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Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.
Wildbad. Ein hies. Kurgast sendet der „Straßb. Post" u. A. folgenden Bericht ein: Aus Wildbad, 16. Auq. Ueber dieses Dorado der Leute von Gicht. Rheumatismus u. Ischias kann man in den Blättern die merkwürdigsten Dinge lesen. Neulich wurde es als Weltbad im großen Stil bezeichnet, weil einige Exzellenzen und sonstige große Namen hier Heilung suchen und manche Rechnungen allerdings an Ansehnlichkeit nichts zu wünschen lassen. Aber das gute Wildbad ist zwar Weltbad in dem Sinne, daß die Heilwirkung seiner Quellen bisher noch unerreicht und teilweise auch unerklärt dasteht; im übrigen ist es. abgesehen von einigen Gasthäusern ersten Ranges, ein waldumgebenes Landstädtchen kleinen Stils und das gerade ist sein Vorzug Toilette machen nur einige Banquierssrauen und solche, die mit ihnen in unlauterem Wettbewerb stehen Sonst geht man und kann man gehen, so bequem wie man nur will, und in der Thal, wer früh genug aufsteht, um Genesungslustige morgens nach 5 Uhr schon in die Badehäuser wandelnd zu beobachten, kann merkwürdige Toilette zu Gesicht bekommen. Der wenigst schöne Tag in Wildbad ist, namentlich wenn er besonders schön ist, der Sonntag. Hier nimmt Pforzheim von der württembcrgischen Nachbar- stadr Besitz, und so liebenswürdig jeder einzelne Pforzheimer sein mag oder wirklich ist, durch die Masse wirken sie doch ungemütlich. Zu ihnen gesellen sich zuweilen noch die Stuttgarter nebst den Zwischcnstationsangehörigen mittels gelegen!- sicher Sonderzüge, dazu sämtliche Fahrradler bis Karlsruhe. Daß die Gast-, Wein- und Bierwirte von Wildbad diesen Massenbesuch mit freundlicherem Auge betrachten als der Kurgast, ist sehr begreiflich. Matador an solchen Tagen ist der Majordomus der Kuranlagen in feiner Prachtunilorm mit Dreispitz. Mit einem Scharfblick ohne gleichen und mit der freundlichsten Miene von der Welt leitet er diejenigen, die vergessen haben, ihr Eintrittsgeld zu entrichten, an den Tisch des Hauses und sorgt dafür, daß die Scherflcin zum Kurschatz nicht unter den Tisch fallen. Wie an anderen Orten bedeutet auch hier die Ansetzung der Anlagenbeleuchtung mtt Feuerwerk sehr oft Regen. Gestern aber lachte der Himmel der Sache und fing erst un- mittelbar nach Beendigung des Festes zu weinen an. dann aber ausgiebig wie eine beleidigte Ehegattin. Die Beleuchtung gibt in der Thal in den Waldadhängen und in den Wellen zauber- hafte Lichtwirkungen; sie werden in ihrer Wirkung nicht einmal durch das Eintrittsgeld von 1 und 2 -16 wesentlich geschädigt.
Pforzheim, 19. Aug. Daß man niemals den Tag vor dem Abend loben soll, zeigt bedauerlicherweise wieder die Typ husstatistik. Nachdem am Montag noch 2 Fälle und am Dienstag überhaupt kein Fall mehr zur Meldung kam, glaubte man schon, die schlimme Epidemie sei jetzt vollständig erloschen. Leider sind jetzt von Mittwoch allein wieder 16 neue Typhus» fälle aus der Stadt und 3 vom Lande, zusammen also 19 zu konstatieren. (Pf. B.)
Deutsches Kelch.
Die Besatzung der „Hohenzollern" ist des Lobes voll über die Kronstädter Tage. Die Mannschaften sind in einer Weise von der Petersburger Bürgerschaft ausgezeichnet worden, wie bisher noch nirgends im Auslande. Der Kaiser hat wiederholt seine Anerkennung über die tadellose Haltung der Marinetruppen aus- sprochen.
Ueber das Tragen der Erinnerungsmedaille durch das Militär ist jetzt ein einschränkender Erlaß erschienen. Das stete Tragen ist nicht statthaft. Sie dürfen nur im großen Dienst getragen werden und bei solchen Fällen, wo der Soldat im Ordonnanz- oder Parade- Anzug zu erscheinen hat, also bei Kirchgängen, Hochzeiten, Beerdigungen u. dgl.
Berlin, 17. Aug. Bei der Hauptsammelstelle für die Ueberschwemmlen sind bis heute Mittag rund 300000 -,16 eingegangen. In dieser Zahl ist die von der Stadt Köln gespendete Summe von 50000 »16 nicht enthalten;
sie war zunächst nur angemeldet, aber noch nicht eingegangen. 30000 -16 hat der Geheime Kommerzienrat Krupp in Essen bcigesteucrt. Außerdem hat ja die Stadt Berlin eine Million gespendet.
Berlin, 19. Aug. Der bekannte Heilkünstler Richard Mohrmann ist auf Grund eines Ersuchens der Staatsanwaltschaft zu Frank furt a. M. wegen fahrlässiger Körperverletzung und Betruges hier verhaftet worden.
Breslau, 19. Aug. lieber einen Teil Schlesiens sind neuerdings schwere Unwetter niedergegangcn. Mehrere Personen wurden vom Blitz erschlagen. In Rogan bei Zobten ist Typhus ausgebrochen infolge der Verseuchung der Brunnen durch das letzte Hochwasser. Die verseuchten Brunnen sind geschlossen
Aus Thüri ngen, 16. A ig. Thüringen, das bereits ein KrcmaIrorium in Gotha besitzt, hat jetzt ein z w e i t e s in der Unioersttäis- stadt Jena erhalten Dorr hat der Verein für Feuerbestattungswesen auf dem neuen Fried- Hose ein Krematorium errichtet, das heule ein- geweiht worden ist.
Kitzin ge», 19. Aug. Ein Feuer in der Hcllermann'fchen Weinha-ndlung in Dasselsbach entstand beim Abfällen von Spiritus. Dieser geriet in Brand. 5 Personen liefen brennend und hilferusend auf die Straß-; 3 von ihnen sind ihren Wunden erlegen, 2 liegen lebensgefährlich verletzt darnieder. Die Frau eines Arztes wurde vor Schreck über den Anblick der brennenden Personen vom Schlag getroffen und war sofort tot.
Karlsruhe. 17. Aug. Die „Karls ruher Zig " schreibt: „Die Hoffnung der Residcnzler, daß wenigstens ein Teil der Alb- thaldahn noch im Laufe dieses oder des nächsten Monats dem Verkehr übergeben wird, verringert sich mit jedem Tag. Trotzdem die Geleise von Karlsruhe bis Ettlingen schon seit eimgen Wochen fertig gestellt sind und auch die Arbeiten auf der Strecke Ettlingen-Marxzell schon so weit vorangejchritlen sind, daß eine Eröffnung dieser Teitstc-cke schon in allernächster Zeit wohl möglich wäre, heißt es jetzt, daß die Bahn erst nach Vollendung der ganzen Strecke Karlsruhe -Herrenatv dem Verkehrübergeben werden sollt." Diesem Gerücht wird auch von der „Bad. Landesztg." unter dem Ausdruck lebhaften Bedauerns Verbreitung gegeben.
Eine unerhörte Thal jugendlichen Mutwillens begingen am Donnerstag abend mehrere Knaben in Neuen heim bei Heidelberg, in dem sie einem 5jährigen Mädchen mit Gewalt eine kleine Kröte in den Mund steckten, die das Kind in seiner Angst hinunterjchluckte. Jetzt btfindet es sich zur Behandlung im akademischen Krankenhaufe.
Während im vorigen Jahre der August im ganzen nur einen Sommerlag brachte, weist der heurige August deren schon eine ganze Reihe auf. Die Zahl der Sommertage ist damit bis jetzt auf 40 gestiegen; das Vorjahr brachte es im ganzen nur auf 28.
Württemberg.
Nach einer Ankündigung im „Dtaatsanz." wird den K a m e r a l ä m l e r n öle Sorge für die öffentlichen Bauten abgenommen und den Bezirksbauämtern übertragen, dagegen wird der übrige Wirkungskreis der Kameralämter erweitert und letzteren der in Baden schon längst übliche Titel Finanzamt zugelegt werden. Man darf begierig sein, welchen Titel nunmehr die Kameralverwalter erhalten werden. Da die zweiten Beamten schon den Titel Finanzamtmann haben, so wird für den bisherigen Kameral- Verwalter wohl der Titel eines Ober-Flnanz- amtmanns oder Finanz-Oberamtmanns der nächst- liegende sein.
Anläßlich der Wirtsausstellung fand auch eine Versammlung des Württ. Wirts- Vereins statt, wobei eine Resolution angenommen wurde, welche mit großem Nachdruck die gänzliche Abschaffung des Umgelüs aufs Neue verlangt.
Der Stuttgarter Gemeinderat hat infolge des Anwachsens der Geschäfte beschlossen, einen zweiten besoldeten Gemeinderat
mit jährlich 8500 »16 Gehalt anzustellen und diesem zugleich den Vorsitz im Gewerbegericht zu übertragen. Es wird immer dringender nötig, daß in Württemberg endlich eine Städteordnung eingeführt wird, damit sich nicht die großen Städte den Verhältnissen der kleinen Gemeinden cmzubeqaemen haben.
Göppingen, 18. Aug. Bei derEtats- beratung ergab sich die Notwendigkeit, ein städtisches Defizit von 180000 -16 durch Gemeindeschadensumlage zu decken, voriges Jahr waren es 150009 -16 Die Ansprüche an die Stadt mit Herstellung neuer Straßen, Trottoirs, Fortführung der Kanalisation u. dgl. nehmen eben immer zu. Bei der langen Trockenheit hat sich auch gezeigt, daß die städtische Wasserleitung einer Vermehrung der Wasserzufuhr bedarf.
In Pfalzgrafe nweiler kamen einige >n einer Scheuer spielende Knaben auf den Gedanken, einander durch Hinaufziehen an einem seile zw unterhalten. Als der zuerst hinaufgezogene 6jährige Christian Rubel, einige Meter vom Boden entfernt war, rief er angsterfüllt feinen Kameraden zu. sie sollen ihn wieder hinablassen. Ungeschickterweise verließen diese sofort das Seil und der Kleine stürzte so unglücklich auf den Scheuerboden, daß er eine Stunde nachher seinen Verletzungen erlegen ist.
Ausland.
Felix Kaure»
der Präsident der französischen Republik, hat an diesem Mittwoch von Dünkirchen aus feine Reise nach Rußland angetreten, um den Besuch zu erwidern, den ihm im vorigen Jahre Zar Nikolaus II. in Begleitung seiner Gemahlin gemacht hat. Am Montag morgen 10 Uhr wird er in Kronstadt eintressen und vier Tage Gast des Zaren sein.
Wenn man die Vorgeschichte der Petersburger Reise Faures kurz ins Gedächtnis zurückruft. so kann man ein stilles Lächeln nicht unterdrücken. Es ist ja begreiflich, daß ein Volk» das so viel aus die schöne Außenseite, auf die Repräsentation und Pose giebt, sich ernsthaft den Kops darüber zerbricht, wie die natürliche Schlichtheit der bürgerlichen Demokratie dem Glanze höfischen Prunkes und höfischer Uniformen gegenüber sich am besten in Szene setzt. Das ist nun ja rm vorigen Jahre in Paris gelungen, in Petersburg aber wird der wirkungsvolle Hintergrund für den Präsidenten Frankreichs kehlen — und könnte es da dem einfach befrackten Faure nicht auch so gehen, wie in Paris, wo ein marokkanischer „Diplomat" den glänzend gekleideten Borreiter für den mächtigsten Mann Frankreichs gehalten hat?
Und dann die andere wichtige Frage — welchen Weg wird das Staatsoberhaupt ein- schtagen, um nicht durch irgend welche deutsche „Zudringlichkeit" belästigt zu werden? Was ist darüber nicht alles geschrieben worden in Frankreich! Geistreiche Franzosen haben schließlich selbst die Geißel des Spottes darüber geschwungen, und der „Figaro" hat sogar vorgeschlagen, daß sich Faure des Nordpolballons von Dr. Andrer bedienen solle, um nur ja dem deutschen Kaiser auszuweichen! Die Unermüdlichkeit, mit der diese Angelegenheit in Frankreich besprochen wurde» leitet zu den politischen Fragen über, die mit der Reise Faures verknüpft sind.
Hier hat unser Kaiser den Franzosen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der glänzende Empfang des deutschen Kaiserpaares in Petersburg, die zwischen beiden Kaisern gewechselten Versicherungen der Freundschaft und der Friedenspolrtik konnten an der Seine ihren Eindruck nicht verfehlen. Ein so freundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland schließt notwendig ein Bündnis Frankreichs mit Rußland zum gemeinsamen Vorgehen, namentlich wegen Elsaß-Lothringen, aus. Das muß sich jeder Franzose sagen. Was bleibt da noch von der vielbesprochenen russischen Freundschaft, fragen die unabhängigen Blätter. Mit sauersüßer Miene hat man in Paris auch wahrge- nommcn, daß in Rußland Anstalten getroffen sind, um die Begeisterung für Herrn Faure ein- zudämmen. Das große Fest, das die Stadt