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Badeni den Kaiser Franz-Josef um seine Enthebung vom Amte gebeten, um so gleichsam als Privatmann sich duellieren zu können. Der Kaiser nahm aber das Demissionsgesuch nicht an, und so war Graf Badeni nach dem Duell Ministerpräsident wie zuvor. Obgleich in der dem Duell folgenden Sitzung des Abgeordnetenhauses ein etwas ruhigerer Ton herrschte, ist die Sache für die streng katholischen Anhänger Badenis doch äußerst fatal, denn sie müssen ja unter allen Umständen das Duell verwerfen, das überdies in Oesterreich mit weit härteren Strafen vom Gesetz bedroht wird, als in Deutschland. Nach österreich. Gesetzen müßte Graf Badeni mindestens ein Jahr Gefängnis bekommen und es ist äußerst fatal für das Rechtsbewußtsein im Volk, daß die Staatsanwaltschaft noch gar keine Miene gemacht hat, die beiden Duellanten vor Gericht zu stellen.
Rom. 29. Sept. Die „Agencia Jtaliana" will aus guter Quelle wissen, daß der Sultan beabsichtige, die Insel Kreta an Deutsch, land abzutreten, anstatt unmittelbar die von den Mächten vorgeschlagene Autonomie zu gewähren. Deutschland würde dann im Einverständnis mit den Mächten das Weitere ordnen.
In England tobt z. Zt. ein heftiger Kampf zwischen den Maschinenfabrikanten und ihren Arbeitern. Eine sehr große Anzahl von Eisenindustrieller hat nämlich einen teilweisen Streik der Arbeiter damit beantwortet, daß auch die nicht streikenden Arbeiter ausgesperrt, d. h. zur Arbeit nicht mehr zugelassen werden. Durch diese Maßregeln sind mehrere 100000 von Ar- beiter brodlos geworden. Die Arbeitgeber sind zu dieser harten Maßregel offenbar aus dem Grunde geschritten, um den maßlosen Forder- ungen ihrer Arbeiter ein Ziel zu setzen.
Zlnteryattender Teil.
Die letzten Gravensteiner.
Kriminal-Novelle von C. Meerfeld t.
I.
Eine der dürftigsten und armseligsten Miets. kutschen aus der nahen Kreisstadt war es, welche um die Mittagsstunde eines schwülen Spätsommerstages auf die Terrasse vor Schloß Gravenstein rollte. Die Gutsleute hatten den mageren Gaul, welcher bei jedem Schritt zusammenzubrechen drohte, schon auf jedem Wege durch die Dorsstraße mit spöttischen Zurufen verfolgt und unter einander allerlei nicht sehr schmeichelhafte Bemerkungen über das Aeußere des ungemein wohlbeleibten Mannes ausgetauscht, der es sich auf dem Rücksitz des gebrechlichen Gefährts bequem gemacht hatte. Freilich war es mit der Bequemlichkeit dabei nicht allzu weit her; denn der federlose Wagen stieß so entsetzlich, daß sich der Mann mit beiden Händen an den Seitenlehnen festhalten mußte, um nicht gar zu unbarmherzig hin- und hergeschleudert zu werden, und ihm die Hellen Schweißtropfen auf der Stirn perlten, als er endlich Anstalten machen konnte, von seiner Marterbank herunter zu klettern. Aus dem Innern des Hauses war zwar ein alter Diener mit schwarzem Anzug herbeigeeilt in der Absicht, dem Ankömmling beim Aussteigen behilflich zu sein, aber als er denselben etwas näher ins Auge gefaßt, blieb er in einer Entfernung stehen und wartete ruhig ab. bis ihn der Fremde zuerst anreden würde. In der That war das Aussehen dieses uner- warteten Besuchers nicht eben von sonderlich Vertrauen erweckender Art, und man war auf Schloß Gravenstein nicht gewöhnt, Gäste von solcher Beschaffenheit zu empfangen. Die Kleidung des dicken Mannes war schäbig und ihr Schnitt gehörte einer längst vergessenen Mode an. Der Kragen seines Rockes war mit Flecken förmlich besäet, und auch seine Wäsche war unsauber und fettig. Als er jetzt den zerdrückten Filzhut abnahm, sah man, daß sein Haar, welches bereits hier und da ergraute, struppig und wir um den Kopf hing, und der wider- wärtige Eindruck seiner ganzen Erscheinung erhielt dadurch die angemessene Vervollständigung.
„Ich wünsche den jungen Baron von Gravenstein zu sprechen," sagte er mit heiser
klingender Stimme und in ziemlich hochfahrendcm Ton. „Melden Sie mich als Herr Peter Michelmann aus der Residenz!"
Der Diener betrachtete ihn noch einmal vom Kopf bis zu den Füßen; aber er rührte sich nicht von der Stelle.
„Ich bezweifle sehr, daß der gnädige Herr Baron zu sprechen sein wird," meinte er achselzuckend. „Ich habe eine ganz genaue Weisung darüber, welche Personen einzulassen sind, und ich muß sehr bedauern, daß sich der Name Michelmann nicht unter denselben befindet!"
Der Zurückgewiesene wischte sich mit einem bunten baumwollenen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und schoß aus seinen kleinen, unruhigen Augen einen giftigen Blick auf den Diener.
„Meinen Sie. daß ich eine Reise von acht Stunden gemacht haben soll, um mich vom ersten Besten an der Thür zurückweisen zu lassen?" murmelte er: „Ich sage Ihnen, der Herr Baron Herbert wird mich empfangen, und er wird Ihnen schlechten Dank wissen, wenn ich eine Ursache haben sollte» mich über Ihre Unhöflichkeit zu beklagen "
Die dreiste Zuversichtlichkeit in seinem Benehmen blieb nicht ohne Wirkung auf den Diener. Er zog zwar die Schultern in die Höhe, als wollte er sagen: „Es nützt Ihnen doch nichts, mein Bester!" — aber er schickte sich doch an, langsam die breite, teppichbelegte Treppe emporzustcigen, während ihm der dicke Herr Michelmann, ohne erst eine Aufforderung abzuwarten, keuchend und schnaufend auf dem Fuße folgte.
Baron Herbert v. Gravenstein lag in bequemer Nachlässigkeit auf einer Chaiselongue i des Bibliothekzimmers, dessen Fenster durch herabgelassene Vorhänge gegen die brennenden z Sonnenstrahlen geschützt waren, und schaute gedankenlos den blauen Tabakwölkchen n«»y, die! er zur Decke ewporblies. Er war wohl kaum: achtundzwanzig Jahre alt, aber sein Gesicht war ) blaß und abgelebt, wie das eines Vierzigers, und sein Haupthaar hatte sich bereits bedenklich > gelichtet. Heute namentlich trugen seine Züge einen Ausdruck der Abspannung und Müdigkeit, t der den alten Diener hinsichtlich der zu er- S wartenden Aufnahme seiner Meldung mit neuer ) Besorgnis erfüllte. Der junge Baron wandte sich denn auch bei seinem Eintritt höchst ungeduldig nach ihm um; aber kaum hatte der alte! Mann den Namen des Zutritt Begehrenden ^ genannt, als Herbert mit unverkennbarem Er-i schrecken aufsprang und ihm den Befehl gab, denselben sofort einzusühren.
„Sorgen Sie dafür, daß mein Vater nichts von diesem Besuch erfährt!" rief er dem Diener zu, als dieser schon wieder die Thür erreicht hatte „und wenn er nach mir fragen sollte, so mögen Sie ihm doch immerhin mitteilen, daß ich auf einö-der Vorwerke hinausgeritten sei."
Eine halbe Minute später trat Herr Peter Michelmann — noch immer von der Ansiregung des Treppensteigens keuchend — in das Gemach und ließ sich, noch ehe eine Einladung an ihn ergangen war, schwerfällig in einen Sessel niederfallen.
„Es thut mir sehr leid, Herr Baron, daß ich gezwungen bin" —
Weiter kam er nicht in seiner Anrede, denn Baron Herbert, welcher sich nur eben die Zeit genommen hatte, den Schlüssel in der Thür umzudrehen, trat auf ihn zu und blieb mit zorn- funkelnden Augen dicht vor ihm stehen.
„Wie können Sie es wagen, in dieses Haus einzudrängen?" herrschte er ihn mit gedämpfter, aber von Mut und Aufregung bebender Stimme an. „Wollen Sie Ihrer beispiellosen Unver- schämtheit die Krone aufsetzen? Haben Sie meinen Brief denn nicht erhalten?"
„Gerade weil ich ihn erhalten habe, bin ich hier, Herr Baron", erwiderte der dicke Mann mit großer Seelenruhe. „Es ist mir zwar eine große Ehre, mit einem so vornehmen Herrn in Korrespondenz zu stehen, aber ein Brief ist kein Geld, und was soll ich mit Ihrem Brief an- fangen, wenn ich mein ausgeliehenes Kapital erwarte? — Ich bedaure sehr, daß Sie mich zu
dieser unangenehmen Reise gezwungen haben, aber —"
„Zum Henker mit Ihrem Bedauern!" fiel ihm Baron Herbert heftig ins Wort. „Habe ich Ihnen Venn nicht neue Wucherzinsen zugestanden? — Habe ich Ihnen nicht volle Zahlung Ihres Guthabens innerhalb eines Vierteljahres versprochen?"
„Was hilft mir Ihr Versprechen, Herr Baron, wenn ich mein Geld haben muß? — Was soll ich auf Ihr Versprechen geben, nachdem Sie nicht einmal Ihre Ehrenscheine eingelöst haben? — Und selbst, wenn es diesmal wahr wäre, kann ich mich doch nicht darauf einlassen, denn ich brauche mein Kapital selbst so nötig, wie das liebe Brot, und ich kann meinen eigenen Verpflichtungen mit Ihren Versprechungen ebenso wenig Nachkommen, als mit Ihren Wechseln!"
(Fortsetzung folgt.)
(„Fred", der König der Taschendiebe) ist kürzlich gestorben. In den Tagen seines Glanzes „arbeitete" er stets in Glacehandschuhen; sie waren sein Schutz, denn kein Bestohlener hätte es gewagt, den vornehmen Herrn, der immer so tadellose Handschuhe trug, in Verdacht zu haben oder zu verdächtigen. Zuletzt lebte er in Eng- land und befestigte seinen „Ruf" durch einige verwegene Streiche, jo wettete er, dem Prinzen von Wales das Portefeuille aus der Tasche zu stehlen und er gewann die Wette.
Ein 85 Fuß hoher Schorn st ein wurde kürzlich in der Nähe von New-Iork ziemlich 300 Meter weit von seinem ursprünglichen Standorte ohne den geringsten Unfall transportiert und zwar durch nur sechs Arbeiter. Das Gewicht des Schornsteines betrug, wie das Berliner Patent-Bureau Gerson und Sachse meldet, etwa 2000 Zentner. Der untere Teil des Schornsteins wurde in einem starken Balkenrahmen verstrebt nnd dieser durch ein an einer Winde arbeitendes Pferd auf untergelegten Schienen fortgeschoben. Die Arbeit wurde trotz des unebenen Terrains in neun Tagen vollständig zu Ende gebracht.
(„Heller Oktober, viel Wind im Winter") sagt eine alte Wetterregel. Aber der Oktober giebt noch zahlreiche andere Anzeichen, von denen man auf den kommenden Winter zu schließen berechtigt ist. Da heißt es in einer andern Bauernregel: „Ist recht rauh der Hase, dann frierst du bald an der Nase," oder: „Wenn im Moor viel Irrlicht stehn, bleibt das Wetter lange schön" — oder endlich in einem dritten Sprüchlein: „Trägt's Häschen lang sein
Sommerkleid, so ist der Winter auch noch weit." Auch die schwarz gefiederten Scharen der Krähen, wenn sie hoch in de» Lüften über den Wäldern krähen» gelten dem Landmann als Wetterpropheten für den Winter, denn von ihnen heißt er: „Halten die Krähen Konvivium, sich nach Feuerholz dich um." Als eigentliche Grenzscheide zwischen Herbst und Winter aber gilt der 28. Oktober, der Tag Simon-Juda, von welchem es heißt: „Ist Simon-Judas erst vorbei, dann rückt der Winter auch herbei." Bis dahin aber wollen wir hoffen, noch manchen schönen Nachsommertag zu erleben.
(Das ist etwas Anderes). Ein Chorist wurde von seinen Kollegen des Nachts geweckt, daß er mit ihnen gehen möge, ein bestelltes Ständchen zu bringen. Was, rief er zum Fenster hinaus, jetzt des Nachts? nicht für eine Million — Du, schrie ihm ein Unterstehender zu. wir bekommen Jeder 30 Kreuzer. — Ja, das ist etwas Anderes, dann komme ich gleich.
(Doch etwas.) Chef: „Nicht einen einzigen Auftrag haben Sie erhalten?" — Reisender: „Doch, einen von Meyer u. Co., einen schönen Gruß an Sie!"
Telegramm.
Neapel, 30. Sept. Das Panzerschiff Sictlia mit dem Admiral Canevaro an Bord ist heute Nachmittag nach Kreta in See gegangen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.