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eitage zu Wr. 197 des Anzlhaters.
Neuenbürg, Donnerstag den 16. Dezember 1897.
Ausland.
Paris, 10. Dez. Für den am 18. ds. beginnenden Panamaprozeß sind ungefähr 100 Zeugen vorgeladen, von denen die Hälfte Entlastungszeugen sind. Unter den Belastungs- zeugen befinden sich mehrere Journalisten, welche zuerst die Enthüllungen über den Panamaskandal gebracht haben.
Paris. 13 Dez. In Lyon veranstaltete die Studentenschaft einen Umzug in den Haupt» straßen unter Schmährufen auf Scheurer-Kestner, Zola und die Juden.
Die immer lauter geforderte Rcorgani> sation des englischen LandheereS hat jetzt auch der Staatssekretär des Krieges, Marquis of Landsdowne, in einer Rede zu seinem Thema gewählt. Der Minister führte aus, die an die britische Armee zu stellenden Anforderungen seien folgende: 1. drei Armeekorps für eine wirksame Inland-Garnison, um einen etwaigen Einfall zurückzuschlagen; 2. die Möglichkeit, zwei Armeekorps für Angriffszwccke außerhalb der britischen Inseln zu mobilisieren; 3. die Möglichkeit, nach Bedarf kleinere Armee- Abteilungen zu entsenden, ohne das Heer zu mobilisieren; die Möglichkeit, den Garnisonen in Indien und den Kolonien pünktlich die erforderlichen Ergänzungs-Mannschaften zu- zuführen.
Avterhattender Teil.
Die Nacht vor der Hochzeit.
Kriminal-Novellette nach dem Englischen von WilhelmThal.
(Nachdruck verboten.)
L0. Es war im Jahre 1839, als ein reicher, hübscher und wohlhabender Mann Namens Verot nach New Orleans kam, um dort einen Winrer mit Charles Marot-Borderet zu verbringen, dessen Bekanntschaft er in Paris gemacht hatte. Die beiden Männer waren von demselben Alter und auch ihre Neigungen waren ähnlich. Verot war durch Borderet's Geist und persönliche Reize gefesselt worden, während Borderet's Phantasie durch den wahrhaft magnetischen Reiz, den Verot auf ihn ausübte, im höchsten Grade angeregt worden war.
Als Borderet nach einjährigem Aufenthalte Paris verließ, nahm er seinem neuen Freunde das Versprechen ab, er solle nach New Orleans kommen, um dort einige Monate mit ihm zu verbringen. So kam es, daß Verot im Herbste des Jahres 1839 in New-Orleans eintras und in Borderets Hause, in der Bourbon Street, abstieg.
Borderet holte ihn am Werft ab und empfing ihn mit der größten Liebenswürdigkeit, doch der junge Pariser merkte sofort, daß mit seinem Freunde eine große Veränderung vorgegangen war. Zunächst fürchtete er, Borderets Freude bei seiner Ankunft wäre nicht aufrichtig gewesen, bald aber wurde ihm das Geheimnis klar: Borderet war verliebt und sein ganzes Wesen ging in dieser neuen Leidenschaft auf.
Fräulein Deschawps war die Tochter eines Malers, dessen Behausung nur wenige Schritte von Borderet's Wohnung lag. Erst kürzlich hatte er sie kennen gelernt, hatte sich in sie verliebt, und von diesem Augenblicke an machte sie sein ganzes Leben aus.
Borderet wünschte eifrig, Verot der Aus erwählten seines Herzens vorzustellen, und natürlich hegte auch Verot den aufrichtigen Wunsch, das schöne, junge Mädchen kennen zu lernen, das ihm sein Freund in den glühendsten Farben malte. In der That hatte Borderet nicht übertrieben, denn ihre Lieblichkeit und Anmut, wie der Reiz ihrer Unterhaltung waren ^ so groß, daß Verot auf den ersten Blick davon bezaubert wurde.
Wenn Jsabclla auf Verot einen liefen Eindruck machte, so war dies ihr,gegenüber auch der Fall. Vom ersten Augenblick an, da sie sich
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sahen, liebten sie sich glühend, wie Jeder, außer Borderet, deutlich sehen konnte.
Bald genug schwärmte Verot im siebenten Himmel der Liebe, während sich Borderet noch immer um das Herz seiner Angebeteten bewarb.
Als die Zeit für Verot nahte, nach seiner Heimat zarückzukehren, teilte er eines Morgens seinem Freunde mit, er werde Jsabella heiraten und in vierzehn Tagen nach Paris absegeln.
Zuerst war Borderet von der Ankündigung wie niedergeschmettert; fast blöde starrte er seinen Freund an, während sein Gesicht eine Totenblässe überzog. Trotzdem zuckte keine Muskel in seinem Gesicht, auch das Lächeln schwand nicht von seinen fest geschlossenen, dünnen L'ppen. Ec verstand sich sogar so gut zu beherrschen, daß er seinen Freund vollstänig täuschte, denn Verot war auf ein Duell gefaßt gewesen. Um so angenehmer war er überrascht, daß Borderet die Sache so philosophisch aufnahm, denn nach einer ersten Enttäuschung wußte er sich so zu fassen, daß er seinem Freunde die Hand reichte und ihm Glück wünschte.
Es war am Abend vor Jsabellen's und Verot's Hochzeit; Borderet schien besser als je aufgelegt zu sein, und saß nun mit seinem Freunde in seinem Bibliothekzimmer, wo er mehrere Flaschen alten Weines hatte auffahren lassen. Obwohl, wie ich bereits bemerkt habe, ihre Geschmacksrichtungen dieselben waren, so konnte man wohl nicht zwei Männer finden, die sich körperlich so unähnlich sahen, als Verot und Borderet.
Der Pariser war groß, athletisch, schön, mit blauen Augen und blonden, lockigen Haaren, während der Kreole dunkel, untersetzt, schwarzäugig war und den filtenfn Magnetismus eines Gesichtes besaß, das gleichzeitig hübsch und doch abstoßend wirkte.
Es war spät in der Nacht und die Lampen brannten niedriger, als Borderet sich erhob und sagte:
„Mein guter, alter Freund, es wird spät und Sie dürfen morgen an Ihrem Hochzeitstage nicht schläfrig sein. Rauchen Sie noch eine von diesen Cuba-Zigarren und widmen Sie sich dann Ihren Träumen."
Mit diesen Worten holte er aus einem kleinen Schränkchen einen elfenbeinernen Kasten, dem er zwei große Zigarren entnahm, die sorg, fällig in Staniol eingewickelt waren. Eine derselben händigte er Verot ein und zündete sich selbst die andere an.
„Das sind die letzten beiden aus einer Kiste, die mir vor zwei Jahren ein Freund in Havannah schenkte", bemerkte er.
Verot hielt die fast schwarze Zigarre unter seine Nase, um ihren Dust einzuatmen, wich aber augenblicklich zurück, denn der Zigarre entströmte ein seltsamer, fast unerträglicher Geruch.
„Das hat nichts zu sagen", lachte Borderet mit einem ganz seltsamen Ton, der Verot auffiel. „Wenn Sie sie anzünden, verschwindet der Geruch und der Brand ist ausgezeichnet. Sehen Sie selbst" rief er und paffte seinem Freunde eine Wolke ins Gesicht; „riecht sie nicht vorzüglich?"
(Schluß folgt.)
Vom Zeitungsmachen. Ein alter, erfahrener Zeitungsschreiber, der trotz aller — Annehmlichkeiten des Berufs den Humor nicht verloren hat, giebt folgendes zum lösten: Eine Zeitung zu redigieren, ist selten ein Vergnügen. Falls das Blatt zu viel Anzeigen enthält, beklagen sich die Abonnenten, daß zu wenig Lesestoff darin ist. Hat es keine Anzeigen, dann heißt es: Die Zeitung ist unbeliebt und nichts wert Nimmt der Redakteur eine Einladung an, dann spricht man hinterher von jedem Bissen, den er gegessen hat. Nimmt er sie nicht an, dann ist er hochnäsig und man sagt, es sei doch seine Pflicht und Schuldigkeit gewesen, hinzugchen. Läßt er sich viel auf der Straße sehen, dann
heißt es: er bummelt herum. Arbeitet er fleißig, dann macht man ihm den Vorwurf, daß er zu wenig sich in der Gesellschaft zeige. Nimmt er ein langatmiges Eingesandt nicht auf, dann macht er sich Feinde; nimmt er es auf, dann heißt es: Na, der bringt aber auch jeden Quatsch. Unterdrückt er eine peinliche Neuigkeit aus gutmütigem Herzen, dann heißt es, er ist feige und bevorzugt gewisse Klassen. Bringt er die Neuigkeit aber, dann fitzt es Krawall mit der betreffenden Familie und allen ihren Freunden ab. Nennt er in einem Berichte über eine Gerichts-Verhandlung auf die dringenden Bitten der Familien-Angehörigen des Angeklagten dessen Namen nicht, so läßt er sich bestechen; nennt er den Namen, so begeht er eine unedle Handlung. Macht er einen Witz, den jemand auf sich beziehen könnte, dann ist er bissig und arrogant. Bleibt er mit seiner Schreiberei stets im Schatten kühler Deckungsart, dann ist er ledern und langstielig. Deckt er mutig Mißstände auf, so ist er ein Revolver-Journalist; kommt er dabei sogar ins Gefängnis, so ist er ein ganz dummer Kerl. Unterläßt er es infolge dieser Übeln Erfahrungen und des Undankes der Welt, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, so ist er ein Reptil, ein elender Lohnschreiber, der für Höheres kein Interesse hat. Doch der wahre Zeitungsmann vergißt nie den tiefsten aller Wahrheilssprüche, welcher lautet: „Mensch, ärgere dich nicht!"
Im Zirkus Renz in Breslau lachte sich ein Gastwirt buchstäblich zu Tode. Infolge der allzustarken Erschütterung trat sein Bruch aus, an dem er rasch starb. — Um nachzuahmen, was er im Zirkus gesehen, hob der Knecht Alb- recht zu Neudorf einen schweren Tisch mit den Zähnen hoch, sank aber mit lautem Schrei zusammen; er hatte den Oberkiefer gebrochen.
Stiftungen. In Asch vermachte der jüngst verstorbene Großindustrielle Christian Geipel der Stadtgemeinde, einem PensionssondS der Fabrikbeamten und seinen Arbeitern je 100000 Gulden und u. A. dem Gustav Adolf- Verein 6000 Gulden.
„EineHose gratis bei Einkauf für 10 Mark", also lautet die Anpreisung eines Kleidergeschäftes in Berlin. Wie die „Tägl. Rundschau" verrät, ist die „Gratis"-Hose eine Badehose.
(Die Meisen sind die besten Insekten- Vertilger), daher sollte sich jeder Gartenbesitzer und Obstzüchter ihrer während des Winters liebevoll annehmen, ihnen Nahrung reichen. Bei Schnee und starkem Frost geschieht dies am besten durch Aufhängen von Knochen mit Fleichresten, Speckschwarten oder mit Schmalz oder Talg gefüllten, halben Nußschalen an Sträuchern und Bäumen, wo die Katzen nicht dazu kommen können. Es ist für jeden Vogelfreund ein Vergnügen, zu sehen, wie sie mit den zierlichsten Bewegungen die freihängende Nahrung im Fluge oder angeklammert wegpicken.
(Behandlung der Alpenveilchen.) Man stelle die Alpenveilchen möglichst nahe an's Fenster, in nicht zu stark geheiztem Zimmer 'auf und lasse es vor Allem nicht an reichlichem Begießen fehlen, damit den in voller Entwicklung stehenden Pflanzen die Kraft nicht fehlt, ihre Knospen groß zu ziehen, reichliche und große Blüten hervorzubringen. Uebergroße Wärme läßt auch Blattläuse entstehen, welche der Pflanze sehr nachteilig sind.
(Tafelobst den Winter über zu konservieren.) Aepsel halten sich am besten in gut gefügten, mit Holzwolle ausgefüttertcn Holzkisten und mit Holzwolle zwischen den einzelnen Früchten und Schichten auf dem Boden (nicht im Keller)