und deren Folgen auf sich. Sein bisheriges Programm entspreche seinem zukünftigen. Als er sodann Brisson unter lebhaftem Beifall heftig angriss, ertönte der Rufnieder mit dem Juden". De- roulode fuhr fort, man müsse die Franzosen nicht nach der Religion, sondern nach ihren Ansichten teilen. Es würde Dreyfusianer und Franzosen geben. Beifall. Redner beschuldigt dann Brisson, daß er die Revision herheiführen wollte, trotz des gegenteiligen Urteils von Rechtsgelehrten, daß er Frankreich den Rücken kehre und die Fahne verrate. Diejenigen, welche die Arme angriffen, fuhr der Redner fort, vergessen, dch nach unserer Niederlage es diese Armee war, welche zu begrüßen der Zar gekommen ist. G giebt kein Vaterland ohne die Armee. Rust es lebe Frankreich". Dreyfus bedeutet du Vaterlandslosigkeit und deshalb gehen die schlechten Franzosen mit ihm. Dervulede griff sodann Clemenceau, Jaures, Trarieux und andere in und sagte, wenn die Revolution ausbreche, i , gehöre Clemenceau auf das Schaffst. Drehst sei der Schuldige, nicht Frankreich, man mH Frankreich gegen seine Feinde verteidigen. Zw Schluß fordert Deroulede die Bürger auf, sich zu vereinigen und eine Patriotenliga zu bilden, Lebhafter Beifall. Rufe,es lebe die Armee, e- lebe das Vaterland, nieder mit den Juden.' Nach weiteren Ansprachen nahm die Versamm­lung eine Tagesordnung, betr. Wiederherstellung der Patriotenliga an und löste sich dann ohne weitere Zwischenfälle auf.

Paris, 25. Sept. Einer der Teilnehmer bei Clemenceau, welcher gegen die Worte Derouledes protestierte, wurde hinausgeworfen Nach Beendigung der Versammlung kam es aus der Straße zu Gegenkundgebungen. Es wurden Rufe laut: Es lebe Zola! nieder mit der Armee! welche mit den Rufen!: es lebe die Armee! beantwortet wurden. Unbedeutende Zu­sammenstöße kamen vor. Die Polizei trieb je­doch die Menge auseinander. 3 Personen, welche riefen: nieder mit der Armee! wurden verhaftet,

Zürich, 25. Sept. Aus dem Geschäfts­lokal des Uhrmachers und Uhrenhändlers F Steiner hier, wurden in der Nacht vom 21.-22, d. Mts. mittelst Einbruchs 266 St. silberne und Metalluhren, sowie 20 Stück goldene Ketten m Gesamtwert von ca. 4000 entwendet.

London, 25. Sept. Reutermeldung. Die Gerüchte, die Verhandlungen zwischen England nnd Frankreich betr. Faschoda hätten Fortschritte gemacht und man sei bereits zu einer Verständig­ung gelangt, sind verfrüht.

Kairo, 25. Sept. Kitschener Pascha st nach Omdurman zurückgekehrt, nachdem er >» Faschoda und Sobat Posten zurückgelassen Wte, Außer mit dem Danrpfer der Derwische, welche gekapert wurde, haben keine weitere Kämpfe stattgefunden. . ,

Neapel, 25. Sept. Der Ausbruch e- Vesuv nimmt an Heftigkeit zu. Man befürchtet, daß der Ausbruch einen Umfang annimmt w> im Jahre 1872.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenjbürg.