Anstand.

Der österr.-ungar. Minister des Auswär- tigen, Gras Goluchowsky ist Ende letzter Woche zum italienischen Königspaar nach Monza gereist und hatte daselbst sowohl mit dem König als auch mit dem Minister des Auswärtigen Visconti Venosta in Anwesenheit des italienischen Botschafters in Wien des Grafen Lanza wieder­holt längere Besprechungen, deren Inhalt natür- lich geheim gehalten wird. Es kann aber kaum einem Zweifel unterliegen, daß es sich hiebei um Verlängerung des Dreibunds, vielleicht auch um neue Bedingungen für das Verbleiben Italiens in demselben gehandelt habe. Auch die Ver- mutung liegt nahe, daß England den Versuch gemacht habe, Italien zu seinem Bundesgenossen zu machen und vom Dreibund loszulöscn. Aeußcrungen italienischer Blätter, die der Re- gierung sehr nahe stehen, haben diesbezüglich sehr auffällige Andeutungen gemacht, aber auch hinzugefügt, Italien habe kein Interesse daran, für zwei zuverlässige und wertvolle Bundes­genossen (Deutschland und Oesterreich) einen selbstsüchtigen u. deswegen wertlosen Verbündeten (England) einzutauschen.

Im österreichischen Abgeordnetenhaus ist es der Regierung und der Mehrheit nun doch gelungen, wenigstens die erste Lesung, betreffend die Verlängerung des Ausgleichs mit Ungarn durchzubringen. Ursprünglich wollte Graf Badeni die 2. Lesung einem Ausschuß übertragen und die 3. überhaupt ausfallen lassen, was aber auch die ungarischen Blätter, wie die deutsch-öster- reichischen als verfassungswidrig bezeichnen, eben­sowenig wollen die Ungarn davon etwas wissen, daß der Kaiser für Cisleithanien die Verlängerung des Ausgleichs von sich aus verfüge. Die Be- ratung über die Ministeranklage, wegen der Vorgänge in Eger und die Sprachenverordnung nehmen aber kein Ende und ebensowenig die stürmischen Szenen im Wiener Abgeordnetenhaus. Auch im Wiener Rathaus ist es zu heftigen Auf- tritten zwischen dem Bürgermeister Lueger und der liberalen Minderheit der Gemeinderäte ge­kommen. Die Deutsch-Oesterreicher sind ent­schlossen, den Kampf gegen die Sprachenverord- nung mit allen Mitteln so lange fortzuführen, bis diese Verordnung beseitigt ist Auch die Deutsch-Klerikalen scheinen nicht übel Lust zu haben, zur Opposition gegen diese Sprachen. Verordnung überzugehen, weil sie augenscheinlich von ihren eigenen Wählern dazu gedrängt werden.

In Frankreich steht die Frage, ob der Prozeß gegen den Exhauptmann Dreyfus wieder aufzunehmen ist, oder nicht, noch immer auf der Tagesordnung. Besonderen Eindruck rufen die öffentlichen Gutachten ganz hervor­ragender Schriftverständiger hervor, welche un- abhängig von einander, aber mit genau denselben Gründen, darthun, daß jenes Schriftstück, auf Grund dessen allein Dreyfus seinerzeit verurteilt wurde, nicht von letzterem hergestellt sein könne, sondern nur von einem Fälscher, der die Hand­schrift des Dreyfus nachzuahmen versucht habe. Uns Deutschen könnte es gleichgiltig sein, was die Franzosen mit ihrem Dreyfus anfangen, wenn nicht immer wieder einzelne Blätter mit der nichtsnutzigen Behauptung kämen, die eigent- lichen Beweisstücke gegen Dreyfus können nicht veröffentlicht werden, weil sonst ein Krieg mit Deutschland unvermeidlich wäre. Andere Blätter freilich widersprechen dieser Ansicht, aber unter dem Hinweis darauf, daß die Franzosen auch in Deutschland spionieren und erst neulich einen vieljährigen französischen Spion in der nächsten Umgebung des Fürsten Bismarck mit einer be­sonderen Ehrengabe bedacht hätten. Wer der Spion wohl sein mag?

Auf dem Lord Mayors Festmahl in der Guildhall zu London hat der englische Minister­präsident und Minister des Auswärtigen, Lord Salisbury, die übliche und diesmal mit be- sonderer Spannung erwartete Rede gehalten. Lord Salisbury hat, wie zu erwarten war, keine überraschenden Geheimnisse verraten, son­dern sich vorwiegend darauf beschränkt, die Haltung seines Kabinets während der jüngsten

Ereignisse gegen die Angriffe seiner einheimischen Gegner zu rechtfertigen. Mit Bezug auf den Streit im Maschinenbaugewerbe hat Salisbury gesagt, es lägen hierin Elemente der künftigen Wohlfahrt oder des künftigen Unglückes Eng­lands. Er freue sich, die Meinung aussprechen zu können, daß dank den einsichtsvollen und beharrlichen Bemühungen des Präsidenten des Handelsamtes die Konferenz zwischen den Arbeit­gebern und den Arbeitern, die der Lord-Major wünsche, bald stattfinden dürfte. Damit ist natürlich noch nicht gesagt, daß eine Verstän­digung auch zu stände kommen wird. Es ist zweifelhaft, ob eine der beiden Parteien wesent- liche Zugeständnisse machen wird.

Petersburg, 12. Nov. Ein Ukas des russischen Kaisers macht bekannt: Nachdem es für angezeigt erachtet wird, einen ständigen Geschäftsträger in Karlsruhe einzusetzen, wird Fürst Cantacuzene, der bisher Rußland in Stuttgart und Karlsruhe vertrat, von seiner Stellung am badischen Hofe enthoben. (Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß der Zar durch diese Verfügungen u. a. auch alle Gerüchte, welche sich an die damalige Ablehnung" des Besuches des Großherzogs von Baden am Darmstädter Hofe knüpfen, ein für alle Mal aus der Welt schaffen will. Denn die Errichtung einer besonderen ständigen diplomatischen Vertretung in Karlsruhe kann nur als ein freundliches Zugeständnis an den großherzoglich badischen Hof aufgefaßt werden).

Die lange Winternacht hat für Andräe bereits begonnen. Ist er noch am Leben, so hat er seine Schlittenreise eingestellt, Stürme, namentlich aber die Finster­nis zwangen ihn dazu, und er hat auf dem Lande, wahrscheinlich aber auf einer Scholle, ein Haus aus Eisstücken erbaut. Vor dem März 1898 kann er seine Reise nicht fortsetzen; zuerst bei 40 bis 50 Grad Celsius unter Null.

Vermischtes.

Ein hübsches Zigeunerstückchen ereignete sich in Lieben zell. Dort ließ sich eine Frau von einer Zigeunerin wahrsagen. Nachdem dies geschehen war, erklärte die Zigeunerin, sie könne auchGeld vermehren," worauf die Frau ihr bares Geld herbeiholte. Die Zigeunerin legte dasselbe nun in eine kleine Schachtel und forderte die Frau auf, zur Seite zu schauen. Als dies geschehen war, entfernte sich die Zigeu­nerin. gab aber der Frau an, daß sie die Schachtel erst nach einer gewissen Zeit öffnen dürfe. Wie vorauszusehen war, fand sich bei Oeffnung der Schachtel kein Geld mehr darin vor. Nach erstatteter Anzeige erfolgte zwar die Verhaftung der Zigeunerin, doch das Geld blieb verschwunden.

Ein wertvoller Altertumsfund ist von einem Oberförster bei Gerdauen (Ost­preußen) gemacht worden. Derselbe fand nicht tief in der Erde ornamentierte, rote Terrakotten aus klassisch-römischer Zeit. Der glückliche Finder benachrichtigte die Altertumsgesellschaft Prussia" in Königsberg, worauf sich Professor Dr. Heydeck an Ort und Stelle begab. Es ist dies das erste Mal. daß ein derartiger Fund in Ostpreußen gemacht worden ist.

Wien, 9. Nov. Von einemDoppel­gänger" Bismarcks berichtet dasNeue Wiener Tagblatt": Unter den im großen Audienzvorsaale in der Hofburg versammelten Herren erregte neulich ein gleichfalls zur Audienz zugelaffener greiser Herr nicht geringes Aufsehen. Dieser, ein ehemaliger Artillerie-Oberlieutnant aus Graz, namens Änton Hufnagel, hat nämlich eine täuschende Aehnlichkeit mit Bismarck, so zwar, daß der größte Teil der Audienz, bewerber, als die hohe, breitschulterige Gestalt im Saale erschien, glaubte, den Fürsten oder zumindest einen nahen Verwandten des Altreichs­kanzlers vor sich zu sehen. Hufnagel überreichte dem Kaiser eine Steigbügelschnalle, deren Er­finder er ist. Diese Schnalle schützt den Reiter, falls derselbe vom Pferde abgeworfen wird,

vor dem Geschleiftwerden. Der Reiter kann im Steigbügel nicht mit dem Fuße hängen bleiben, da sich die Schnalle beim Stürzen des Reiters sofort öffnet und den Steigbügel durch eine einfache mechanische Vorrichtung loslöst.

Der Helm der französischen Armee. Seit mehreren Tagen sieht man auf dem Hofe des französischen Kriegsministeriums und in dessen Umgebung Truppen verschiedener Waffengattungen als Schildwachcn aufgestellt, die durch ihre in Paris ungewöhnliche Kopf, bekleidungen die Aufmerksamkeit der Vorüber, gehenden auf sich lenken. Sie tragen nämlich Helme, die, von Weitem gesehen, den preußischen Pickelhauben gleichen. Es handelt sich da um Proben, die in Paris und anderen größeren Garnisonen mit einer neuen Hauptbedeckung für die Infanterie und die leichte Kavallerie angestellt werden. Die leichte und als besonders den Anforderungen für Hygieioc entsprechend gerühmte Kopfbekleidung hat die Form eines kugelförmigen Helmes, der bei der Kavallerie mit himmelblauem, bei der Infanterie mit dunkelblauem Tuche ansgeschlagen ist. Die Spitze und die Beschläge sind aus Aluminium hergestellt.

(Verwertung des Rußes.) Der Ruß aus Schornsteinen, Oefen rc. als Dungmittel verdient beachtet zu werden. Neun Teile Ruß mit einem Teile Salz gemischt, ist einer der vorzüglichsten Gartendünger. Bestreut man Gemüsebeete vor dem Bepflanzen mit einem Gemisch von Ruß, Salz und Asche, so bleiben sie vom Ungeziefer, besonders von den Erdflöhen, verschont, und die jungen Pflanzen zeigen üppiges Wachstum. Für Rüben, Mohrrüben oder Carrotten giebt cs überhaupt kein besseres Düngemittel als den Ofenruß. Rasenplätze bei Regenwetter leicht mit Ruß überstreut, zeigen einen tiefdunkeln üppigen Graswuchs. Auch bei Obstbäumen wirkt eine Rußdüngung ganz vorzüglich. Ebenfalls für Topipflanzen ist eine Rußdüngung zu empfehlen. Für diesen Zweck übergießt man ihn mit kochendem Wasser und giebt einen Zusatz von Hornspänen, um einen wirksamen flüssigen Dünger zu erhalten. Derartige gedüngte Pflanzen zeigten einen herrlichen Wuchs und eine prächtige Blatt­entwicklung. Für empfindliche und vor allen Dingen für junge Pflanzen verwende man Ruß nur in großer Verdünnung mit Wasser, sonst ist er zu scharf. Man werfe daher den Ruß nicht achtlos bei Seite, sondern sammle ihn sorgfältig zur nutzbringenden Verwendung.

(Ein Geschäftsmann.) Herr (welcher sich die Stiefel putzen ließ):Ich habe nur zwanzig Pfennig, können Sie mir zehn Pfennig wieder- geben?" Stiefelputzer:Leider nicht, aber ich putz' sie noch a mal, dann stimmt's!"

Auflösung der Dechiffrier Ausgabe in Nr. 178. Wie oft schon, Freunde, haben wir Ein falsches Glück für echt geachtet,

Ein Ding bestaunt, das, nah betrachtet, Nicht Gold war sondern Goldpapier.

Rätsel-Distichon.

Einer der Dichter bin ich, beliebt bei den Alten und Jungen. Kopflos steh' ich auf dem Brett, diene dem König als Schutz.

Telegramme.

Falckenstein, Vogtland, 12. Novbr. Gestern wurden während des ganzen Tages kräftige Erdstöße verspürt.

Wien, 12. Nov. DieNeue Freie Presse" kündigt den nahen Rücktritt des österreich. ischen Ministerpräsidenten Grafen Badeni an, da seine Stellung jetzt auch bei der Krone erschüttert sei. Thatsächlich beobachtet die ungarische Presse seit kurzem eine feindliche Haltung gegen ihn; auch wurde die halbamtliche Zurechtweisung in derPester Korrespondenz" bis jetzt von der ungarischen Regierung nicht zurückgenommen. Ebenso scheinen die von Rom beeinflußten Clerikalen Badeni auszugeben.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.