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Bor fünfzig Jahren.

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VI.

Neuenbürg, 20. März. Die gegenwärtige »eit scheint in ihrer bewegenden Kraft auch in unserem Odecamte anzusaugen, rasch in die Gemüther einzu- qreisen. Am Montag Vormittag nach 10 Uhr bewegte sich ein Zug von etwa 100 Bürgern aus den Oberamts­orten Schwann, Dobel, Neusaz und Rothensohl der Oberamtsstadt zu, und versammelten sich, als sie daselbst angekommen waren, vor der Wohnung des Oberbeamten, der sich in ihre Mitte begab, und sich ihre Wünsche und Anliegen vortragen ließ. Er erhielt von den Ange­kommenen die Erklärung, es sey ihre Absicht, nach ihren Rechten, die ihnen in den herrschaftlichen Waldungen an Streu, Holz und Waiden zustehen, zu sehen, und die schriftlichen Dokumente, die hierüber in der Forst- amts-Registratur ausbewahrt sehen, sich zur Einsicht aussolgen zu lassen. Nachdem der Oberbeamte ver­sprochen hatte, ihnen hiezu behülflich sehn zu wollen, bewegte sich der Zug auf das Burgschloß, allwo das Forstamt seinen Sitz hat. Die Registratur wurde von dem Beamten geöffnet und nachdem die Angekommenen erhalten hatten, was sie wünschten, giengen sie gegen den Abend hin wieder auf ihre Dörfer zurück. Die öffentliche Ordnung wurde dabei nicht gestört, und ob­gleich hie und da unangenehme Worte zu hören waren, so war doch die Haltung der Gesammtheit der Bittenden nicht unangemessen, was allgemein anerkannt wird. Möge Gott die Herzen lenken, daß der gesetzliche Weg aufrechterhalten, und Ordnung, welche der einzige Weg zu Recht und Wohlfahrt ist, nicht verlassen werde.

N. S. Soeben höre ich, daß auch die Bürger von Waldrennach, Langenbrand und Feldrennach in die Oberamtsstadt eingezogen in derselben Absicht, in welcher die oben genannten ankamen; ihre Stimmung ist jedoch friedlich und es sind bis jetzt, Gottlob! keine Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu be­fürchten. Mögen sich dieses Lob die braven Bewohner des Oberamts fest und sicher zu bewahren und zu er­halten streben.

In der Sitzung der Kammer der Abgeordneten am 22. März wurde der Kommissionsantrag über das Volksbewafsnungsgesetz mit der Modifikation angenommen, daß die Wünsche der Kommission nicht einzeln berathen, sondern der Regierung blos zur Kenntnißnahme überwiesen werden sollen. Das Gesetz ist somit von der Kammer angenommen. Das Gesetz über Aufgebot der Landwehr ebenfalls.

Aus Veranlassung der Abdankung des Fürsten Metternich (des Fürsten der Finsterniß, wie ihn des Volkes Witz nenntl loderten am 18. März auf den Bergen um Geißlingen abermals Freudenfeuer.

Baden. Im Schloßhofe in Rastatt sieht es nun sehr kriegerisch aus durch die Aufstellung von Kanonen, Haubitzen, Mörsern und die vielen Train­wagen des Artillerie-Parks. An den Festungswerken wird unermüdlich gearbeitet.

Deutsches Weich.

Ueber das Verhältnis Deutschlands zur kretische« Frage bringt dieKöln. Ztg.- folgende bemerkenswerte Auslassung: Die Meld­ung. daß das PanzerschiffOldenburg- mit voller Bemannung die Insel Kreta verläßt, läßt ver­muten, daß der Zeitpunkt gekommen ist, wo Deutschland im europäischen Konzert die Flöte still auf den Tisch legt und den Konzerlsaal verläßt. Die deutsche Regierung hat, namentlich jetzt, nachdem die griechische Staatsschuldenfrage in möglichst günstiger Weise geregelt ist, nicht genügend Interesse an der zukünftigen Gestaltung der Verhältnisse auf Kreta, um sich dem Ein­verständnis der meistbeteiligten Großmächte cnt- gegenzustellen. Sie kann um so weniger eine Politik des Einspruchs befolgen, als offenkundig ist. daß die wirkliche Herstellung geordneter Zu­stände auf der Insel nicht bloß eine Aufwendung großer Machtmittel. sondern nicht minder er­hebliche Geldopier bedingen würde, deren Auf­bringung deutscherseits selbstverständlich aus- geschlossen ist. Die deutsche Regierung handelt also folgerichtig, wenn sie denjenigen Mächten, die diese Opfer bringen wollen, auch die Durch­führung der von ihnen für zweckmäßig erachteten Maßregeln auf eigene Verantwortung überläßt, ohne sich bei dieser Verantwortlichkeit zu be­teiligen. Die Ausführungen des Staatssekretärs v. Bulow im deutschen Reichstag waren so klar und überzeugend, daß sie den Beifall in ganz Deutschland gefunden haben. Die Neuordnung der Dinge auf Kreta wird nunmehr vorwiegend Rußland, Frankreich und England zufallen. Dieses Zurücktreten Deutschlands von der weiteren Behandlung der kretischen Frage bedeutet jedoch keineswegs sein endgiltiges Ausscheiden aus dem europäischen Konzert.

Der Reichstag beschäftigte sich während der verflossenen Woche in zweiter Lesung mit der Postdampfer-Vorlage. Dieselbe wurde mit großer

Mehrheit angenommen. Gegenwärtig steht der Entwurf eines Gesetzes über die Militärstraf. Prozeßreform zur Beratung. In eingehender Rede, welche den im allgemeinen erfreulichen Fortgang der Verhandlungen innerhalb der Kommission anerkannte, richtete Kriegsminister v. Goßler an das Haus die dringende Bitte, die gefundene Mittellinie nicht zu überschreiten. Zu­gleich machte er eine Reihe von Punkten nam- Haft, bei denen die Regierung gegenüber den Kommissions-Aenderungen entschieden die Wieder­herstellung der Regierungs-Borlage wünschen müsse, da sonst die Gewähr der Annahme des Entwurfs durch den Bundesaat nicht vor­handen sei.

Der Braunschweigische Landtag hat be­schlossen. die Regierung zu ersuchen, im Bundes­rat dahin zu wirken, daß die eigenen Einnahmen des Reiches durch vermehrte Besteuerung der Genußmittel derart erhöht werden, daß die Ueberweisungen an die Einzelstaaten die Matrikular-Beiträge jährlich um 40 Millionen Mark übersteigen. Der Beschluß ist dadurch von Bedeutung, daß damit eine deutsche Landes­vertretung den Reichsfinanzreform-Gedanken von 1893 wieder aufnimmt.

Zur Thronfolge in Lippe-Detmold. Der Landtag beschloß am Mittwoch mit großer Mehrheit, daß beim Hinscheiden veS Grafregenten dessen ältester Sohn die Regentschaft über- nehmen solle.

Berlin, 18. März. Nachdem in der gestrigen Abendsitzung der Stadtverordneten mit 58 gegen 40 Stimmen beschlossen worden war, morgen durch eine Abordnung einen Kranz am Grabe der Märzgefallenen niederzulegen, verlas der Oberbürgermeister Zelle ein Rescript des Oberpräsidenten, das den Magistrat anweist, den Beschluß als eine Ueberschreitung der Befugnisse der Versammlung und als eine politische Kund- gebung zur Verherrlichung der Revolution mit aufschiebender Wirkung zu beanstanden.

Aachen, 18. März. Das Kriegsgericht verurteilte den Bezirksfeldwebel Hahnenbruch wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 34 Monaten Zuchthaus und Ausstoßung aus dem Heere, den Mitwisser Bezirksfeldwebel Kircher zu 22 Monaten Gefängnis und Degradation Der in diese Angelegenheit mitverwickelte Wirt Mindorff aus Berviers (Belgien) ist vor das Reichsgericht verwiesen worden.

Karlsruhe, 15. März. Soweit es sich jetzt übersehen läßt, wird die Albthalbahn von hier nach Herrenalb sehr gute Geschäfte machen. Schon jetzt, wo allerdings der Reiz der Neuheit noch besteht, ist ein Massenandrang bei gutem Sonntagswetter bemerklich. Vorerst geht die Linie nur bis Ettlingen, Holzhof und von da sucht man die nahen Wälder auf. Ein Bericht desBad. Landesb.« hebt hervor, daß am letzten Sonntag manche Fahrgäste eines von Ettlingen abgehenden Abendzuges umsonst fuhren, da es dem Fahrpersonal mit dem besten Willen nicht möglich war, alle Insassen des stark besetzten Zuges abzufertigen. Man wird Ablassung von Zügen in kurzen Zwischenpausen einführen müssen.

Karlsruhe, 17. März. Wie dieBad. Ldsztg.- aus authentischer Quelle erfährt, wird die Strecke Karlsruhe-Marxzell, eventuell auch Frauenalb in der ersten Hälfte des April mit Bestimmtheit erwartet werden können. Die Eröffnung der Bahn hat sich dadurch verzögert, daß dre schweren Maschinen, die für den Betrieb auf der oberen Strecke notwendig sind, von der Maschinenfabrik Karls­ruhe erst jetzt angeliefert werden. Die Fertig- stellung der Maschinen hat sich deshalb so sehr verzögert, weil dieselben nach einer ganz neuen Type gebaut worden sind.

Karlsruhe. 16. März. Bezüglich der Bahnhoffrage beginnen sich nun auch Stim­men geltend zu machen, die nicht ohne zwingende Not zu einer Staatsausgabe von 1518 Mill. für die Höherlegung oder Verlegung schreiten möchten, auch nicht der Stadt einen großen Zu­schuß anraten. Sie gehen von der Ansicht aus, daß mit der Errichtung des Rheinhafens der ge- schäftliche Schwerpunkt unfehlbar nach dem Westen fällt, und daß die Südstadt von diesem Gesichtspunkt aus jedenfalls an Bedeutung ge«

winnt. Es handelt sich also jener Ansicht nach um eine zu erstellende genügende Verkehrs­verbindung zwischen der Altstadt und der Süd­stadt und dies könnte mit verhältnismäßig ge­ringem Aufwand nach der Ansicht der leitenden Behörden durch die Straßenüberführung für Tramwayvcrbindung gewonnen werden. Zunächst würde cs sich um zwei Hauptüberführungsstraßen am Ettlinger und Rüppurer Uebergang handeln. Fallen müßte allerdings auch die von der jetzigen städtischen Rheinbahn hervorgerufene Verkehrs­hemmung.

Die etwa 12jährige Tochter des Kunst- und Handelsgärtners Henkel zu Auerbach, welche sich vor etwa Jahresfrist heimlich aus dem Elteruhause entfernte und trotz aller Nach, forschungen bisher verschollen blieb, ist jetzt bei einer Zrgeunerbande in Griesheim bei Darmstadt aufgcfunden und bereits von den Familien­angehörigen rekognosziert worden.

Württemberg.

Stuttgart, 16. März. Nahezu 250 Per­sonen aus allen Gesellschaftsklassen sind hier seit Wochen thätig, unter Führung des Herrn Hof­schauspielers Edward das L u l h e r f e st s p l e l von Devrient vorzubereiten. In 7 Abteilungen wird uns in diesem historischen Charakterbild der große Reformator vorgeführt. Der erste Schauplatz zeigt uns eine Straßenscene in der Universität Erfurt. Lustige Studentenlieder und ernste Gespräche richten die Aufmerksamkeit auf den allbeliedten Bergmannssohn, über den jeder etwas anderes zu erzählen weiß, bis er zum schmerzlichen Erstaunen aller als Mönch mit dem Bettelsack aufiritt. In wenigen Strichen giebt uns so der Dichter ein Bild der Zeltbewegungen, in deren Mittelpunkt von nun an Luther steht. In der Klosterzelle sehen wir ihn dann in tiefster Zerknirschung, aus der Staupitz ihn aufrichtete eine wunderbar ergreifende Szene! Der An» schlag der Thesen 1517, Volksauflauf vor der Schloßkirche. Ablaßkram und allerhand Volks­witz, dann Luthers ernstes Einschreiten werden uns im zweiten Bild mit höchster Lebendigkeit vorgeführt. Den Höhepunkt dichterischer, farben­prächtiger Darstellung und gewaltigster Massen- Wirkung zeigt der Wormser Reichstag (1521). Dann finden wir den Geächteten als Junker Jörg auf der Wartburg. Besonders reizvoll und feingezeichnet sind die Szenen im Nonnenkloster Nimbschen und Luthers Berspruch mit Katharina von Bora. Das Werk endigt mit der Dar­stellung von Luthers Arbeit als Bibelüberjetzer mit seinen Genossen Melanchton, Bugenhagen rc. und mit der herzlich rührenden Familienfeier von Luthers letzter Weihnacht. Die Klänge des ChoralsMit Fried und Freud fahr ich dahin« geben dem Ganzen einen würdigen Schluß. Es ist kein Zweifel, daß wie in Stuttgart die weite- stens Kreise der evang. Bevölkerung mit freudiger Spannung den am 22. März beginnenden Auf­führungen entgegensetzen, so auch im Lande vieler Herzen durch diese Darstellung aus Deutschlands merkwürdigster Zeit gehoben werden. Aus­wärtige seien besonders auf die schon nachmit­tags 4 Uhr beginnende Aufführung vom Sonn­tag den 27. März hingewiesen, deren Besuch noch die Rückreise nach den meisten Richtungen hin ermöglicht. Karten zu 31 »-L sind zu bestellen bei Kaufmann Vöhringer-Reihlen.

Rißtissen, 16. März. Nachstehendes Vor­kommnis dürfte wohl in landwirtschastl. Kreisen besondere Beachtung finden. Die Kuh einer armen Witwe brachte ein kräftiges Kalb zur Welt, nach 12 Stunden verendete die Kuh und das Kalb war absolut nicht zu bewegen, aus einer Flasche Milch zu trinken; da gebrauchte die Frau die List, das Kalb ihrer Gaste unter« zuschieben, welche z. Z. zwei Kitzlein säugte. Jetzt nach Berfluß von 14 Tagen ist das Kalb jo weit, daß es mit der Flasche genährt werden kann.

Neuenbürg. 19. März. (Schweine­markt.) Zugeführte 40 Stück Milchschweine wurden zu 2530 verkauft.

Ausland.

Paris, 18. März. Es bestätigt sich, daß die diesjährigen großen Manöver zwischen dem VIII. und XIII. Armeekorps in den Depar»