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Berlin, 7. Dez. (Deutscher Reichs­tag.) Der Gesetzentwurf über die deutsch-öster­reichische Grenz-Regulierung wird in erster und zweiter Lesung debattelos angenommen. Es folgt Fortsetzung der ersten Beratung deS Zolltarifs. Abg. Winterer (Elsäßer) erklärt, daß seine Par­tei die Vorlage vorurteilslos prüfen und für eine mäßige Erhöhung der Getreidczölle eintreten werde. Els.-Lothr. Unterstaatssekretär Schraut bemerkt, der elsässisch-lothringische Landwirtschaftsrat habe sich für diese Vorlage ausgesprochen. Elsaß-Loth­ringen wünsche auch langfristige Handelsverträge. Abg. Schräder (freis. Ver.) hebt die Tüchtigkeit unserer Industriellen, die Leistungsfähigkeit unserer Arbeiter, die Intelligenz unseres Handels hervor, was unsere Industrie auch groß gemacht habe. Redner verbreitet sich eingehend über die Not der Landwirtschaft und betont, daß diese Not ein rela­tiver Begriff sei. Unterstaatssekretär Schraut stellt fest, daß in Elsaß-Lothringen gerade auch von den kleinen Grundbesitzern Zollerhöhungen für dringend notwendig erklärt worden seien. Abg. v. Wangen­heim (Bund der Land.) behauptet, daß ein höherer Schutzzoll eine Notwendigkeit sei, giebt aber zu, daß der Schutzzoll ein mangelhaftes Mittel sei und unter Umständen den Landwirten unbequem werden könnte. Redner vertritt alsdann die bekannten For­derungen des Bundes der Landwirte und bezeichnet dabei u. A. die Eisenbahn-Tarife als die schlimmste Steuer, welche den Landwirten auferlegt sei. Seine Freunde lehnten die Vorlage ab, wenn der Land­wirtschaft der nötige Schutz versagt werde. Abg. Bräsicke (freis. Volksp.) erklärt als ostpreußischer Gutsbesitzer, daß es eine Not der Landwirtschaft gebe. Es sei schwer etwas zu verdienen. Redner bezeichnet als Gründe des Notstandes die persön­lichen Verhältnisse, in der allgemeinen Lage lägen sie nie, u. A. werde mit viel zu kleinem Betriebs­kapital viel zu große Güter übernommen. Sei die Verschuldung beseitigt, dann werde das Geschrei vom Notstand in Ostpreußen ein Ende nehmen. Ten Rückgang der Erträgnisse müsse er bestreiten, diese seien vielmehr gegen früher gestiegen. Die Verblendung des größten Teiles der Landwirte sei noch so groß, daß sie jährlich noch 500 000 dem Moloch der Kasse des Bundes der Landwirte opfern. Der Bund habe den Kredit der Landwirtschaft aufs schwerste geschädigt. Redner rühmt den russischen Handelsvertrag, welcher Handel und Wandel ge­hoben habe. Abg. Herold (Centrum) sagt, die Industrie müsse sich weiter entwickeln aber nicht auf Kosten der Landwirtschaft. Handels-Verträge müßten wir haben. Das Centrum werde dafür sorgen, daß kein Zolltarif zu Stande komme ohne daß die Verwendung festgelcgt werde. Abg. v. Tiedemann (Reichsp.) tritt für die Vorlage einschließlich der Minimalsätze für Getreide ein mit dem Bemerken, seine Freunde seien sogar zu einer Erhöhung der Minimalsätze bereit. Abg. Hilpert (Bayr. Bauernb.) verlangt eine Erhöhung der Ge- trcidezölle, welche im Interesse des Bauernstandes liegen sowie eine Erhöhung des Hopfenzolles. Abg. Schrempf (dkons.): Wenn die Herren auf der Linken von der Landwirtschaft reden, machen sie es immer wie die Juden bei einem Gebet und wenden sich nach Osten, als ob es nur dort Landwirtschaft gäbe. Wenn es den Bauern gut geht, hat auch jeder, der mit den Bauern zu thun hat, Handwerker u. s. w., Vorteil davon. Von einer künstlichen Steigerung der Viehpreise kann keine Rede sein. Tie Herren von der äußersten Linken sind allerdings zielbewußt, sie wissen, daß sie den Bauer erst krie­gen, wenn er verlumpt und verarmt ist. Gewiß wünschen wir eine blühende Industrie, aber wir müssen uns dagegen verwahren, daß die Solidarität zwischen Landwirtschaft und Industrie verletzt wird. Durch die Caprivischen Handelsverträge ist sie ver­letzt worden und das muß korrigiert werden. Des­halb stimmen wir aus Süddeutschland auch für die Vorlage und hoffen, sie in der Kommission noch verbessern zu können.

Berlin, 10. Dez. (Deutscher Reichs­tag). Das Haus ist gut besetzt. Am Bundes­ratstische Graf Bülow, Posadowsky, Freiherr von Richthofen. Tagesordnung: Interpellation Fürst Radziwiü betreffend die Wreschener Vorgänge. Reichskanzler Gras Bülow erklärt sich zur sofortigen Beantwortung der Interpellation bereit. Abg. Fürst Radziwill (Pole) begründet die

Interpellation, dabei ausführend, daß durch die Wreschener Vorgänge die nationale Würde der polnischen Bevölkerung tief verletzt worden sei. Die­selben hätten auch weit über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus Erregung hervorgerufen. Redner schildert dann ausführlich die Vorgänge in Wreschen und protestiert dagegen, daß der Religions­unterricht für germanisatorische Zwecke benutzt werde. Auch rügt er, daß die Züchtigung der Kinder in solch brutaler Weise im Religions-Unter­richt selbst vorgenommen werde. Des Weiteren erinnert er an die früher den Polen gemachten königlichen Versprechungen im Hinblick auf die Sprachenfrage. Geschehe es doch, daß die Eltern in der Familie mit ihren eigenen Kindern nicht mehr polnisch sprechen dürften. Er bitte den Reichskanzler in seiner Eigenschaft als Minister­präsident in Preußen Maßregeln zu treffen, um diesen Zuständen abzuhelfen. Reichskanzler Graf Bülow entgegnet dem Vorredner, er könne in diesem Hause auf die der Interpellation zu Grunde liegende Angelegenheit nicht eingehen. Es sei eine rein preußische Sache und er werde, wenn diese Angelegenheit im preußischen Landtage zur Sprache gebracht werde, dann Rede und Antwort stehen. Als Reichskanzler habe er die Pflicht, alle verfassungsmäßigen Rechte der Organisation des Reiches nach innen und nach außen hin in vollem Umfange zn wahren. Ebenso wie das Reich ieine Rechte bezüglich der Einzelstaaten geachtet wissen wolle, ebenso sehr habe er das Eingrefen des Reichstages in die Zuständigkeit der einzelnen Staaten zu verhindern. Die Bundesstaaten hätten unbedingten Anspruch auf unbedingte Achtung der ihnen zustehenden Befugnisse. Diese Befugnisse dürfe er nicht beeinträchtigen lassen und müsse gegen jeden Versuch hierzu entschiedene Verwahrung ein- legen. (Bravo). Durch die Vorfälle in Wreschen hätte das deutsche Reich nirgends im Auslande an Ansehen verloren und die Beziehungen Deutschlands zu Rußland und Oesterreich-Ungarn hätten in keiner Weise gelitten. (Lebhafter Beifall.) Die russische Regierung habe nach den polnischen Ausschreitungen in Warschau sofort Remedur eintreten lassen. Der russische Minister des Aeußern habe dem deutschen Botschafter sein Bedauern aussprechen lassen und der letztere habe der russischen Regierung sein volles Vertrauen ausgesprochen, daß dieselbe alle erforder­lichen Maßnahmen ergreifen werde und das sei denn auch sofort geschehen. Unsere alte Solidarität mit Rußland habe sich auch hier wieder bewährt. (Bravo). Der Reichskanzler giebt dann noch ähn­liche Versicherungen hinsichtlich Oesterreich ab. Soeben sei ihm, dem Redner, ein Telegramm des deutschen General-Konsuls in Lemberg zugegangen, demzufolge dieser offiziell verständigt worden sei, cs würden ausgiebige Maßnahmen zu seinem Schutze sofort erfolgen. Der Reichskanzler schließt mit dem Ausdrucke der Verwunderung, daß der Interpellant geglaubt habe, die deutsche Regierung werde sich von ausländischen Stimmungen impressionieren lassen. Für die deutsche Regierung sei nur die Staats-Raison bestimmend und unsere Pflicht gegenüber Staat und Reich. Er, Graf Bülow, werde Alles thun, was seines Amtes sei, damit der Deutsche im Osten nicht unter die Räder komme. (Lebhaftes Bravo). Abg. Graf Hompesch (Centrum) beantragt Besprechung der Interpellation. TaS Haus beschließt demgemäß, woraus Graf Bülow mit sämmtlichen anderen Herren am Bundesratstische sofort den Saal verlassen. Abg. Rören (Ctr.) protestiert gegen die Auffass­ung, daß die Angelegenheit rein preußischen Cha­rakters sei, indem er auf den Eindruck im Aus­lande und die diplomatischen Verhandlungen hin­weist. Redner verurteilt nicht nur die Vorgänge in Wreschen, sondern auch die preußische Polen- Politik, welche protestantisierende Zwecke verfolge und politisch harmlose Leute treffe. Mit der in Wreschen vorgenommenen Massenprügelei werde nichts erreicht, nur mit Erteilung des Religions­unterrichts in der Muttersprache werde man Ruhe und Frieden wieder Herstellen können. Abg. Graf Limburg (kons.) ist mit der preußischen Polen- Politik einverstanden und betont, daß die Angelegen­heit in den preußischen Landtag gehöre. National­polnische Bestrebungen müßten energisch zurückge­wiesen werden. Abg. v. Dziembowski (Pole) führt aus: Nicht nur die polnische, sondern auch die

deutsche und jüdische Bevölkerung sei über die Be­handlung der Kinder mit Prügeln empört. Wenn man so in Wreschen weiter vorgehe, schaffe man nur ein polnisches Irland. Abg. Sattler (natl.) ist mit der Antwort des Reichskanzlers vollständig einverstanden und erfreut darüber, daß durch die Vorgänge in Lemberg und Warschau das Ansehen des deutschen Reiches nicht beeinträchtigt worden sei. Des weiteren geht er auf die speziellen Schul­fragen ein. Er beleuchtet die polnischen Verhält­nisse in Galizien und verliest dann verschiedene polnische Zeitungs-Aeußerungen, welche sich in äußerst gehässiger Weise gegen den Lehrer Kowa- lewski wenden. Der größte Fehler für das Ge­deihen des Deutschtums sei die bisherige Inkonsequenz gewesen. Abg. Ledebour (Soz.) erklärt, in der Verurteilung der Drangsalierungssucht in unserer Germanisierungs-Politik seien seine Parteigenossen einig. Die Antwort des Reichskanzlers habe ihn an Chamberlain erinnert, der auch immer sage, um das Ausland brauche man sich nicht zu kümmern. Die Wreschener Vorgänge lehrten den Staat: Hände weg vom Religions-Unterricht." Der jetzige Zustand führe nur zur Volks-Verdummung. Morgen Zolltarif-Vorlage.

Berlin, 9. Dez. Die Norddeutsche Allge­meine Zeitung veröffentlicht heute mit Rücksicht darauf, daß über die Vorgänge in Wreschen in ausländischen, besonders in galizischen Blättern viel­fach entstellte und falsche Angaben zu finden sind, einen längeren Artikel, in welchem die tatsächlichen Verhältnisse sowie der für ihre Beurteilung ent­scheidende rechtliche Zustand im Zusammenhang dargestellt sind und hebt dabei hervor, daß sich unter den wegen ihres widerspenstigen Verhaltens im Religions-Unterricht vor oder nach dem 20. Mai körperlich bestraften Kindern kein Kind einer der in Gnesen verurteilten Personen befindet. Die Regierung sehe andere Mittel der Schul-Disziplin vor, um allmählich auf dem für richtig erkannten Wege wieder geordnete Schul-Verhältnisse in Wreschen herbeizuführeu. Einige Kinder seien soweit ge­gangen, ihre Mitschüler, die sich den Anordnungen ihrer Lehrer fügten, beschimpft, geschlagen und mit Steinen geworfen zu haben. Im Gesangs-Unter­richt hatten sich 13 Mädchen geweigert, ein deutsches patriotisches Lied zu singen, da sie Polinnen seien. Ein Knabe habe sich in gemeinen Beschimpfungen gegen unser Herrscherhaus ergangen. Hiergegen müsse ernstlich cingcschritten werden.

Berlin, 10. Dez. Wie dem Lokal-Anzeiger von angeblich vorzüglich unterrichteter Seite mit­geteilt wird, dürfte der Bundesrat sich unter keinen Umständen einer weiteren Erhöhung der Getreide­zölle geneigt zeigen, als der dem Reichstage vor­liegende Zolltarif sie Vorsicht. Der von den Ver­tretern der Regierung im Reichstage eingenommene Standpunkt werde auch fernerhin unbedingt fest gehalten werden. Darin herrsche unter allen Re­gierungen vollkommenes Einverständnis.

Warschau, 10. Dezember. Die hiesige Gazetta versendet an die polnischen Volkswirtschaft- Kreise, Bankdirektoren und Gewerbetreibenden in Russisch-Polen einen Fragebogen zur Beantwortung, ob und inwieweit die Handelsbeziehungen der Polen mit Deutschland gelöst werden sollen. ^

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