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äußeren Waffen eines Volkes Stärke seien, son­dern die verborgenen Geistesmächte der Ge­wissenhaftigkeit und Pflichttreue, der Ehre und Bildung sind-es. die Gott segnet, das sei eine Ausrüstung für Krieg und Frieden, gleichviel notwendig und gut. Die schöne Fahne, die hier enthüllt werden soll, prangt sowohl in den Landes- wie in den Reichsfarben als Hinweis darauf, daß die wahre Vaterlandsliebe eine einige ungeteilte Heimatsort. Land und Reich in gleicher Weise umschließende ist, und daß nur der ein guter Deutscher ist, der in gleicher Liebe am heimischen Herde, wie am großen Vaterlande hängt. Nach dieser mit allseitigem Bravo auf- genommenen Rede wurde nun die Fahne ent­hüllt und geweiht mit einem Hoch auf das ge­samte Deutschland, auf S M. König Wilhelm und I M, die Königin Charlotte, in das die ganze Versammlung begeistert einstimmte. Hier» auf übergab Fräulein Kath. Bayer die ent­hüllte Fahne unter folgenden Strophen:

Es reichet zarte Frauenhand Dies flackernde Panier Euch heute Im Frieden Euch ein Bruderband Des Sieges Bürgschaft Euch im Streite.

Und wo es möge vor Euch wehen Das schöne stolze Ehrenzeichen Da sollt Ihr stark und mutig stehen Draus hebt zum Schwure hoch die Hand Weiht Herz und Blut dem Vaterland mit einem Hoch auf den Militär Verein Schöm­berg, dem Fähnrich Hr. Gemeindepfleger Oel- schläger, welcher die Fahne dankend entgegen­nahm und versprach, sie stets in Leid und Freud zur Ehre des Vereins und der Landwehr zu tragen. Nach regem Leben und Treiben auf dem Festplotze, zogen die Vereine und Festtcil- nehmer befriedigt nach Hause. Ein Festball im Ochsen- und Löwen-Saale schloß die schöne Feier die allen stets eine Erinnerung bleiben wird.

Pforzheim, 18. Juni. Zum ersten Male hat gestern hier eine öffentliche Frohn- leichnamsprozession stattgefunden, nachdem die von protestantischer Seite unternommenen Schritte zur Verhinderung derselben erfolglos geblieben waren. In tonangebenden protestant­ischen Kreisen war die Parole ausgegeben worden, die von der Prozession zu passierenden Straßen zu vermeiden und auch Familienangehörige und Untergebene zum Fernbleiben zu veranlassen. Ungeachtet dessen aber füllte eine vieltausend­köpfige Menschenmenge die betr. Straßen, und wenn sie auch der Prozession keine Vermehrung bezeigte, so bewahrte sie doch einen würdigen Ernst und die zahlreich aufgebotene Polizei hatte, entgegen den stadkrätlichen Bedenken, auch nicht den geringsten Grund zum Einschreiten. An der Prozession beteiligte sich wohl die ganze katholische Gemeinde hier.

Am 23. und 24 Juni soll in Pforzheim die 33. Jahresversammlung der südwest, deutschen Konferenz für innere Mission stattfinden. Aus dem reichhaltigen Programm teilen wir mit, daß die Hauptversammlung am 28. Juni nachmittags die Dienstbotenfrage im Lichte des Evangeliums behandeln soll, ein Thema, das wahrlich heutzutage zu den wichtig­sten und brennendsten gehört. Das Referat liegt in den Händen des wohlbekannten Vereins- geistlichen Ostertag von München, der in seiner weitverzweigten Thätigkeit Veranlassung genug hat, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und die Not der Herrschaften wie der Dienstboten kennen zu lernen. Als Korreferent wird Frhr. E. A. v. Göler von Sulzfeld die Diskussion einleiten. In einer zweiten Versammlung am 24. Juni vormittags wird Seminardirektor Dr. Oeser von Karlsruhe, der bekannte feinsinnige Schriftsteller, über dieHausandacht" reden als eine der wichtigsten Säulen eines gesunden christ­lichen Familienlebens Es steht zu hoffen, daß an beiden Versammlungen besonders auch die Damen ebenso zahlreich teilnehmen wie die Männer. Die dritte Versammlung , gleichfalls am 24. Juni, soll über das Verhältnis von Innerer Mission zur Sozialpolitik verhandeln. Stadlpfarrer Dr. Wurster von Heilbronn, der auch in seinem BuchDie Lehre von der inneren Mission" diese Frage erörtert hat, wird Referent fein. Angesichts der neueren Bewegungen auf dem sozialen Gebiete ist es ein dringendes Be­dürfnis, zu den klaren Sätzen über das Ver­

hältnis derselben zur inneren Mission zu ge­langen, und dürfte daher diese Erörterung keineswegs blos theoretischen Wert haben. Den Festgottesdienst am Abend des 23. Juni hat Pfarrer Cordes von Frankfurt übernommen, die Morgenandacht am 24. Juni Prälat Schmidt von Karlsruhe. In der geselligen Bereinigung am 23. Juni abends werden verschiedene An- sprachen gehalten werden. Für die Teilnehmer von auswärts wird das Lokalkomitee am Bahn­hofe ein Empfangsbureau einrichten; auf Wunsch wird dasselbe gerne Freiquartiere vermitteln. Bezügliche Anfragen wolle man an Hrn. Graveur Trost in Pforzheim richten.

Neuenbürg, 19. Juni. (Schweine- markt.) Zugeführt waren ca 40 Slück Milch- schweine, welche zum Preise von 25 bis 30 raschen Absatz fanden.

Deutsches Aeich.

Das Tagesereignis bildet die unver­mutete Rückkehr des preußischen Finanz­ministers Dr. v. Miquel von seinem Wiesbadener Kuraufenthalte nach Berlin. Von halbamtlicher Berliner Seite selber wird die plötzliche Unterbrechung der Badekur des Finanz­ministers dadurch erklärt, daß sich derselbe be­hufs Erledigung dringender Angelegenheiten einige Zeit in der Reichshauptstadt aufhalten werde; daß es sich aber hierbei nicht um private Angelegenheiten des Herrn v. Miquel, sondern um wichtige politische Dinge handelt, dies pfeifen allerorten die Spatzen von den Dächern. Es gilt denn auch allgemein als ausgemacht, daß Dr. v. Miquel sein Finanzministerium ab­geben soll, um an Stelle des Herrn v. Bötticher Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, Staatssekretär im Reichsamte des Innern und Stellvertreter des Reichskanzlers zu werden. Jedenfalls würde der bisherige preußische Finanzminister hiemit zum thatsächlichen Leiter der inneren Politik vorrücken. Von den Ge­rüchten, denen zufolge Herr v. Miquel u. A. auch dazu ausersehen soll, eine neue Mariae­vorlage, welche dem Reichstage noch in seinem nachpfingstlichen Sessioasabschnitte angeblich unterbreitet werden würde, zu verteidigen, sei hier nur Notiz genommen. ,

Die sächsische Staatseisenbahn­verwaltung hat beschlossen, nach und nach sämtliche Personenwagen 4. Klaffe mit Bänken zu versehen.

Der diesjährige Parteitag der Sozial­demokratie soll Anfang September in Hamburg abgehalten werden. Die Haupt­punkte der Beratungen würden diesmal Stellung­nahme zu den Landtagswahlen und die ver- änderte Taktik der Partei bei einer etwaigen Aenderung des V-reingesetzes bilden. Auch der ProgrammpunktReligion in Privatsache", der schon innerhalb der Partei zu vielen Streitig, keilen Anlaß gegeben hat, soll gründlich durch­beraten werden. Bebels Wunsch soll es beson­ders sein, zwischen Parteiangehörigkeit und der Religionsfrage endlich einmal Klarheit zu schaffen.

B e r l i n , 17. Juli. Die Morgenblätter melden: In einem Hause an der Spandauer Brücke, im Zentrum Berlins, geriet gestern Abend durch unvorsichtiges Hantieren mit der Petroleumlampe Stroh in Brand. Das Feuer verbreitete sich ungeheuer schnell. Die Bewohner der unteren Stockwerke wurden durch die Feuer­wehr gerettet. Ein im dritten Stock wohnender Schneidermeister ist mit zwei Kindern im Qualm erstickt; bei der Frau desselben gelangen Wieder- beledungsversuche.

Württemberg.

Stuttgart, 16. Juni. In der Fort­setzung der Beratung der Einkommensteuer im Abgeordnetenhause wurde nach Ablehnung der Anträge der Kommission und des Frhrn. v. Ow die Regierungsfassung des Art. 9 des Ge­setzes angenommen, wonach bei Ermittlung des steuerbaren Einkommens von den Einnahmen in Abzug zu bringen sind die gesetzlich zu ent­richtenden Beiträge zu Kranken-, Anfall-, Alters- und Jnoaliditätsversicherungs-, zu Witwen-, Waisen, und Pensionskassen. Die Kommission wollte in Abzug gebracht wissen die direkten

I Staatssteuern, ausgenommen Einkommensteuer und die indirekten Abgaben, die zu den Ge­schäftsunkosten zu rechnen sind. Der Antrag des Frhrn. v. Ow fügte noch hinzu den Abzug der Amtskörperschafls- uvd Gemeindesteuern.

Ausland.

Die italienischen Flottenneubauten, an welchen gegenwärtig gearbeitet wird, sollen eine Beschleunigung in der Weise erfahren, daß sie möglichst noch zum Sommer des Jahres 1898 dienstbrauchbar werd?n. Insbesondere gilt dies von den acht gewaltigen Hochseckreuzern, die im Bau begriffen und schon ziemlich weit vorge­schritten sind, Welcher Wert auf rasche Fertig­stellung dieser Schiffe gelegt wird, geht daraus hervor, daß trotz der nicht allzu blühenden ita­lienischen Finanzlage doch noch rin Ergänzungs- kredit von 19 Mill. Lire aufgewendet werden soll, damit nur ja die Arbeiten mit der für nötig erachteten Beschleunigung zu Ende geführt werden können.

London, 16. Juni. Nach derMorning Post" hat ein kaiserliches Jcade den Bestand des türkischen Heeres auf dem Kriegssus auf 700 000 Mann festgesetzt. Es sollen 130 00V Mausergewehre bestellt sein. Aus Kanea erfährt derStandard", die muselmanische Be­völkerung treffe Maßregeln, um die Rückkehr der christlichen Familien zu verhindern. Die muselmanischen Flüchtlinge richten sich in den Häusern der Christen ein, ohne daß die Be­hörden einschreiten. Die Kreter bestehen daraus, daß die Wahl des Gouverneurs thre Bestätig­ung unterbreitet werden soll.

Anfangs nächster Woche beginnen in England die großartigen Festlichkeiten zum 60 jährigen Regierungsjubiläum der Königin Viktoria. Die Vorbereitungen hiezu drängen in England alles übrige in den Hintergrund. Nicht weniger als ca. 1*/, Millionen Sitzplätze sind dis jetzt schon auf den Zuschauertribünen in den Straßen Londons errichtet, durch welche der Festzug mrc der zur Pauls-Kathedrale sich be­gebenden Königin bewegen wird. Einzelne Fenster an den betreffenden Feststraßen stab bis zum Betrage von 1000 gemietet worden. Sämtliche Gasthöfe der Riesenstadt London sind jetzt schon überfüllt. Am Montag und Dienstag werden sämtliche Börsen, Fabriken und Geschäfte in ganz Großbritannien geschloffen sein. Der alte Gladstone hat auf die Nachricht, daß auch der türkische Sultan sich der den Jubiläums- feierlichkeiten vertreten lassen will, was er ver­nünftigerweise nach altem diplomatischem Brauche gar nicht unterlassen könnte, einen Brief ver­öffentlicht, worin er den Sultan als eine» Meuchelmörder im Großen bezeichnet und die Engländer gegen dre Vertreter des Sultans bei dem Regierungsjubiläum aufzuhetzen sucht. Die Türken werden sich eine derartige Provo­kation merken und rechtzeitig ihre Antwort io der Nufrollung der egypllschen Frage geben.

Unterhaltender Heil.

Falsche Spuren.

Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann' (Schluß.)

Vier Wochen etwa waren seit den ebe» erzählten Ereignissen vergangen. So unge­heueres Aufsehen auch die unerwartete Lösung des Dramas im Publikum gemacht hatte, so schnell halte auch eine Fülle neuer Tagesneuig­keiten die Erinnerung daran in den Hintergrund des allgemeinen Interesses gedrängt, und nur vereinzelt noch hörte man in engeren Kreise» davon sprechen.

Als eine der wunderbarsten Fügungen ia der ganzen Tragödie war es jedenfalls anzuseheu, daß der schwer verwundete Referendar Tronow, der von den Aerzten von vornherein fast auf­gegebene Patient, seiner Verletzung nicht erlege» war, sondern sich nach einigen Tagen völliger Bewußtlosigkeit allmählich erholt hatte, dis a« seiner gänzlichen Genesung kein Zweifel mehr bestehen konnte. Aber dieses Wunder war nicht allein durch die Kunst der Aerzte und durch die ausgezeichnete Konstitution des Patienten bewirkt worden; einen hauptsächlichen Anteil