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begreift, so daß die Türken bei einem etwaigen künftigen Krieg mit Griechenland nicht erst diese Pässe zu erstürmen brauchen. Ferner erhält die Türkei von den Griechen eine Kriegskostenent- schädigung von nahezu 4 Mill, türkische Pfund Sterling (ca. 17 Mill. Mark). Die Türken werden Thessalien erst dann räumen, wenn die türkische Kriegsschuld bezahlt, bezw. deren Bezahlung sicher gestellt ist. In Griechenland herrscht über diesen Friedensvertrag tiefe Niedergeschlagenheit, eine womöglich noch tiefere aber über die Einsetzung einer europäischen Kontrol- kommission über das griechische Finanzwesen, doch daran sind die Griechen ja selbst schuld. — Bezüglich Kretas dauern die Verhandlungen unter den Großmächten noch fort. Deutschland und Rußland sollen sich für die Einsetzung eines türkischen Gouverneurs der Insel Kreta ausgesprochen haben, wovon aber namentlich die Engländer nichts wissen wollen.
Athen, 22. Sept. Ein starkes englisches Geschwader sowie 3 italienische Panzerschiffe sind vor Korfu angekommen. Diese Nachricht wird hier sehr eifrig besprochen.
Madrid, 22. Sept. Der oberste Kriegsgerichtshof hat das Urteil des Kriegsgerichts gegen Sampau Barril, den Mörder des Ministerpräsidenten Canovas del Castillo, wegen eines Formfehlers im Prozeßverfahren aufgehoben. Die Verhandlung soll wieder ausgenommen werden. Nicht erwiesen ist, daß Sampau Anarchist ist.
Brindisi, 22. Sept. Gestern Abend wurden die Gemeinden Sava, Oria und Latiano von einem schweren Wirbelsturm hcimgesucht. Vierzig Personen wurden gelötet, siebenzig verwundet und etwa zwanzig Häuser zerstört. Der telegraphische Verkehr wurde unterbrochen.
Unterhaltender Teil.
Der Weltläufer.
Von Georg von Rohrscheidt.
Es war ein wunderlicher alter Knabe, der gute Kant Unter seinen Bekannten und Verwandten führte er den schönen Namen „der Wilde", ohne äußerlich im geringsten diese Bezeichnung zu rechtfertigen. Er war immer durch- aus patent gekleidet, stets gut rasiert und blank gewaschen, rauchte sehr anständige Zigarren und trank höchstens zu Kaisers Geburtstag ein wenig über den Durst und dann auch nur harmlos, notabene, wenn er im Vatcrlande weilte. In diesem Punkte steckte nämlich seine sogenannte Wildheit. Kant, wohlbegütert, war früher einmal kurze Zeit Offizier, dann irgendwo einer Gesandtschaft zugeteilt, ebenfalls nur vorübergehend. und hatte endlich jeden Staatsdienst an den Nagel gehängt, um ungebunden seinen eigenen Neigungen zu leben, die hauptsächlich von einem scharf ausgeprägten Wandertrieb beherrscht wurden. Zur Zeit, da wir anfangen, von ihm zu reden, mochte er so etwa Mitte der Vierziger sein, sah aber infolge seines die mächtige Platte umrahmenden schneeweißen Haupthaares bedeutend älter aus, trotzdem das frische, rotbraune Gesicht, der dunkelblonde Schnurrbart und die Hellen blitzenden Augen die greise „Behauptung" Lügen straften; wer die große, hagere Gestalt in leicht vornüber gebeugter Haltung von rückwärts sah, hielt sie für die eines angehenden Siebzigers. Doch war Kant dabei kerngesund und von tüchtiger, zäher Kraft — aber „Ihn bleichte der Nordpol,
Und im Feuer des Süd Fielen die Locken ihm aus!"
In seiner Vaterstadt Saalhausen besaß er ein altes, schloßartigcs Haus von massivem Bau mit verschwenderisch massenhaften Räumen; das hatte er im Laufe der Jahre in ein richtiges Völkermuseum verwandelt. Dort war alles in sachverständiger Anordnung zu sehen, von den Meisterwerken zivilisierter Künstler bis zu den einfachsten Zieraden und Waffen von Papuas, Indianern und Malayen, vom Fell des Eisbären bis zur schillernden Haut der Tropenschlange. Ein alter Diener hütete das Haus, der in Abwesenheit seines Herrn keinen Menschen mit
Ausnahme der ebenfalls lang eingebürgerten Scheuerfrau einließ. War Kant mal wieder in der Heimat, so hieß er jeden seiner Bekannten als Besucher und Bewunderer seiner Schätze willkommen. Wildfremde dagegen setzte er ohne weiteres vor die Thür, „sein Haus sei kein Taubenschlag!"
Er selbst aber flog nach Lust und Laune über Land und Meer aus. Den Tag seiner Abreise wußte niemand, denn der bewußte alte Friedrich stellte sich grundsätzlich dumm. Höchstens konnte der Büchsenmacher eine entfernte Andeutung über Reiseabsichten im allgemeinen machen. dieweil er gewöhnlich kurz vor einem neuen Globusbummel entweder inzwischen erfundene Gewehrmodelle vorzulegen oder die bisherigen Büchsen, Büchsflinten und Revolver in Stand zu setzen und frische Patronenvorräte zu beschaffen hatte. Das konnte aber auch täuschen, wie's manchmal vorkam. Kant reiste stets am frühesten Morgen ab. erschien am Abend vorher wie alltäglich im Stammkncipchen. trank wie immer zwei Gläschen und ging wie immer Punkt neun Uhr mit einem sanften „Gute Nacht, Herrschaften!" ruhig nach Hause. Von Abschied- nehmen war keine Rede, ebensowenig von besonderer Begrüßung, wenn er erst nach Jahr und Tag wiederkam.
Propper und modern bekleidet, frisch rasiert, erschien er sodann im Schützenhof Punkt sieben Uhr abends auf der Bildfläche, sagte gelassen „Guten Abend, Herrschaften!" und begab sich auf seinen sofort freigemachten Stammplatz. Dann bestellte er ein bischen Abendbrot, das selbstverständliche Pilsener dagegen wurde ohne unnütze Worte vom Wirte gebracht. Man kannte nun schon seit zwanzig Jahren diese Eigentümlichkeit des Wilden und respektierte sie aus Eigennutz und Gewohnheit, denn wer ihn ausfragen wollte, erhielt nur ein unwilliges Brummen zur Antwort.
That hingegen kein Mensch, als ob er Notiz von Kant's Rückkehr nehme, so taute er bald auf und erzählte sehr frisch und anregend von seiner Reise. Da kam's denn zum Beispiel heraus, daß er mittlerweile einen Besuch auf Grönland gemacht, dann quer durch Kanada nach den Bereinigten Staaten gerutscht war, um ein paar Bekannte aufzusuchen, und schließlich mit einem derselben in Südamerika den Puma und Jaguar gejagt hatte; ein paar schöne Häute schenkte er dem Herrenstammzimmer, die nächsten Tag fertig gegerbt und eingefaßt den Fußboden zierten
Bei einem dieser Kreuz- und Querzüge war er mal reingefallen. wie er selbst sich äußerte. Auf Jamaika that's eine wunderschöne Plantagen- besitzerstochter ihm an, noch mehr er ihr. Es ist schon eine Reihe von Jahren her, und sein äußerer Mensch strahlte damals noch in blondem, plattenlosem Jugendglanze.
Na, kurz und gut, die Leutchen heirateten und lebten einige Zeit in Tauben-Eintracht. dann aber wie Hund und Katze. Die junge Frau kam zwar mit nach Deutschland, brannte aber schon nach Monaten wieder vor dem rauhen Klima durch. Seitdem verharrten die beiden ohne gerichtliche Scheidung in örtlicher Trennung, „sie" schrieb die zärtlichsten Briefe und schickte eingekochte Südfrüchte und dergleichen in großen Kisten. Das letztere wußte man deshalb sehr genau, weil „er" diese Herrlichkeiten den Haus- flauen seiner Bekanntschaft zur Verfügung stellte. Das erster?, wegen der zärtlichen Briefe, dachte man sich, denn solche massenhaften Süßigkeiten können doch unmöglich von bitteren Worten begleitet sein.
(Schluß folgt.)
Mannheim, 21. Sept. Man schreibt dem M. G.-A.: Zum Beginn der Vorstellung im Saalbau erlaubte sich ein „Wizbold" vorgestern Abend, als der Kopfrechner Heimhaus auftrat, die Frage: „Wie viel ist 1X1? und empfing sofort die Antwort: „Wenn Ew. Gnaden sich dahinter stellen, machts — 10." Dieser verblüffende Bescheid beraubte, wie es schien, den wisscnsdurstigen Jüngling aller Lust zu weiteren Anzapfungen des Rechenkünstlers.
(In einer Preßwurst) sind schon die merkwürdigsten Dinge gefunden worden, aber der nachstehende Fall übertrifft doch alles. In Dornbach bei Wien hatte ein Heurigenbesucher eine Preßwurst gekauft und sie als Imbiß zum Heurigenschänker mitgenommen. Als er die Wurst zerschnitt und seinen Kollegen davon anbot, fand sich eine Schmetterlingspuppe in der Preßwurst, und als man den sonderbaren Fund bloßlegte. kam ein lebender Schmetterling aus der Puppe zum Vor- schein, der, offenbar beglückt über seine Befreiung, ganz munter zu fliegen begann! Unter den anwesenden Gästen beim Heurigen, so schließt die Mitteilung, erregte dieses „feurige Erreignis" nachhaltige Sensation. Man denke auch, das Auskommen eines Schmetterlings im September! Allerdings war aber dazu das Klima — einer Preßwurst nötig! — Na, na!
Witterungsbericht von Rud. Falb. Der September hat reichlich das gehalten, was er nach unserer Theorie versprochen hatte. Nachdem schon in den ersten Tagen die Niederschläge ziemlich ausgebreitet waren, erreichten dieselben am 5. und 6. ihr Maximum mit einer Höhe, wie sie äußerst selten an zwei aufeinander folg, enden Tagen aber überhaupt noch nie von uns notiert wurde. Wir hatten von 6. bis 11. Sep. eine auffallende Zunahme der Niederschläge in Aussicht gestellt und dort den 9. hervorgehoben, welcher in der That ein drittes Maximum in gleichfalls nicht unbedeutender Höhe brachte. Die Temperatur ging namentlich vom 7. bis 13. fast allenthalben ziemlich bedeutend unter den Mittelwert herab. Auch die im vorigen Wetterberichte vorausgesagten Schneefälle im Hochgebirge sindam 19.eingetreten. MitdemHerannahen des kritischen Termins I. Ordnung am 26. Septbr., welcher der drittstärkste des ganzen Jahres ist, dürften die Niederschläge neuerdings zunehmen und namentlich um den 27. stellenweise in Schnee übergehen. Unmittelbar darauf ist für einige wenige Tage trockenes Wetter zu er- warten. Doch schon um den 3. Oktober sind bei milder Temperatur ausgiebige Regen und unmittelbar darauf stellenweise Schneefälle und kaltes Wetter wahrscheinlich.
Lelegrarum.
Cuxhaven, 23. Sept. Die Herzöge Adolf, Friedrich und Heinrich von Mecklenburg sind heute hier eingetroffen, um die Bergung der Leiche ihres Bruders abzuwarten. Prinz Heinrich von Preußen ist mit dem Aviso „Greis" heute Nachmittag 4 Uhr hier eingetroffen. Die Stelle, an welcher das Torpedoboot 8 26 untergegangen ist, ist durch eine Boje bezeichnet.
Schwerin, 23. Sept. Der Hofmarschall der Großherzogin Marie, Herr v. d. Schulenburg, hat sich nach Cuxhaven begeben. Die ganze Stadt hat Trauerschmuck angelegt. Das Hoftheater wurde geschlossen. Alle Privatvergnügungen sind abgesagt.
Fiume, 23. Sept. Wie nunmehr fest- gestellt ist, ist der Kapitän des untergegangenen Schiffes „Jka" der an dem Unfall Schuldtragende. Den Kapitän des englischen Schiffes „Tiria" trifft keine Schuld. Matrosen der „Tiria" sprangen sogar auf seinen Befehl ins Wasser und kehrten erst dann an Bord zurück, als jeder mögliche Rettungsversuch erfolgt war. Die Handlungsweise des Kapitäns der „Jka" dagegen war völlig verwirrt und kopflos.
Paris, 27. Septbr. In Bliddah in Algerien haben gestern die einheimischen Schützen Unruhen hervorgerufen. Sie plünderten sämtliche Kaufläden der Stadt, wobei sie mit aufgepflanztem Seitengewehr vordrangen und die europäischen Kaufleute mißhandelten. Es kam zu mehreren blutigen Zusammenstößen. Truppen wurden in aller Eile zur Herstellung der Ordnung aufgeboten.
Tarent, 23. Aug. Bei dem längsten Wirbelsturme wurde inTorrizello3 Personen getötet und 9 verletzt. Der in dem Distrikte von Tarent durch den Sturm angerichtete Schaden wird auf 400 000 Lire geschätzt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.