Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 2. Juni. Das Pfingst - fest rückt nun immer näher, und Fahrplan und Eisenbahnkursbuch werden nun auch die besten Freunde aller wanderlustigen Gemüter. An schönen Gegenden ist ja im deutschen Vaterlande kein Mangel; von den Alpen bis zum nordischen Meere fehlt es nirgends an köstlichen Fleckchen Erde, wo es sich schön und gut sein ließe. Aber man soll auch über der Sehnsucht nach der Ferne nicht vergessen, was nahe liegt und doch auch recht hübsch ist. Es gibt eine ganze Menge von Landsleuten unter uns, die außer­halb der Reichsgrenzen und an allen möglichen Punkten in Deutschland vorzüglich Bescheid wissen, die ober ein paar Meilen von ihrem Wohnsitz gar nichts kennen und über die Er- wähnung einer der Heimat benachbarten schönen Gegend nur spöttisch lächeln. Und doch würden sie wohl zugeben müssen beim Anblick einer schönen Waldpartie, eines romantisch oder idyllisch ge­legenen Dörfchens, eines träumenden Sees, daß man auch in der Nähe Schönes und Aufsuchens- wertes findet und billiger dabei fährt. Eisen­bahn und Stahlrad sind für den Pfingstausflüglec heute vielfach das Beliebteste, weil Modernste, aber das Schönste für eine Pfingsttour ist es nicht. Wer das liebliche Fest und seinen ganzen Reiz völlig in sich aufnehmen und genießen will, der marschiere auf eigenen Füßen durch die lachenden Fluren und den grünen Wald mit lustigem Lied und frohem Herzen.

Pforzheim, 31. Mai. Die hiesige Sozialdemokratie sorgt immer dafür, daß von Zeit zu Zeit eine Kundgebung von ihr in die Oeffentlichkeit dringt. Auf Samstag Abend wurde eineProtestversammlung- in die alte Keppelei berufen, in der Adolf Geck aus Offenburg über das salbungsvolle Thema sprechen sollte:Auf die Schanze für die Volksrechte gegen die Redaktion." Allein der Berichterstatter erschien nicht, worauf ein Herr Wankmüller den ziemlich zahlreich Erschienenen eine Resolution vorschlug über denunerhörten Versuch der preuß. Regierung, die letzten Reste des Vereins- und Bersammlungsrechtes zu ver­nichten und die völlige Diktatur der Polizei zu proklamieren." Nachdem der Einberufer die Anwesenden noch zu einer kräftigen Agitation für die Landtagswahl aufgefordert, ging die Versammlung gegen '/rIO Uhr auseinander.

Pforzheim, 31. Mai. Die Zahl der T y p h u s k r a n ke n hat sich in den letzten Tagen rasch vermehrt und beträgt jetzt ca. 50. Eigentlich bösartig ist die Epidemie bis jetzt zwar nicht ausgetreten. Immerhin aber find schon einige Todesfälle zu verzeichnen. Bei der derzeitigen Beschaffenheit unseres Trinkwassers glauben wir nicht, daß die Krankheit auf den Genuß desselben zurückzuführen ist. Eine gewisse Vorsicht in der Lebenshaltung scheint aber doch geboten. Bon behördlichen Maßnahmen ver­lautet zur Zeit noch nichts. Schon aus ge­schäftlichen Gründen wäre zu wünschen, daß die Epidemie bald wieder erlöscht.

Pforzheim, 1. Juni. Ein wahrer U n- glückstag war der gestrige Montag. Aus schwindelnder Höhe stürzte beim Neubau der Protest. Kirche auf dem Lindenplatz ein ver­heirateter Arbeiter und blieb sofort tot. Bon dem Gerüste eines Baues in der Jahnstraße fiel ebenfalls ein Arbeiter herab und mußte schwer verletzt in das Spital verbracht werden. Im «Bad. Hof- wurde abends ein beliebter Bijoutier vom Herzschlag getroffen und verschied in wenigen Augenblicken. Bon den hier befindlichen Italienern, einigen Hundert an der Zahl, haben sich in letzter Zeit verschiedene recht unmanierlich ayfgcführl und ist man in der Bevölkerung auf dre sonst wohlgelittenen Fremdlinge nicht mehr gut zu sprechen.

Deutsches Aeich.

Kaiser Wilhelm wird im kommenden September anläßlich der ungarischen Manöver zu einem Besuche in Pest erwartet. Wie es heißt, würde er hierbei Absteigequartier in der Ofener Hofburg nehmen.

Berlin, 1. Juni. Heute fand bei herr­lichem Wetter die Frühjahrsparade statt unter Zudrang einer taufendköpfigen Menschen­menge. Der Kaiser in Generalsuniform und die Kaiserin in weißem Reilkostüm wie die weißen Bayreuther Dragoner ritten die Front der in zwei Treffen aufgestellten Truppen, ge­führt vom General v. Winterfeld, ab. Es folgte ein einmaliger Vorbeimarsch der Jnfanterie- Kompagniefronten, Kavallerie, Artillerie und Train im Trabe. Die Parade verlief sehr glän­zend. Die zahlreiche Suite der fremdländischen Offiziere bot ein farbenreiches Bild. Der Kaiser ritt nach der Parade in die Stadt an der Spitze der Fahncnkompagnie, welcher die Standartenesladron folgte, zurück

Zum Tausch-Prozeß herrscht in maß­gebenden Kreisen die Ansicht, daß von Tausch jetzt, nachdem bereits am ersten Verhandlungs­tage seine Jntrigue gegen den Kaiser zur Sprache gebracht worden ist, verloren ist. Eine gewisse Deckung genießt er noch durch den Um­stand, daß der für ihn gefährlichste Mitwisser, v. Lützow. gleichzeitig Mitschuldiger ist und nicht als Zeuge, sondern ebenfalls als Ange­klagter vernommen wird, was seinen Versuchen, die ganze Last der Verantwortung auf Tausch abzuwälzen, viel von ihrer Glaubwürdigkeit nimmt. Es stehen aber noch andere Beweis­mittel im Hintergründe, die nach und nach ins Treffen geführt werden sollen. Die Versuche, Nachrichten über ein angeblich ererbtes Krebs- leiden des Kaisers in die Presse zu lanzieren die glücklicherweise an den medizinischen Kennt- nisten der betreffenden Redakteure von der nicht vererblichen Natur des Krebses scheiterten kennzeichnen sich als eine große politische Jn­trigue bösartigster Natur, die möglicherweise im Dienste ausländischer Interessenten unternommen wurde. Es fragt sich nur: besaß Tausch that- sächlich den hochverräterischen Wahnwitz, seine Angriffe direkt gegen die Person des Kaisers richten zu wollen, oder handelte er hier als provocateur?

Das preußische Abgeordnetenhaus be­riet am Montag die Vereinsgesetz-Novelle in dritter Lesung. In der Debatte markierten die einzelnen Parteien nochmals ihre schon be­kannte Stellung in der ganzen Frage, worauf in der nun erfolgenden Abstimmung zunächst der schon in zweiter Lesung gescheiterte und jetzt wieder eingebrachte Antrag Zedtlitz auf Einfüg­ung des Artikels gegen die sozialistischen und anarchistischen Versammlungen mit 207 gegen 188 Stimmen abermals abgelehnt wurde. Hier- auf genehmigte das Haus die Novelle in der G-samtabstimmung in der Kommissionsfasfung, also namentlich ohne die Bestimmungen über die Auflösung von Versammlungen und die Schließ­ung von Vereinen, gegen die Stimmen des Zen­trums und der Freisinnigen. Vorher hatten die Konservativen durch den Abg. Limdurg-Stirum die Erklärung abgeben lassen, sie stimmten jetzt für die Novelle in der Kommissionsfassung ledig­lich in der Erwartung, daß im Herrenhause und dann auch im Abgeordnetenhaus« die Regierungs­vorlage wiederhergestellt würde.

Die großen Paraden der an Kais er - manövern beteiligten Armeekorps finden statt: für das 8. preußische Armeekorps am 30. August bei Coblenz. für das 2. bayerische Armee­korps am 1. September bei Bielried, für das 1. bayerische Armeekorps am 2. September bei Nürnberg, für das 11. preußische Armeekorps am 4. September bei Homburg.

Gar misch, 30. Mai. ^Vielfach ist noch nicht bekannt geworden, welchen Schaden ein in Garmisch-Partenkirchen stattgehabter andauernder Schneefall angerichtet hat. Der Schnee erreichte stellenweise eine Höhe von einem halben Meter. Um die in Blüte stehenden mancherlei Bäume vor Schneebruch zu schützen, mußten dieselben von Zeit zu Zett selbst während der Nachtstunden abgeschüttelt werden. Schafe die bereits auf freier Weide sich befanden, mußten aus dem Schnee förmlich herausgehoben werden. 12 dem Besitzer des Kainzen-Bades gehörige Stück wurden nur mehr verendet auf­gefunden. Die Telephondrähte und ebenso die für die Beleuchtung dienenden Drähte brachten,

letztere unter Ausstrahlung von Licht bezw. Feuergarben.

Darmstadt, 31. Mai. Der Jagdpächter Daab von Großbiberau, ein OOjähriger Mann, hatte heute früh das Unglück, seinen Mitpächter, Gutsbesitzer Simmemacher, auf der Jagd zu er­schießen. Als der unglückliche Schütze sah. welches Unglück er angerichtet hatte, schoß er sich selbst eine Kugel in den Kopf, sodaß der Tod sofort eintrat.

Daß die Sozialdemokraten diejenigen boykottieren, welche ihnen die Säle nicht zur Verfügung stellen, ist eine alte Erfahrung. Jetzt gehen sie aber im Plauenschen Grunde im Königreich Sachsen soweit, daß sie nicht nur die Wirte selbst boykottieren, sondern auch die Ge­schäftsleute. die in den Wirtschaften noch ver­kehren. mit dem Boykott bedrohen. Das nennt sich dann Freiheit und Kampf mit geistigen Waffen!

Slraßburg. DerStrßb. P." schreibt man vom Lande, 30. Mai. Vor einigen Tagen kam ich in Ausübung eines Berufes in das Haus eines Kleinbauern. Ich war erstaunt, an der Wand zwei porträtähnliche große Bilder zu sehen, deren Züge mjr wohlbekannt waren. Auf Befragen erklärte mir die Frau des Bauern, daß sie neulich auf dem Wochenmarkt zu Straß- burg gewesen sei. Als sie nachher in einer Wirtschaft, wenn ich nicht irre am Neukirchplatz, eine Erfrischung zu sich genommen, habe ein unbekannter Mann ihr die beiden Bilder in den Korb geschoben mit dem Bemerken, daß sie nichts kosten. Sie habe die Bilder mit nach Hause genommen und Gefallen gehabt an dem einen Mann mit dem so schönenSchnäuzerle" (Schnurrbärtchen) und an dem anderen mit dem stattlichen weißen Vollbart. Als ich dem Bauern sagte, daß es die Sozialdemokraten Marx und Lassalle seien, stieß er einen derben Fluch aus, riß die Bilder von der Wand und warf sie ins Feuer. So machens die Sozialdemokraten und so machens die Bauern.

Landshausen (A. Eppingen), 30. Mai. Ein früher Odstverkauf wurde vor wenigen Tagen hier in einer Wirtschaft abgeschlossen. Der Landwirt I. verkaufte dem Landwirt und Handelsmann L. seinen ganzen diesjährigen Obstertrag (auch Steinobst) um den Gesamt­betrag von 300 o-L Sofort nach Abschluß des Kaufes, bei dem mehrere Zeugen anwesend waren, gab es Freibier, das der gewinnende Teil bei diesem Kaufe nach der Obsternte zu zahlen hat; wie es nun nicht selten vorkommt» erfreuen sich bei Ausschank von Freibier die Wirtschaften eines zahlreichen Besuches; und so war es auch hier. Nach Abschluß des Kaufes begab sich der Käufer in Begleitung einiger anderer Männer zu den Obstbäumen, deren Er­trag er gekauft, da sah es aber ziemlich schlecht aus, denn mit der diesjährigen Ernte haben die Maifröste ziemlich aufgeräumt. Wer nun der diesem Wirlshauskauf ein gutes Geschäft macht, wird sich im Herbst zeigen. Vorläufig sind beide, Käufer wie Verkäufer, frohen Mutes, namentlich der letztere.

Württemberg.

Ulm, 1. Juni. Die Kgl. Majestäten mit Herzogin Wera und Herzog Alb recht werden am Donnerstag vormittag 9.35 mittels Sonder- zugs hier eintreffen, um 10 Uhr die Parade über die württ. Truppen in der Friedrichsau ab­nehmen, um 12 Uhr dem Paradediner im Saal­bau anwohnen und um 2.35 wieder nach Stutt­gart zurückkehren.

Stuttgart, 25. Mai. 137. Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Tagesordnung: Etat der Verkehrsanstalten. Das Haus tritt in die Generaldebatte ein. Berichterstatter ist Vize­präsident Dr. Kiene. Redner hebt in ausführ­licher Weise die übersichtlichere und durchaus klare Anordnung des Etats hervor, die sich vor­teilhaft abhebe von der früheren Form desselben. Die ständische Arbeit sei dadurch wesentlich er­leichtert, der Ueberblick viel einfacher. DaS Eisenbahnnetz habe seit der letzten Etatsberatung um 32,78 Km. zugenommen, der Reinertrag sei für das erste Jahr auf 15165000 Mark, für das zweite auf 15216000 Mk. angenommen