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Meilage zu Wr. 163 des KnzLhüters.

Neuenbürg, Sonntag den 17. Otober 1897.

Mnteryattender Heil.

Die letzten Gravensteiner.

Kriminal-Novelle von C. Meerfeld 1.

(Fortsetzung)

Endlich, er mochte wohl länger als eine Stunde so geruht haben, ließ ihn ein Schuß, der in einiger Entfernung gefallen war, empor­fahren.

Da scheint Vater Hagcmeister ja schon auf der Jagd zu sein," sagte er vor sich hin, und es wäre wohl nicht mehr zu früh, die Herrschaften ' auf dem Schlosse aus dem Schlummer zu jagen. Aber nein, ich will ihnen noch ein Viertclstündchen ihres süßen Morgenschlafcs zugeben! Bin ich so lange gewandert, wird es auf einen weiteren Umweg von fünf Minuten auch nicht mehr ankommen."

Er hatte den Worten schon die That folgen lassen; denn statt aus dem Walde her­auszugehen, war er noch tiefer in denselben hineingeschrittcn, aber nicht etwa aufs Geratewohl, sondern in einer ganz bestimmten Richtung, die er sehr genau kennen mußte, denn bald schimmerte es hell zwischen den Bäumen hindurch und nach ferneren hundert Schritten stand er auf einer größeren Waldblöße, vor dem freund­lichen, von einem hübschen Ziergärtchen um­gebenen Försterhause.

Es mochte wohl seine Absicht gewesen sein, nur bis hierher zu gehen; aber eine Wahr­nehmung, die er von seinem Beobachtcrposten aus machte, änderte mit einem Schlage alle derartigen Entschlüsse.

Zwischen den Blumenbeeten des kleinen Gartens gewahrte er nämlich eine schlanke, weibliche Gestalt im sommerlich Hellen Gewände, die dort sehr angelegentlich mit dem Ausbinden einiger Ranken beschäftigt zu sein schien und sicherlich keine Ahnung von der Nähe des Lauschers hatte. Der junge Mann verhielt sich ganz mäuschenstill, aber er verwandte kein Auge von der zierlichen Erscheinung im Blumengarten, und man durfte ihm wohl zugeben, daß es in der That der Mühe wert war, sie immer und immer wieder anzusehen. Ihr Gesicht war frisch und lieblich wie der Augustmorgen, der seine goldenen Sonnenstrahlen auf ihren blonden Flechten spielen ließ, und ihre Bewegungen waren von einer Anmut und einem Liebreiz, die um so bestrickender wirken mußten, als sie, sich unbeobachtet glaubend, nichts Gezwungenes oder Gekünsteltes in ihrer Haltung hatte.

Das Antlitz des ungesehenen Beobachters strahlte vor glückseliger Freude, und endlich konnte er sich nicht mehr enthalten, denselben lauten Jubelruf, mit welchem er vorhin das Rauchwölkchen aus dem Försterhause begrüßt hatte, noch einmal ertönen zu lassen. Das junge Mädchen schrak sichtlich sehr heftig zu­sammen und als sie ehr Gesicht nach jener Seite des Waldes wendete, von welcher der übermütige Jodler gekommen war, schienen ihre zarten Wangen wie mit Purpur überhaucht. Aber kaum hatte sie den jungen Mann wahr- genommen und erkannt, als auch ihre schönen Augen in demselben glückseligen Glanze auf- leuchteten, wie die scinigen, und sie mit demselben Zuruf antwortete, durch welchen er seine Ab Wesenheit verraten hatte.

Kaum eine Minute später stand er an ihrer Seite im Garten und hielt ihre beiden Hände in den seinigen, während ihre Blicke selig in einander ruhten und und ihre L'ppen in der Ueberfülle der Herzen nicht sogleich das rechte Wort der Begrüßung fanden.

Des Försters Töchterlein war es, welches zuerst die Sprache wiedergewonnen halte. Langsam und sanft mochte sie ihre Hände los und sagte mit einem liebreizende» Lächeln: Wie Cie mich erschreckt hoben, Georg! Sie hätten darum fast einen weniger freundlichen Empfang verdient!"

Wie sie so zu ihm cmporsah, mit den halb geöffneten rosigen, knospenden Lippen, da konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen raschen, feurigen Kuß auf dieselben zu drücken; aber das junge Mädchen errötete bis in die Stirn hinauf und flüchtete rasch einige Schritte weiter dem Hause zu.

O, das ist unartig," sagte sie ernstlich schmollend,dazu habe ich Ihnen kein Recht gegeben! Wie sollte es mir ergehen, wenn das mein Vater gesehen hätte!"

Ich fürchte, Sie geben sich thöricdten Hoffnungen hin, und gerade in der letzten Zeit ist mir mehr als einmal die bange Sorge ge­kommen, ob ich nicht vielleicht ein schweres Unrecht gegen Sie und gegen meinen armen, vertrauensseligen Vater begehe, indem ich schwach genug bin, der Stimme meines Herzens Folge zu geben."

Welche Zuversicht sollten wir hegen können bei der Verschiedenheit unserer gesell­schaftlichen Stellung und bei der fast übcrwind- lichen Größe der Hindernisse, die sich uns cntgcgenstcllcn werden?"

Ei. mein Schatz, wer hat Dir diese trüb­seligen Gedanken in den Kopf gesetzt? Ist das noch dasselbe mutige, vertrauensvolle Mädchen, das ich verlassen habe? Mir scheint, es war eine ganz vortreffliche Eingebung von meinem lieben Papa, daß er mich ganz unerwartet durch ein so dringendes Telegramm hierher berief. Ich komme ja gerade recht um die närrischen Grillen zu vertreiben, die sich hinter dieser reizenden Stirn da festsctzen wollen. Traust Du mir so wenig Kraft und männliche Entschlossenheit zu, daß ich nicht um meiner Liebe willen mit einigen thörichten und abge- lebten Standesvorurteilen fertig werden sollte?

Mein Vater ist ein wackerer, vorurteilsfreier Mann, der auf das Herz sehen wird und nicht auf den Namen und das Wappenschild. Mag sein, daß er erst ein wenig brummt; aber ich Hobe keine Sorge, daß es mir bald genug gelingen wird. ihn. zu bekehren."

Aber wenn es Ihnen nicht gelingt Georg, müssen Sie mir hoch und heilig versprechen, daß Sie sich nicht mit ihm erzürnen werden!"

Ach mir ist seit der letzten Szene mit Ihrem Bruder so bange ums Herz Ich kann die Ahnung nicht besiegen, daß uns was Schlimmes bevorständ?.

Der junge Baron Georg v. Gravcnstein war plötzlich sehr ernst geworden und statt der bisherigen sorglosen Munterkeit lag ein Ausdruck männlicher Kraft und Entschlossenheit in seinen Worten und Mienen, als er, ihr rasch ins Wort fallend, sagte:

Was ist das, Lisbeth? Eine Szene mit meinem Bruder? Und davon erfahre ich erst jetzt! Was ist es gewesen? Ich will doch nicht hoffen, daß er es gewagt hat, irgend eine Rücksicht gegen Dich außer Acht zu lassen."

Das junge Mädchen bereute offenbar schon zu viel gesagt zu haben, und versuchte den vorherigen Worten durch ihre Ausflucht eine ernste Bedeutung zu nehmen. Aber Georg wiederholte seine Aufforderung nur noch dring, licher und ernster und so sah sich Lisbeth denn endlich genötigt, ihm Alles zu erzählen, von Herbcrt's ernsten, bescheidenen Annäherungs­versuchen und seinen häufigen Besuchen im Försterhause an bis zu seiner letzten stürmischen Liebcswcrbung und den häßlichen, beleidigenden Worten, mit denen er die Zurückweisung der­selben ausgenommen. Auch der Absicht ihres Vaters, seine Stellung im Dienst des Obersten aufzugeben, und das Gut zu verlassen, that sie Erwähnung, und als sie Georg, der sich bis dahin mühsam zurückgehallen, an dieser Stelle heftig unterbrach, um ihr zu erklären, daß davon niemals und unter keinen Umständen die Rede sein dürste, hatte sie Mühe gehabt, ihn mit der Versicherung zu beruhigen, daß ihr Vater am

verflossenen Abend geäußert habe, das werde nun nicht mehr nötig sein!

Um so besser!" sagte Georg mit männlicher Entschiedenheit.Aber ich werde nichts desto weniger noch ein sehr ernstes Wort mit meinem Bruder zu sprechen haben. Daß Ihr um seinet­willen gehen solltet, würde mein Vater wohl niemals zugegeben haben."

Ihre Unterhaltung wurde in diesem Augen­blick gestört durch das Erscheinen der Magd, welche eben aus dem Hause trat und sich, als sie den feingekleidelen jungen Herren einmal ge­sehen hatte, schon aus Neugierde draußen so viel zu schaffen mochte, daß an eine unbelauschtc Fortsetzung des Gesprächs gor nicht zu denken war.

Bei der Arbeit im Garten ging ihr heute alles merkwürdig langsam von der Hand und die Magd konnte sogar zu ihrem nicht geringen Erstaunen wahrnehmen, daß ihre sonst so flinke und gewissenhafte Herrin einige Mißgriffe und Verwechslungen beging, welche sie bisher für ganz unmöglich gehalten hätte.

In ziemlich vorgeschrittener Vormittagsstunde erst sah Lisbeth den Vater vom Walde her auf das Haus zugeschritten kommen und einer lieb- gcwordenen Gewohnheit folgend, eilte sie ihm auch heute ein Dutzend Schritte entgegen. Aber sie blieb erschrocken stehen, als sie die heftige Erregung im Antlitz ihres Vaters bemerkte, und als er statt sie, wie fönst, in die Arme zu schließen, nur eine abwehrende Handbewegung machte und sie stumm bedeutete, sich in das Haus zuiück zu begeben

Aber um des Hiwmclswillcn, lieber Vater, was ist denn geschehen?" fragte sie erschrocken. Es ist Dir doch nichts zugestoßen? Du bist doch nicht krank?"

Hagcmeister schüttelte den Kopf, ober er gab ihr keine Antwort, bis sie in dem freundlich eingerichteten Wohnzimmer des Försterhauses standen. Da nahm er seine Doppelbüchie von der Schulter, zog bald mechanisch, wie er cs stets gleich nach seiner Heimkehr that, die Ladung aus den Läufen und stellte die Waffe in den Ge- wehrschronk. Noch immer hatte er kein Wort gesprochen und Lisbeth war mit steigender Angst jeder seiner Bewegungen gefolgt. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und der Förster fühlte wie heftig seine Glieder zitterten, als er sie bei der Hand nahm und sie zum Sopha führte

Sei gefaßt, mein liebes Kind." sagte er, seine eigene Erregung sichtlich nur mit gcwaltigcr Anstrengung bemeisterndEs ist etwas sehr trauriges geschehen, das Dich tief betrüben und wahrscheinlich eine sehr große Veränderung in unserem Leben herbeisühren wird. Wir haben einen wackeren und gütigen Beschützer verloren der Oberst von Gravenstein ist nicht mehr am Leben."

Starr und bewegungslos, wie betäubt, von der Wucht des schweren unerwarteten Schlages, saß Lisbeth an seiner Seite. Ihr liebreizendes Gesichtchen war todenbleich geworden, und ihr Atem gicng rasch und beklommen, als der Förster nun erzählte, auf eine wie entsetzliche Weise der Oberst fast unter seinen Augen der teuflischen Hinterlist eines feigen Mordbuben erlegen sei.

O, mein Gott". brachte sie endlich müh­sam hervor,und Georg Georg ist heute angekommen! Wie furchtbar muß ihn dieser Schlag treffen!"

Verwundert blickte der Förster auf sein Kind.

Ja, freilich ist er angekommen, aber woher konntest Du das wissen?"

Lisbeth's eben noch so blasse Wangen färbten sich mit einer dunklen Röte. Aber sie sagte trotzdem nicht die Unwahrheit.

Er gieng hier vorüber als ich im Garten beschäftigt war und wir haben uns gesprochen. Ein Telegramm seines Vaters hatte ihn gerufen."

So ist es, er sollte eine wichtige Mit­teilung empfangen, und nun sah er den Oberst nur als Leiche wieder! Ein fürchterlicher Zufall wollte, daß er uns im Walde begegnete,