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dessen Thür seine Tochter zurückgewichen war. So wenig freundschaftlich auch wegen ihrer fortgesetzten Weigerung, sich dem jungen Arzt ent- gegenkommend zu zeigen, äußerlich das Verhältnis zwischen Vater und Kind geworden war, so stumm und verdrießlich er sonst auch an ihr vorüberging, heute erschrack er doch vor dem verstörten Aussehen des Mädchens, und die väterliche Liebe, welche durch seinen Zorn und durch seine eigene seelische Verstimmung wohl zeitweilig niedergehalten, aber nicht erstickt werden konnte, gewann wieder die Herrschaft in seinem Herzen.
„Mein Gott, Kind, was ist Dir? fragte er. „Warum hältst Du Dich hier unten auf, und was ist Dir geschehen? Bist Du krank?"
Sie schüttelte den Kopf und legte ihre zitternde Hand auf seinen Arm.
„Jener Mensch dort — o, mein Gott, es flimmert mir vor den Augen! Jener Mensch — ist — ein Mörder — der Mörder des Fräulein Hegemeier, und ich glaube, er hat noch Einen ermordet!"
Der Apotheker fuhr zusammen, als Hobe man ihm selber einen Dolchstoß versetzt; aber die Mitteilung seiner Tochter erschreckte ihn nicht etwa, weil er ihr Glauben geschenkt hätte, sondern weil sie ihm ein Beweis dafür schien, daß ihr Verstand sich zu verwirren begann.
Da er den Herrn da draußen, welcher es sehr eilig zu haben schien, nicht lange warten lassen konnte, so suchte er die Aufregung seiner Tochter mit einem begütigenden Wort zu beschwichtigen, etwa wie man ein thörichtes Kind besänftigt. Aber sie hielt ihn nur noch fester und wiederholte ihm die scheinbar so unsinnige Anschuldigung gegen den wildfremden Mann.
„Frage mich nicht, Vater, wie ich dazu komme," stieß sie leise und hastig hervor. „Aber glaube mir, es ist Wahrheit, volle, fürchterliche Wahrheit, und nie mehr würdest du Ruhe finden vor deinem Gewissen, wenn du ihn ungehindert wolltest von dannen gehen lassen; Halte ihn zurück, ich bitte, ich beschwöre dich: überliefere ihn der Polizei!"
„Kind, was fällt dir ein?" sagte der be- stürzte Mann. „Bedenke doch, was du sprichst! Hast du denn vergessen, wer wegen jenes Mordes im Gefängnis sitzt?"
„Ob ich es vergessen habe? O nein! Aber gerade weil ich daran denken muß, immer und immer wieder daran denken muß, weil ich keinen anderen, keinen heißeren Wunsch kenne, als den diesen Unschuldigen befreit zu sehen, gerade darum beschwöre ich dich; laß den Mörder verhaften ! Wenn du es nicht thun willst, beim allmächtigen Gott, ich werde mich an ihn klammern und schreien und rufen, so lange ich noch einen Atemzug in der Kehle habe. Mag er dann auch mich töten, so habe ich doch gethan, was mir mein Gewissen gebietet!"
Der Apotheker war ratlos. Er kannte den Zusammenhang all' dieser verworrenen Fäden nicht, und er konnte darum auch jene seltsame Ueberzeugung nicht begreifen, die plötzlich wie eine Offenbarung über sein Kind gekommen war. Die Bestimmtheit und die leidenschaftliche Hastigkeit ihres Auftretens blieben nicht ohne Wirkung auf ihn, aber die Ungeheuerlichkeit der Anklage mußte ihn doch wieder zu der Ansicht bringen, daß sie unter dem Druck einer lebhaften Einbildung oder in einer Fiebcrphantasie zu ihm spreche. Er warf einen Blick durch die Glasthür zurück und sah, daß der Fremde mit einer un- geduldigen Bewegung nach seinem Hule griff, um sich zu entfernen. Da überkam ihn die Angst, daß seine Tochter ihre Drohung der- wirklichen und in der Thal eine skandalöse Szene herbciführen könnte, und mit all' der Geistesgegenwart, deren der nicht sehr energische Mann überhaupt fähig war, raunte er ihr zu:
„Es ist gut! Auf Deine Verantwortung hin will ich Deinen Wunsch erfüllen! Ich werde ihn der Polizei übergeben, wenn Du mir versprichst auf Dein Zimmer zu gehen und dich dort ganz ruhig zu verhalten. Dergleichen ist nichts für ein junges Mädchen!"
Er drückte ihr die Hand und kehrte in den Laden zurück. Sie aber schaute ihm mit finster
zusammengezogenen Brauen und glühenden Augen nach, denn sie hatte aus dem Ton seiner Worte gut genug erkannt, daß cs ihm nicht ernst sei um sein Versprechen und daß es ihm nur darum zu thun sei, sie zu entfernen. Sie sah, wie dienstfertig er dem Doktor, welcher selbstverständ- lich von ihrem Gespräch keine Ahnung haben konnte, das Wasser zurecht machte, mit dessen Hülfe er den Handschuh von der verwundeten Hand lösen sollte und für einen Moment hatte es den Anschein, als wolle sie wirklich die Thür aufreißen und in die Offizin stürzen, aber sie besann sich doch eines Anderen, und, ein leichtes Tuch über ihre Schultern werfend, eilte sie aus dem Zimmer und dann — vom Laden aus unbemerkt, über den Hausflur hinaus auf die Straße. —
Unterdessen war es dem Apotheker mit vieler Mühe, und nicht ohne daß Paul einige ärger liche Schmerzenslaute ausgestoßen hätte, geglückt, die Hand des Doktors zu entblößen. Als das geronnene Blut entfernt war, zeigte sich, daß die Verletzung keineswegs ganz unerheblich sei und eines regelrechten Verbandes bedürfen würde. Der Apotheker riet darum dem ihm unbekannten Herrn, sich lieber an einen Arzt zu wenden, aber davon wollte Paul durchaus nichts hören.
„So viele Umstände wegen einer solchen Lappalie!" brummte er ärgerlich. „Soll ich etwa darum den Zug versäumen und eine wichtige Geschäftsreise aufschiebcn? Die ganze Sache ist nicht der Rede wert und ich hoffe doch, daß Sie im Stande sein werden, mir etwas Blutstillendes zu geben und mir einen einfachen Leinwandstreifen um die Finger zu wickeln.
Das Benehmen des Mannes kam dem Apotheker nun doch etwas unstät und auffällig vor; auch hatte er erkannt, daß die tiefe Schnittwunde mit ihren scharfen glatten Rändern unmöglich von einem Falle herrühren konnte, und wenn er auch noch immer weit entfernt war, dem abenteuerlichen Verdacht seiner Tochter Glauben zu schenken, so versagte er stch's doch nicht, während er einen leichten Notverband anlegte. dieser letzteren Ansicht in bescheidener Form Ausdruck zu geben.
Er erschrack fast über die ungestüme Heftigkeit, mit welcher Paul seine Zweifel zurückwies und sich überhaupt alle ferneren Mutmaßungen verbat.
„Ich denke doch, daß Ihnen diejenigen Er- klärungen genügen muffen, mein Herr", sagte er schroff, „welche ich für gut finde, Ihnen zu geben! Ich werde Sie für Ihre Mühewaltung bezahlen, und damit sind unsere Beziehungen erledigt!"
Er hatte das letzte Worte noch nicht ausgesprochen, als die Ladcnthür aufging und hinter seinem Rücken eine weibliche Stimme mit beinahe gellend lautem Klange rief:
„DaS ist er! Das ist — der Mörder!"
Und als der Doktor jäh herumfuhr, fiel sein Blick auf die blinkende Helmspitze eines Konstablers, der etwas zögernd und unsicher hinter der Tochter des Apothekers in den Laden getreten war.
(Fortsetzung folgt.)
Der Juni ist der duft- und blütenreichste Monat des Jahres. Er bringt uns reichen Er- satz dafür, was der zwar vielbesungene und hochgepriesene, aber oft noch recht unangenehm kühle Wonnemonat Mai versäumte. Im Juni entfaltet sich die Farbenpracht unserer Gärten in höchster Vollendung. Die weiße Lilie, das Sinnbild der Unschuld, die anmutige Rose, der Blumen Königin, und viele andere der schönsten Kinder Floras öffnen ihre Kelche dem Blicke der Sonne. Da steht die unbeweglich vornehme, aus dem fernen Persien gebürtige, erst im 16. Jahrhundert in Deutschland eingewanberte Roßkastanie mit ihrer mächtigen Blätterkuppel. „Auf grünem Kandelyber hat sie die Blumen gelb und rot als Keizen aufgesteckt; der Regen will sie löschen, doch zu schönem Glanze hat er sie aufgeweckt." Der türkische Flieder senkt allmählich seine roten und weißen Blütenpyramidcn ermattet nieder und bedeckt den grünen Rasen mit einem Mosaik von Blütenstcrnchen. Vom
giftigen Goldregen triefen die schweren gelben Blütentrauben herab und aus andern vornehmen Sträuchern, die dem im Volksglauben eine hervorragende Rolle spielenden schwarzen Hollunderoder Holderbusche verwandt sind, schwellen weiße Schneeballcn hervor. Die Weißdornbüsche haben sich in stark duftende weiße und rosenrote Schimmer gehüllt. Mit dem Blütenkleide angethan, ge- hören sie unstreitig zu unfern schönsten Holzgewächsen. Schon im Altertum wurden sie in Griechenland und Rom hochverehrt. Sie waren der Liebe und der Ehe geheiligt. Brautleute trugen Weißdornzweige zu dem Orte, an dem sie sich eheliche Treue gelobten, die Angehörigen folgten mit Fackeln aus demselben Holze. Eine Sage erzählt, daß Joseph von Arimathia als Heidenbekehrer mitten im strengen Winter nach England gekommen sei. H^er habe er seinen Wanderstab, der aus Weißdornholz geschnitzt war, in die Erde gesteckt, und siehe da, er trieb Blätter und Blüten. Er wurde den Eingeborenen zu einem sichtbaren Beweise der göttlichen Wahr- heit der neuen Lehre. Der Wetterglaube meint mit Hilfe der Weißdornblüten den Charakter des kommenden Winters vorausbcstimmcn zu können. Je üppiger sie sich entfalten, desto weißer wer- den die weißen Schneesternchen herniedcrschweben.
(Sprechende Lokomotiven.) Es handelt sich dabei um eine Lokomotive, die statt der ohren- zerreißenden Töne besser artikulierte Laute von sich geben wird, und zwar auf Grund von phonographischen Einrichtungen. Die ersten Versuche in New-Iork scheinen vortrefflich ausgefallen zu sein. Die „sprechende" Lokomotive rief von selbst in ziemlich deutlichen englischen Silben: „Halt" — „Abfahren" — „Einfahren" — „Hindernis" — „Einsteigen" und andere kurze technische Bemerkungen. Die Töne werden mit der Dampfpfcife erzeugt und nur durch den dort angebrachten Phonographen modifiziert. Allerdings ist cs noch ein allererster Versuch, doch man sieht den Zeitpunkt nahen, da Dampfmaschinen alle erforderlichen Warnungssignale in deutlicher Sprache werden geben können. — Großartig, wirklich großartig; wenn diese Nachricht nur nicht aus Amerika käme!
(Die Drehbank Ludwigs XVI.) In einem Auktionslokale in Paris ist letzthin eine Drehbank, die dem König Ludwig XVI gehört hatte, der sich bekanntlich viel mit Schlosser- u. Drechsler- Arbeiten beschäftigte, versteigert worden. Das Gerät war aus Mahagoniholz und mit vergoldeten und ziselierten Kupferzieraten geschmückt. Trotz seines hohen materiellen und bedeutenden historischen Wertes wurde es für nur 50 Frcs. losgeschlagen.
(Eine gute, billige Fußbodenwichse) gewinnt man aus gelbem Bienenwachs und Terpentinöl. Das Wachs wird in kleine Stückchen zerschnitten, in einen Kessel gethan und darüber Terpentinöl gefüllt und zwar so viel, daß das Oel einige Centimeter hoch über dem Wachs steht. Das Ganze läßt man 12 Stunden stehen und bei gelinder Wärme (nicht über Hellem Feuer) sich auflösen.
(Auch ein Wunder.) Warum sagt man: „Im wunderschönen Monat Mai"? — Weil es ein Wunder ist, wenn er schön ist.
(Der Kaffee-Kenner.) Fremder: „Donnerwetter, schmeckt das Zeug nach Zichorie!" Wirt: „Dadervor is Sie's ja ooch Gaffer!"
(Kindermund.) ......: „Wenn deine
Mutter dreizehn Eier in einen Korb giebt und du legst zwei dazu, wieviel sind cs?" — Schüler (verlegen): Ich — ich kann keine Eier legen.
Auflösung des Silbenrätsels in Nr. 86.
„Wernigerode."
Brautwerber
Union
Amtsgericht
Seerose
Adele
««dattio», »ruck ns- vertag vo« L. M««h in R«» «»bürg.