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Die fast unmittelbar nach dem Ableben des Altreichskanzlers erfolgte Veröffentlichung seines an Kaiser Wilhelm ll. gerichteten Abschiedsgesuches vom 18. März 1890 durch Dr. Moritz Busch soll von der Familie des Entschlafenen durchaus verurteilt werden. Es heißt, man bezweifle es im Kreise der Bismarck'schen Familie, daß die Abschrift des Entlassungsgesuches vom Original mit Wissen des verst. Fürsten genommen worden sei und betone, derselbe habe die Veröffentlichung dieses Dokuments von anderer Seite, als von jener der Regierung stets für unzulässig gehalten. Nun, es begreift sich, daß der Bismarck'schen Familie die Bekanntgabe des Inhalts des Entlassungsgesuches des Fürsten gerade zum jetzigen Moment von deutscher Seite sehr unangenehm sein mußte, aber die Sache ist nun einmal geschehen und nachträgliche Bemängelungen der Opportunität der erfolgten Bekanntgabe dieses wichtigen Aktenstückes erscheinen daher zwecklos.
Der Tod des Fürsten Bismarck hat thatsächlich die gesamte Politische Arbeit^ zum augenblicklichen Stillstände gebracht. Es ist, wie sich eines unserer größeren Tagesorgane treffend und schön ausdrückt, als ob der Geist der Zeit selbst, erschüttert über den jähen Heimgang des Gewaltigen, den Atem anhielte und in ehrfürchtiger Trauer den sonst nimmer rastenden Flug hemmte, um den Manen des größten Sterblichen unseres Jahrhunderts zu huldigen. — In Deutschland wie in der Fremde ist die öffentliche Meinung ganz von dem Trauerfall in Friedrichsruh gefesselt. Die Kundgebungen des Auslandes sind zumeist höchst sympathievoll gehalten, nur aus Frankreich klingen schrille Mißtöne zu uns herüber. Zahlreiche Pariser Blätter überschütten den großen Toten, dem es einst gelungen, gallischen Uebermut zu dämpfen, mit einer unsagbaren Flut von Schmähungen. Die Apostel der Revanche-Idee aber benutzen die Gelegenheit, um das Feuer emsig zu schüren und neues Gift gegen Deutschland auszuspritzen. Viele von ihnen martert ja schon lange brennende Ungeduld, und inbrünstig flehen sie, wie es jüngst erst von hervorragender Seite in der „Revue de Paris" geschah, den nordischen Verbündeten an, „seine Mission in Europa gegenüber den Ausschreitungen des Ehrgeizes der Deutschen zu erfüllen."
Nach dem Testament des Fürsten Bismarck erhält, wie in den Blättern mitgeteilt wird, sein ältester Sohn Herbert die Majoratsgüter Schwarzenbeck, Friedrichsruh und Schönhausen. Graf Wilhelm bekommt Varzin, die Familie Rantzau soll mit einer Million abge- flinden worden sein. Das Gut Schwarzenbeck ist bekanntlich das Majoratsgut, dessen jedesmaliger Besitzer den Titel „Fürst Bismarck" führt.
Ist der Fürstentitel im Hause Bismarck erblich? Nach dem Gothaer Kalender wurde im Jahre 1873 der damalige Graf Otto v. Bismarck zum Range eines preußischen Fürsten erhoben; seit dieser Zeit befindet sich die Familie Bismarck im Besitze der Fideikommißherrschaft Schwarzenbeck in Lauenburg. Mit diesem Besitze ist der erbliche Fürstentitel für den Fidei- kommißherrn verbunden. Die Herrschaft vererbt im Mannesstamme (Primogenitur). Daher ist der seitherige Graf Herbert Bismarck mit dem Ableben seines Vaters „Fürst" geworden. Dagegen ist der Titel eines preußischen Herzogs von Lauenburg nur ein persönlicher Titel des verstorbenen Fürsten gewesen und ist daher nicht auf seinen Sohn übergegangen.
Die drei Paladine Kaiser Wilhelms I. Fürst Bismarck ist genau 1000 Monate alt geworden. Am 1. April beendete der verstorbene das 83. Jahr, den 996. Monat seines Lebens. Am 31. Juli d. I. waren weitere 4 Monate verflossen, so daß an den 1000 Monaten nur noch eine Stunde fehlte. — Graf Roon, geb. 30. April 1803, gestorben 23. Februar 1879, erreichte nur ein Alter von 76 Jahren. — Das höchste Alter erreichte Graf Moltke, der, geboren am 26. Oktober 1800, gestorben am 24. April 1891, als Neunzigjähriger sein ruhmvolles Leben beschloß.
Der Kaiser hat die Einladung des österreichischen Kaisers zur Teilnahme an den im November bei Triest, Fiume und Pola stattfindenden großen Flottenmanövern angenommen und wird bei dieser Gelegenheit auch der Stadt Fiume einen Besuch abstatten.
Fürst Herbert Bismarck ist am Donnerstag abend in Berlin eingetroffen.
Berlin, 5. Aug. Staatssekr. v. Bülow, der nach dem Tode des Fürsten Bismarck seinen Urlaub unterbrochen hatte, begab sich nach dem Semmering zurück.
Berlin, 5. Aug. (Getreidemarkt-Bericht.) Unter günstigen Witterungs-Verhältnissen vollzieht sich die Weizen-Ernte in den südlichen und Mittlern Gebieten Frankreichs, während in den nördlichen der Feldstand ebenfalls gute Fortschritte macht. Die letztwöchentliche Preisbewegung in Frankreich ließ eine mäßige Bewegung infolge einiger Nachrichten über weniger günstige Erdrusch-Re- sultate erkennen. Die Haltung des übrigen Auslandes war matt. In Mittel- und Nord-Deutschland schreiten die Ernte-Arbeiten kräftig vorwärts. Die an die Märkte gelangenden Roggen-Qualitäten sind überwiegend gut, so daß die gefürchteten Beschädigungen thatsächlich gering sein dürften. Die immer noch gefahrvolle Witterung und die dadurch verursachte allgemeine Verspätung der Ernten waren die Ursachen, daß die Tendenz in Deutschland gegenüber dem Auslande fest geworden
ist-
Ein interessantes militärisches Schauspiel ging dieser Tage in Mainz auf dem Rhein vor sich. Die dritte Schwadron des dort garnisonierenden Husarenregiments Nro. 13 setzte von Mainz aus über den Rhein, mit den Pferden an Kähnen schwimmend, nach dem gegenüberliegenden Ufer bei Kastel hinüber. Die Hebung ging glatt von statten.
Ausland.
In Frankreich hat sogar die brennende Dreyfus-Angelegenheit eine zeitlaug schweigen müssen angesichts des Todes des Fürsten Bismarck. Die französischen Blätter, sogar diejenigen des wildesten Chauvinismus, anerkennen die große und weltgeschichtliche Bedeutung Bismarcks, wenn sie ihn auch als ihren Todfeind gehaßt haben und auch sein Andenken fernerhin zu hassen erklären. Unsere westlichen Nachbarn können es natürlich nicht überwinden, daß sie nicht mehr die erste und einzige Geige in Europa spielen dürsen, und diese hat ihnen freilich Fürst Bismarck gründlich aus der Hand gewunden. — Was die Dreyfus-Angelegenheit betrifft, so drängen die Dinge immer mehr auf eine Wiederaufnahme des Prozeß-Verfahrens gegen den unglücklichen Verbannten auf der Teufelsinsel. Gegen das Siecle, welches Blatt so furchtbare Anklagen gegen den Obersten Paty du Clam im großen Generalstab gerichtet hat, ist bis jetzt merkwürdigerweise eine Klage noch nicht erhoben. Ueber den berüchtigten Esterhazy zieht sich das Unwetter immer schwerer zusammen, nachdem sogar ein Vetter Esterhazys Klage gegen diesen eingereicht hat und zwar wegen einer ganz gemeinen Unterschlagung. Der Kriegsminister Cavaignac befindet sich in einer derartigen Sack^, gaffe, daß sein Rücktritt eine Frage von nur noch kurzer Zeit sein dürfte. Für den Umschwung der öffentlichen Meinung in Frankreich in Sachen des Exkapitäns Dreyfus ist die That- sache bezeichnend, daß ein besonderer Verein von Studenten zur öffentlichen Diskussion der Dreyfus-Angelegenheit und was alles damit zusammenhängt, in Paris sich gebildet und unter kolossalem Menschenandrang seine erste öffentliche Sitzung abgehalten hat.
In Frankreich schleppt sich die neueste gerichtliche Auflage der Dreyfus-Asfaire noch immer von einer Woche in die andere hin. Eine Untersuchung folgt der anderen bald erscheint Oberstlieutenant Picquart, bald sein Widerpart Oberst Paty du Clam, bald Oberst Henry vor dem Untersuchungsrichter, ohne daß bis jetzt irgend etwas Nennenswertes hierbei herausgekommen wäre. Dazwischen spielen wieder verschiedene Zolageschichten hinein, wie z. B. der Verläumdungsprozeß Zola's gegen das „Petit Journ." ; derselbe hat jetzt zur Verurteilung des
Direktors, des Redakteurs und der Gereuten dieses Blattes zu Geldstrafen und Schadenersatz geführt. Dem „Eclair" zufolge würde die Führuntz der Untersuchung gegen Oberst Picquart seitens des Richters Fabre noch etwa 14 Tage dauern.
Vermischtes.
Etwas vom unlauteren Wettbewerb. Der „Beob." enthält folgende interessante Mitteilung: „Jedermann kennt Wohl die marktschreierischen Auslagen des Stuttgarter Großbazars Hermann Tietz und wundert sich über die „staunend billigen" Preise. Wie es nun teilweise in Wirklichkeit damit beschaffen ist, erfuhr jüngst ein Herr, welcher so viele Branchekenntnis besaß, um sich zu sagen, daß es unmöglich sei, eine imit. Ebenholzsäule von mehr als 1 Meter Höhe zu dem angehefteten Preise von 2,75 Ml. zu liefern. Auf Anfrage im Laden wurde ihm eröffnet, der Preis sei 5,50 Mk., der Zettel über 2,75 Mk. beziehe sich auf eine daneben hängende Uhrkette. Als der Käufer dann einen Schutzmann holte, war die Preisnotierung bereits entfernt, doch sah sich p. Tietz, einsehend, daß es dem Käufer eventl. auf einen Prozeß nicht ankomme, veranlaßt, die Säule doch zum ausgezeichneten Preise abzugeben.
(Einer, von dem sich Bismarck einschüchtern ließ.) Als die Bahn durch den Sachsenwald geführt wurde, besah sich der Fürst fast täglich auf seinem Morgenspaziergange die Bahnarbeiten. Es war ihm wohl nicht lieb, daß der altehrwürdige Wald auf eine weite Strecke hin durchbrochen, und die Axt in die heiligen Eichen gelegt wurde; aber der Fürst fügte sich den gebieterischen Forderungen der Zeit und hieß sein Herz, das Herz des naturliebenden Landwirtes, schweigen. Da kam er einst dazu, als die Arbeiter gerade eine mächtige Eiche gefällt hatten. Sie war der schönsten eine, eine Riesin des Waldes, voll Kraft im tausendjährigen Alter, sein eigen Ebenbild. Da übermannte den Fürsten sein heftiges Temperament und er befahl den Uebelthäter, der des Baumes Todesurteil gesprochen hatte und vollziehen ließ, einen Ingenieur der Bahr baubehörde, zu sich aufs Schloß. Wütend gm; er in feinem Zimmer mit wuchtigem Schritt ans und ab, hastig trat er, als der Diener den Missethäter meldete, .dem Eintretenden entgegen. Und als er ihm gegenüber stand, da erstarb ihm der zornigen Worte Schwall auf den Lippen, die finster zusammengezogenen Brauen glätteten sich und verlegen, ja verlegen, bot er dem baumlangen Ingenieur, einem gemessenen neun Schuh hohen, breitschulterigen Sohne Mecklenburgs, eine Cigarre an und entließ ihn nach einem Gespräche über die gleichgiltigsten Dinge der Welt. Im
Kreise seiner Familie aber erzählte der Fürst am gleichen Tage noch den Vorgang: Ich konnte thatsächlich nach „oben" den Ton nicht finden, meinte er, der Mensch war ja größer, wie ich!
Einige Aussprüche Bismarcks.
Das Leben hätte keinen Wert, wenn der Tod hier unten das Letzte wäre. ^
Die Gesundheit meiner Frau ist meine eigene Gesundheit. * . X
Ich werde glücklich sterben, da ich dazu beigetmm
habe, mein Vaterland zu einigen, es groß und zu machen. ,
Telegramme.
Berlin, 5. Aug. Der „Reichsanzeiger
meldet: Der Kaiser versammelte gestern vor
mittag nach der Bismarcktrauer in der Kaper Wilhelm-Gedächtniskirche in der Vorhalle den Reichskanzler und die Staatsminister zu eme Ansprache um sich. . <
Hamburg, 5. August. Wie der . Correffo." meldet, ist aus Antrag desFur- Herbert Bismarck und Ersuchen des Landgench Altona seitens der Hamburger Polizeibehor n aus Grund des Strafgesetzbuchs § 123 Absatz (Hausfriedensbruch) gegen die Photograpyn Wilcke und Priester eingeschritten worden, > sie in der Nacht nach dem Ableben des Fufl in das Schloß eingestiegen waren und photographische Aufnahme des Toten ge hatten.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.