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Meitcrge zu Ar. 107 des AnzLhüLers.

Neuenbürg, Sonntag den 11. Juli 1897.

An die Deutschen in der Ostmark und im Reiche.

Der Alldeutsche Verband beklagt die un­ausgesetzte Zurückdrängung des deutschen Volkes in Oesterreich und Ungarn aus der Stellung, die ihm die Geschichte innerhalb der österreichisch­ungarischen Monarchie cingeräumt hat, und erblickt in einer Politik, wie sie in den Sprachen­verordnungen des Ministeriums Badem zum Ausdruck gekommen ist. geradezu eine Gefährdung des zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich Ungarn zur Z it noch bestehenden Bündnisses.

Die Verhandlungen des Alldeutschen Ver bandstagcs in Leipzig vom 8. bis 10. Juni haben uns jedoch die erfreuliche Gewißheit gegeben, daß unsere Volksgenossen im Donaureiche nicht länger gewillt sind, die Bedingungen ihres völkischen Daseins Bestrebungen zum Opfer zu bringen, welche nicht nur deutschfeindlich, sondern auch mit dem Fortbestand der österreichisch-ungarischen Monarchie unvereinbar sind, und der Alldeutsche Verband spricht seine ganz besondere Freude und Genuglhuung darüber aus, daß vor kurzem noch heftig sich befehdende deutsch-österreichische Parteien zu gemeinsamer Abwehr dieser Be strebungen sich geeinigt haben.

Die Siege und die Niederlagen des Deutsch­tums in Oesterreich-Ungarn sind auch die unsrigcn und wir versprechen feierlich, nach Kräften dchin zu wirken, daß der von unseren Volksgenossen in Oesterreich für ihr gutes, völkisches Recht mutvoll geführte Kampf in immer weiteren Kreisen Verständnis, Teilnahme und Unter­stützung finde und so zu einer Angelegenheit des gesamten deutschen Volkes werde.

Im Aufträge des Alldeutschen Vcrbandstages.

Die Hauptleitung:

Dr. Hasse.

Unterhaltender Heil.

Ein Zeugnis.

Von Rechtsanwalt Dr. von Maasberg.

(Schluß.)

Frau Fahrland gab ihr Zeugnis ab. Nach ihrer Aussage hatte außer ihr selbst nur noch Luise Schmidt den Eintritt in das bewußte Zimmer. Das Geld sei aus einer Kommoden­schublade gestohlen, der im Koffer Luisens gefundene Fünfzigmarkjchein sei genau so eigen­artig geknifft gewesen, wie die fehlenden Banknoten alle.

Hat sich Ihr Verdacht sofort auf die Angeklagte gelenkt?" fragte ich.

O nein, mein Herr!" erwiderte sie.

War es Ihr eigener Einfall, den Koffer der Angeklagten zu durchsuchen?"

Nein, darauf hat mich erst meine Köchin gebracht."

Hanna Mullke?"

Ja wohl, mein Herr."

Damit trat Frau Fahrland zurück, um Hanna Muttke, als der nächsten Zeugin. Platz zu machen. Aus ihren hellgrauen Augen schncllforjchende Blicke werfend, die oft eigen­tümlich aus dem fernsten Winkel zu fahren schienen, trat sie vor und faßte auch mich in's Auge. Um den dicklippigen Mund zuckle es vorsichtig und schlau und sie schien sich selber zu sagen: Vor dem sei auf der Hut!" Ihre Zeugen­aussage lautete folgendermaßen:

An dem Abend, wo das Geld verschwand, sah ich Lisen die Treppe 'raufgehen und wie sie io ging und sich erst nach allen Seiten umsah. kam mir die Sache gleich nicht richtig vor und ich dachte mir, halt, die hat was im Anschlag. Ich ging ihr dann auf den Zehen nach und richtig sah ich, wie sie sich in die Stube von der gnädigen Frau schlich und die Thür behut­sam zumachte. Ich bückte mich um durch's Schlüsselloch zu sehen, und richtig steht sie vor gnädige Frau's Kommode, zieht die Schublade ^rous, kriegt das Geld zu packen und steckl's in ihre Tasche. Dann bückte sie sich, nahm die "" vom Fußboden auf, und wie ich nun

sah, daß sie wieder 'rauskommen wollte, machte ich, daß ich fortkam. Natürlich bin ich zu Madame gegangen und habe ihr denn auch vorgeschlagen, 'mal in Lise's Koffer nachzusehen."

Ich ersuche Frau Fahrland, nochmals vor- zutrclen.

Sie sagen, daß außer Ihnen nur die Angeklagte das Zimmer betreten durfte", bemerkte ich.Hanna Muttke hätte es somit auf Wunsch nicht betreten können?"

O doch, mein Herr. Ich meinte nur, daß keine fremde Person jemals hineinkam."

Wäre es Ihres Wissens möglich, daß Ihre Köchin Kenntnis davon hatte, wohin Sie Ihr Geld zu legen pflegten?"

Ganz gewiß wußte sie davon. Wenn die Gemüsevcrkäufer mit ihren Wagen vorüberkamen und ihre Waren ausriefen, habe ich Hanna oft genug hinunter geschickt, um Verschiedenes von ihr einkaufen zu lassen, und dabei mußte sie sehen, von welcher Stelle ich das Geld nahm."

Noch eine Frage. Hat die Angeklagte Geld ausgegeben, seit sie sich in Gewahrsam befindet?"

Nicht das ich wüßte, mein Herr."

Nunmehr ließ ich Hanna Muttke hervor- treten und so zuversichtlich sie auch zu blicken versuchte, merkte ich doch ein Zittern ihrer sandfarbenen Wimpern.

Fräulein Muttke", sagte ich,weshalb haben Sie Ihrer Herrin nicht augenblicklich Anzeige gemacht von dem, was Sie beobachtet hatten? Weshalb haben Sie damit gewartet, bis man Sie nach dem Verbleib des Geldes fragte?"

Weil cs mir um das arme junge Ding leid lhat", antwortete Hanna Muttke prompt.

Sie sahen also durch das Schlüsselloch, wie die Angeklagte das Geld fortnahm?"

Jawohl."

Wo setzte sie die Lampe hin, während sie das that?"

Auf den Schreibtisch."

So. In Ihrem Zeugnis sagen Sic aber, daß die Angeklagte sich bückte, als sie die Lampe aufgehoben habe.

Schon gut", sagte ich.Wie lange stehen Sie bei Frau Fahrland in Dienst?"

Fünf Monate."

Wieviel Lohn bekommen Sie monatlich?"

Zwanzig Mark."

Haben Sie Ihren Lohn bereits abgehoben, seit Sie bei Frau Fahrland sind?"

Zum Teil."

Wie viel?"

Das weiß ich nicht."

Warum wissen Sie das nicht?"

Gott, weil ich mir's nicht ausgeschrieben habe. Ich ließ mir verschiedene Male was geben, wie ich's gerade brauchte."

Wenn Sie nun der Angeklagten hätten einen Schabernack spielen wollen, wäre es Ihnen doch wohl möglich gewesen, ihr die fünfzig Mark in den Koffer zu praktizieren.

Aber, Herr. . .! Herr . . .!" rief sie in tugendhafter Entrüstung.

Sie haben also bei Ihrem Dienstantritt bei Frau Fahrland kein Geld bei Seite gelegt."

Nein höchstens, was ich bei der gnädigen Frau stehen habe."

Sie besaßen demnach keine fünfzig Mark, als Sie hinkamen?"

I bewahre und außerdem ist ja der Fünfzigmarkschein, den wir in Lisens Koffer gefunden haben, derselbe, der unserer gnädigen Frau gestohlen worden ist. Mir scheint, das könnten Sie so gut gehört haben wie ich."

»Aus welcher Stadt sind Sie?" fragte ich. ohne ihre Dreistigkeit einer Rüge wert zu achten.

Einen Augenblin schien ihr Blick die Ruhe zu verlieren, aber sie sagte endlich:

Aus Neudorf."

In Ostpreußen, nicht wahr?

Ja. . ."

Ich wandte mich an Frau Fahrland.

Besitzen Sie vielleicht ein Schriftstück Hanna Muttke's?"

O, mehr als eins," sagte sie.Wenn Ihnen das Heft genügt, in welches sie die Ausgaben für die Küche einträgt?"

Das genügt."

Wenn es demnach gestattet ist", sagte sie zu dem Vorsitzenden,so könnte ich ja das Büchelchen holen. Ich wohne ja sowieso nicht weit von hier."

Da der Vorsitzende nichts einzuwcnden hatte, entfernte sich Frau Fahrland und kehrte sehr bald mit dem kleinen Heft zurück, in das die Köchin ihre Auslagen eintrug. Ich prüfte einen Augenblick die Krähenfüße dieser zickzack­laufenden Schrift.

Nun, Hanna Muttke", sagte ich darauf, möchten Sie mir und dem verehrten Gerichts­hof vielleicht auseinandersetzen, woher Sie die zweihundcrtundfünfzig Mark genommen haben, die Sie vor ungefähr vierzehn Tagen nach Neudorf in Ostpreußen an Ihre Schwester Christiane Muttke schickten?"

Hanna Muttke fuhr zusammen, als hätte Donner und Blitz vor ihren Füßen eingeschlagen. Sie wurde leichenblaß und begann an allen Gliedern zu zittern. Ich wartete bis die An­wesenden sich von ihrer Aufregung überzeugt hatten und wiederholte dann meine Frage.

Ich ich ich habe gar kein Geld weggeschickt", stotterte sie endlich und auf ihre dicken roten Backen traten beängstigend blaue Flecke.

Das thaten Sie wohl!" donnerte ich, denn nun schwoll mir der Kamm.

Nein nicht wahr ich thal's nicht", stammelte sie und griff nach dem Geländer, vor welchem sie stand, um nicht zu sinken.

Ich sah sie so lange an, bis Hanna Muttke's Augen den Boden suchten, dann wandte ich mich an den Gerichtshof.

Ich habe einen jungen Mann zu ver­teidigen". sagte ich,den man der Mitlhäter- schaft bei dem jüngst verübten Postüberfall bezichtigt. Die ihres Wertinhalts beraubten Briefe sind mir zur Kenntnisnahme übergeben worden. Als ich den Namen Hanna Muttke hörte, besann ich mich, daß sich unter den auf­gerissenen Geldbriefen ein an Fräulein Muttke gerichteter befand, der mit dem Namen Hanna unterzeichnet war. Diesem Brief waren zwei- hundertundfünfzig Mark eingelegt» und zwar ist er am Tage nach dem verübten Diebstahl aufgegeben worden. Wenn Sie gestatten, lese ich Ihnen den Brief vor.

Der Vorsitzende nickte und ich las den Brief vor, der übrigens kein anderes Datum trug, als den des Poststempels auf dem Kouvert.

Schwester Kriftel, hierdrinne, ßicke ich Dir dsweihundertundvunvdsig Merker, hep sie mir auf, bis ich heimkhomme. hic kann ich sie nichd aufhepen, weil man sie mir schielen kann. Schbrich dsu niemanden nichd ein Wort dariber, west nimanden wissen soll, bas ich gelt hap. nichd du sagsd nichts unt nimand nicht, meine schdelle ist ausgedscichnet nur die nichvs- nudse Life Schmit möchd ich gar dsu gern raus- krigen. ich denke ich haps ir besorgt, schreib inchds von ir. grüsse alle die nach mir fragen. Diz isd von deiner Schwester bis in tod.

Hanna."

Hier der Brief", fuhr ich fort,und hier das Einschreibebüchlein. Wollen Sie Schrift und Orthographie vergleichen. Hier die Adresse in der gleichen Schrift. Die Sache scheint mir klar genug. Von den dreihundert Mark wurden zweihundertundfünfzig zur Schwester geschickt und fünfzig in den Koffer der Angeklagten gesteckt, um den Verdacht von der Schuldigen abzulenken."

Die Dokumente wirkten so stark auf den Gerichtshof ein, daß er, ohne sich zurückzuziehen,