Gestalt, ihr stolzer Blick und doch — es konnte nur eine Aehnlichkeit sein, denn die Züge hatten etwas Fremdes und dann trug die Dame reiches goldblondes Haar, während jenes der Entschwundenen tiefschwarz gewesen war. Die Züge hatten etwas Starres, Strenges an sich, nichts von jener madonnenhaften Weichheit, welche Lang bei seiner Braut bewundert hatte.
Die Dame schritt an ihm vorüber und maß ihn, der durch sein Anstarren ihr ausgefallen sein mußte, mit einem ruhigen Blicke, nicht eine Wimper zuckte und keine noch so flüchtige Röte färbte das Gesicht, welches wie in Marmor modelliert erschien. Eine Hand legte sich aus Längs Schulter: „Nun, es scheint, ich habe nicht zu viel behauptet," hörte er hinter sich sagen. „Wer ist die Dame?" fragte Lang hastig seinen Freund.
„Wer anders sollte es sein, als die Gräfin Baltujeff, die Dich, wie es scheint, auch bereits verzaubert hat."
„Die Gräfin?! — Nein — es ist nur ein seltsames Spiel es kann nicht sein!" murmelte Lang vor sich hin. Jetzt wurde auch der Freund aufmerksam und erstaunt betrachtete er den Verstörten.
„ Was ist Dir ? Was ist's mit dieser Gräfin." — „Ich — ich glaubte, Frau v. Bülau —- wieder zu sehen," stieß Lang hervor.
„Unmöglich! Doch nein," verbesserte sich Dr. Führer, „das wäre gegen mein Prinzip; es ist nichts unmöglich. Sagen wir also: unwahrscheinlich. Immerhin könntest Du mir die Gründe angeben, aus welchen Du die Gräfin für Deine entflohene Braut hältst."
Lang war wieder ruhiger geworden und konnte die verlangten Aufschlüsse geben. Dr. Führer meinte, nachdem er ihn angehört hatte, die Unterschiede seien dennoch größer, als die Aehnlichkeiten, und wenn die Erscheinung der Gräfin den Eindruck gemacht habe, als wäre sie Frau v. Bülau, so möge viel dazu beigetragen haben, daß die Phantasie Längs sich unausgesetzt mit dieser beschäftigt habe. Immerhin könne man aber versuchen, sich Gewißheit zu verschaffen, und dazu bot Dr. Führer dem Freunde seine Unterstützung und Hilfe an. Lang beschloß, noch in Nizza zu bleiben und die beiden Männer berieten nun eingehend, welche Wege Wohl einzuschlagen seien, um die Wahrheit zu ergründen.
(Fortsetzung folgt.)
Are Kaiserreise nach Jerusalem, v.
5 Bon Konstantinopel nach dem heiligen Lande.
An einem Freitag nachmittag schifften wir uns auf einem egyptischen Schiffe mit griechischer Bemannung ein und genossen noch einmal die Pracht des Sonnenuntergangs in Konstantinopel, das in schillernder, wechselnder Farbenpracht einem edlen orientalischen Teppich zu vergleichen war. Als wir die Spitze des Eski-Serai umschifften, verdüsterte sich der Himmel; es war tiefe Nacht, als wir in den Hellespont einfuhren und die Dardanellen passierten.
Am folgenden Morgen schien die Sonne freundlich auf unser Schiff, das sich südlich gewendet hatte und am ostasiatischen Ufer entlang fuhr. Dasselbe zieht sich gebirgig und kahl ff in, natürlich baumlos wie alles, was zum ottomani- schen Reich gehört. Die Ufer sind sehr spärlich bewohnt, wenige ärmliche Dörfer und hier und da ein kleines türkisches Fort unterbrechen die Einförmigkeit der rauhen Landschaft. Bald zeigten sich jedoch die ersten Inseln des griechischen Archipels und verließen uns lange nicht mehr, so daß wir wie in einem bald breiter bald enger werdenden Kanal dahinfuhren. Nachmittags erreichten wir Mytilene, das alte Lesbos, heute ein griechisches Städtchen ohne hervorragende Gebäude, und am Nachmittag den Meerbusen von Smyrna mit seiner modern aussehenden Handelsstadt, auf welche der Berg Paphos mit einer Burgruine und dem von Cypressen überschatteten Grabe des heiligen Polykarp herunter- fchaut. Bewundernswert sind die Lage und Hafenbucht. In Smyrna befindet sich ein deut
sches Waisenhaus, eine deutsche Schule und ein Erziehungshaus der Kaiserswerther Schwestern und, unweit der Stadt, in Karatasch, ein Schwestern - Erholungsort. Stadt und Bazar bieten nicht viel Eigentümliches. In der Stadt dominiert das griechische Element, doch sind alle Nationen vertreten, auch Juden, die von den aus Spanien vertriebenen abstammen und noch ein verdorbenes Spanisch sprechen.
Auf einem österreichisch-ungarischen Lloydschiff steuerten wir weiter nach dem Süden, dem gelobten Lande, zu. Linker Hand ließen wir die große Insel Samos, auf der einst Polykrates die Langmut des Glückes erschöpfte; im nahen Magnesia wurde der zu Glückliche vom Satrapen Orötes ans Kreuz geschlagen. Bei Kos, dem Geburtsorte des Arztes Hippokrates und des Malers Apelles verengt sich das Jnselmeer. Felsige Kegel mit immergrünen Gesträuchen, Domänen einsamer Hirten, drängen sich bis ans Schiff, bewohnte Inseln tauchen auf und verschwinden wieder und lassen uns kaum Zeit, auf der Karte ihre Namen zu erforschen. Wir befanden uns mitten unter jenen Inseln des griechischen Archipels, deren Städte einst durch den Schmuck ihrer Tempel und Plätze, durch den Geist und die Beredsamkeit ihrer Philosophen und Lehrer, durch die Pinsel und Meißel ihrer Künstler die Anziehungspunkte des gebildeten Altertums waren, und die jetzt noch, obschon öde und zerstört, durch unsterbliche Bildwerke ihre Namen jedem kommenden Geschlecht aufs neue in bewundernde Erinnerung zurückrufen.
Wir können uns denken, welche hohe Freude diese Fahrt durch den griechischen Archipel bei schönem Wetter unserm kunstsinnigen Kaiser gewähren muß, wo nicht nur Erinnerungen der griechischen Kunstgeschichte und Litteratur, sondern auch das romantische Mittelalter eine so eindringliche Sprache reden. Gegen Abend wurden im fernen Südosten Weiße ins Meer tauchende Türme sichtbar, über welche sich eine befestigte Stadt an niederm Uferabhange lehnte. Es war Rhodos, wo einst Julius Cäsar und Tiberius Rhetorik studiert haben, wo einst das Weltwunder, der Koloß, den Eingang zum Hafen überspannte, wo der 1291 aus Palästina vertriebene Johanniter-Orden sich zu neuer Macht und Ansehen emporgeschwungen. Der Orden der Spitalbrüder eroberte die Stadt Rhodos 1310 unter seinem tapfern Großmeister Foulques de Billaret, nachdem er seit seiner Vertreibung aus Palästina in Cypern Unterkunft gefunden hatte. Nach der Eroberung schwang sich der Orden von beinahe gänzlicher Vernichtung wieder zu ansehnlicher Macht empor. Viele Templer, deren Orden in Frankreich unterdrückt wurde, fanden in ihm bereitwillige Aufnahme, und so wurden die nunmehrigen Rhodiser Ritter neuerdings ein Schutz der streitbaren Kirche unter einem Großmeister, die Souveränitätsmacht besaß.
In der Geschichte der Stadt und Insel nimmt trotz aller klassischen Erinnerungen die Zeit der Herrschaft des Ritterordens die hervorragendste Rolle ein, denn sie spricht in beredter Sprache nicht nur zum Geschichtsfreunde, sondern auch zum Auge des Touristen.! Hier fand der von Schiller verherrlichte Kampf mit dem Drachen statt, und der junge Drachentöter Dieudonnö de Gozon war später Großmeister des Ordens; hier war der letzte Hort des christlichen Glaubens in Feindesland, der mit dem Mute der Verzweiflung verteidigt wurde, bis zur Trauer der ganzen Christenheit auch dieses Bollwerk fiel, und der letzte Großmeister nach ehrenvoller Kapitulation vor dem Sultan Soliman seine Ritter und eine Anzahl Bewohner nach Kreta führte, die später von dort im Jahre 1530 nach Malta gingen, wo sie den jNamen Malteser-Ritter empfingen.
Nach Rhodos verließen wir die kleinasiatische Küste, fuhren ins offene Meer und gelangten nach Cypern. Diese Insel, an welcher der Apostel Paulus vorüberfuhr, als er als Gefangener nach Rom gebracht wurde, „darum, daß ihm die Winde entgegen waren", ist durch die Kreuzzüge dem Abendlande näher gerückt, nachdem Richard Löwenherz auf der Heimfahrt nach dem dritten Kreuzzuge sie erobert und den
Templern verpfändet hatte. Sie wurde mit ihrer Hauptstadt Famagusta das Land der Troubadours der Dichter und Gesänge. '
Limisso, der kleine Ort, an dem die Schisst anlegen, sah Richard Löwenherz im dritten und Ludwig den Heiligen im siebenten Kreuzzuae landen und war 1291 der Zufluchtsort verschiedener Ritterorden. Hier sammelten sich Hst Johanniter unter Jean de Villiers, schrieben mit zehn übrig gebliebenen Templern ein von den im Abendland ansässigen Rittern vollzählig besuchtes Kapitel aus und faßten den Entschluß an dem Gedanken der Wiedereroberung des gelobten Landes festzuhalten.
Anfänglich vermochten sie ihre wenigen Schiffe nur dem Dienste zum Schutze der christlichen Kirche zu weihen, doch bald gingen sie zur Bekämpfung der muhamedanischen Kosaren und der Flotte des egyptischen Sultans über. Statt zu Pferde kämpften die Ritter fortan zu Schiff und in Limisso wurde die Eroberung von Rhodos vorbereitet.
Heute sind es abermals die Johanniter- Ritter, welche den deutschen Kaiser auf seiner Fahrt nach dem heiligen Lande begleiten, nicht zur kriegerischen, sondern zur geistigen Eroberung des Landes, um dort das evangelische Banner vor aller Welt hochzuheben, an der Stätte, die das Blut ihrer Vorfahren getränkt und die den Krankendienst so vieler frommer Ritter gesehen. Auf dem Muri st an, wo das alte Johanniterhospiz in Jerusalem gestanden, erhebt sich heute die Erlöserkirche zu einem Wahrzeichen für das Deutschtum im Orient und für die Glieder der evangelischen Kirche in allen Ländern.
Ein riesiges Geschäft bildet die Restauration des Berliner Zoologischen Gartens, die die bekannten Restaurateure L. Adlon und Dressel übernommen haben. Dieselben bezahlen in den ersten fünf Jahren eine Jahrespacht von 100000 Mk., die in den folgenden fünf Jahren je 110000 Mk. Insgesamt waren 61 Bewerber aufgetreten; das Meistgebot betrug 165000 M., die Verwaltung glaubte jedoch, trotz der erheblichen Differenz, den Herren Adlon und Dressel i den Zuschlag erteilen zu müssen, weil diese fm die rationelle Bewirtschaftung der Restauration nach jeder Richtung hin volle Sicherheit bieten. Bisher betrug die Pacht 70000 Mk. und die bisherigen beiden Pächter erzielten zusammen einen jährlichen Nettoverdienst von ca. 100 000 Mk. Von dem Verkehr, der im Berliner Zoologischen Garten herrscht, bekommt man eine Vorstellung, wenn man die Umsätze an Sonntagen in Betracht zieht. So wurden zum Beispiel am ersten Pfingstfeiertage 160 Tonnen Bier und 18000 Tassen Kaffee verschenkt, ferner wurden 16000 belegte Butterbrote verkauft.
(Im Zeichen der Ansichtskarten.) In der Nähe von München ist man gegenwärtig mit der Vermessung einer Staatsstraße beschäftigt. Neulich nun war die Arbeit gerade bis in die Mitte eines kleinen Dorfes gediehen, als ein Männlein neugierig fragte, was denn das zu bedeuten habe. Auf entsprechende Belehrung hin gab er mit pfiffigem Lächeln zur Antwort: „I Hab' halt glaubt, mir kriagn jetzt a Ansichtspostkarten!"
Telegramm.
Paris, 22. Sept. Es verlautet gerüchtweise', die Angelegenheit Picquart habe einen Konflikt zwischen dem Ministerpräsidenten Briffon und dem Kriegsminister veranlaßt, welcher euy Krise herbeiführen könnte. — Der „Temps meldet, die Enquete in betreff des Rohrpostbriefes sei bereits von Cavaignac gleichzeitig mit der Enquete über die Fälschung des Obersten Henry eingeleitet worden. General Iurllnöcn habe, nachdem er als Kriegsminister vergeblich die Untersuchung gegen Picquart beantragt hatte, als Militärgouverneur von Paris kraft sein Befugnisse die Verfolgung Picquarts angeoron — Oberst Picquart ist heute Nachmittag 3 st y aus dem Gefängnis de la Sänke nach , Militärgefängnis Cherche-Midi geführt wor - .
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.