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Mit einer gewissen Feierlichkeit langte der große Mann abermals in die Kiste und entnahm derselben eine gesiegelte Flasche nebst einem silbernen Doppelfeldbecher. Er zog ihn auseinander. entkorkte die Flasche und schenkte lang, sam ein.
„Jetzt wollen wir nach gethaner Arbeit an- stoßenl Seine Majestät, unser allergnädigster König und Kriegsherr lebe hoch! — austrinken bis zum letzten Tropfen! gut!"
Das Weinchen floß wie Oel hinunter. „O, diese Scharniere" (Scherzname in der Armee für Pioniere), dachte ich. „haben's die gut mit ihren Reserven auf allerlei Gefährt!"
Der Vize schenkte abermals ein. „Nun zum zweiten Trinkspruch, nach welchem abermals kein Tropfen im Becher bleiben darf: — unser herziges Trudchrn soll leben!"
Jetzt ging mir ein ungeheurer Seifensieder aus. wie man so zu sagen pflegt, denn wenn ich auch keine Leuchte der Wissenschaft mir zu sein schmeichle, so bin ich doch nicht vollständig auf den Kopf gefallen. Und in den Armen lagen sich beide.
Es wird nun zwar behauptet, daß alles schon einmal dagewesen ist. aber daß jemand seinen Schwager unter einem ümgedrehten König- lieh Preußischen Ponton bei Schweinebraten und Rotspon kennen lernt, dürfte doch als vereinzelt dastehender Fall zu betrachten sein. G. R
Neuerungen im Gastwirtsgewerbe. Unter den mannigfachen Neuerungen, welche am 1. Januar 1900 mit dem Inkrafttreten des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs ins Leben gerufen werden, befinden sich auch manche, die für das Gastwirtsgewerbe in Kraft 'zu treten haben werden. Eine wichtige neue Vorschrift ist z B. diejenige, wonach vom 1. Januar 1900 ab alle Gewerbsleute. welche ein Ladengeschäft besitzen oder eine Gast und Schankwirtschaft betreiben, ihren Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen an der Außenseite oder am Eingänge des Ladens bezw. des Wirts- lvkales anzubringen haben, und zwar, wie das Gesetz vorschreibt, in deutlich lesbarer Schrift. Führt z. B. die betreffende Wirtschaft ein Wirts- schild, so wird es vom 1. Januar 1900 nicht mehr genügen, wenn nur ein betreffendes, mit der Aufschrift „Zum Goldenen Drachen" oder „Blauen Mond" angebracht wird, auch darf nicht bloß das Schild allein oder die Firma allein angebracht sein. sondern die betreffenden Wirtschaftspächter oder Wirtschaftsbesitzcr haben, neben dem Namen der Gastwirtschaft, wenn ein solcher besteht, auch ihren vollen Vor- und Familiennamen anzubringen. Enthält aber die Firma nur Vor- und Familiennamen, dann genügt diese letztere Angabe. Dieser Vorschrift unterliegt sodann der kleinste Wirt ebenso wie der Hotelier. Es wird in dieser Beziehung gar kein Unterschied gemacht werden. Natürlich ist es keinem Wirt verwehrt, neben seinem vollen Zu- und Familiennamen auch die Firma dem Schilde einzuverleiben, d. h. ein Wirt, der an seinem Hause „Sternwirt" stehen hat, kann diese Bezeichnung nach wie vor belassen, vorausgesetzt. daß er überdies noch seinen vollen Namen beifügt. Eine besondere Bedeutung erhalten diese neuen Vorschriften. wenn es sich um den Erwerb eines älteren Geschäftes handelt. Es ist fürder nicht mehr wie seither damit gethan, daß der neue Erwerber einfach den alten Titel, oder womöglich gar den alten Namen des ehemaligen Besitzers weiter führt, sondern aus der Aufschrift mutz genau der jetzige Inhaber her- Vorgehen. Natürlich darf dabei auch auf den früheren Besitzer hingewiesen werden. Kauft z. B. nach dem Jahre 1900 ein gewisser Franz Schmidt die Wirtschaft „Zam Stern" von einem gewissen I. Meier und will an der alten renommierten Firma nichts ändern, dann hat er, wie folgt, die Firmenaufschrift zu setzen: Gastwirtschaft „Zum Stern" von Franz Schmidt, vorm. I. Meier. Unter Strafe gestellt ist jeder Vorname auf dem Schilde, welcher geeignet ist, das Publikum über die wahre Person des Besitzers zu täuschen, wie dies z. B. auf einem solchen Schilde sehr leicht erreicht werden könnte,
wenn man den Namen des Vorgängers besonders groß auf dem Schilde anbringen wollte Wir glauben, daß durch die Einführung dieser Vorschriften dem Wirtsstand ein Nutzen dadurch erwächst, daß verschleierte Wirtschaften u. s. w. offenkundig werden.
(1700 Särge.) Die „B. Pr." erzählt: In Berlin in einem Wirtshause der Zimmerstraße erzählte am Stammtische der Vertreter einer Sargfabrik, daß diese nach einem patentierten Verfahren Metallsärge herstelle, die nur 40 bis 60 vkk kosteten. Der Wirt, der erst kürzlich 300 für einen Metallsarg bezahlt hatte, bemerkte: „Wenn das wahr ist, dann können Sie mir 2000 solcher Särge liefern." — „Zweitausend nicht, aber 1700 können Sie haben." — „Gut, also 1700, abgemacht " — Handschlag folgte. Am anderen Tage ging der Sarg- Agent in Begleitung zweier Zeugen nochmals zu dem Wirr und fragte ihn, ob er Scherz gemacht habe. „Sie sind wohl nicht gescheit!" war die Antwort, „wenn Sie mir die 1700 Särge nicht liefern, verklage ich Sie." Die Fabrik stellte hierauf nach einiger Zeit dem Gastwirte, der die Geschichte schon lange ver- gessen hatte, die 1700 Särge zur Verfügung. Als er die Sache als einen mißverstandenen Scherz allslegte, klagte die Fabrik, und das Landgericht I verurteilte ihn zur Zahlung. Jetzt schwebt der Prozeß beim Kammergericht.
Berlin, 25. Nov. „Hundert nützliche Gegenstände für nur 20 Pfennige", so lautete ein in einer Berliner Zeitschrift erschienenes Inserat. Ein Neugieriger wollte der eigenartigen Sache auf den Grund gehen und sandte den geforderten Preis ein. „Postwendend" erhielt er, wie es im Inserat hieß, die hundert nützlichen Gegenstände nämlich hundert — Stecknadeln.
(Zugkräftig) Dramatiker: „Wissen Sie mir keinen Titel für mein neues Lustspiel, Herr Doktor? — Aber es müßte etwas sein, was auch zieht!" — Arzt: „O gewiß! Nennen Sie es doch — Senfpflaster!" — (Gemütlich.) Gast: „Da schwimmt ein rotes Haar in der Suppe; gewiß wieder von der Köchin. Wirt: „Na, die arme Person kann doch nichts dafür, daß sie rotes Haar hat!"
Telegramme.
W i l d p a r k st a t i o n, 28. Nov. Der Kaiser ist gestern Abend 10 Uhr 20 Min. hier eingetroffen.
Wien, 28. Nov. Der Kaiser nahm die vom Grafen Badeni ihm unterbreitete D e- mission des gesamten Kabinets an und betraute den Dr. Freiherr Gautsch von Fcankenthurn mit der Bildung des Kabinets.
Wien, 29. Nov. Es verlautet, die Demission des Kabinets wurde gestern Nachmittag um 2 Uhr in der Sitzung des Ministerrals beschlossen. Der Kaiser empfing mittags den Grafen Badeni, Baron v Banffy, v Welsersheimb und v. Gautsch.
Wien, 28 Nov. Ein Handschreiben des Kaisers an den Ministerpräsidenten Badeni vom heutigen Tag verfügt die Vertagung des Reichsrats bis aut Weiteres.
Wien, 28. Nov. Im Laufe des gestrigen Nachmittags und Abends fanden in der Ringstraße zwischen dem Parlament und der Universität wiederholt große Menschenansammlungen statt. Ein ernsterer Zusammenstoß fand in der Nähe des Prrlaments statt, wo sich etwa 2000 meist junge Leute, anscheinend Studenten, angesammelt Hanen. Die Wache räumte schließlich den Platz mit dem gezogenen Säbel. Es wurden zahlreiche Personen verwundet. Die herbeigerufene freiwillige Retkungsgesellschaft hatte aber keinen Anlaß zum Einschreiten, da die meisten Verletzten sich entfernt hatten. Mehrere Wachleute wurden durch Stockhiebe leicht verwundet.
Wien, 28. Nov., 1 Uhr 10 Min. nachm. Vor dem Reichsratsgebäude fanden un Laufe des
Vormittags unausgesetzt Demonstrationen statt. 50000 Personen füllten die Ringstraße von der Universität bis zum äußeren Thor der Hofburg. Da die berittene Sicherheitswache nicht aus- reichte, säuberten die Husaren in scharfer Attake mit blanker Waffe die Straße, wobei es zahlreiche Verwundete gab. Die RettungSgesellschast entsandte 2 (späterhin noch eine dritte) Ambulanzen. Bor dem Landesgericht für Strafsachen demonstrierten eine auf 10 000 Personen sich belaufende Menge zu Gunsten des Abgeordneten Wolf. Die berittene Sicherheitswache zersprengte die Demonstranten mit blanker Waffe. 3 Personen sollen schwer verwundet sein. Eine derselben soll mit gespaltenem Schädel in einem Kaffeehaus liegen.
Wien, 29 Nov. Der Abgeordnete Wolf wurde gestern Abend 7 Uhr aus der Untersuchungshaft entlassen und unter stürmischen Ovationen der Menschenmassen heimgeleitel.
Wien, 29. November. Bei den gestrigen Demonstrationen wurden 12 Personen verhaftet. 2 Wachleute wurden durch Steinwürfe und ein Demonstrant durch einen Säbelhieb verletzt. Abends versuchten 3000 Personen eine Demonstration vor dem Ministerium des Innern; der Platz war jedoch abgesperrl. Um 8 Uhr abends war alles ruhig
Wien, 28. Nov. Eine Kundgebung des Rektors teilt den Studenten die Schließung der Universität für morgen und übermorgen mit und warnt vor Ausschreitungen unter Androhung der dauernden Schließung der Universität und vor Konflikten mit der Polizei, welche die Absicht kundgab, die Universität nicht mehr durch Wachorgane betreten zu lassen.
Graz Steiermark, 28. Nov. Gestern Abend durchzogen Studenten und andere junge Leute johlend die Straßen, wurden aber von den Wachleuten zerstreut. Später sammelten sich Wachleute in der innern Stadt an und schlugen an verschiedenen Gebäuden die Fenster ein. Militär schritt ein. Durch Bajonetstiche wurden 4 Personen verwundet. Als eine Jnfantericabteilung mit einem Hagel von Steinen angegriffen wurde, feuerte sie. Eine Person wurde getötet und eine verwundet. Auch einige Wachleute haben Verletzungen davongetragen. Die Ansammlung dauerte bis zum späten Abend fort. Militär säuberte die Straßen um Mitternacht. Die Stadt ist ruhig, jedoch noch militärisch besetzt.
Graz. 29. Novbr.> Gestern Nachmittag wurden die Hauptplätze vom Militär besetzt. Der Bürgermeister hielt eine Ansprache an die Menge, welche die Bolkshymne anstimmte.
Asch i. Böhmen, 28. Nov. Gestern durchzogen etwa 1000 Deutjchnationale und Sozialdemokraten lärmend die Stadt. Einige Fenster des Amtsgebäudes, sowie die Fenster mehrerer von tschechischen Beamten bewohnter Privathäuser wurden eingeworfen.
Paris, 28. November. Die Regierung wünscht die Angelegenheit Dreyfus möglichst schnell zu erledigen. General Pellieux wird seinen Bericht wahrscheinlich am Dienstag dem General Sausjier zustellen, der alsdann Beschluß fassen wird. Es soll angeordnet werden, auf einen geheimen Agenten zu fahnden, auf dessen verdächtiges Einverständnis mit auswärtigen Mächten man aufmerksam geworden sei. Bei dessen Verfolgung seien äußerst kompromittierende Thalsachen festgestellt worden. — Ein Abendblatt versichert, daß der Kriegsminister dem Minister des Auswärtigen auf das Genaueste von allen Scheuerer-Kestner ausgetauschten Mitteilungen Kenntnis gegeben habe.
Paris, 28. Nov. Dem „Figaro" zufolge ließ Pellieux gestern einen Briefwechsel Esterhazy's mit dritten Personen beschlagnehmen, in welchem sich Esterhazy in Beschimpfungen und heftigen Angriffen gegen die Führer der französischen Armee, sowie gegen diese selbst ergeht. Der „Figaro" bezeichnet diese Schriftstücke als ganz erstaunlich.
Parts, 29. Nov. Major Esterhazy erklärte einen Interviewer vom „Figaro" , die veröffentlichten Briefe seien apokryph, (unecht, untergeschobene)
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.