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leiten von New Jork auf, man sieht das ge- waltia pulsierende Leben in Hafen und Stadt. Die Reise geht nach Westen, am Hudson, den die Amerikaner gern ihren Rhein nennen, an den gigantischen Niagarafällen vorbei zur Riesenstadt Chicago am Michigansee. wo vor hundert Jahren nur ein armseliges Jndianerdorf stand. Als letztes Bild sieht man die Prachtbauten der Kolumbischen Weltausstellung. Der erläuternde Vortraa des Herrn Bergmann bot mancherlei Interessantes, aber auch dem Bekannten wurde durch das reiche Anschauungsmaterial neuer Reiz Verliehen.
Neckarsulm, 23. Olt. Die Weinlese, wenn man von einer solchen sprechen kann, ist hier vollendet und wird der Ertrag auf 10—15 Eimer geschätzt, gegen 4000, welche man erhoffte. Es macht dies hier allein einen Aussall von fast V? Millionen Mark.
Ausland.
Wien, 23. Okt. Der von Frankreich vorgeschlagene Ober st Schäfer wurde von allen Seiten als vorläufiger Gouverneur von Kreta angenommen und wird der Pforte nunmehr auch als endgiltiger Gouverneur vorgeschlagen werden. Seine nächsten Aufgaben sind die Bildung einer Militärmacht, die Aufnahme einer Anleihe und die Berufung der Nationalversammlung.
K o n st a n t i n o p e l, 23. Oklbr. Das Uebereinkommen der Mächte über die Wahl des luxemburgischen Obersten Sch äff er zum Gouverneur von Kreta wird bestätigt.
Hlnteröattender Teil.
Die letzten Gravensteiner.
Kriminal-Novelle von C. M e e r f e l d t.
(Fortsetzung)
Baron Herbert war eben von einem längeren Spaziergange in sein Zimmer zurückgekehrt, als man ihm die Meldung brachte, daß ihn die Herren vom Gericht noch zu sprechen wünschten. Er schien das an diesem Abend nicht mehr erwartet zu haben, und es schien ihm auch keineswegs angenehm zu sein, denn er zuckte zusammen und wurde sehr blaß. Aber er ließ antworten, daß er sogleich zur Stelle sein werde, obwohl er sich etwas angegriffen fühle. Er hatte bisher weder die irdische Hülle seines Vaters gesehen, noch war er zum zweiten Male mit seinem Bruder zusawmengetroffen. Auch hatte er es geflissentlich vermieden, mit einem der Beamten oder Diener des Verstorbenen zu sprechen, obwohl Georg den Inspektor, der einiger Weisungen notwendig bedurfte, an den älteren Bruder als den Herrn des Gutes gewiesen hatte. Herbert hatte ihn auf morgen vertröstet und war dann planlos zwischen den Feldern umhergestreift. Nur den Wald hatte er geflissentlich vermieden. Daß er hinter einer verfallenen Scheune lange in eifrigem und erregtem Gespräch mit Martin gestanden, hatte Niemand wahrgenommen, und es war sicherlich nichts als ein Zufall gewesen, daß Martin gleich darauf dem Polizeikommiffar gerade in den Weg gelaufen war.
Mit langsamen Schritten und mit unverkennbarem Widerstreben begab sich Herbert in das Berhörzimmer hinab. Den bescheiden abseits stehenden Martin schien er gar nicht zu kennen, und bei vem Richter entschuldigte er sich, noch ehe derselbe eine Frage an ihn gerichtet, mit einem heftigen Unwohlsein.
„Ich bedaure, Herr Baron, Sie trotzdem in Anspruch nehmen zu müssen." sagte der Beamte sehr höflich, „aber ich werde Sie selbstverständlich nur mit den allernotwendigsten Fragen behelligen. Sie erinnern sich vielleicht, daß Ihr Vater gestern Nachmittag einen Jnspektionsrilt unternahm?"
„Gewiß, — das gehörte zu seinen unabänder- lichen, täglichen Gewohnheiten."
„Und Sie sprachen ihn, als er von diesem Ritt heimkehrte?"
„Unmittelbar nachher!"
„Fiel Ihnen in seinem Wesen irgend etwas Besonderes auf?"
„Ja, er war ungehalten und gereizt. Er hatte unlerwegs einen heftigen Aerger gehabt."
„Vielleicht einen kleinen Streit mit einem seiner Beamten?"
„Es war allerdings etwas Derartiges gewesen."
„Wollen Sie nicht die Güte haben, mir genauere Mitteilung zu machen.
„Ich bitte um Verzeihung; aber das betraf Privatangelegenheiten ---"
„Die Sie nicht gern preisgeben möchten! Ich begreife das, Herr Baron; aber ich muß zu meinem Bedauern meine Frage dennoch wiederholen. Auch will ich nicht unterlassen, zu bemerken, daß wir über den Inhalt jenes Gesprächs bereits von anderer Seite zum Teil unterrichtet worden sind."
„Dann habe ich allerdings kein Recht und wohl auch keinen Grund, damit zurückzuhalten." sagte Herbert mit einer kleinen Verbeugung. „Mein Vater sprach nach seiner Heimkehr sich sehr unmutig über den Förster Hagemeister aus, rügte dessen unehrerbietiges Benehmen und erzählte mir, daß der Mann seine Entlassung erhalten habe."
„Die Aeußerungen Ihres Vaters ließen also mit Bestimmtheit darauf schließen, daß er sich im Zorn von dem Förster getrennt habe?"
„Allerdings! Er war sehr wütend auf ihn."
„Und die Ursache dieses Streits?"
„Herbert bemühte sich, seinen Mund zu einem verlegenen Lächeln zu verziehen, aber cs war nur eine abscheuliche Grimasse, die er zu Stande brachte.
„Das ist eine delikate Angelegenheit. Herr Untersuchungsrichter, aber da ich Ihnen Offenheit
schuldig bin-, die Tochter des Försters
hatte einige kleine harmlose Aufmerksamkeiten, zu denen sie mich durch ihre Koketterie selbst herausgefordert hatte, aus irgend welchen mir unbegreiflichen Gründen zu gefährlichen Nach- stellungen gestempelt und durch diese Erzählungen ihrem Vater Veranlassung gegeben, sich in höchst ungerechter und unpassender Weise über mich zu äußern. Einige dienstliche Nachlässigkeiten mögen wohl ferner dazu beigetragen haben, meinen Vater zu verstimmen, und da beide Männer von heftigem Temperament waren, so ist mir der Zusammenstoß leicht genug erklärlich."
Noch ehe Herbert den letzten Satz beendet hatte, öffnete sich die Thür des Nebengemachs und die Gestalt des Försters erschien auf der Schwelle. Sein Gesicht trug einen Ausdruck tiefer Betrübnis und in dem Blick, welchen er auf den jungen Baron richtete, lagen Mitleiden und Verachtung. Aber er sagte kein Wort, und erst als ihn der Untersuchungsrichter in strengerem Ton, als vorhin anredete:
„Sie haben da drinnen wahrscheinlich Alles gehört und Sie werden doch wohl nicht daran denken, die Glaubwürdigkeit des Herrn Barons, auf dessen Zeugnis Sie sich ja selbst berufen haben, ebenfalls zu verdächtigen. Was haben Sie nun auf diese beiden übereinstimmenden Zeugenaussagen zu erwiedern?" da erst wendete er seine Augen langsam von Herbert ab und sagte ernst und traurig:
„Nichts, als daß sie Beide im Komplott mit einander sind und daß sie Beide lügen!"
„Nun wohl, wir werden Ihnen Zeit geben, sich auf eine bessere Erklärung zu besinnen," sagte der Richter kurz. „Ich bin gezwungen, Sie auf Grund der Verdachlsgründe, welche sich gegen Sie ergeben haben, vorläufig in Haft zu nehmen, und ersuche den Herrn Polizeikommissar, das Weitere zu veranlassen."
Jetzt aber kam Hagemeister's Heftigkeit noch einmal zum vollen Durchbruch.
„Wie? — In Haft nehmen? Mich?" schrie er. „Und unter dem Verdacht eines feigen hinterlistigen Meuchelmordes? Wie können Sie das wagen, Herr? — Wer giebt Ihnen das Recht, einen ehrlichen, unbescholtenen Mann so zu behandeln?"
„Ich werde das. was ich thue, auch zu verantworten wissen," gab der Beamte ruhig zurück. „Wenn wir uns in einem Irrtum befinden, so wird sich Ihre Unschuld bald genug Herausstellen, und Sie können ganz sicher sein, daß wir Ihre Haft nicht um eine einzige Stunde ohne zwingende Not verlängern werden! Daß ich aber gezwungen bin. mit solcher Strenge vorzugehen, haben Sie in erster Linie der Un
sicherheit und Unwahrhaftigkeit Ihrer eigenen Aussagen zuzuschreiben."
Der Förster hatte nach dem ersten wilden Aufflackern des Zornes wohl eingeschen, daß er sich in das Unabänderliche fügen müsse, und schweDnd hatte er auf den sehr höflich ge- äußerten Wunsch des Polizeikommiffars seine Doppelflinte und seinen Hirschfänger abgelegt.
Der Untersuchungsrichter sprach unterdessen mit Herbert, welch Letzterer in der That sehr angegriffen zu sein schien, da er sich sichtlich nur mit großer Mühe aufrecht hielt. In einem Zimmer des zweiten Stocks, das nur eine einzige, fest verschließbare Thür hatte, sollte der Arrestant vorläufig untergebracht werden und der Kommissar erhielt die diesbezüglichen Weisungen. In gebrochener Haltung folgte ihm Hagemeister zur Thür, aber auf der Schwelle wandte er sich noch einmal und fragte mit fast erstickter Stimme:
„Darf ich nicht wenigstens mein Kind zuvor noch einmal an mein Herz drücken? — Der Schlag muß sie ja zu Boden schmettern, wenn sie aus einem fremden Munde die Nachricht von — von meiner Verhaftung erfährt."
„Es thul mir leid," war die Antwort, „aber ich kann Ihnen für heule keinen Verkehr mehr mit irgend Jemanden gestatten. Vielleicht werde ich morgen Ihrem Wunsche willfahren können. Im Uebrigrn verspreche ich Ihnen gern, daß ich dafür Sorge tragm werde, Ihre Tochter so schonend als möglich von dem Vorgesallcnen zu unterrichten!"
Es schien, als wenn der Förster noch etwas sagen wollte. Er richtete einen langen Blick auf Marlin, der ihn mit ruhiger Frechheit aushielt, und aus den jungen Baron, der sich plötzlich mit dem Tajchentuche im Gesicht zu schaffen machte. Aber er unterdrückte doch wieder die Worte, die ihm bereits auf der Zunge schwebten, und drehte sich nach dem Polizei- kommissar um mit der tief traurigen, aber gefaßten Aufforderung:
„Kommen Sie, mein Herr, ich bin bereit. Ihnen in meine Gefangenschaft zu folgen!"
Als die Thür hinter ihm zufiel, bebte Herbert zusammen, als wäre in seiner unmittelbaren Nähe ein Kanonenschuß gefallen. Seine Lippen zitterten, und sein Gesicht war so weiß wie das Tuch, das er an die Stirn gedrückt hatte.
„Ich muß — dringend — bitten, mich jetzt — zu entlassen", stammelte er. „Ich vermag mich kaum noch auf den Füßen zu erhalten."
Er schwankte wirklich, und Martin, der ihm am nächsten stand, sprang auf rhn zu, um ihn zu stützen. Aber Herbert bebte vor seiner Berührung zurück, wie vor dem Biß einer Schlange, und verließ, sich gewaltsam zusammenraffend, eilig das Zimmer.
Noch mit dem Nachtzuge war der erste Staatsanwalt, welcher gestern durch ein unvorhergesehenes Hindernis zurückgehalten worden war, eingetroffen. Zunächst war die Sektion der Leiche des Ermordeten vorgenommen worden, ohne daß der Befund im Geringsten von den von vorn herein ausgesprochenen Vermutungen des Kreisphystkus abgewichen wäre.
(Fortsetzung folgt.)
Telegramme.
Karlsruhe, 24. Okt. Der Hofbericht der „Karlsruher Zlg." meldet: Die großherzoglichen Herrschaften hatten die Absicht, heute früh nach Darmstadt zu reisen und dem Zarenpaar und dem Großherzoge und der Großherzogin einen Besuch abzustatten. Der Großherzog von Baden erhielt aus seine Anfrage gestern Abend die Antwort, Kaiser Nikolaus habe schon über die Tage bis zu seiner Abreise verfügt und könne die großherzoglichen Herrschaften daher nicht mehr empfangen.
Darmstadt, 24. Okt. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe mit Gemahlin wurde heute mittag von dem Zarenpaar empfangen. Dieselben nahmen sodann an der Tafel teil.
Fermoca, 24. Okt. Wolkenbruchartige Regengüsse riefen in der Umgebung von Korfu und St. Elpedco Uebcrjchwemmungen hervor. 40 Häuser sind eingestürzk. Menschenverluste sind nicht zu beklagen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.