Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Pforzheim, 16. Okt. Der Verein zum Schlitze des Detailgeschäfts, der Verband selbst­ständiger Kaufleute und Gewerbetreibender des Großherzogtums Baden hat folgenden Aufruf erlassen: An unsere Mitbürger! Bon allen Seiten werden Klagen laut über die aus dem Wirtschaft- lichen Gebiete hcrvorgetretenen und immer größer werdenden Uebelstände, welche hervorgerufen werden durch Großbazare und Ramsch-Geschäfte der schlimmsten Sorte, die den Zweck verfolgen, den gesamten Detailhandel durch die verwert- lichsten Mittel an sich zu reißen, wodurch Tau- sende von Existenzen vernichtet werden. Durch Gerichtsverhandlungen und Strafurteile in Pforz heim, Freiburg, Lahr, Mannheim und anderen Orten wurde das unsaubere Gebühren dieser Geschäfte aufgedeckt. Das Gericht in Mannheim hat in einem Urteil ausgesprochen, die Firma Schmoller u. Co. habe mit Unerfahrenheit des Publikums gerechnet, zum Nachteil redlicher Mit­bewerber Kunden angelockt und zur Bekämpfung der Konkurrenz Waren unter dem Einkaufspreise angeboten. Der an dem Geschäfte selbst be­teiligte Geschäftsführer Schlimmer hat in der Gerichtsverhandlung offen ausgesagt:Die Ver- kaufspreise bestimme ich auch unter dem Ankaufs­preis, wenn das Interesse des Geschäfts es ver­langt!" Mit Recht glaubt auch niemand mehr, daß derartige Geschäfte im Interesse des Volkes billig verkaufen; daß sie überhaupt gute Ware billiger abgeben, wie irgend ein anderer Ge­schäftsmann im Gegenteil, die Käufer werden durch Maß, Gewicht und minderwertige Quali- tät getäuscht! An den Gegenständen, die zu Schleuderpreisen abgegeben werden, den sogen. Lockvögeln, für deren Herstellung wahre Hunger­löhne bezahlt werden, klebt das Elend und die Not ungezählter Arbeiter und Arbeiterinnen. Bei solchen Waren aber, deren wirklicher Wert das Publikum nicht zu beurteilen versteht, wissen sie sich schadlos zu halten. indem sie sich weit höhere Preise bezahlen lassen, als andere reelle Geschäfte wie wäre es anders möglich, da bei Schleuderpreisen allein der kolossale Auf­wand für wahre Verkaufspaläste und deren Ein. richtung nicht bestritten werden kann. Wer derartige Unternehmungen direkt oder indirekt unterstützt, arbeitet mit an dem Niedergang und Ruin des gewerblichen Mittelstandes! Welche Hausfrau, überhaupt welcher wohlmeinende Mensch möchte hierzu die Hand bieten? Wir glauben niemand! Wir richten daher an das kaufende Publikum die Bitte, derartige Geschäfte ganz zu meiden und den soliden Geschäftsmann, den strebsamen Handwerker und Fabrikanten durch seine Einkäufe zu unterstützen nur so wird der Allgemeinheit am wirksamsten geholfen und von Tausenden von Existenzen der Ruin abgewandt.

Neuenbürg, 21. Oktober. (Kartoffel- preise.) Bessere rote Kartoffeln galten in den letzten Tagen 3 «-L, weiße 2 80 ; Kartoffeln

von der Rastatter Gegend 2 70 ^ per 50

Kilo.

Deutsches Reich.

Wiesbaden, 20. Okt. Der Kaiser von Rußland traf heute Mittag 12'/, Uhr mittels Sonderzugs von Darmstadt kommend hier ein. Zum Empfange war Kaiser Wil­helm in russischer Admiralsuniform, begleitet von dem Prinzen Adolf von Schaumburg-Lippe, auf dem Bahnhof erschienen. Nach herzlicher Begrüßung der Kaiser durch Küsse und Um- armung folgte die Fahrt nach dem Schlosse unter stürmischen Kundgebungen einer zahlreichen Menschenmenge. Nach dem Eintreffen der Kaiser im Schloß fand ein Familienfrühstück statt. Die Rückfahrt des Kaisers von Rußland nach Darm» stadt erfolgte 2 Uhr 30 Min. nachmittags. Kaiser Nikolaus, m der Uniform seiner hessischen Dra­goner, wurde aus dem ganzen von einem Truppen- spalier emgesäumten Wege zum Bahnhof seitens der zahlreichen Volksmenge wiederum auf 'das herzlichste begrüßt. Der deutsche Kaiser hatte seinem kaiserlichen Gaste das Geleit bis zum Bahnhof gegeben, wo sich die Monarchen auf das herzlichste unter wiederholten Umarmungen und Küssen verabschiedeten. Kurze Zeit darauf

traf die Kaiserin mit den 3 kaiserlichen Prinzen unter dem stürmischen Jubel des zahlreichen Publikums auf dem Bahnhofe ein. wo Prinzessin Elisabeth von Schaumburg Lippe einen Blumen- strauß überreichte. Die kaiserliche Familie reiste heute Nachmittag nach Cronberg zum Besuche der Kaiserin Friedrich und von dort morgen früh nach Karlsruhe zur großherzog­lichen Familie.

Karlsluhe, 21. Okt. Der Kaiser ist um 10 Uhr vormittags hier eingetroffsn und auf dem Bahnhofe vom Großherzog, sowie dem Prinzen Max und Karl von Baden empfangen worden. Der Kaiser und der Groß- herzog fuhren sodann vom Bahnhofe nach dem Schlosse. Kurz nach 12 Uhr erschien der Kaiser, der Grvßherzog und die Groß­herzogin auf dem Kaiserplatze. Oberbürger, meister Sch netz! er, an der Spitze des Stadtrates, begüßte den Kaiser mit einer An­sprache. Dieser dankte für den schönen Empfang und führte hierbei etwa folgendes aus: Das Denkmal sei ein Palladium, das alle neuen Mut fassen lassen und zu großen Zielen führen solle. In Berlin sei es eine schöne Sitte ge­wesen, daß ein jeder Bürger und Soldat, wenn er zur Arbeit ging und den alten Kaiser Wilhelm durch das Fenster am Schreibtisch er- blickte, neuen Mut zur Arbeit schöpfte und mit um so größerer Freude sein Tagewerk verrichtete. Möchten jetzt die Karlsruher suchen, wenn sie am Denkmal Vorbeigehen, in dem Standbilde des großen Kaisers eine Aufforderung zu freudiger Arbeit zu erblicken. Hoffentlich sei in jeder Stadt des Landes der gleiche patriotische Sinn wie in Karlsruhe anzutrcffen. Der Kaiser schloß: Stimmen Sie ein in den Ruf: der Großherzog und die Großherzogin hoch, hoch, hoch! Der Kaiser ließ sich hierauf den Schöpfer des Denkmals, Professor Heer, vorstellen.

Karlsruhe, 21. Okt. Der Groß- Herzog und die Großherzogin fahren morgen nach Darmstadt auf Einladung des Großherzogs von Hessen und des Zaren.

Karlsruhe, 19. Okt. Bei dem städt ischen Bankett, das gestern für etwa 500 städtische Arbeiter in der Fesihalle gegeben wurde, sprachen Bürgermeister Siegrist und Stadtrat Rechtsanwalt Bökh. Mehrere Arbeiter er- widerten mit dem Ausdruck warmen Dankes und dem Gelöbnis treuer Arbeit. Schon im vorigen Jahre bei dem 70. Geburtstag des Großherzogs war ein ähnliches Fest gehalten worden, das gleichsam aus den Anschauungen der Neuzeit herausgewachsen ist, aber doch auch die guten Beziehungen früherer Zeiten zwischen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern widerspiegelt.

Berlin. Die Nagelung der 63, den am 1. April 1897 neu formierten Bataillonen ver­liehenen Fahnen hat am Samstag Vormittag in der Ruhmeshaür in Berlin in Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin stattgefunden. Der Kaiser schlug bei jeder Fahne den ersten Nagel ein. den zweiten die Kaiserin, darnach der Kron­prinz und die Prinzen Eitel Friedrich. Adalbert und August Wilhelm, ferner die Prinzen und Prinzessinnen des Königliche^ Hauses, dann die Prinzen und Prinzessinnen der regierenden deutschen Fürstenhäuser, darauf folgten dex Reichskanzler, der Kriegsminister, der General­stabschef, ferner die direkten Vorgesetzten, die Regimentskommandeure, die Lieutnannts und zum Schluß die Fahnen-Unterosfiziere. Am Sonntage wurden die Fahnen geweiht.

Eine neue politische Partei wird, wie dieBerliner Neuest. Nachr." schreiben, diesmal im Osten der preußischen Monarchie an der Reichstagswahlkampagne teilnehmen: Die Masuren. Bei den letzten Reichstagswahlen im Jahre 1893 erschienen auch die Lithauer, die in Preußen allerdings nur 145 000 Köpfe zählen, zum ersten Mal mit zwei Kandidaten. Die Masuren sind wesentlich stärker, sie zählen in Ostpreußen mindestens 470000 Köpfe. Die in Lyck erscheinendeGazeta Ludowa", das Organ der Masuren, hat die Wahlkampagne mit einem langen Wahlaufruf bereits eröffnet. Die erste masurische Wählerversammlung findet am 8. November in Lyck statt. Die- Masuren sind sämtlich Protestanten.

München, 20. Okt. In der Kammer der Abgeordneten wurde heute nach längerer Debatte eine Resolution angenommen, welche die Einführung des allgemeinen direkten Wahl­rechts zugleich mit dem proportionalen Wahl­system fordert.

Württemberg.

Stuttgart. Dem König ist von den alten Tübinger Schwaben in Norddeurschland" als Erträgnis einer unter denselben veranstalteten Sammlung für die durch Hagelschlag und Ueberschwemmung Beschädigten in Württemberg die Summe von 1361 71 ^ übersendet und

höchstem Befehle gemäß der Zentrallcitung des Wohlthätigkcitsvereins überwiesen worden.

Von einem Fremden, der sich mehr weiter zu erkennen gab, wurde die Gabe von 10 0 0 M k. in Geld dem Opferstock der Walde- richskirche in Murrhardl anverlraut mit der schriftlichen Anordnung, die Summe zu Gunsten der Bedürftigen Mnrrhardls .zu verwenden. Als Grund seiner edlen Handlung gievt der Spender Dankbarkeit dafür an, daß er, früher mit den Selnigen nach Amerika ausgewandert, dort in gute Verhältnisse gekommen sei, sowie Anhänglichkeit an die Stätte, an welcher einst sein Vater mit ihm geopfert und gebetet habe.

Herbstnachrichten v. 20./21. Okt.

Preise für 3 Hektoliter.

Bönnigheim. Weinpreise gesallen auf 82 noch 2000 Hektol. Vorrat, Käufer erwünscht. Lauffen a. N. Käufe zu 142 , bis 160, 165, 170, 175 und 190 Stockheim. Lese beendigt,

Borat noch ca. 250 Hektol. gute Reste, Preis 145 bis 150 Käufer erwünscht. Stetten i. R. Lese beendigt, Preise zurückgegangen auf 120124 «kL, noch ziemlich Vorrat. Flein. In Rotwein alles rasch verkauft, Pr. bis zu 167 in Weißwein noch ver­schiedene gute Reste vorrätig, noch kein fester Preis. Mundelsheim. Käufe zu 125 bis 140 Mittelgew., 180 ^ für Käsberger, feil noch ca. 150 Eimer, worunter auch noch Käsberger, Kaufsgelegen- ' heit günstig. Löchgau. Bei gleichen Preisen alles vollends rasch verkauft. Untertürkheim. Gestern wurden viele Käufe zwischen 142145 ^ ab­geschlossen, kleiner Preisrückgang bemerkbar' noch Vor­rat vorhanden, Käufer erwünscht. Beutelsbach. Mehrere gute Reste noch vorhanden, ca. 120 Hektol., Preise gehen zurück, Käufer, freundlich eingeladen. Strümpfelbach i. R. Käufe zu 120 Käufer freundlich eingeladen.

Ausland.

Der Präsident der französischen Republik hat in der großen Rotunde der Pariser Handelsbörse einem ihm veranstalteten Riesenbankett beigewohnl. Dieses Bankett zeugt von dem tiefgefühlten Fricdensbedürfnis der maßgebenden Geschäfts- uno Hanüelskreise Frank- reichs und von der wachsenden Achtung, deren sich Präsident Fauce erfreut. Vertreter sämt­licher Handelskammern von Frankreich beteiligten sich an dem Bankett, ebenso sämtliche Minister, mit Ausnahme des nach dem Senegal abgereisten Kolonialministers. Präsident Faure sprach in seiner Rede den Satz aus:Die Periode, die eben eröffnet ist und sich über unser Jahrhundert verlängern wird, scheint die Geschicke der Na­tionen des alten Europas fest gestaltet und ihnen ihre betreffende Stelle in der Welt endgiltig angewiesen zu haben." Damit meinte Faure jedenfalls das französisch-russische Bündnis und dessen Grundton, oen Frieden, welch letzteren Frankreich für die Weltausstellung im Jahre 1900 und Rußland für seine astatische Entwick­lung braucht.

Die Zustände auf der Insel Kreta werden von Woche zu Woche bedenklicher. Die türkische Regierung hat wiederholt den Muhamedanern auf der Insel Lebensmittel geschickt, aber letztere können sich kaum aus ihren Häusern wagen. Die polizeiliche Aufsicht der kombinierten Flotte der Großmächte erweist sich als völlig unzuläng- lich. Die Vertreter der Großmächte auf der Insel haben einen Teil der Gensdarmerie ent­lassen müssen, aber einen Ersatz bis jetzt nicht bekommen, so baß die Aufständischen immer dreister werden. Ein Rundschreiben der Pforte an die türkischen Vertreter im Auslande ver­langt für die Pforre das Recht, Truppen auf der Insel Kreta zu landen, damit diese die Ordnung wieder Herstellen und einen fremden Unterthanen als Gouverneur der Insel einsetzrn können.