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Deutsches Keich.
Zum Besuch des Kaisers beim Fürsten Bismarck schreibt die „Nordd. Allg. Ztg.": „Mit Dankbarkeit werden es zahllose deutsche Herzen empfinden, daß der Monarch den großen Kanzler seines Großvaters an dem Tage persönlich begrüßte, an welchem zu dem Werke gleichsam der Grundstein gelegt wurde, das an die herrlichen Traditionen jener Zeit anknüpft, die als die größte in Preußen und Deutschland von allen Patrioten gefeiert wird.
Warnung! Bon London und Paris aus ist man unausgesetzt bemüht gegen das deutsche Vorgehen in China Stimmung zu machen. So läßt sich der Pariser „Soleil" angeblich aus Petersburg eine Korre- spondenz schicken, die von Anfang bis zu Ende daraus chinausläust. Deutschlands Besitzergreifung von chinesischem Gebiete als eine Herausforder, ung Rußlands, dem die „Hegemonie" über China zustrhe, hinzustellen und den Glauben zu verbreiten, daß in Rußland allgemeine Entrüstung darüber herrsche. Die „Hamburger Nach, richten" das Organ des Fürsten Bismarck, weisen dem gegenüber in einem „Warnung" über» schriebenen Artikel darauf hin» daß diese angebliche Petersburger Korrespondenz in keiner Weise wirklich russische Auffassungen zum Ausdruck bringt. Dasselbe gilt von gewissen Stimmen der russischen Presse die in Paris und London zum Belege dafür zitiert werden, daß Rußland verstimmt über das deutsche Vorgehen sei. Von einer wirklich russischen Presse könne man über- Haupt nicht reden. Es seien namentlich französische, polnische und andere Einflüsse, die mittelst des Goldes oder der Feder einen großen Teil der öffentlichen Meinung in Rußland, soweit sie durch Druckerschwärze in die Erscheinung tritt, beherrschen. Jedenfalls sind diese Einflüsse den Deutschen feindlich, und die „Hamburger Nachrichten" warnen ausdrücklich davor, ihnen irgendwelche Bedeutung beizulegen. Das Blatt dehnt diese Warnung auf die Berichte aus, die von englischen Blättern, die den „Daliy News", über angebliche Unterredungen mit russischen Staatsmännern veröffentlicht werden. Das ist alles erfunden und lediglich dazu bestimmt, Stimmung gegen Deutschland zu machen und bei uns Besorgnis, Wankelmut und Unentschlossenheit zu Gunsten Englands hervorzurufen. Es ist unbegreiflich, daß Blätter, die sonst ein Urteil haben, auf einen derartigen Schwindel hinein- fallen und die falschen Nachrichten weiter verbreiten. Etwas mehr Kritik wäre hier sehr am Platze.
Berlin, 17. Dez. Bereits früher wurde gemeldet, daß außer Bayern noch ein zweiter Bundesstaat gegen die Militärstrafprozeßreform gestimmt habe. Dies soll nach neueren Nach- richten das Fürstentum Reuß ältere Linie fein. Der kleine Staat befindet sich, jo viel man weiß, in Gejetzgebungsangelegenheiten des Reiches stets in der Negative.
Berlin. So mancher Reichstags- abgeordnete jüngeren Lebensalters, dem das „Schwänzen" zur lieben, aber wenig rühmlichen Gewohnheit geworden rst, ließ sich heute vom Kollegen Dieden beschämen, der als ältestes Mitglied des Hauses hier seinen 87. Geburtstag feierte. Herr Dieden ist Weingutsbesitzer in Uerzig an der Mosel und vertritt im Reichstage seit 1874 als Mitglied der Zentrumspartei den Wahlkreis Wlttlich-Bernkastet. Dem Ab- geordnelenhause gehörte n schon in den fünfziger Jahren an . svtl 1873 ohnr Unterbrechung. Im Reich^ge ist er wied-ryolt als Alterspräsident l^Ätig gemgsen,
Berlin, 16. Dez. Waisenkinder werden zu Hilfeleistungen bei Privatverlosungen nicht mehr zur Verfügung gestellt, sie dürfen nur noch bet den Ziehungen der preußischen Staats- lotterie „die Hand des Glücks" führen. Diese Maßregel ist, wie man in der „Nordd. Allg. Ztg." liest, eingetreten, nachdem sich herausgestellt hatte, daß ein Lotterieunternehmer die Kinder über Gebühr angestrengt hatte.
Der Stadtrat von Rudolstadt hat mit allen gegen sechs Stimmen die Einführung einer Fahrradsteuer beschlossen. Für jedes Rad
I sollen 10 jährlich an Steuern erhoben, die- ' jenigen Gesellen, Gehilfen mit über 1400 Einkommen, welche das Fahrrad lediglich zur Zurücklegung des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstätte benutzen, mit 3 zur Steuer herangezogen werden. Der Beschluß bedarf noch der Genehmigung der Regierung.
AusBaden, 19. Dez. In den größeren badischen Städten sind in den letzten Jahren die Preise der Schcmkwirtschasten in ganz ungesunder Weise in die Höhe getrieben worden, weshalb die Regierung um eine Aufhebung der sog. Bedürfnisfrage bei Wirtschaftsgenehmigungen angegangen werden soll und zwar seitens der Verwaltung dieser Städte. So wie die Dinge liegen, kann man sagen der Bezirksrat schenkt mit Erteilung einer Wirtschaftskommission den betreffenden Hausbesitzern je nach Umständen 10—30000 «-6, was eine ganz ungesunde Spekulation im Gefolge hat. Der Pforzheimer Bürgerausschuß hat vor zwei Jahren schon die Aufhebung der Bedürfnisfcage beschlossen, erhielt hiezu aber die ministerielle Genehmigung nicht weil die Regierung damals selbst eine Aenderung der auf die Schcmkwirtschaft bezügl. Bestimmungen plante. Erfolgt ist eine solche Aenderung indessen nicht.
Württemberg.
Württembergischer Landtag.
(177. Sitzung.)
Stuttgart, 18. Dez. Eingangs der heutigen Sitzung teilte Adg. Kiehnle-Ehingen die Zusammenstellung der Beschlüsse der Kammer der Abgeordneten zu dem Entwurf des Gesetzes betreffend die Abänderung des Polizeistrafrechtes mit. Bei der Schlußabstimmung wird der Entwurf mit 53 gegen 22 Stimmen angenommen. Die mit Nein Abstimmenden übergeben eine motivierte Abstimmung. Sie seien wegen des Antrags Haffner-Calw, daß nicht nur der Unfug gegen die Behörden, sondern auch gegen einzelne Beamte bestraft werden soll, daß die Bestrafungen ohne gerichtliche Entscheidung gesprochen werden, und daß endlich die Gefahr besteht, daß viele Strafsachen nur auf Angaben einzelner Personen ohne Rechtsgaranlie eingeleitet werden, dagegen, sie würden aber bei Ablehnung des Antrags Haffner für das Gesetz stimmen. Sodann erstattet Prälat v. Sand» berg er Bericht über die Verhandlungen der Steuerkommission über den Entwurf eines Gesetzes, betr. die Kapitalsteuer. Im Wesentlichen beruht das Gesetz auf dem vom 19. Sept. 1852. Nach dem Entwurf sind Aenderungen von 20 Punkten vorgeschlagen. Die Kommission hat noch weitere Aenderungen beantragt Zu Ziff. 2 wird die Steuerpflicht aus die Gewinnanteile von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Bergwerkschaften und von einer stillen Gesellschaft ausgedehnt. Durch Art. 1 Ziff. 1 soll die Steuerfreiheit ausgedehnt werden auf württ. Staatsangehörige, welche nicht in Württemberg wohnen. Durch Ziff. 2 werden die in Württemberg wohnenden Ausländer zur Kapitalsteuer herangezogen. Durch Art. 3 Ziff. 7 soll insbesondere mit Rücksicht auf die Pensionskassen der Körperschaftsdeamten die Steuerfreiheit auf Pensionskassen ausgedehnt werden. Durch Ziff. 8 auch auf die gesetzlichen Kranken-, Unfall-, In- valltitäts- und Allersversicherungskassen. In der Ziffer 9 sind die Hilfskassen gestrichen während die, auf Pcivatwohlthätigkeit beruhenden Anstalten und Vereine für milde Zwecke aufge- nommen sind. In Ziff. 10 wird keine Em- schränkung der Steuerfreiheit der Sparkassen beantragt. Bei Art. 3 hat Prälat Sandberger als Ziff. 5a. beantragt: steuerfrei sollen die allgemeinen kirchlichen Fonds sowie die Dotationen der örtlichen Kirchenanstalten der evangelischen und katholischen Kirche sein. Bei der Einkommensteuer sind dieselben auch steaer- frei. Abg. Binz spricht gegen diesen Antrag, während Regierungskommissar Schneider denselben zur Annahme empfiehlt. Derselbe wird mit 42 gegen 30 Stimmen angenommen, dagegen stimmten die Bolkspartei und die Deutsch- parteiler v. Abel, Sachs, Weizsäcker, Commerell, Pfaff. — Binz (Vp.) bemerkt gegenüber Art. 3 Ziff. 6 Befreiung des Schulsonds, daß man
auch diesen zur Steuer heranziehen solle. Dem treten Ministerialrat Schneider, v. Sandberger und Nußbaumer (Zlr.) entgegen. Die Ziffer wird angenommen. Ueber Art. 3 Ziff. 11 steuerfrei sollen auch die Zinsen aus den Einlagen in die im Lande befindlichen Sparkassen sein, entspinnt sich eine längere Diskussion. In der Kommission wird der Zusatz beantragt „wenn diese Zinsen im Ganzen nicht mehr als 40 ^ betragen. Prälat v Sandberger beantragt diesen Zusatz zu streichen und findet Unterstützung durch die Abgg. Sachs, Frhr. v. Herrmann, während Binz und Frhr. v. Ow dagegen sprechen. Ministerialrat Schneider gibt zu bedenken, daß die Spareinlagen bisher steuerfrei waren, und daß die durch die Steuer betroffenen Leute hauptsächlich Arbeiter und sonstige kleine Leute sind und kann deshalb den Kommissionsantrag nicht empfehlen. Dadurch würde z. B. die württb. Sparkasse 63000 Kapitalsteuer zu bezahlen haben. Nachdem in längeren Ausführungen Nußbaumer (Ztr.) und Haug (wild) gegen den Antrag v. Sandberger gesprochen, wird die Diskussion geschlossen. Der Kommisstonsantrag wird mit 47 gegen 25 Stimmen angenommen. Art. 5, 5a u. b. betr. den steuerbaren Betrag, sowie Art. 7d bis 13 a betr. die Steueraufnahme sowie Art. 13 d betr. das Beschwerderecht der Steuerpflichtigen werden zum Schluß der heutigen Sitzung ohne Debatte angenommen.
Nach dem „Schw. M" hat am letzten Donnerstag wieder ein Zusammentritt des Justizministers mit den Vorständen der Fraktionen der Kammer der Abgeordneten stattgefunden, bei welchem die von dem Minister mitgeteilten Grundzüge über die Organisation der freiwilligen Gerichtsbarkeit besprochen wurden. Die Fraktionen haben zu diesen Grundzügen, die nur Vorschläge des JusttzministerS und keine Anträge der Regierung find, vorläufig Stellung genommen und sollen dieselben im allgemeinen gebilligt haben. So viel scheint sicher zu sein, daß der Hauptwunsch des Volkes, dre Grundbücher aus den Rathäusern zu erhalten, Berücksichtigung finden wird. Zur weiteren Besprechung der noch bestehenden Differenzpunkte ist eine nochmalige Beratung in Aussicht genommen.
Heilbronn, 18. Dez. Die weiteren Erhebungen betr. den Tod der in der Karlsstraße hier wohnhaft gewesenen Witwe haben ergeben, daß ein Verbrechen durchaus nicht vorliegt. Den Erben wird durch den Tod jedem ein recht erhebliches Christkind zufaüen, da ein Vermögen von annähernd 30000 vorhanden ist.
Leutkirch, 19. Dez. Als Seltenheit kann von hier berichtet werden, daß in den letzten Tagen mehrfach Staren gesehen wurden.
Ausland.
K o n st a n t i n o p e l. 18. Dez. Der deutsche Botschafter. Frhr. Marschall von Bieberstein, wurde gestern nach dem Selamlik vom Sultan in Audienz empfangen.-
Unterhaltender Hell.
Das Wiedersehen.
Eme wahre Weihnachtsgeschichte.
Erzählt von Reinhold Günther.
(Nachdruck verboten.)
Alle Leute behaupteten, daß Doktor Heinz Fürstenberg und sein junges Frauchen Linda in einer geradezu idealen Ehe lebten. Mit äußeren Glücksgütern waren sie beide gesegnet und seine Stellung als Direktor einer großen chemischen Fabrik sicherte ihm das höchste Ansehen unter der gesamten Bevölkerung der Stadt.
Als er ,m Frühling die anmutige» jugendschöne einzige Tochter des Kommerzienrat- Kirchner heimführte, hätte es wahrlich der allgemeinen Glückwünsche nicht bedurft, um ihn davon zu überzeugen, daß er den Haupttreffer in der LhestandSlotterie gezogen. Denn die Beiden» welche sich für das Leben verbanden, liebten einander von Herzen; das Gold bildete hier nicht den Kitt der Ehe.
Die Zeit, welche seit dem Tage verstrichen, da Heinz oer Gefährtin seinen Namen gegeben,