664

Stammheim, 26. Nov. Ein seltenes Fest durften wir gestern in unserer Gemeinde feiern. Ter Herr Präsident der Kgl. Zentralstelle für die Landwirtschaft Freiherr v. Ow und die Herren Baurat Cantz, Negierungsrat Loelter und Landwirtschaftsinspektor Wunderlich warenhieher gekommen, um unsere Feldbcreinigung zu be­sichtigen. Nach Begehung der Bereinigungsfläche begaben sich die Herren zum Rathaus, vor welchem sich die Feuerwehr, der Veteranenverein, der Militär­verein und der Gesangverein mit ihren Fahnen aufgestellt hatten. Herr Präsident v. Ow hielt eine Ansprache an die Versammlung, beglückwünschte sie zu der gelungenen Ausführung der Feldbereinig­ung und übergab dem Herrn Schultheißen Ernst mit warmen Worten der Anerkennung die goldene Medaille des Friedrichs-Ordens. Hierauf stattete Herr Schullehrer Bickel im Namen der Bürgerschaft und der Vereine dem Herrn Präsidenten den Dank ab für die hohe Ehrung, die der Herr Präsident der Gemeinde durch seinen Besuch erwie­sen. Seine an Form und Inhalt gediegene Rede klang in einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den Herrn Präsidenten und seine Begleiter aus. Die ganze Versammlung begab sich sodann im Zuge unter den Klängen der Ortskapelle in das Gasthaus zum Bären, wo das Festmahl stattfand, an dem sich außer den Ehrengästen die bürgerlichen Kollegien, der Ausschuß des landwirtsch. Bezirks­vereins, sowie die Ortsvorsteher der Nachbargemein­den beteiligten. Das Festmahl verlief in anregend­ster Weise, durch Toaste und Vorträge der Orts­kapelle und des Gesangvereins angenehm unter­brochen und nur zu bald schlug die Stunde, wo uns der Präsident und seine Begleiter wieder ver­lassen mußten. Das schöne Fest, an dem sich bei­nahe die ganze Bürgerschaft beteiligte, lieferte den deutlichsten Beweis, daß die Feldbereinigung, welche anfangs so viele Gegner hatte, zur allseitigen Zu­friedenheit ausgefallen ist; es wird uns noch lange in angenehmer Erinnerung bleiben.

Stuttgart, 23. Nov. Zu der heute nacht vorgekommenen Mordaffaire an der Schloß­gartenstraße, nahe der Kgl. Hofwaschküche, ist nach­zutragen, daß der Schutzmannspostcn am Leibstall heute nacht die Ermordete gesehen und bald darauf einen lauten Schrei gehört haben will. Trotz des strömenden Regens, der die Blutspuren stark ver­wischt hat, fanden sich solche in dem dichten Laub­belag zahlreich vor, so daß ein starker Blutverlust bei der Ermordeten eingetreten zu sein scheint. Selbstmord ist nach den bis jetzt angestcllten Er­hebungen völlig ausgeschlossen. Die Leiche, wAche heute vormittag halb 12 Uhr erst vom Thatort nach dem Leichenhaus übergeführt wurde, wird heute abend gerichtlich geöffnet. Das Mädchen, Ba- bette Wirt, ist als Postituierte bekannt und lag am Thatort offenbar schon kurz nach Mitternacht ent­seelt. Der That verdächtig erscheint ein Zuhälter, einige Verhaftungen sind im Laufe des Tages be­reits vorgenommen worden. Trotz energischer Nach­

forschungen konnte die Mordwaffe noch nicht auf­gefunden werden.

Reutlingen, 24. Nov. Die Einweihung der im Innern wiederhergestellten Marienkirche, dieses Juwels der Frühgotik, war für die Stadt ein großes Fest. Nach 8'/«jährigen Erneuerungs­arbeiten war eS der evang. Kirchengemeinde ver­gönnt, wieder in das nun in neuer Schönheit er­standene Gotteshaus einzuziehen. Die Bevölkerung hatte durch reiche Ausschmückung der Straßen und Häuser ihrer Freude Ausdruck verliehen. Am Vor­abend läuteten sämtliche Glocken und der Haupt­turm der Kirche erstrahlte, durch Scheinwerfer be­leuchtet, in elektrischem Licht. In der Frühe des Festtages ertönte wiederum Festgeläute und Choral­musik vom Turm der Marienkirche. Ein stattlicher Festzug ging unter Vortritt der Stadtkapelle vom Rathaus und Marktplatz aus durch die Spaliere der Vereine und Schulen nach der Kirche, um deren Hauptportal sich die Teilnehmer, das Königspaar erwartend, aufstellten. Um 10 Uhr langten Ihre Majestäten unter begeisterter Kundgebung der Bevölkerung hier an. Kurz zuvor war Se. Exz. der Herr Kultminister Dr. v. Weizsäcker gleichzeitig mit dem Präsidenten des Konsistoriums v. Frhrn. v. Gemmingen eingetroffen. Am Portal der Kirche hieß Dekan Ströle die Majestäten herzlich will­kommen und gab der Freude der Gemeinde für höchstderen huldvolle Teilnahme an der Feier wie dem Dank für die dem Kirchenbau zu Teil gewor­dene Unterstützung Ausdruck. Baurat Dolmetsch, der Oberleiter der Restaurationsarbeiten, übergab hierauf den Schlüssel zur Kirche an Stadtschultheiß Hepp mit einer Ansprache, in welcher er der Stadt­gemeinde für di"e große Opferwilligkeit und stets bethätigte Förderung des Werkes dankte., Stadt­schultheiß Hepp überreichte den Schlüssel mit dem Ausdruck freudigen Dankes gegen das Königspaar sowie gegen die Kgl. Staatsregierung für deren weitreichende Unterstützung Seiner Majestät dem König, welcher den Schlüssel mit Glück-und Segenswünschen für die Stadt und die evangelische Kirchengemeinde an Dekan Ströle übergab. Unter den Klängen der prächtigen neuen Orgel trat man ein. Das Königspaar mit Gefolge nahm vor der neuen Kanzel Platz. Den Festgottesdienst eröffnete der Oratorieuverein unter Musikdirektor Schönhardt mit dem Gesang: Lobe den Herrn meine Seele. Hierauf folgte am Altar die Weiherede durch Dekan Ströle. Nach dem Gemeindegesang hielt Stadt­pfarrer Gehring die biblisch kräftige Festpredigt. Der Liederkranz sang vom Chor auS die Hymne Jauchzet dem Herrn, von Silcher. ES folgte die Taufe zweier Kinder, eines Knaben und eines Mäd­chens, wobei das Königspaar Patenstelle übernahm. Zuletzt hielt Prälat von Sandberger eine eindrucks­volle Ansprache auf Grund des TextwortesIch will dich bauen und du sollst gebauet heißen", mit Gebet und Segen schließend. Mit dem vom Wein­gärtnerliederkranz und der Gemeinde gesungenen ChoralNun danket alle Gott" schloß der erhebende

Gottesdienst. Ihre Majestäten ließen sich alsdann durch Baurat Dolmetsch den Bauleiter Stechert, Künstler und Bauleute sowie am Bau beschäftigte Handwerksmeister, den Orgelbauer Weigle u. a. vorstellen und machten unter Führung von Baurat Dolmetsch und Dekan Ströle einen Rundgang inner­halb wie außerhalb der Kirche. Nach einem halb­stündigen Aufenthalt im nahen Dekanatamt fuhr das Königspaar mit Gefolge unter begeisternden Huldigungen der Menge durch die reichgeschmückte Gartenstraße wieder zum Bahnhof, wo die Verab­schiedung erfolgte. Am Nachmittag fand im Hotel Kronprinz ein Festmahl mit 270 Teilnehmern statt, wobei Se. Exz. der Herr Kultminister Dr. v. Weiz­säcker die Reihe der Tischreden eröffnete.

Tübingen, 25. Nov. Professor Dr. v. Lieb er me ist er, Vorstand der medizinischen Uni­versitätsklinik, ist gestern vormittag nach längerem schwerem Leiden infolge Nierenkrebs verschieden. Liebermcistcr unterzog sich vergangenen Freitag noch einer Operation, welche ihm zwar momentan Lin­derung brachte, aber auch seinen Tod beschleunigte. Mit ihm erleidet die Universität einen schweren, nicht leicht zu ersetzenden Verlust.

Berlin, 26. Nov. Aus der gestrigen An­sprache des Kaisers bei der Rekruten-Ver- eidigung in Kiel berichtet der Lokal-Anzeiger noch folgende Stellen: Es sind Eurer so viele, wie nie zuvor, aber es sind viele neue gute Schiffe zu besetzen und Ihr seid berufen an deren Bord aus­zuziehen, sei es im Kriege oder Frieden. Ich wünsche den Krieg ebensowenig wie mein seliger Großvater, der aber, als ihm der Krieg aufgezwungen wurde, hinauszog an der Spitze seines Heeres und Gefahren und Strapazen mit ihnen teilte. Ich erwarte von Euch, daß Ihr getreu Eurem soeben geleisteten Eide Euch Eurer Väter von 1870/71 würdig zeigt, wenn ich Euch in den Krieg führen müßte. Ihr dürft nicht denken, der Kaiser habe gut befehlen. Die Soldaten müssen schweren Dienst ausführen, aber auch ich habe meinen Soldaten-Eid geschworen so gut wie Ihr und muß meinen Dienst versehen so gut Wie Ihr, jeder an seiner Stelle.

Berlin, 26. Nov. Nach einer nach Ham­burg gelangten Privat-Depesche aus Kamerun wurden dort die Kaufleute Haesloop aus Bremen, Kettenich aus Köln und Wittenberg aus Hamburg wegen wiederholter Mißhandlung mehrerer Neger mit tötlichem Ausgange verhaftet.

Wekkarueteil.

8M. Lims ». 4.ss

de" in schwarz, weiß und farbig von Pf. bis Mk. 18.65 p. Met. Absolut likin 2c»II rn sadlen ! da die portofreie Zusendung der Stoffe, durch meine Seiden­fabrik auf «teiNsolikin Grenzgebiet erfolgt. Nur echt, wenn direkt von mir bezogen! Muster umgehend. Ol. bksnnskrerg, Seidenfabrikant (K. u. K. Hoflief.), Lüricti.

Sie wissen nicht, was ich für sie empfinde. Ich werde sie überallhin verfolgen, bis an den Altar, ich werde sie aus Philipps Armen reißen, ich werde"

Still, still, mein Junge," sagte Fosbrooke beschwichtigend.Nicht so so laut! Niemand braucht das zu hören! Uebrigens, ich sehe Damen kommen."

In der That erschien Lady Culwarren, Lily umschlungen haltend, gefolgt von Mr. Ashfold und dem jungen Grafen. Antony und Fosbrooke erhoben sich bei ihrer Annäherung und elfterer beeilte sich, seiner Mutter den Freund vorzustellen.

Ich freue mich lebhaft. Sie kennen zu lernen," sagte Fosbrooke, die Hand der Lady küssend.Ihr Sohn hat mir bereits viel von Ihnen und Ihrer Fa­milie erzählt."

Sehr liebenswürdig von ihm!" entgegnete die Gräfin kühl.

Sie wissen nicht Milady, wie sehr er sich darnach sehnte, Sie, seinen Bruder und seine Cousine wiederzusehen."

Fosbrooke, ich bitte Sie, sprechen Sie nicht darüber!" bat Antony halblaut.

Ich sehe nicht ein," fuhr der andere unbeirrt fort,weshalb ich nicht eine Anspielung auf etwas machen darf, das jedermann hier, besonders Ihre Frau Mutter, längst wissen wird."

Ich verstehe Sie nicht, mein Herr," versetzte die Lady mit gutgespieltem Erstaunen.Wirklich, ich habe nicht die leiseste Ahnung, auf was Sie anspielen."

Keine Ahnung!" rief Antony auffahrend,und ich habe dir doch mit eigenen Lippen meine Liebe zu Lily gestanden. Sprich du, Lily!" wandte er sich an das junge Mädchen, das abwechselnd errötete und erbleichte.Sage offen, daß, was auch geschehen sein mag, wir uns wirklich geliebt und Treue geschworen haben. Wie, du schweigst?" Bist du so falsch oder bin ich zu unwürdig, als daß du mir ein Wort gönnst, nachdem ich dein Herz besessen habe?"

Ich erlaube Lily nicht, dir zu antworten," rief die Gräfin zürnend.Keine Silbe, Lily, hörst du?"

Den Mund kannst du ihr verschließen," gab Äntony aufgebracht zurück, aber ihr Herz wird doch für mich sprechen. Und dir, Philipp, sage ich vor ollem, daß du ein Verräter bist! Du wußtest es ganz genau, daß ich mich als den Verlobten Lilian Osprey's betrachtete; trotzdem hast du dich zwischen uns ge­drängt und sie dir mit Mama's Hilfe erkauft."

Schweig und geh' aus meinen Augen!" unterbrach ihn die Lady zornbebend.

Ich gehorche dir, weil du meine Mutter bist," erwiderte Antony, sich ge­waltsam beherrschend;aber darum beschwöre ich dich auch"

Ich bin nicht deine Mutter!" rief die Gräfin, sich vergessend,und für mich giltst du nicht als mein Sohn."

Was Liebe anbetrifft," entgegnete Antony bitter,hast du mich allerdings niemals mütterlich behandelt, aber die Thatsache, daß ich dein Sohn bin, läßt sich nicht ungeschehen machen."

Es ist keine Thatsache!" rief die Lady mit schriller Stimme,ich habe nur einen Sohn und das ist dieser hier!" Damit l gte sie ihre Hand auf Phi­lipps Schulter.

Willst du mich etwa verleugnen?" fragte Antony bestürzt.

Das habe ich nicht nötig," war die rasche Antwort,denn ich sage es dir und sage es aller Welt du bist nicht mein Sohn."

Ein tödtliches Schweigen folgte dieser unerwarteten Erklärung. Antony legte die Hand an die Stirne, als könne er die gehörten Worte nicht fassen und starrte wie geistesabwesend vor sich hin.

(Fortsetzung folgt.)