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Aus Stadt Bezirk und Umgebung.
Calw, 22. Sept. Ein alljährlich wiederkehrender Brauch ist gestern Abend wieder für 1 Jahr beendigt worden. Seit 3 Tagen findet abends das Fackeln der Schuljugend statt. Alle Abend wird auf dem hohen Felsen oberhalb der Stadt ein Feuer angezündet und Feuerwerk abgebrannt. Nach Erlöschen des Feuers zieht die Schar, verschiedene Lieder singend und eine Fackel in der Hand haltend auf den Brühl, wo oft von 100 und mehr Personen die brennenden Fackeln geschwungen werden. Früher dauerte das Fackeln, das schon viele Jahrhunderte hier besteht, 3 Wochen, jetzt ist es noch auf eine Woche beschränkt.
Brötzingen, 23. Sept. Gestern nachmittag bald nach 3 Uhr brach in dem Anwesen des Feuerwehrkommandanten Kühn und fast gleichzeitig im gegenüberliegenden Hause des Kaufmanns Bierhalter, Feuer aus, das sich mit unheimlicher Schnelligkeit alsbald weiter verbreitete. Während aus der rechten Seite der Hauptstraße nur das Kühn'sche Haus mit Scheuer niederbrannte, wurden auf der linken Seite nach einander Haus und Scheuer von Kaufmann Bierhalter, die Häuser von Kloß und Jost, dann Haus und Scheuer von Landwirt Pfisterer, das Haus von Gypser Stickel, dem erst vor wenigen Wochen die Scheuer abgebrannt ist, Haus und Scheuer von Küfer Hochmut, sowie mit Umgehung des erst jüngst massiv erstellten Gasthauses zum „Adler", die Häuser und Scheuern von Altadlerwirt Michel, Glaser Kühn und Landwirt Lichtenberger eingeäschert. Das Feuer war schon bei Tag weithin sichtbar, nach Eintritt der Nacht bot der Brand aber einen schauerlich-schönen Anblick. Als der Jost'sche Laden vom Feuer ergriffen wurde, stiegen hohe Flammen mit zum Teil ganz Hellem Lichtglanz aus und brachen sich anderwärts wieder stichslammartige Flammen durch Thür und Fenster Bahn. Ueber die Entstehungsursache ist Verläßliches noch nicht bekannt geworden. Es sind zusammen 12 Wohnhäuser und 7 gefüllte Scheuern vernichtet worden. Es ist dies innerhalb vier Wochen das zweite Großfeuer.
Neuenbürg. Laut Zeugnis v. 19. Aug. d. Js. hat der Kanonier Emil Genßle von hier (Sohn des Max Genßle) vor der Prüfungs- Kommission des 2. Württ. Feldartillerie-Regiments Nr. 29 (Prinz-Regent Luitpold von Bayern) in Ludwigsburg die durch das Gesetz vom 28. April 1885 eingeführte Prüfung zum Nachweis der Befähigung zum Betriebe des Hus- beschlaggewerbes mit dem Prädikat „gut" bestanden.
Neuenbürg, 24. Sept. (Schweinemarkt.) Zufuhr 50 St. Milchschweine. Preis Pro Paar 17—26 ^
Deutsches Aeich.
Der bevorstehende Jagdaufenthalt unseres Kaisers in Rominten scheint zu dem aufgetauchten Gerücht Anlaß gegeben zu haben, daß er in Danzig gelegentlich der daselbst am 27. September stattfindenden Einweihung des russischen Kriegerdenkmales eine Zusammenkunft mit dem Zaren haben werde. Weder in Berliner Hofkreisen noch auf der russischen Botschaft zu Berlin weiß man indeß etwas von dieser angeblichen Begegnung der beiden Kaiser, offenbar handelt es sich bei dem betreffemden Gerücht nur um eine müßige Kombination.
Der Maurerstreik in Spandan hat mit einer völligen Niederlage der Arbeitnehmer geendigt. Die Maurer haben beschlossen, die Arbeit zu den Bedingungen der Meister wieder aufzunehmen.
Memel, 23. Sept. Nach dem „Memeler Dampfboot" sind bei der Sturmflut in der Montagsnacht an der russischen Küste zwischen Polangen und Libau gegen 120 Fischer ertrunken.
Die Nachricht, daß bei den elsässischen Manövern ein Ulanenrittmeister einen Sergeanten erstochen habe, hat sich bestätigt. Graf Stol- berg-Werni gerade hatte einen mit der Menage betrauten Sergeanten wegen verdorbenen
Essens zur Rede gestellt, dieser soll in einem schnodderigen Ton geantwortet haben, worauf ihm der Rittmeister zwei Ohrfeigen gab. Als sich der Sergeant nun gegen den Rittmeister wandte, stach ihn dieser mit dem Säbel hinters Ohr, so daß der Sergeant nach kurzer Zeit starb. Der Rittmeister wurde verhaftet.
Aus Baden, 18. Septbr. In Mannheim ist gestern und heute die Hauptversammlung des badischen Sängerbundes abgehalten worden. Dem Bunde gehören gegenwärtig 352 Vereine mit 10409 Sängern an. Von Frankfurt aus war die Gründung eines mittelrhein. Sängerbundes angeregt worden, der badische Sängerbund hat sich jedoch im Einverständnis mit dem Hcuiptausschuß des deutschen Sängerbundes ablehnend verhalten, weil er durch die Gründung eine Zersplitterung und eine zu starke Belastung der Vereine befürchte. Der Vorsitzende wandte sich in einem Jahresbericht entschieden gegen die allzu häufige Veranstaltung von kleineren Gesangswettkämpfen und befürwortete eine möglichste Einschränkung derselben. Nach seiner Ansicht sollen die einzelnen Vereine nur dann Wettkämpfe veranstalten, wenn es sich um die Begehung des 25. oder 50., und sodann des 60., 70. u. s. w. Jubiläums handle. Auch die Unsitte des Gescheukgebens bei den Jubiläen müsse eingeschränkt, bezw. aufgehoben werden, da durch sie die Vereine oft finanziell so geschwächt werden, daß sie nicht das erforderliche Geld zur Anschaffung des notwendigen Notenmaterials haben. Das nächste Sängerbundesfest soll in zwei Jahren in Mannheim abgehalten werden, das dann nach Mitteilung des Oberbürgermeisters Beck im Besitz einer Festhalle sein wird.
Württemberg.
Die württ. Kammer der Standesherrn hat eines ihrer fähigsten und fleißigsten Mitglieder durch den Tod verloren, nämlich den Fürsten Albert vonHohenlohe-Jagstberg, welcher unvermählt in dem verhältnismäßig jungen Aller von 65 Jahren gestorben ist. Sein Erbe ist sein gleichfalls noch unvermählter Neffe, Fürst Johannes von Hohenlohe-Bartenstein. Der verstorbene Fürst war auch Referent der I. Kammer über mehrere noch der Erledigung harrende Fragen, z. B. das Ortsvorstehergesetz 2 c. An seiner Stelle muß nun zunächst ein neuer Referent gewählt und diesem die erforderliche Zeit gelassen werden, sich einzuarbeiten.
Stuttgart. Die Frage des Rathausneubaues in Stuttgart ist nun endlich zu einem Abschluß gelangt, nachdem die bürgert. Kollegien gestern in nichtöffentlicher Sitzung einen Vertrag mit den ausführenden preisgekrönten Architekten Vollmer und Iass 0 y - Berlin geschlossen haben. Sobald die Niederlegung der einzelnen Häuser beendet ist, muß mit den Grabarbeiten begonnen werden; am 1. April 1901 soll der erste Teil des Neubaues beziehbar sein. Es erfolgt sodann alsbald die Uebersiedelung der Kanzleien in den Neubau und der Abbruch des alten Rathauses, womit die 2. Bauperiode ihren Anfang nimmt. Hier sollen die Arbeiten so rasch gefördert werden, daß das ueue Rathaus am 1.Oktober 1903 vollständig dem Betriebe übergeben werden kann.
Zustand.
Gibraltar, 22. Sept. Die kaiserl. Jacht Hohenzollern ist gestern Nachmittag aus Kiel hier eingetroffen und wird binnen kurzem nach Venedig weiter gehen.
Admiral Cer Vera und General Toral, die beiden Besiegten von Santiago, sind nun ebenfalls nach Spanien zurückgekehrt. Ihr Empfang im Mutterlande war aber nicht der gleiche. Während man Cervera bei seiner Landung einzelne Ovationen bereitete, war General Toräl in Vigo, Bejal und anderen Orten Gegenstand von Beschimpfungen seitens der Menge, offenbar kann es der spanische Nationalstolz dem General nicht vergeben, daß er Santiago nicht bis auf den letzten Mann gegen die Amerikaner verteidigte. Auch der bisherige Generalgouverneur der Philippinen, General Augustin, ist in Spanien angekommen. Der Besiegte von Cavite, Admiral
Montojo, ist durch Dekret der Königin-Regenjiii vom ferneren Dienst suspendiert worden, ebenso der Direktor des Arsenals in Cavite, Schon,
London, 22. Sept. Die „Daily Mail- erfährt, das Haus Rothschild werde der schen Regierung, sobald der Friedensvertm unterzeichnet ist, eine Anleihe von annähernd 100 Millionen Mark gegen Sicherstellung buch die Bergwerke von Almarochon gewähren. ^
Ueber den Verlauf des Vorstoßes den Kitchener Pascha mit einem Teile sems Expeditionskorps nach der Eroberung Andurmans gegen das von den Franzosen besetzte Faschod, unternommen hat, liegen noch keine Meldungen vor. Wie es heißt, sollen wegen der Faschodg- Angelegenheit Verhandlungen zwischen England und Frankreich eingeleitet worden sein.
Peking, 22. Sept. Die „Times" meldet, daß die jüngsten kaiserlichen Dekrete hauptsächlich dem Einfluß des Reformators von Cantm Kangyamei, auf den Kaiser zuzuschreiben seiend Kangyamei habe jetzt den Befehl erhalten, Peking zu verlassen. Die Kaiserin-Mutter habe rin Amt in der Regierung angenommen und werde alle Edicte vor ihrer Veröffentlichung gutheißen. Dies Iväre gleichbedeutend mit der Wiederherherstellung der Regentschaft und dürste die Wiedereinsetzung Li-Hung-Tschangs bald zur Folge haben.
Shanghai, 23. Sept. Hier geht das Gerücht, der Kaiser von China sei gest 0 rben. Einzelheiten fehlen. Es verlautet, die Thore von Peking seien geschlossen. (Der Tod könnte Wohl eine Folge der Palastrevolution sein, welche in diesen Tagen zum Ausbruch gekommen ist und die Regierungsgewalt wieder in die Hände der Kaiserin-Witwe gespielt hat. Der jetzige Kaiser Tsai-tuen ist Adoptivsohn der Kaiserin- Regentin und geboren am 2. August 1872 atz Sohn des Prinzen Chun.)
Lille in Frankreich, 22. Sept. Ein Hauptmann, Namens Delabie, wurde auf dei der Straße von einem gutgekleideten jungen Menschen durch fünf Revolverschüsfi verwundet. Bei seiner Verhaftung weigerte sich der llebelthäter, seinen Namen zu nennen, und erklärte, er kenne den Hauptmann nicht, hasse aber die Armee. Man glaubt, dei Angreifer ist Anarchist.
Pest, 23. Sept. Der Ort Nagy-Saros, Komitat Saros, steht seit heute Vormittag bei heftigem Sturme in Flammen. Die Kirche und Straßen sind bereits niedergebrannt. Der Sturm hindert die Löscharbeiten sehr.
Telegramme.
Berlin, 23. Sept. Der „Reichsanzeiger" meldet: Der Saatenstand für das deutsche Reich Mitte September 1898 ist: Kartoffeln 2,1, Klee 2,5, Wiesen 2,8. Der Ernteertrag ist nach vorläufiger Schätzung für Winterroggen 1530 KZ vom da; der Ertrag von Winterroggen stellt sich um 10,80/» höher als die gleichartige Schätzung im Vorjahre und übertrifft mit 8 , 50/0 den aus den September-Schätzungen der letzten fünf Jahre berechneten Mittelwert.
Karlsruhe, 23. Sept. Die evangelische Konferenz erließ einstimmig eine Erklärung gegen die Bekämpfung der Göttlichkeit Christi durch liberale Geistliche.
Bern, 24. Sept. Der Bundesrat beschloß, 36 Anarchisten auszuweisen.
Rom, 23. Sept. Die „Agenzia Stefani" erklärt die Meldung des „Daily Telegraph/ Italien hätte die Absicht gezeigt, in der kretischen Angelegenheit in den Hintergrund zu treten, für völlig falsch. England, Rußland, Frankreich um Italien seien völlig im Einverständnis über die Art des Vorgehens gegen die Türken aus Kreta. Berlin und Wien lehnen allerdings die Mitwirkung ab.
London, 23. Septbr. Das Reutersche Bureau meldet aus Buenos Ayres vom 23. ds.> Es verlautet, das Abkommen mit Chile tzi unterzeichnet.
Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.