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Unterhaltender Heil.

Das Fräulein von Harlaß.

Novelle von Waldemar Bernd t.

(Fortsetzung.)

Einige Monate waren verflossen. In der Umgebung der Residenz wehte der Wind bereits über die Stoppeln und aus dem sich mehr und mehr entfärbenden Laub der Obstbäume schimmerten, zum Genüsse einladend, die reifen Früchte. Die Tage hatten jetzt, Ende August, merklich ab­genommen, aber der Hochsommer spendete doch reichliche Hitze und schwellte die Trauben, die in Menge ml den der Sonne zugekehrten Spalieren hingen.

Der Himmel war mit dichten, schweren Regenwolken bedeckt und der Abend daher früher als bei klarer Luft angebrochen. Die Gaslaternen brannten bereits, aber die ohnehin wenig belebten Vorstadtstraßen waren bei der schwülen Temperatur und dem drohenden Regen menschenleerer als sonst. Ein Mann schritt langsam durch eine der entlegensten Straßen, in welcher von dem Lärm der inneren Stadt nichts zu bemerken war, dahin und es schien als meide er die vom Lampenlichte besonders erhellten Stellen, denn er umging die eisernen Lateruenträger ausnahmslos in weitem Bogen. Kleine, freundliche Häuser mit hübschen Vorgärten standen zu beiden Seiten des Weges, keine eleganten Villen oder prunkende Paläste, sondern bescheidene, mehr im ländlichen Style gehaltene Wohnungen, wie sie der bemitteltere Bürgerstand und das besser situierte Beamtentum mit Vorliebe für sich in Anspruch nahmen. Ein kleines schmales Gäßchen, kaum breit genug, um zwei sich Begegnenden das Ausweichen zu gestatten, führte, von Gartenzäunen gebildet, rechts ab und in diesen Gang bog der Mann jetzt ein.

Völlige Dunkelheit herrschte hier ; die Gasse galt als Privatweg, der den angrenzenden Be­sitzern den Zugang zu ihrer: Grundstücken von der Rückseite ermöglichte. An einer Eingangs­thür blieb der Mann stehen, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß die Thür auf. Dann trat er in den Garten, die Pforte hint« sich wieder sorgfältig verschließend.

Einige Augenblicke blieb er lauschend stehen, und erst als er sich überzeugt, daß ihn niemand bemerkt hatte, schritt er behutsam vorwärts, einem gemauerten Gartenhause zu, das, von dichtem Buschwerk verdeckt, in der entferntesten Ecke des Grundstückes stand. Durch einige Risse in den geschlossenen Fensterläden schimmerte Licht, aber ringsum herrschte tiefe Stille. Der Ankömmling wußte offenbar hier genau Bescheid, denn ohne Zögern trat er an einen der Läoen und klopfte, worauf die Thür geöffnet ward und der Mann im Innern des Häuschens verschwand.

Es war ein kleines, einfach möbliertes Zimmer, welches der Fremde mit seinem Begleiter, der die Thür geöffnet hatte, betrat. Ein alter Schreib­tisch, ein nicht minder bejahrtes Sopha, ein großer ovaler Tisch und einige Stühle bildeten die Aus­stattung der Stube, deren besonderer Schmuck in einigen Hirsch- und Rehgeweihen an den Wänden, sowie in einer Anzahl Bilder, meist Tier- und Jagdstücke darstellend, bestand. Eine brennende Schirmlampe erhellte das Gemach; sie stand auf dem Schreibtisch, auf welchem verschiedene Schrift­stücke umherlagen, mit deren Ordnen der Inhaber des Zimmers allem Anscheine nach beschäftigt gewesen war.

Da sind Sie ja, Schwarz, pünktlich wie immer!" sagte der Letztere, während er wieder seinen Platz am Schreibtische einnahm und mit Haudbewegung den Besucher ebenfalls zum Nieder­lassen einlüd.

Pünktlich wie immer, Herr Hofrat es freut mich, daß Sie dies anerkennen!" versetzte der Angeredete, ein Mann in den sechziger Jahren, mit glattrasiertem Gesicht, grauem, buschigem Haar und auffallend kleinen Augen von jener unbestimmten Farbe, die zwischen Grün und Braun die Mitte hält.Ich erhielt ihren Brief, in welchem Sie mir mitteilen, daß wunderliche Dinge pasiert seien, erst heute Mittag und habe eine kleine Reise aufgeschoben, um Ihrer Auf­forderung, Sie heute Abend zu besuchen, Folge leisten zu können."

Es sind sehr ärgerliche Vorkommnisse, die mich veranlassen, Sie zu mir zu bestellen," be­stätigte der Hofrat, welcher in dieser billigen und doch angenehmen Gegend sich ein kleines Besitztum, in Haus und Garten bestehend, erworben hatte.Lesen Sie!"

Er reichte den: alten Manne dabei ein be­drucktes Blatt Papier, das er einem eleganten, mit Goldrändern geschmückten Papierumschlag entnahm.

Das ist ja eine überraschende Neuigkeit!" rief Schwarz, das Blatt zurückgebend,die Ver­lobungsanzeige des Baron von Eberstein mit Hermine von Harlaß!"

Wer Gelegenheit hatte, Beobachtungen an­zustellen, den kann die Nachricht nicht überraschen," Ivarf Tränkler in unverkennbarem Tone des Un­mutes ein.Der Verkehr zwischen den beiden Familien war in letzter Zeit ein so auffallend lebhafter, daß die Vermutung sehr nahe lag, es sei irgend etwas im Werke. Zwischen der Baroneß Eberstein und der alten Generalin hatte sich trotz des Unterschiedes der Jahre ein wahrhaft freund­schaftliches Verhältnis ausgebildet und die Ruppertsdorff hätte doch mit ihrer Nichte un­möglich so oft nach dem Gute des unverheirateten Barons fahren können, wenn ihr Besuch, schein­bar wenigstens, nicht dessen Schwester gegolten hätte."

Der Andere nickte bestätigend.

Was Sie mir mitgeteilt haben, Herr Hof­rat, beweist, daß die Sache längst vorbereitet und geschickt dnrchgeführt worden ist, und die Hauptrolle in der ganzen Berlobnngsgeschichte spielt allem Anscheine nach die Schwester des Barons. Diese war es, welche sich klug an die Generalin anzuschließen verstand, sie zu sich auf die schöne ländliche Besitzung ihres Bruders einlud und bei ihr vorsprach, so oft sie die Residenz besuchte. Alte Leute sind durch eine passende Behandlung leicht zu gewinnen und die Baroneß hat dies allem Anscheine nach sehr gut verstanden."

Das gerade ist das Befremdliche bei der Sache," erwiderte Tränkler,man sollte glauben, die Schwester des Barons würde eher suchen, eine Heirat ihres Bruders zu Hintertreiben, weil sie damit doch unfehlbar die dominierende Stellung in dessen Hause verliert. Statt dessen thut sie Alles, um dem Gute eine Schloßherrin zuzuführen, die noch die Baroneß von ihrem Platze verdrängen muß."

Da kennen Sie die Weiber doch nicht genau genug, bester Hofrat!" warf der Alte lachend ein,es giebt für sie keine größere Freude, als eine Ehe stiften zu können. Zudem ist Baroneß Eberstein so vermögend, daß sie ganz nach ihrer Bequemlichkeit leben kann, während sie jetzt doch Berpflichtuichen übernommen hat, die sie niehr oder weniger ans Haus fesseln."

Das ist es eben: wenn die Ebersteins nur nicht so verwünscht reich wären!" fuhr Tränkler heftig seinen Besuch an, als trage der die Schuld an dem großen Vermögen der Familie des Barons.

Meine Mündel ist-na ja, sie ist arm,

und deshalb wird die Generalin die Bemerkungen des sehr bemittelten Freiers, der freilich der Vater des Mädchens sein könnte, mit allem Nachdruck unterstützt haben."

Fräulein von Harlaß könnte auch wohlhabend sein!" sagte leise der alte Herr und ein lauernder Blick traf den Hofrat.

Ach was könnte!" unterbrach Jener barsch,sie ist es nun einmal nicht, und daran ist nicht zu rütteln. Uebrigens ist es Ihr Schaden nicht, Schwarz, daß es so und nicht anders ist und nun kein Wort mehr über diesen Punkt, Sie kennen unsere beiderseitigen Verpflichtungen."

Kenne ich, gewiß!" meinte der Mann, sich selbstgefällig die Hände reibend,aber was nun?"

Ja was nun, das ist eben die Frage, die Sie mir beantworten sollen," versetzte der Hofrat. Sie sind Jurist, waren lange Jahre ausübender Rechtsanwalt, bis gewisse Umstände Sie zu einem unfreiwilligen Aufenthalt in einer Staatsanstalt zwangen"

Während ein gewisser Herr Tränkler unbehelligt blieb, obgleich er ebenfalls einen Platz in besagter Anstalt verdient hätte, unterbrach der Andere mit scharfer Betonung.

Lassen wir das, Schwarz, es führt zu

nichts!" fiel Jener begütigend ein,beratschlagen wir lieber, was ferner zu thun ist, nachdem das Hciratsprojekt zwischen mir und meiner Mündel ge­scheitert ist. Es wird jetzt ein anderer Ausweg zu pichen sein, durch den sich unsere Angelegenheit m befriedigender Weise regeln läßt, denn mit der Verheiratung des Mädchens geht die Vormundschaft an ihren Mann über und ich habe nichts mehr zu sagen. Deshalb dürfen wir keine Zeit ver­lieren, lieber Schwarz, hier gilt es rasch handeln. Ihr Scharfsinn hat schon manches Mal das Richtige getroffen, Sie werden auch jetzt wieder den rechten Weg finden." «Fortsetzung wlgt.)

Aus dem Haynauer Kreise, 29. Juni. Dergnädige Herr" als Kindermädchen, so könnte man Wohl das Wahlkuriosum benennen das sich an: Wahltage in R. im Haynauer Kreise zugetragen. Herr v. Z. schreitet das Dorf ent­lang und erblickt vor einer Häuslerstelle den Besitzer derselben, einen Kinderwagen hin- und herschiebend. Auf die Frage des gnädigen Herrn, ob er schon wählen gewesen, antwortete der Mann:Gnädiger Herr, ich koan vu dam Madel ni furtgiehn, bis Meine zurücke." Darauf entgegnet der Herr:Geht schnell, hier gebt diesen Zettel ab, ich werde Euch so lange vertreten." Und so geschah's auch; dergnädige I Herr" fungierte in Vertretung als Kindermädchen, und der biedere Häusler übte seine vornehmste Bürgerpflicht ans. Als der nichtpolitische Alaun zurückgekehrt, fragte ihn Herr v. Z.:Na, habt Ihr den Zettel auch abgegeben?" Darauf die - Antwort:Unterwegs troaf mich Eener, der soagte, ich hätte nick an richtigen Zettel und doa goab a mer an anoern."

Telegramme

New-Jork, 3. Juli. Eine Depesche aus Manila vom 27. v. Bl. meldet, daß die Trans­portschiffe der Amerikaner noch nicht eingetrofsen seien und die Spanier Manila noch immer besetzt halten.

Port Said, 7- Juli. Das Geschwader Samaras befindet sich noch immer außerhalb des Hafens. Die Witterung war gestern und Heck nicht günstig für die Einnahine von Kohlen.

Washington, 3. Juli. Der Marinesckretär Long erklärte gestern Abend, daß im Feldzugs­plane für die Marine keine Aenderung eintrete. Das Geschwader des Kommodore Wilson werde in einigen Tagen nach Spanien abdampfen, selbst wenn Admiral Samara nach Spanien zurückkehre.

New - N ork, 3. Juli. Die Details über die letzte Schlacht am Freitag berichten rühmlich über den Mut und die Ausdauer der Spanier, welche dem Gegner jeden Schritt streitig gemacht haben, trotz schwerer Verluste. Der einzige Punkt, wo die Amerikaner keinen Erfolg zu verzeichnen habeir, war auf dem äußersten linken Flügel, W die Division des Generals Dnffield den Fluß nicht überschreiten konnte, um sich in den Besitz von Aguadores zu setzen, weil die Brücke zerstört war. Die Division war gezwungen nach Juragm zurückzukehren. Die Amerikaner sollen 2000 Ge­fangene gemacht haben. Nach demNew-Aork- Herald beziffern sich die Verluste der Amerikaner am Freitag und Samstag auf 1200 Mann und die Spanier hätten zum mindesten 1000 Man» an Toten verloren. Nach einer amtlichen Meld­ung soll die dem General Sawton gegenüber- gestandene Division bei Ellyaney allein 2M Tote und Verwundete verloren haben. Die Ge­fangenen und Gefallenen im Zentrum nnd aus den: linken Flügel beziffern sich auf nahezu 4000 Mann. Einige Konchagnien Amerikaner sollen sämtliche Offiziere verloren haben. chH mehrere Oberste n. Oberstlieutenants seien gefallen

Washington, 4. Juli. Das We, Haus giebt bekannt: Admiral Sampson draig am Sonntag in den Hafen von Santiago er und zerstörte die Flotte Cerveras. Das Kriegs departement meldet: Die gesamte spanische v mit Ausnahme eines Schiffes sei zerstört i, an der Küste verbrannt. Das Weiße H erhielt eine Depesche des Generals Schaster . Cleye del Este von gestern früh, worin es Y»' er habe die Uebergabe Santiagos verlang andernfalls die Stadt zu bombardieren ge v' er glaube, die Stadt werde sich ergeben ^.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.