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in demselben Vorsorge getroffen zu haben; denn angesichts der kath. Thronfolge könne und dürfe man auf die in unserer jetzigen Verfassung ge- g- benen evang. Garantien nicht verzichten, ohne daß in der neuen Verfassung für reichliche Kom­pensationen gesorgt würde. Derartige, kon feistonell zugespitzte Forderungen fallen bei unserer evang. Landbevölkerung auf keimfähigen Boden.

Stuttgart, 24. Febr. In dem Befinden des Herrn Staatsministers der Finanzen Dr. v. Riecke ist, wie derSchw. Merk." mitteilt, seit einigen Tagen ein nicht unbedenklicher Sckwächezustand eingetreten. Doch ist die Hoffiung nicht aufzugeben, daß die Kräfte sich Wieder heben und weitere B sserung eintrele.

Stuttgart. Die wertvolle Schmetter­lings' und Käfersammlung des hier verstarb. Fabrikanten I Sche'ffele ist aus der Nachlaß­masse für r. 1200 Mk. verkauft worden. Während ein Teil hier bleibt, kommen andere Teile nach Berlin uud Eßlingen. Die in einer langen Reihe von Jahren zusammengebrachte Sammlung enthielt u. A. in 389 versch. Arten Carabiden, 35 Goliathiden in 4 versch. Arten (darunter 3 Goldatlas), 3700 württemb. Käser in etwa 850 verschiedenen Sorten und etwa 1500 exotische Käser in 567 verschiedenen Sorten. Es ist zu bedauern, daß die Sammlung nicht im Ganzen, etwa an ein Institut verkauft werden konnte.

In Stuttgart, wo schon seit längerer Zeit die Toxameter-Droschken eingeführt sind, die zuerst Berlin hatte, und die bekanntlich durch einen umlaufenden, von den Rädern getriebenen Zeiger den zurückgelegten Weg und die Taxe angeben, so ist nun ein weiterer Schritt geschehen. Seit kurzem sind unter den Droschken auch sog Automobile ausgestellt Motordroschken, mit Toximeler-Etnrichtung versehen. Sie haben 4 Pterdekräste und fahren in der Stadt in Trabgeschwindigkeit, außerhalb schneller; schon durch die keinem Pferd erreichbare Gleichförmigkeit der Fortbewegung legen sie größere Strecken in kürz rer Zeit zurück. Die Taxe ist die gleiche wie bei Pterdedrojchken. Stuttgart ist die erste deutsche Stadt, die diese Neuerung eingeführt hat.

Cannstatt. 19. Febr. Aufsehen erregt die Konkurseröffnung gegen den als flüchtig bezeichneten Goldwarenhändler Karl Holl, der alsFabrikant" die Spalten der illustrierten Zeitungen mit seinen Anzeigen füllte, bis die Gerichte ihm diese Bezeichnung unter Straf- veriällung untersagten. Der jetzt Flüchtige läßt neben 4 Kindern aus zwei Ehen eine Braut und einen betagten Vater hier zurück, der nun schon den zweiten Sohn auf gleiche Weise scheiden sehen mußte. (Hr. Holl seu. hat bekanntlich tm Herbst 1896 in Neuenbürg einen Vortrag üder.Weinverbesserung gehalten. D. Red.)

Nürtingen, 20. Febr. Auf Ver- anlossung des hies. Gewerbcvereins hielt der Sekretär des Verbands württembergifcher Gewerbe- Vereine, Dr. Trüdinger aus Stuttgart, gestern in der Sonne einen Vortrag über das neue Handwerkergesetz. Nach einer warmen Begrüßungsansprache des Landtagsabgeordneten Gabler begann Redner, der zur Einleitung auf die Bedeutung des Gesetzes für den Handwerker­stand hinwieS. Das Gesetz werde zwar nicht jeden befriedigen und es werden noch manche Wünsche übrig bleiben, es enthalte aber auch viel Gutes und werde, wenn richtig ausgenützt, auch viel Gutes wirken. Der Handwerker möge aber nicht von der Regierung zu viel erwarten, sondern selbst Hand anlegen; der Gesamtstand müsse seine Kraft zusammenfassen und seine Glieder müssen Schulter an Schulter für seine Existenz kämpfen. Die Förderung des korporierten Geistes sei auch die Idee des neuen Gesetzes. In überzeugender Weise führte sodann Kaufmann Gem.Ral Motz hierauf aus, daß das Haupt­gewicht des Gesetzes in den Handwerkerkammern liege, und daß es deshalb Pflicht aller Hand­werker sei, sich dem Gewerbeverein anzuschließen. Diesen Ausführungen schlossen sich auch der Vorsitzende, sowie Stadlschultheiß Baur mit eindringlichen Worten an.

Mergentheim, 24. Febr. Leider wurde hier die Faschingsfreude durch einen bedauer- lichen Unfall getrübt. Nachdem der Masken- umzug vorüber war, trieben sich einzelne Gruppen maskierter junger Leute in den Straß-n und Häusern umher. Ein Harlekin schlug dabei einen 14 jährigen Realschüler mit der Pritsche so wuchtig in das linke Auge, daß dasselbe sofort auslief. Der bedauernswerte Junge, der in einigen Wochen konfirmiert werden soll, wurde in eine Augenklinik nach Würzburg verbracht.

Anstand

Der Zola-Prozetz.

Unter dem tosenden Belsall der Anwesenden, von Offizieren und Anhängern der berüchtigten Patrioten-Liga ist Zola am Mittwoch von dem Schwurgerichte wegen Verleumdung des Kriegs­gerichts. das im Prozeß Esterhazy Recht sprechen sollte, zu dem höchsten Strafmaße, einem Jahr Gefängnis, verurteilt worden. Zola hotte in seinem offenen Briefe, der mit den Worten anhob:Ich klage an," den Kriegsmimster, den Generalstabschef, den Ministerpräsidenten und schließlich auch das Kriegsgericht im Prozeß Esterhazy beschuldigt, daß sie die Wahrheit unter- drückten. Die Regierung hielt es für taktisch klug, nur wegen Verleumdung des Kriegsgerichts, dem Zola nachgesagt hatte, daß cs auf höhern Befehl Esterhazy ireigesprochen habe die Anklage zu erheben. Den höhern Befehl konnte Zola natürlich nicht beweisen, und so ist er formell wenigstens mit Recht verurteilt worden. Es ist aber der Verteidigung gelungen, eine ganze Menge Dinge an den Tag zu bringen, die zeigen, daß Dretsius nicht nur fast gewiß un- gesetzmäßig, sondern daß er wahrscheinlich auch unschuldig verurteilt worden ist.

Der Zola Prozeß war mehr ein Spektakel- stück als eine sachgemäße Gerichts Verhandlung. Der Vorsitzende hatte von vornherein erklärt: Von dem Dr« Yfus-Pcozeß wird nicht gesprochen!" Trotzdem ist die längste Zeit über nichts anderes geredet worden, und der Vorsitzende erinnerte sich seines Vorsatzes immer nur dann, wenn es galt, unbequeme Beweise abzuschneiden. Dies geschah namentlich jedesmal, wenn ein Zeuge erklären sollte, ob dem Kriegsgerichte im Falle Dreyius hinter dem Rücken des Angeklagten geheime Schriftstücke vc» gelegt worden seien, was in jedem Staate mit geordneter Rechtspflege hinreicht, um das Verlangen nach Revision des Prozesses vollauf zu begründen. Theatralisch war insbesondere das Auftreten der Generale. General Pellicux macht sich mit der Behauptung, daß er eine zwei Jahre nach dem Drey'us- Prozeß aufgetauchte, für die Schuld des Dreyius sprechende Visitenkarte gesehen habe, zum VolkS- helden; der Generalstabschef Boisdrffre ruft vor den 12 Geschworenen aus:Entscheiden Sie darüber, ob ich noch länger an der Spitze des Generalstabes bleiben soll!" Der Major Esterhazy endlich, der Mann mit der trüben Vergangenheit, der den Ulanenbrief geschrieben und dessen Handschrift eine so verblüffende Aehnlichkeit mit der des berühmten Boröereau aus dem Dreysus Prozesse hat und dem, wenn es ihm an den Kragen gehen soll, verschleierte Damen zu Hilfe kommen, er hüllt sich, froh der liebevollen Schonung seiner Vorgesetzten, allen Fragen gegenüber in verächtliches Schweigen. Und die Menge vor dem Gerichlsgebäude ruft: Hoch Pellicux hoch Esterhazy, hoch die Armee!" Was die Armee als solche mit dem Glauben einiger Leute zu thun hat. daß in dem Dreyius- Prozeß nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei, ist selbst dem RegierungsorganTemps" unklar geblieben, das sich deutlich wegen der Rolle der Generale besorgt zeigt.

Mit dem Spruche der Geschworenen ist die Sache natürlich noch lange nicht zu Ende. Zola wird wahrscheinlich wegen der mancherlei Unreg l Mäßigkeiten in dem Verfahren die Revision bei dem Kassationshofe einlegen. Auch wenn es der Regierung in den bevorstehenden Kammer- debatlen gelingt, ihre Position so zu stärken, daß sie sich wenigstens bis nach den Wahlen Ruhe erzwwgt, wird die mit so vielen Zwei­

deutigkeiten umgebene DreykuS-Sache nicht von der Tagesordnung verschwinden, bis grijßm Klarheit geschafft ist.

Ob und wieweit der Zola-Prozeß den Pariser Handel beeinträchtigt hat, darüber hat derFigaro" eine Untersuchung veranstalt-t. Der Import hat im Januar d. I. gegen den vorjährigen Januar zugenommen, der Export um fast 2 Millionen abgenommen Die großen Geschäfte haben wenig gelitten, die R staurateule eine Einbuße von 25 Proz. gehabt. Die ZH der Fremden hat sich nicht vermindert, aber dir reichen Vergnügungsreisenden fehlen

Zwischen England undFrankreich schienen sich eine Zeit lang im Niger-Gebiek ernstliche Zerwürfnisse vorzubereiten. Doch gewinnt es gegenwärtig wieder den Anschein als würden die westafrikanischen Fragen rinr baldige und friedliche Regelung zur Zufrieden­heit beider Teile finden.

Einer Nachricht derTimes" zufolge soll dir Antwort, welche Rußland der chinesischen Regierung auf ihr Ersuchen erteilt Hot, Rußland möge die Versicherung erneuern, doß es sich nach Ablauf des Winters aus Poq Arthur zurückziehen werde, nicht beruhigend lauten. Rußland bemerkt darin, seine Schiffe würden länger, als ur'pcünglich geplant um, in Port Arthur verbleiben, da die Zurückziehung den Interessen Chinas und Koreas zuwider wäre. D'ese Antwort betrachtet die chinesische Regierung als erne Andeutung, daß aus der zeitwchn Ucberwinterung der Fiotle eine dauernd! Besetzung werden wird.

Aus Persien verlautet, daß ungeiühr 10000000 Pfd. Sterl., welche sich beim Tod! Najr Eddlns im Schatze befanden, spurlos Verschwunden sind.

Telegramme.

Berlin, 25 Fcbr. Die württ. Paradi aus Anlaß des Geburtstages des Königs von Württemberg rief die 4 Kompagnie (württ.) des Eisenbahnregiments Nr. 2 unier dem Befehl des Hauptmannns F yerabend HM Vormittag um 12 Uhr auf dem Kasernenhosr zusammen. Erschienen waren der Brigade- kommandeur mit dem gesamten O'fiz'erskochi sowie olle hier anwesenden württemb. OfijlM. Der General hielt eine kurze Ansprache, die in einem 3'achen Hurrah auf den König von Württemberg ausklang. Die Musik spielte hin­auf die Nationalhymne. Nach einem Paradrinarich sammelten sich die Mannschaften zu einem F st- essen in der Kaserne. Die Kaserne und dtt Militäreisenbahnhof hatten Flaggenschmuck in preußischen, deutschen und württemdergischen Farben angelegt. Die Kaserne ist außerdem mit Blumengewinden geschmückt.

Berlin, 25. Febr. DerReichsanzeiger" veröffentlicht das Gesetz betreffend die Äuf> Hebung der Kautionspflicht der Reichsbeamten.

Karlsruhe, 25. Febr. Die Regierung befürwortet nur die Straßenüberführung beim Karls ruherBahnhof, nicht die Höherlegung oder Verlegung, die mit etwa fünffachem Ans« wand verknüpft sein wurde.

Paris, 25 F br. Der Großkaqzler der Ehrenlegion deichästigt sich angeblich mil dem Erkenntnis des Schwurgerichts, wcsiZaln Offizier des Ordens ist. DasEcho du Paris legt Zola die Worte in den Mund, wenn er einfach von der Liste gestrichen werde, so fehle nur noch, daß man das Oifizierkreuz Esterhazh gebe, der bekanntlich nur Ritter ist. Da oder Zola die Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt ha!- st hat es mit dieser Streichung noch gute Wege- Dasselbe Blatt behauptet, Oberstlieutenan! Picquart werde wegen Verbreitung von Slaa»' geheimniss?« vor ein Kriegsgericht geM werden. Die oifiziöse Agentur Havas dagegen eiklärt, er werde verabschiedet werden. ^ Verleger derAurore", Perreux. wird morge gegen das Urteil des Schwurgerichts Berufung einlegen.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh m Reuenbürg.