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unsere augenblickliche innere politische Lage. Wenn Staatssekretär Dr. v. Bötticher dieser Tage im Reichstage auf eine „Anzapfung" Eugen Richter's mit harmloser Miene erklärte, es gebe gar keine Ministerkrisis, so war dies natürlich blos ein kleiner Scherz, der sich frei- sich gerade im Munde des Herrn v. Bötticher ähnlich wie „Galgenhumor« ausnahm. Offen- bar ist es gegenwärtig aber ganz unmöglich zu sagen, wann und in welcher Weise eigentlich die vermuteten Veränderungen in der Reichs- regierung und in der preußischen Regierung ein- treten werden, doch dürfte eine längere Hinaus- ziehung der thatsächlichen Entscheidung schwerlich platzgreifen. In den umlaufenden Gerüchten über die zu gewärtigenden ministeriellen Ver- ändcrungen wird letzt auch besonders der Name des deutschen Botschafters am italienischen Hofe Herr v. Bülows genannt. Herr v. Bülow ist von Rom nach Kiel zum Kaiser entboten worden, welche Berufung von verschiedenen Seiten dahin aufgefaßt wird, daß der genannte, sehr begabte Diplomat zunächst zum Stellvertreter und schließlich zum Nachfolger des beurlaubten Staats- sekretärs des Auswärtigen v. Marschall bestimmt sei. Manche Leute erblicken sogar in Herrn v. Bülow den dereinstigen Reichskanzler. Weiter will man in Düsseldorf wissen, der dortige Re- gierungspräsident Freiherr v. Rheinbaben solle Reichsschatzsekretär an Stelle des Grafen Posadowski werden. Daneben tauchen allerhand Mutmaßungen über das Programm der Regierung nach ihrer erwarteten Umbildung auf, welche sich aus die programmatisch zugespitzten Kaiserreden von Bielefeld und Köln stützen. Da man aber noch nicht einmal genau weiß, wer die „kommenden Männer" eigentlich sein werden, so verlohnt es sich wahrhaftig nicht, auf die angebliche Programmfrage näher einzugehen
Inzwischen ist der Schluß der Reichstag s j e s s i o n erfolgt, da der Scniorenkonvent des Reichstages in Uebereinstimmung mit den verbündeten Regierungen beschlossen halte, nach definitiver Erledigung der Handwerker-Borlage, der Beamtenbesoldungs-Borlage, der letzten Nachtragsetats und des Servistarifs keine weiteren Gegenstände mehr zur Verhandlung zu ziehen. Gewiß hätte es der Reichstag sehr gerne gesehen, wenn die signalisierten Veränderungen in der Regierung noch während seines Zusammenseins in die Erscheinung getreten wären, aber da bis dahin vermutlich noch Wochen vergehen dürften, so konnte der Reichstag auf die Entscheidung der Krisis nicht warten. Mit dem Reichstags- schlusse wäre also jene Rtesensejsion zu Ende gegangen, welche bereits am 3. Dezember 1895 eröffnet wurde und deren erste Hälfte bis zum L. Juli dauerte, indeß die nun ebenfalls abgeschlossene zweite Sessionshälfte am 10. Novdr. 1896 anhob. Der erste Teil dieser ganzen Session wird durch das Zustandekommen des großen Werkes des Bürgerlichen Gesetzbuches charakterisiert, daneben ragen als sonstige Hauptergebnisse die Gesetze über die Reform der Börse und zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs hervor. Die zweite Sejstonshälfte hat namentlich das Gesetz über die Organisation des Handwerks, das Auswanderungsgesetz, das neue Handelsgesetzbuch u. s. w. gezeitigt, während anderseits die wichtige Justiznovelle, die verschiedenen sozialpolitischen Novellen und noch andere Vorlagen gescheitert sind.
Der Kaiser hat dem Pastor v. Bodel- schwingh 5000 Mk. zum Besten seiner Wohl- thätigkeitsanstalt gespendet. Der Kaiser hat diese Anstalt kürzlich gelegentlich seiner Rheinreise besichtigt. Die Kaiserin hat die von Bielefelder Freunden und Mitgliedern des kirchlichen Hilfsvereins ihr überreichten 12500 Mk. dem Pastor v. Bodelschwingh mit der Bestimmung übersandt, daß diese Summe kapitalisiert, die Zinsen aber zum Besten der Anstalten verwendet werden sollen.
Die reichsgesetzlichc Regelung des Hypothekenwejens ist jetzt von neuem in Angriff genommen worden. Vom Reichsjustizamte sind zunächst eine Anzahl Sachverständiger vernommen worden, um sich über eine Reihe wichtiger, das Hypothekenbankwesen
betreffende und in dem aufzustellenden Gesetzentwurf zu entscheidende Fragen gutachtlich zu äußern.
Der 26. Abgcordnetentag des deutschen Kriegerbundes, der gegenwärtig etwa 11000 Vereine mit rund 900000 Mitgliedern umfaßt, hat in Cottbus mit großer Mehrheit die Er- richtung eines preußischen Landeskriegerverbandes als Glied des Deutschen Kriegerbundes beschlossen. Der Verband soll spätestens am 1. Januar 1899 ins Leben treten.
Leipzig, 24. Juni. Im Zahnatelier von Werndl in der Kurprinzstraße erfolqte heute eine Spiritusexplosion. Der 18jährige Zahntechniker Arkhur Höpfel verbrannte bis zur Unkenntlichkeit.
Zwei Riesengeschütze der Krupp'scheu Werkstätten sind mit der Bahn in Hamburg angekommen, um von dort am 30. d. M. mit dem Bremer Dampfer „Marie Rickmers" nach Shanghai abzugehen. Die beiden Kolossal geschütze, von denen eins 160 und das andere 420 Zentner wiegt, sind von der chinesischen Regierung extra bei Krupp bestellt worden. Der Dampfer nimmt übrigens außer Maschinenteilen auch noch verschiedenes andere Kriegsmaterial, ebenfalls in deutschen Fabriken gearbeitet, für die chinesische Regierung an Bord.
Aus der badischen Rheinebene, 20. Juni. Gerade grausig ist der Anblick der Apfelbäume, soweit man auch reisen mag! Alles behängen mit Raupennestern voll lebendigen Gewimmels, das Laub zumeist abgefreffen, abgedorrt Und die spärlichen Früchte selbst schon abstehend. Ganz entsetzt fragt man aber auch gleichzeitig: wo sind denn die Raupenvertilger hingekommen, unsere Singvögel? Und das wendet den Blick wieder erneut auf die That- sache hin. daß unsere forst- und landwirtschaftlichen Kulturarbeiten selbst das Aussterben der so nützlichen Singvögel mit im Gefolge haben. In unserer Jugendzeit gab es allüberall dichte Gehäge von Hagenbuchen u. s. w. zur Einfriedigung der Gärten. Eine wahre Zer- störungswut hat sich hiergegen entwickelt, weil solche Gehäge auch Schnecken u. dergl. Ungeziefer beherbergten. Grade der Forstbehörde fügt man am meisten nach, daß sie allüberall solche Haag-Dickichte, wo sie an Waldsaum, Rainen u. s. w. bestanden, ausrotten lasse. Sollte der jetzige Mangel an Raupen vertilgenden Singvögeln hierin nicht zum Systemwechsel einladen? Durch die neueste Mode, überall durch Drahtgeflechte einzuzäunen, wird den letzten Zufluchts- und Brutstätten der Singvögel vollends der Garaus gemacht. Erfahrene Landwirte klagen schon lange darüber, und werden die Nachricht begrüßen, daß in Hessen zum besten für die Singvögel gesorgt wird, sodaß nunmehr Hecken u. s. w. in der Brutzeit der Vögel nicht mehr gestutzt werden dürfen. Sollte nicht die Anlage geeigneter Heckendickichte zum Schutz gegen Raubvögel und Knaben angeordnet werden?
Württemberg.
S t u t t g a r t, 25. Juni. Bei der heutigen fortgesetzten Beratung des Sleuertarifs erklärte Minister v. Riecke die Progressionsgrrnze von sechs Prozent unter Berufung auf seine Erklärung in der Kommission für unannehmbar. Wenn der Kammer an dem Zustandekommen des Gesetzes etwas liege, so möge sie darauf Rücksicht nehmen. Er wenigstens würde seine Unterschrift nie unter ein derartiges Gesetz setzen.
Ausland.
Athen, 24. Juni. Das Räuber- nnwesen in Mittelgriechenland nimmt erschreckende Dimensionen an. In den thessali- schen Bergen wurde vom Mittwoch bis Samstag vorige Woche ein Dorf durch eine Bande von mehr als 100 Mann belagert. Doch gelang es den Bewohnern, nachdem sie Zuzug aus anderen Dörfern erhalten hatten, die Räuber zu vertreiben und 7 davon zu töten.
Mit Bestimmtheit verlautet, daß der Sultan entschlossen ist, die türkische Flotte auf deutschen Werften einer eingehenden Reparatur
zu unterwerfen, und zwar sollen die Schiffe mit Elite-Mannschaften an Bord sofort nach Friedensschluß abgehen.
Unterhaltender Teil.
Eine Hundegeschichte.
Eine Erzählung von Franz Walter.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Als er nach acht Tagen wiederkam, däuchte es ihm, als wenn Alle noch freundlicher zu ihm wären. Asta musizierte jetzt nicht mehr so lange mit seinem Intimus, und nahm nicht blos au der allgemeinen Unterhaltung regen Teil, sondern schien auch besonderes Wohlgefallen an Zwiegesprächen mit Willy zu finden. Nach diesem geselligen Abend wollte ihm das Wort „Heiraten" nicht mehr aus dem Kopf. Er überlegte sich Alles, wie es seinem Alter und Charakter angemessen war» auf das Reiflichste und kam zu dem Entschluß, daß es nicht blos das Schönste, nein auch das Beste für ihn sei, sich zu ver- heiraten, natürlich mit „seiner" Dame, Asta von Langen, die ja auch für ihn Interesse empfand. Seine Pflegeeltern, obgleich sie nichts mehr zu sagen hauen, würden eine Heirat mit einer so liebenswürdigen jungen Dame sicher willkommen heißen und die Angehörigen seiner Angebeteten, und vor Allen Frau von Langen selbst, hatten augenscheinlich nichts dagegen. Nannten sie ihn doch Alle: „Unser lieber Herr Fleischhauer" und Fräulein Jsabella, das Stiftsfräuleia fügte mit schmachtendem Augenaufschlag das Kompliment hinzu: „Sie sind eine Perle von einem Mann!"
Nachdem er so nach reiflichster Ueberlegung mit sich im Klaren war, wollte er auch seinen Entschluß ausführen. Doch da überkam lhn wieder seine Schüchternheit, die er im Hause Langen seit unendlicher Zeit nicht mehr empfunden hatte. Doch sein Freund müßte Rat schaffen. Er war ja in allen gesellschaftlichen Angelegenheiten Matador. Am nächsten Tage deckte er also sein ganzes Herz seinem Intimus Otto auf, der ja sein wahrer Freund war. Derselbe hörte ruhig zu, nach Willy'A Ansicht sogar etwas zu ruhig, und als er nun endlich um Rat gefragt wurde, wie Willy e- wohl anstellen sollte, um seiner angebeteten Asta sich zu erklären, klang es eigentümlich kühl aus Kerns Munde:
„Das muß Jeder allein wissen, dafür giedt es keinen Briefsteller. — Doch ich muß jetzt gehen, adieu!"
Damals begriff Willy seinen Freund nicht, doch bald sollte dieses Problem ihm gelöst werden.
Er ging nach wie vor des Sonntags zur Familie von Langen, fand Otto Kern regelmäßig dort, und es schien ihm, als wenn derselbe mehr denn je sich die Gunst der schönen Asta zu erhalten suchte. So verging der Winter. I» der warmen Jahreszeit traf man sich nicht mehr in der jo gemütlichen Wohnung in der Befiel- straße, sondern die Zusammenkünfte wurde« nach Charlottenhos, einem Kaffeerestaurant i» Tiergarten verlegt. Wenn dann Abends der Heimweg angetreten wurde, ging Willy mit Asta voran» aber immer blieb Otto an ihrer Seite. Das schöne Mädchen schien indessen de» soliden Fleischhauer zu bevorzugen.
Eines Sonntags erschien Otto nicht i« Charlottenhof. Er hatte am Morgen eine« Brief an Frau von Langen gerichtet, in de« er ihr mitreilte, sein Onkel ser gestorben, und er müßte zum Begräbnis nach Nürnberg reise«. An diesem Abend ging Willy allein mit seiner Angebeteten voraus. Unter den rauschende« Bäumen des Tiergartens, beleuchtet vom sanfte« Mondenlicht, da fand er das richtige Wort, daS von Herzen kommt und zu Herzen geht, da fanden sich im ersten LiebeSrausch Lipp' aas Lipp' und in seeliger Umarmung hielten sich Beide kurze Zeit umsangen. Der Bund für- Leben war geschlossen! sie war sein! — Da Frau von Langen mit ihren Geschwistern bald hinter ihnen war, so eilten sie Beide wieder voraus, um allein zu sein. Willy wollte gleich am nächsten Morgen bei der Mutter um die Hand seiner Asta auhalten, doch wehrte sie ihm.