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Der Reichstag und das preußische Abgeordnetenhaus haben nunmehr ihre Verhandlungen wieder ausgenommen. Im Reichstage hat man nur noch einige Vorlagen in dritter Lesung zu verabschieden, wobei schwer- lich noch besondere Schwierigkeiten zu erwarten sind, so daß der Schluß der Reichstagssession möglicher Weise schon Ende der Woche erfolgt. Die aufgetauchten Gerüchte, es solle dem Reichs­tage in dem nachpfingstlichen Sessionsabschnitte noch eine ganz neue Marinevorlage unterbreitet werden, haben sich als unbegründet heraus­gestellt, von der Einbringung des Gesetzentwurfes über die Reform der Militärstrafprozeßordnung ist für jetzt keine Rede mehr. Was den letzten Abschnitt der preußischen Landtagssession anbe­langt, so wird derselbe selbstverständlich von der Vereinsgesetzfrage beherrscht werden, in welcher es vielleicht schon in den nächsten Tagen zu dem letzten entscheidenden Akte, dem Votum des Herrenhauses über die Vereinsgesetznovelle kom­men dürfte.

Hanno v. -Münden, 21. Juni. Bon dem um 3 Uhr 30 Minuten hier durchpassierten Nachtschnellzuge Frankfurt-Berlin sind in der vergangenen Nacht bei der Station Hademünde die letzten sechs Wagen ent­gleist. Ein Personenwagen und der Post­wagen stürzten um. Trotz der starken Besetzung des Personenwagens wurde niemand getötet. Nur ein Passagier wurde verletzt.

München, 22. Juni. Der Saaten­standbericht für Mitte Juni läßt durchweg auf eine in Menge und Güte sehr gute Ernte hoffen. Sämtliche Getreidearten haben sich be- friedigend entwickelt. Die Kartoffeln sind sonst überall gut aufgegangen, Klee und Wiesen ver- sprachen eine an Güte und Menge vorzügliche Ernte. Die Durchschnittnoten stellen sich

folgendermaßen: Winterwaizen 1,75; Winter­spalt 1.78; Winterroggen 1.76; Klee und Lutzern 1,48.

Villingen, 19. Juni. In der Nacht vom Donnerstag den 17. auf Freitag den 18. Juni sank das Thermometer unter Null. Allenthalben sind die Bohnen und andere zarte Gartengewächse vollständig

erfroren. Auch die Kartoffeln haben sehr gelitten, doch dürften diese sich eher wieder

erholen.

Württemberg.

Stuttgart. Dem Vernehmen nach wird den Ständen vor der Vertagung noch der Ent­wurf der Verfassungsrevision und ebenso der Gesetzentwurf betr. die Aufhebung der Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher zu­gehen. Beide Entwürfe werden jedoch nicht

mehr in Beratung genommen werden, vielmehr wird nach Abschluß des Staatshaushalts und Durchberatung des Einkommensteuerentwurfs der Landtag voraussichtlich in kommender Woche vertagt werden.

Vom mittleren Neckar, 16. Juni. Ein eigenartiges Mißgeschick begegnete einem Pfarrer in der Nähe Stuttgarts. Derselbe ist ein eifriger Bienen- und Hühnerzüchter. Vor einigen Tagen zog ein Bienenschwarm aus und setzte sich an einen niederen Ort, wo er jedoch von den Hühnern beunruhigt wurde. Das regte die Bienen auf, sie fielen so massenhaft über die Hühner her, daß 8 Hühner an den Stichen der Bienen verendeten.

Besigheim, 22. Juni. Amtsgerichts­schreiber Megerle hier, früher Not.-Asstst. in Neuenbürg, wurde zum Amtsnotar in Giengen an der Brenz ernannt.

Ulm, 22. Juni. Es bestätigt sich, daß die Tivolibrauerei in Stuttgart das Hotel Baumstark" hier um 185 000 vlL gekauft hat. Mil dem Hotel war schon bisher eine kleine Bierwirtschaft verbunden, auch rechnet die Stuttgarter Brauerei auf die Bierlieferung für die Ulmer Bahnhofrestauration, deren jetzige Inhaberin die Mutter des Besitzers zum Hotel Baumstark" ist.

Kochersteinsfeld, 21. Juni (bei Neuen­stadt). Am letzten Freitag wollte ein hiesiger Bürger nach Raben schießen, die auf seinem Acker Schaden anrichteten. Der Schuß zerritz

die verrostete Flinte und zerschmetterte dem un- glücklichen Schützen die linke Hand vollständig, so daß dieselbe abgenommen werden mußte.

Auf der Münsing er Alb ist in der Nacht zum Sonntag in den höheren Lagen Schneefall eingetreten. Am Sonntag regnete es unausgesetzt bei einem föhnartigen Sturm. Zuweilen war der Regen mit Schnee untermischt.

Münsingen, 21 Juni. Im diesigen Amtsgerichtsgefängnis sitzt seit ca. 8 Wochen ein ganzmerkwürdigerSünder" in Untersuchungs­haft. Der Mann ist Besitzer einer kleineren Brauerei in F. hiesigen Oberamts. Nachdem schon öfters dessen geringer Wasserverbrauch aufgefallen war, suchte man behördlicherseits der Sache einmal auf die Spur zu kommen und fand denn auch im kühlen Keller eine durch einen hereingeschobenen, übertünchten Stein verdeckte kunstvolle Nische, die rn freigebigster Weise den Urstoff des Bieres in Gestalt einer krystallhellen Substanz spendete. Nun war das Geheimnis natürlich vollends mit Leichtigkeit aufzuklären: An das Hauptwasserleitungsrohr fand man, kurz bevor es dieWasseruhr passierte, ein Abzweigungsrohr angr- schraubt, mittels dessen natürlich ein Reservoir geleert werden konnte, ohne daß die Wasseruhr eine Anzeige machte. Das schönste an der ganzen Geschichte ist nun. daß der Besitzer der Brauerei hartnäckig leugnet, etwas von der mystischen Nische und der geheimen Leitung zu wissen. Seit 2 Monaten bleibt der Mann bei seinem Leugnen, trotzdem ihm wiederholt bedeutet wurde, daß er sofort nach Ablegung eines Geständnisses aus der Untersuchungshaft entlassen werde.I weiß nex dervo!" ist seine ständige Redensart, und an dieser Philosophie scheitern alle Vernunftsgründe, welche seitens der Beamten und seitens seiner Angehörigen geltend gemacht werden. Auf den Ausgang der Sache darf man immerhin etwas gespannt sein.

Vom Bodensee, 22. Juni. Am Sams­tag wütete ein furchtbarer Sturm. Der See war mit Wellen ganz bedeckt. Bei dem hohen Wasserstand richtete die Brandung am Ufer vielfach Schaden an.

Affaltrach, 21. Juni. Bei der heutigen Wahl eines Ortsvorstehers haben von 100 Wählern 92 abgestimmt und es erhielten Stadt- schultheißenamts Assistent Frank in Vaihingen 51, Stationskommandant Köhrer in Weins­berg 40, Jäger in Stuttgart 1 Stimme. Ersterer ist somit gewählt.

Stuttgarr. fLandesproduktenbörse. Bericht vom 21. Juni, von dem Vorstand Fritz Kreglinger.f Die abgelaufene Woche hat im Getreidegeschäft keine Aendernng gebracht. Der Osten von Europa hat durch Wasser großen Schaden erlitten, was eine Steigerung der Weizenpreise in Wien und Pest zur Folge hatte. Amerika hat seine Preise voll behauptet Der Bedarf in Weizen bleibt fortgesetzt ein guter. Die Landware, soweit noch vorrätigi findet zu guten Preisen schlanken Absatz. Mehrpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0: 29 »k4 SO ^ bis 30 »kL ^Z, Nr. 1: 27 ^ bis 28 »kL »k, Nr. 2: 25 50 <k

bis 26 »kt 50 ^Z, Nr. 3: 24 bis 25 °« ^z,

Nr. 4: 21 »kt 50 «j bis 22 »kt Suppengries 30 »kt Kleie 8 »kt

Anstand.

Ueber die Ende voriger Woche begonnenen und in den nächstfolgenden Tagen fortgesetzten Festlichkeiten anläßlich des sechszigjährigen Regierungsjubiläums der Königin Viktoria bringt der Telegraph aus London schier endlose Berichte. Bereits am Freitag fanden die Festlichkeiten ihre Einleitung durch das große Festmahl zu Ehren der Premierminister der englischen Kolonie, am Samstag folgten u.Südafrika-Bankett" unter Vorsitz des Herzogs von Cambridge und abends in Windsor großer Zapfenstreich nach. Am Sonntag vor­mittag fand in der St. Pauls Kathedrale zu London offizieller Gottesdienst statt. Nach dem­selben umarmte die erlauchte Jubilarin einzeln sämtliche Mitglieder des Königshauses, mit der Kaiserin Friedrich beginnend. Festgottesdrenste fanden ferner in der Westminster-Abtei, in der Pfarrkirche der Westminster-Abtei und noch in anderen Kirchen statt. Auch bei der internatio­nalen Flotte vpr Kreta hat man das sechzig­jährige Regierungsjubiläum der englischen Mon­

archin festlich begangen. Auf Einladung des britischen Admirals begaben sich die übrigen Admirale an Bord ihrer Flaggschiffe von der Sundabai nach Kandia. wo ein Festakt anläßlich des Jubiläums stattfand.

Rom, 22. Juni. In der vergangenen Nacht brach in einer vor der Porta del Populo gelegenen Bäckerei ein Feuer aus, bei welchem zwei Bäckerjungen den Tod fanden.

Die jüngstgeborene zweite Tochter des rus- fischen Kaiserpaares, welche den Namen Tatiana Nikojalcwna führt, wurde am Sonntag in der Kirche des Peterhofer Schlosses getauft.

In Konstantinopel hat am vorigen Samstag die sechste Sitzung der Friedensunter. Händler stattgefunden. Dieselbe nahm, wie das Wiener k. k. Telegr. Corr.-Bur. zu melden weiß, einen ebenso befriedigenden Verlauf, wie angeb­lich schon die vorangegangenen Friedenskon­ferenzen, trotzdem scheint man aber hierbei in der Sache noch nicht recht vorwärts zu kommen. Aus Djeddah, der Hafenstadt für Mekka, werden täglich durchschnittlich 3 Pestfälle ge­meldet. die Seuche soll dort bislang einen milden Charakter aufweisen, einigermaßen bedenklich ist nur. daß sich zur Zeit etwa 2000 Mekkapilgcr in Djeddah befinden.

K o n st a n t i n o p e l, 21. Juni. Heute wurde die ehemalige Kaiserin Eugenie vom Sultan empfangen.

In einer Fabrik zu Grünwald bei Gablonz in Böhmen fiel am 19. ds. ein Heizer in den mit kochendem Wasser angefüllten Kessel der Dampfmaschine. Auf sein entsetz­liches Geschrei lief man herbei und befreite ihn, der sich noch mit den Händen an dem glühenden Kesselrande festklammernd über Wasser hielt. Er wurde schleunigst herausgezogen, aber obgleich er nur wenige Minuten im siedenden Wasser gehangen hatte, war er wie gesotten. Flehentlich bat und stöhnte er. man möchte ihn in den Kessel zurückwerfen, da der Tod doch besser sei, als die furchtbaren Schmerzen. Tags darauf ist er gestorben.

vermischtes.

Johannistag. In des Jahres raschem Verlauf sind wir be» dem Johannistage (24. Juni) angekommen und haben damit den Zeit­punkt erreicht, wo die Zunahme der Tage ihr Ende findet. Viele Gebräuche, die am 24. Juni heute noch haften, haben ihren Ursprung in dem vorchristlichen Milsommerfest. Namentlich gilt das von den Johannisfeuern, welche noch heute in vielen Gegenden am Vorabend des Johannis­tages angezündet werden und die früher ganz allgemein waren. Die junge Well tanzte singend um sie herum, jeder Bursche nahm seinen Schatz in den Arm, und beide sprangen so durch die Flammen hindurch, um sich von allen bösen, kranken Stoffen zu reinigen. Man warf nicht nur Blätter und Blumen ins Feuer, damit gleich ihnen alles Unheil in Rauch zerfließe, sondern auch Pserdeköpfe, Knochen und lebende Tiere, welche einst als Opfergave dienen sollten. Groß­artig war die Sonnenwendfeier bei unfern Vor­fahren, zu welcher in Wehr und Waffen alle Männer des Gaues sich einfanden, die öffent­liche Angelegenheiten besprachen und wacker das Methhorn kreisen ließen, während die junge Welt frohgemut den Reigen sprang. Eine Er­innerung an das alte lustige Leben sind heute noch die Märkte, die um den Johannistag her­um fast in ganz Deutschland abgehalten und von den Landleuten, die noch vor der Ernte stehen, besonders eifrig besucht zu werden pflegen. Der Freimaurerorden begeht am 24. Juni sein Johannisfest, und die Jünger der schwarzen Kunst, Buchdrucker und Schriftsetzer, gedenken am 24. Juni des Eisinders und Altmeisters ihrer Kunst. Johann Gulenbergs. So hält der Johannistag das Interesse weiter Kreise auch heute noch wach, auch der Landwirtschaft, für die er gemeinhin als Termin der Heuernte gilt. Dem Johannistage folgt wenige Tage später der minder beliebte Siebenschläfertag (27. Juni), der nach uraltem Volksglauben auf sieben Wochen im voraus das Wetter bestimmen soll.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.