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diese das WortLandwirtschaft" hören, so machen sie es wie der Jude beim Gebet: sie wenden sich sofort nach Osten, weil sie meinen, nur dort sei die Landwirtschaft zu Hause und von Belang.

Meine Herren, unsere süddeutschen Bauern wissen ganz genau, daß sie alle stehen und fallen mit der Rentabilität der Landwirtschaft das ist eine Thatsache, die kein Mensch bestreiten kann und zwar nicht bloß der große Grundbesitzer, son­dern auch der mittlere und kleinste Bauer. Selbst der Fabrikarbeiter, der einen kleinen Grundbesitz hat, merkt heutzutage, wie es mit der Landwirt­schaft aussieht. Mit Recht hat Herr Minister v. Pischek darauf hingewiesen, daß die Boden­preise abhängig sind von der Rentabilität der Landwirtschaft. Und hier frage ich Sie: ist es für den Bauern, für den kleinen Mann, auch wenn er nicht viel verkaufen kann, gleichgiltig, ob sein Ver­mögen, welches in Gütern besteht, heruntergeht oder nicht? Wenn 50 Prozent des Bodenwerts abgeschrieben werden, wie Reichskanzler Graf v. Caprivi seinerzeit den Grundbesitzern empfohlen hat, dann wird das Vermögen dieser Leute abge­schrieben, und die Schulden bleiben! Gäbe es ein Rezept dafür, daß man sozusagen von unten, von den Schulden, 50 Prozent abschreiben könnte, dann wären wir mit dem Abschreiben einverstanden, dann hätten wir aber gleich 100 Prozem Abschrieb gewünscht, das wäre dann eine gründliche Abhilfe gewesen. (Heiterkeit rechts.)

Es wird immer gesprochen von denkünst­lich gesteigerten Bodenpreisen"; auch Herr Abge­ordneter Payer hat das gelhan. Fragen Sie doch in irgend einer bäuerlichen Gegend, ob es nicht wahr ist, daß da, wo die Bodenpreise hoch sind, auch Wohlstand herrscht! Da verdient auch der Handwerker, und überhaupt verdient jeder, der mit dem Bauern geschäftlich zu thun hat. Aber wenn Sie von einer Gemeinde hören, die Bodenpreise gehen bedeutend zurück, dann herrscht dort Geld­mangel, Verarmung und Not. In einem Dorfe wurde auf die übliche Weise durch die Ortsschelle bekannt gemacht, daß auf dem Rathaus Aecker verkauft würden. Es kommen schließlich ganze zwei Bauern aufs Rathaus, und als der Ortsvor­steher sie fragte: wollt ihr etwas kaufen? da ant­worteten beide: fällt uns gar nicht ein, wer wird heutzutage noch Aecker kaufen; wir wollten nur sehen, wer so dumm ist und bietet! (Heiterkeit.)

Tie elementare Bewegung, welche unseren deutschen Bauernstand alsBund der Land­wirte" durchzieht, ist lediglich herausgeboren aus der Not, nicht aus dem Uebermut, aus dem leb­haften Bewußtsein: so wie es in den letzten zehn Jahren gegangen ist, so kann es nicht abermals zehn Jahre weiter gehen, sonst sind wir Bauern am Rand des Untergangs. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, in Württemberg haben wir die denkbar größte Parzellierung des Grund­besitzes: das wurde dem Land schon zum Vorwurf gemacht, man hat vonZwergwirtschaften" gesprochen. Ich kann versichern, daß diese weitgehende Ver­teilung des Grundes und Bodens auf die sozialen Verhältnisse allerdings in gewisser Hinsicht schwer einwirkt, indem wir nicht viele reiche, wohl aber viele arme Leute haben. Schon vor Jahrhunderten hat unser Herzog Eberhard im Bart gesagt:Mein Land hat kleine Städte, trägt nicht Berge silber­schwer." Das gilt heute noch. Aber diese kleinen Grundbesitzer sind verhältnismäßig reiche Leute ge­wesen, solange sie noch etwas aus ihrem Grund­besitze Herauswirtschaften konnten. Wir haben da­neben Zehntausende von Handwerksleuten, die mit einem Fuße auf ihrem Gewerbe stehen, mit dem anderen auf der Landwirtschaft. Verlieren sie heute in der Landwirtschaft den Grund und Boden, dann müssen sie morgen in die Fabriken gehen. So aber sind sie selbstständige Bürger und können selbstständig bleiben. Unsere Bierbrauer, unsere Gastwirte und ganze Kategorien der gewerb­lichen Bevölkerung, auch die Bäcker, von denen der Herr Abgeordnete Payer so liebevoll gesprochen hat, haben vielfach Grundbesitz und sind am Güter­preis, an der Rentabilität der Landwirtschaft inte­ressiert. Es hat mich außerordentlich gefreut, daß der Herr Abgeordnete Payer für den Gewerbestand bei dieser Gelegenheit so große Liebe gezeigt hat. Er sinkt uns hoffentlich auch noch in die Arme, wenn wir Gewerbe schütz treiben, z. B. bei der Bäckereiverordnung, den Konsumvereinen und Warenhäusern und derartigen Gelegenheiten.

Meine Herren, ich wiederhole, was soeben mein Freund und Kollege, der Herr Abgeordnete Hilpert, gesagt hat es muß so oft gesagt werden, weil die Herren auf der Linken es nicht hören: der deutsche Bauer will in erster Linie Absatz für seine Produkte haben. Das ist der Unfug an den heutigen Zuständen, der uns schließ­lich in Harnisch gebracht hat, daß für die einheimi­schen landwirtschaftl. Produkte der Absatz fehlt. Wir

Württemberger haben Mannheim in unserer Nähe, und von dort aus werden wir mit aus­ländischen Produkten förmlich über­schwemmt, mit fremdem Getreide, mit fremdem Mehl, welches direkt vom Wasserweg hier in Riesen­mühlen hergestellt und in das kleinste schwäbische Dorf geworfen wird. Unsere Bauern stehen nach der Erute da und müssen warten, ob sie vielleicht etwas verkaufen können, und unsere Müller sind gerade so angeführt.

Meine Herren, wenn unser Bauer seine Pro­dukte nicht verkaufen kann, so hat er auch kein Geld. Dann mahnt ihn der Steuerzettel und schließlich die Rathausglocke, er soll Steuern bezahlen. W o m it? Wenn die verbündeten Regierungen es genehmigen würden, daß unsere Bauern ihre Steuern auch mit Naturalien bezahlen dürften, dann würden sie sehen, wie viel einheimisches Getreide vorhanden ist, das nicht verkauft werden kann! (Sehr richtig! rechts.) Was soll unser deutscher Bauer denken, wenn er mit aller Mühe Hopfen gebaut hat und ihn schließlich selbst zum niedrig­sten Preis nicht verkaufen kann? Sehen Sie doch in die Zeitungen hinein, meine Herren! Wenn schließlich der Hopfenpreis, wie gestern zu lesen war, im Norden auf 20 pro Zentner herunter­gesunken ist, bei uns auf 50, 60 und 70 ^/., dann muß jeder, der Hopfen baut und weiß, wie viel Arbeit der Hopfenbau macht, und wie hoch die Unkosten sind, förmlich irre werden, wenn er hört: die verbündeten Regierungen haben seinerzeit einen Zollvertrag abgeschlossen, der den russischen Hopfen mit 14 Zoll nach Deutschland herein­läßt, während Rußland den deutschen Hopfen mit 70 Zoll belastet. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, das sind unerträgliche Zustände!

Auf dem Gebiet der Industrie giebt cs ähnliche Unbegreiflichkeiten. Ist vielleicht ein ver­nünftiger Sinn darin zu finden, wenn bei uns im Süden die Rohhäute für das Ausland aufgekauft werden, anstatt daß sie der deutsche Gerber bekommt? Sie werden nach Amerika exportiert, dort zu Leder und zu Schuhwaren verarbeitet und kommen dann dank unserer ungenügenden Lederzölle wieder nach Deutschland zurück! Fragen Sie unsere fleißigen Gerber auf dem Schwarzwald, was diese darüber denken, wenn sie hören: die deutschen Häute werden uns einheimischen Geschäftsleuten vor der Nase weggekauft, nach Amerika hinüber­geführt, dort unter einem enorm hohen Schutz­zoll verarbeitet und dann als Leder- und Schuh­waren wieder bei uns eingeführt? Solche Schäden sind der deutschen Arbeit unter den vielgerühmten Caprivischen Handelsverträgen zugefügt worden.

Meine Herren, was sollen unsere Wein­gärtner denken, wenn die Weintraubeneinfuhr und die Einfuhr fremder Weine immer mehr zunehmen, während sie, die ohnedies die fleißigsten und zähesten Arbeiter sein müssen, im Herbst die größte Not haben, ihren Wein abzusetzen? Das sind Zustände, welche ernsteste Unzufriedenheit erregen. Der Herr Abgeordnete Bebel und ihm nach der Herr Abgeordnete Payer haben den Aufruhr, die Revolution an die Wand gemalt, falls die land­wirtschaftlichen Schutzzölle erhöht werden. Der deutsche Bauer, der Handwerksmann und der Wein­bauer drohen nicht mit Revolution; wir hoffen auch, daß sie es nie thun werden. Wir auf der Rechten dieses hohen Hauses werden draußen vor dem Volk förmlich gebrandmarkt alsRegierungsfreunde", als diejenigen, welche Flottenvorlagen bewilligen, die das deutsche Heer stärken, ja die angeblich alle Forderungen der Regierung durch Kopfnicken be­willigen. Da heißt es großartig: wir auf der Lin­ken sind nicht die Freunde der Regierung! Nun gut, dann möchten wir auch bei der Wirtschafts­politik der verbündeten Regierungen merken, daß die Herren auf der Linken nicht die Freunde der Regierung sind! (Sehr gut! rechts.)

Meine Herren, wenn der Herr Abgeordnete Payer gesagt hat, Mißtrauen und Apathie werde unter der Bevölkerung gesät durch die Politik, die wir treiben, so muß ich dagegen protestieren! Er weiß vom Bund der Landwirte überhaupt nichts; er ist meines Wissens noch nie in einer Versamm­lung des Bundes gewesen, und wenn er darüber Nachrichten bekommen hat, so sind sie offenbar so erlogen, wie die Hunnenbriefe. (Bravo! rechts und Heiterkeit.) Meine Herren, wir haben den Bauern noch niemals weisgemacht, er werde so hohe Schutzzölle bekommen, daß ermit mühelosem Gewinn reich" werde. So dumm ist noch kein Bauernbündler gewesen. Ich lade den Herrn Ab­geordneten Payer ein, er möge einmal einer un­serer zahlreichen Versammlungen anwohnen, da­mit er künftig weiß, was er spricht, und uns nicht hier anschwärzt im Reichstage in Dingen, die er absolut nicht versteht. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, von der Sozialdemokratie kann ich eins doch nicht verstehen, und das spreche

ich offen aus. Sie beklagt immer in ihren Schriften die ich fleißig lese, wie auch ihre Zeitungen, daß in unserer Zeit der Produzent und das Produktionsmittel von einander getrennt seien; das sei die ganze soziale Krankheit der Zeit. Meine Herren, der Bauer hat doch das Produk­tionsmittel, seinen Acker, und ist selbst Produzent. Warum wollen Sie ihn trotzdem verderben und erst bankerott werden lassen, bis Sie ihn brauchen können? Probieren Sie doch, uns noch mehr solcherselbständigen, verhältnismäßig unab­hängigen Bürger zu schaffen, wie es der Bauer ist! Wenn der Bauer seine Steuern bezahlt hat, und unser Herrgott gut Wetter giebt, dann ist der Bauer frei wie ein Graf. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, wie bedenklich ist die Ab-. Wendung vom Lande! Sie herrscht leider auch bei uns in Württemberg, und zwar in solchem Grade, daß wir mit großem Bedauern sagen müssen: manche stattliche Gemeinde hat im Laufe der letzten zehn Jahre 200 bis 300 Einwohner verloren! Wir haben eine große Zahl unter unseren 1911 Gemeinden, die trotz der natürlichen Vermehrung bei ganz ge­sunden Bevölkerungsverhältnissen in der Volkszahl zurückgegangen sind. Auf der anderen Seite hören und lesen wir beständig, wie in den großen Städten über Arbeitslosigkeit und Woh­nungsnot geklagt wird. Das sind traurige Zu­stände, so darf im Reich nicht weiter regiert werden; denn wenn so fort gemacht wird dann be­kommen wir allerdings schließlich die Revolution! (Sehr richtig!" rechts.) Meine Herren, ich schließe meine Ausführungen. (Bravo! links.) Bitte, meine Herren, ich habe es Ihnen ja vorher gesagt, daß ich kurz sprechen werde. Ich schließe damit, daß auch ich seierlich und festlich erkläre: eS fällt uns Freunden der Landwirtschaft gar nicht ein, der Industrie gegenüber irgendwie hämisch zu sein oder sie gar schädigen zu wollen. ES ist der reine Mumpitz" um diesen norddeutschen Ausdruck zu benutzen, wie der Herr Abgeordnete Bebel gegen meinen Freund Nißlcr polemisiert hat. (Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter, Sie dürfen die Rede eines anderen Abgeordneten nichtMum­pitz" nennen (Heiterkeit), das verstößt gegen die Ordnung des Hauses.

Sch rempf, Abg.: Meine Herren, ich habe dabei nicht an die ganze Rede Bebels und nicht an den Redner selbst gedacht, sondern an den Inhalt der Rede, soweit er sich auf Nißlers angebliche Kulturfeindlichkeit" bezieht! (Heiterkeit. Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, ich sage ausdrücklich, wir sind Freunde einer gesunden blühenden In­dustrie, so gut wie jeder vernünftige Mensch in Deutschland; aber wir verwahren uns dagegen, daß die Parität zwischen Industrie und Land­wirtschaft, welche unbedingt nötig ist zur Er­haltung gesunder Zustände und für die Zukunft unseres Deutschen Reiches und Volkes, verletzt wird. Sie ist verletzt worden in den Caprivischen Handelsverträgen. Dieser Fehler muß korrigiert werden, und deswegen stimmen auch wir Süd­deutschen auf der rechten Seite des Hauses für den vorliegenden Entwurf. Wir sehen ihn als brauchbare Grundlage der Verhandlungen an und hoffen, ihn noch zu verbessern in der Kom­mission. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Gottesdienst«

am S. Advent, 15. Dezember.

Vom Turm: 79. Kirchenchor: Es ist ein Nos' entsprungen. Predigtlied: 97. 9' s Uhr: Vormittags- Predigt, Herr Stadlpfarrer SchMid. 1 Uhr: Christen­lehre mit den Töchtern. 7 Uhr: Weihnachtsfeier des ev. JünglingSvereinS im Lereinshans.

Momas-Keiertag» 21. Dez.

9'/- Uhr: Predigt im Vereinsyaus, Herr Stadt- arrer Schmid.

-- Literarisches.

Der Mönch von Kirsau

von A. Lupper.

Durch Uebernahme der Restauflage bin ich in der Lage, dieses schöne Buch, hübsch gebunden,

zu dem ermäßigten Preise von Mk. 2.20

statt seither 3.50 abzugeben.

_ Emil Georg«.

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