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Berlin, 9. Nov. Angesichts der großen Arbeitslast, welche der Reichstag durch die Beratung des Zolltarifes zu bewältigen hat, macht sich die Befürchtung geltend, es könne die dringende Börsenreform dadurch in den Hintergrund gedrängt und in dieser Session gar nicht mehr vorgelegt werden. Diese Befürchtungen sind nach der Nationalliberalen Correspondenz unbegründet. Der Entwurf zu einer Revision des Börsengesetzes wird dem Reichstage sicher zugehen.
Berlin, 9. Nov. Wie einer parlamentarischen Correspondenz von beteiligter Seite mitgeteilt wird, sind die Vorarbeiten für die Revision des Krankenversicherunngsgesetzes eifrigst in Angriff genommen worden. Ein Abschluß ist jedoch noch nicht herbeigeführt.
Berlin, 9. Nov. Dem Lokal-Anzeiger wird aus Bern depeschiert: Der „Bund" bezeichnet eS als ein Verbrechen an den Buren, weil der Bundesrat gestatte, daß den Engländern von den Schweizer Milchsiedereien große Mengen condensierter Milch geliefert werden, wodurch Englands längere Kriegführung ermöglicht und zugleich der Butterprcis in der Schweiz unerhört verteuert werde.
Berlin, 9. Nov. Zwischen der deutschen und der britischen Regierung ist über die Entschädigungs-Ansprüche der aus Südafrika ausgewieseuen Reichs-Angehörigen ein Abkommen getroffen worden. Nach längeren Verhandlungen wurde von der britischen Regierung anerkannt, daß man auf dem eingeschlagenen Wege schwer zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen könne. Unter Verzicht auf die Prüfung der einzelnen Fälle wurde deshalb zur Befriedigung der Entschädigungs-Ansprüche eine Pauschalsumme vereinbart, deren Verteilung unter die Berechtigten den einzelnen Regierungen Überlasten bleibt. Für die deutschen Entschädigungs-Ansprüche ist ein Pausch- Quanrum von 30 000 Pfund Sterling gesichert worden. Dieser Betrag ist ausreichend zum Ersatz aller unmittelbaren Schäden, soweit solche sich nach den Ermittelungen der deutschen Bevollmächtigten als berechtigt herausgestellt haben.
» Wien, 10. Nov. Wie verlautet, haben die österreichischen Behörden, der Gefährlichkeit des Unrernehmens Rechnung tragend, ihre Zustimmung zu der geplanten Automobil-Wettfahrt Paris-Wien nicht erteilt.
Graz, 8. Nov. Das Pulverwerk in Rudersdorf ist heute vormittag in die Luft geflogen. Nähere Einzelheiten fehlen noch.
Fiume, 10. Nov. Hier wurden neuerdings 820 Pferde für englische Rechnung nach Südafrika verschickt.
Abbazia, 9. Nov. Für die deutsche Kaiserin, welche Ende Januar zu zweimonatlichem Aufenthalt hier cintrifft, wurden bereits Appartements bestellt. Kaiser Wilhelm wird zu Ostern die Kaiserin von Abbazia abholen.
Paris, 10.Novbr. Aus Nizza wird berichtet, der Zar werde diesen Winter in Cap Martin verbringen. Baron Urusow befinde sich bereits dort mit dem Aufträge, die Vorbereitungen zur Zarenreise zu treffen.
Romans (Dep. Drüme), 9. Nov. In einem hiesigen Restaurant kam es zwischen beurlaubten Soldaten und Offizieren zu einem Streit. Schließlich fielen die Soldaten über die Offiziere her und verwundeten drei sehr schwer.
London, 8. Novbr. Aus Peking wird gemeldet: Der Statthalter Choufou ist zum Nachfolger von Li-Hung-Tschang ernannt worden.
London, 3. Novbr. DaS Blatt „Natal Witneß" veröffentlicht ein Inserat zur Anwerbung von Freiwilligen für Südafrika- In demselben heißt es u. A.: „70°/„ des Ertrages der Beute wird unter die Offiziere und Soldaten verteilt." Eine sichere, gute Einkunft. (!)
London, 9. Nov. Hiesigen Blättern zufolge hat die Firma Rothschild als Weih - nachtsgabe für die englischen Truppen 4000 Tabakpfeifen, 200000 Cigaretten und eine große Quantität Tabak nach Südafrika gesandt- Es soll dies bereits die 20. derartige Sendung sein.
Petersburg, 9. Novbr. Der Finanzminister Witte richtete an Kaiser Nikolaus folgendes Telegramm: „Am 19. Juli 1891 legten Cure Maj. eigenhändig in Wladiwostok den Grundstein zum ersten Glied der großen sibirischen Eisenbahn. Heute, am Jahrestag Ew. Maj. Thronbesteigung, ist die Linie der großen chinesischen Eisenbahn beendet. Aus voller Herzensfreude wage ich, Eurer Maj. meinen unterthänigsten Glückwunsch zu diesem geschichtlichen Ereignis darzubringen. Mit der Schienenlegung in einer Länge von 2400 Werst von Transbaikalien bis Wladiwostok und Port Arthur ist unser Unternehmen in der Mandschurei beendet, wenn auch noch nicht völlig fertig. Trotz der ausnahmsweise schwierigen Bedingungen und Zerstörung eines großen Teils der Linie im vorigen Jahre kann vom heutigen Tage an auf der ganzen Linie ein vorläufiger Verkehr stattfindcn. Ich hoffe, daß binnen 2 Tagen alle übrigen Arbeiten zu Ende geführt werden und die Bahn für den beständigen und regelmäßigen Verkehr eröffnet wird." Der Kaiser erwiderte hierauf: „Ich danke aufrichtig für die freudige Mitteilung und beglückwünsche Sie zu der Beendigung eines der größten Eisenbahnunternehmcn der Welt in so kurzer Frist inmitten unglaublicher Schwierigkeiten."
New - Z) ork, 8. Novbr. Fün§ von den Staatsgefangenen, welche in dem Gefängnis von Lcavcnworth meuterten und auf Pferden, die sie Farmern gestohlen hatten, flohen, wurden heute in einer Scheune, 25 Meilen von Leavenworth entfernt, von Bürgern umzingelt. Da sie sich nicht ergeben wollten, feuerten die Bürger, töteten 3 und verwundeten 2.
„Guter Himmel, Mr. soll das sein und auf wen
Ashfold, Sie erschrecken mich! Was für ein Geheimnis hat es Bezug?"
nach Jsny fahrende Postwagen beraubt worden. Es fehlt ein Geldbrief mit 1500 und ein solcher mit 8100 außerdem die ganze Briefpost von Zug 609 und die Briespost von Röthenbach. Die Räuber sind entkommen.
Krefeld, 8. Novbr. Bei dem heurigen Fest-Bankett hielt der Handelsminister Möller eine bedeutsame programmatische Rede, in welcher er zum Beschreiten des Mittelwegs des Ausgleichs rät, da die Landwirtschaft nicht fallen gelassen werden darf.
Berlin, 8. Nov. In der Strafsache gegen die 5 Mann von der Besatzung der „Gazelle" wurde nach einem Telegramm ans Kiel nach elf- stündiger Sitzung das Urteil verkündet. Der Obermatrose Weiß wurde unter Freisprechung von der Anklage, Geschützteile über Bord geworfen zu haben, wegen Achtungs-Verletzung, Gehorsams-Verweigerung und Beleidigung seines Vorgesetzten zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Matrose Groger wurde von der Anklage der Bedrohung mit einem Verbrechen freigesprochen, dagegen wegen der Abfassung und des Singens eines Spotlliedes auf den Kommandanten zu sechs Atonalen Gefängnis, und der beim Singen beteiligte Obermatrose Genz mit drei Monaten Gefängnis bestraft. Bas Urteil gegen den Wachtmeistersmaat Kunze lautet auf drei Monate Gefängnis und Degradation. Auch wurde wegen Fluchtverdacht sofortige Verhaftung vorgenommen. Der Matrose Peike, welcher Groger zur Abfassung des Liedes einige Ausdrücke mitgeteilt hatte, kam mit drei Wochen Mittelarrest davon.
Berlin, 8. Novbr. Ueber Li-Hung- TschangS Tod wird dem Lokal-Anzeiger noch aus Peking über London gemeldet: Li-Hung- Tschangs Gattin, zwei Söhne und eine Tochter waren an seinem Sterbelager. Viele chinesische Beamte drängten sich im Damen. Prinz Tschun, der dem Hofe entgegenreist, wurde herbeigerufen. Wie Tr. Goltmann, einer der behandelnden Aerzte, erklärte, wurde er am 1. November zu Li-Hung-Tschang gerufen. Er fand ihn sehr schwach infolge starker Blutungen, die durch Geschwüre in der Nase veranlaßt waren. Die Blutungen wurden leicht gestillt, doch konnte nur leichteste Nahrung eingeführt werden. Am 6. November, 2 Uhr morgens, wurde Li-Hung-Tschang bewußtlos und Symptome von Kohlensäure-Vergiftung traten ein. Die Behörden hegen Befürchtungen für feindliche Demonstrationen gegen die Ausländer. Die chinesischen .Generale verteilten deshalb Truppen über die Stadt. Mehrere ausländische Gesandte statteten bereits Beileids-Besuche ab.
Berlin, 8. Novbr. Ter Lokal-Anzeiger meldet aus London: In politischen Kreisen wird versichert, das Cabinet habe beschlossen, den Buren gegenüber zuerst unbedingte Unterwerfung zu verlangen und darnach erst Friedens-Bedingungen zu stellen.
Erstaunt tUer diese Kühnheit warf die Lady den: kleinen Mann einen äußerst ungnädigen Blick zu.
„Ich habe keine Geheimnisse vor Miß Paget und wünsche, daß sie zugegen ist."
Der Advokat wurde rot vor Aerger über diese Zurückweisung seines Verlangens, aber er begnügte sich, die Achseln zu zucken und in höflichstem Ton zu erwidern : „Gewiß, gewiß, wenn Sie es wünschen! Ich bitte jedoch nicht zu vergessen, daß ich um eine Unterredung unter vier Augen gebeten hatte."
„Ich werde es nicht vergessen!" war die kurze Antwort. „Und nun kommen Sie, Miß Paget!"
Die Gesellschafterin folgte dieser Aufforderung ohne Zögern; sie war durchaus nicht erstaunt darüber, denn seit dem Tode des Grafen hatte Lady Culwarren ihr alle Geschäfts- und Hausangelegenheiten übertragen und sie zu ihrer vertrauten Freundin und Beraterin gemacht, auf dis sie sich unbedingt verlassen konnte.
Als die drei das Bibliothekzimmer erreicht und diez Thüre verschlossen hatten, begann der Advokat mit leichtem Räuspern: „Ich möchte Sie nicht beleidigen, Milady, aber ich mußte Sie noch ein letztes Mal daran erinnern, daß meine Mitteilung an Sie durchaus prieater Natur ist."
„Und ich wiederhole Ihnen," rief die Gräfin aufgebracht, „daß ich alles Vertrauen in Miß Paget setze und durchaus ihre Anwesenheit wünsche. Sie ist vollständig in alle Verhältnisse unseres Hauses eingeweiht."
„Wie Sie wünschen, Milady!" entgegnete der Advokat gelassen, „ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß es zuweilen Familienverhältnisse giebt, die mit den übrigen Verhältnissen nichts zu thun haben. Zürnen Sie mir daher nicht, wenn ich Ihnen im Verlauf unserer Unterredung Enthüllungen machen muß, die Sie vielleicht lieber allein gehört hätten."
„Diese Frage habe ich erwartet; bevor ich sie jedoch beantworte, muß ich eine kleine Erklärung vorausschicken. Seit zehn Jahren bin ich im Besitze eines kleinen Päckchens, welches Ihr verstorbener Gemahl an mich adrejsirte mit der Anordnung, es erst am 13. August dieses Jahres — also heute — zu öffnen."
„Wie sonderbar!" bemerkte die Gräfin. „Miß Paget, ich weiß, Sie besaßen das Vertrauen meines Gatten. Hat er je dieses Paket gegen Sie erwähnt?"
„Niemals, Lady Culwarren."
„Gegen mich auch nicht. Und doch ist es seltsam, daß er, wenn er Privatbestimmungen zu hinterlassen hatte, diese nickt mir, seiner Gattin übergab."
„Gewiß, gewiß!" nickte der Anwalt. „Aber bedenken Sie, Milady, das Päckchen sollte zehn Jahre uneröffnet bleiben. Würden Sie unter den obwaltenden Verhältnissen die Geduld gehabt haben, diese Anordnung zu befolgen?"
„Ich gebe zu, daß die Versuchung groß gewesen wäre. Aber bitte, lass n Sie uns hören, was Sie fanden! Hoffentlich keine zweite Familie oder etwas Aehnliches!"
„Nein, nein, Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Als ich gestern zu Sir Hugh-Loftus gerufen wurde, nahm ich das Paket gleich mir und heute früh habe ich es geöffnet."
„Nun, und-?"
„Es enthielt gewisse Mitteilungen in Bezug auf einen jungen Mann, in der Gesellschaft unter dem Namen Antony Melstrom bekannt."
(Fortsetzung folgt)