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Stimme erschallte. Da stand er vor einer geschlossenen Thür, die indessen schief und wacklig in ihren Angeln hing und deren Füllungen durch die breiten Fugen und Risse, von denen sie umsäumt wurden, eine bedenkliche Neigung verrieten, ihren gegenwärtigen Platz zu verlassen. Auf diese Thür war mit Kreide der Name Fredersdorf geschrieben, und hinter ihr befand sich das noch immer mit vollem Atem keifende Weib.
Tronow klopfte zweimal ziemlich vernehmlich an; aber er erhielt keine Antwort von drinnen und sah sich endlich genötigt, einzutreten, ohne eine Einladung dazu abzuwarten. Der Anblick, der ihm beim Ueberschreiten der Schwelle zu Teil wurde, war so befremdlich und merkwürdig, daß sich in der That die Mühe eines Besuches selbst dann belohnt haben würde, wenn es nicht eine so bestimmte und eine so bedeutsame Absicht gewesen wäre, welche den jungen Mann hierher führte.
In einem ziemlich großen Raume, der durch die kleinen schrägen Dachfenster ein ausreichendes Licht erhielt befanden sich an Möbeln nur ein armseliges eisernes Bett, ein Schränkchen und ein Tisch von wahrhaft riesigen Dimensionen. Dagegen zogen sich ringsum an den roh ge- weißten Wänden Regale und Böcke hin, die mit Flaschen, Büchsen und seltsam geformten Apparaten förmlich überfüllt waren, und auf dem Tische selbst stand ein Destillierapparat von be- trächtlicher Größe. Das Auffälligste und Interessanteste an dem merkwürdigen Laboratorium war weder diese ungewöhnliche Ausstellung noch das aufgebrachte, keifende Weid, welches in der recht ungebildeten Manier, nämlich mit in die Seite gesternten Armen, mitten im Zimmer stand, sondern der auf dem dürftigen Lager ausgestreckte Besitzer all dieser abenteuerlichen Herrlichkeiten, in welchem man wohl auf den ersten Blick den mit dem Spitznamen des Giftmischers bezeichneten Fredersdorf erkennen mußte. Ein scharf markierter, bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit abge- magerter Kopf, mit tiefen, bläulichen Schatten unter den Augen und schrecklich eingesunkenen Schläfen, um welche sich einige dünne, wirre Haarsträhnen legten, ruhten auf einem nichts weniger als blütenweißen Kopfpsühl, während die schmutzige und an mehreren Stellen geflickte wollene Decke, welche seinen Körper verhüllte, die eckigen abgemagerten Formen desselben in geradezu Mitleid erregender Weise hervortreten ließ; seine fleischlosen Hände — die Hände eines Skeletts — lagen kraftlos auf der Decke, und nur als das Weib auch nach dem Eintritt des Fremden von Neuem mit seinem Gezeter begann, hob er sie mit einer mühsamen Bewegung gleichsam bittend und beschwörend empor, während sich seine Lippen bewegten, ohne einen Laut Hervorbringen zu können. Er hatte die geringe Kraft seiner Brust offenbar schon vorher mit vergeblichen Bitten und Vorstellungen erschöpft.
„Aha. da kommt noch Jemand, dem Sie wahrscheinlich auch Geld schuldig sein werden, Sie alter Schlemmer." schrie die Megäre.
„Haben Sie diesen Herrn vielleicht auch so schmählich hintergangen, wie mich, die ich nun für meine Gutmütigkeit so elend büßen muß? Denken Sie nur", wendete sie sich an den Referendar, der vergebens zum Wort zu kommen suchte, „wie es mir mit dem alten Weinschlauch da gegangen ist! Seit sechs Monaten habe ich ihn bei mir wohnen lassen, ohne daß er einen Pfennig Miete bezahlt hätte, und Essen habe ich ihm auch gegeben, bares Geld obendrein trotz meiner Armut; denn ich schenkte all seinen Lügen in meiner Dummheit Glauben: daß er eine große Erfindung machen und ein reicher Mann werden würde, und daß er mir die ganze Schuld mit Zinsen und Zinseszinsen zurück- zahlen würde. Und wozu hat er das Geld gebraucht, der Trunkenbold? Er wollte sich Säuren und andere Sachen dafür kaufen, die er zu seinen Erfindungen brauchte, sagte er mir. Ja wohl, vergeudet hat er's in einem anrüchigen Weinlokal. Hören Sie! in einem Weinlokal, mein sauer erworbenes Geld! Und selbst habe ich seit Menschengedenken keinen
Tropfen Wein über meine Lippen gebracht! Ist cs nicht eine Sünde und eine Schande?"
Sie mußte einen Augenblick inne halten, um Atem zu schöpfen, und dabei warf sie einen bitterbösen Blick auf den bedauernswerten alten Mann, der unfähig war, etwas auf den unauf- Haltsamen Redestrom der Alten zu erwidern und der sich auf seinem jammervollen Lager wie unter Peitschenhieben wand.
„Aber meine beste Frau, ich bitte Sie —" wollte Tronow beginneu; aber sie hatte schon wieder neue Kräfte gesammelt, um mit erhöhtem Eifer fortzufahren:
„Nichts da, erst muß ich mir alles herunter- reden, was ich auf dem Herzen habe, sonst er- sticke ich noch vor Aerger. Wie ist es denn nun mit seiner Erfindung? Wo ist sie? Wann wird sie zu Stande kommen? Sieht der Mensch aus. als ob er noch eine Erfindung machen könnte, die auch nur einen einzigen Thaler wert ist? Lug und Betrug ist alles gewesen, was ich von ihm zu hören bekam! Wo ist denn nur der seine Herr geblieben, der sich seiner annehmen und ihn unterstützen wollte, der feine Herr, der ein paar Mal hier herauf geklettert ist und stundenlang bei ihm gesessen hat? — Eine schöne Unterstützung das! Er hat ihn zum Besten gehabt, oder er hat mit ihm unter einer Decke gesteckt, damit ich arme, unwissende Frau noch besser hintergangen werden könnte! Und nun, nachdem er alle meine Sparpfennige durch die Gurgel gejagt hat, nun liegt er da und kann kaum noch einen Finger rühren. Wie lange wird'S dauern, und es ist aus mit ihm. und ich habe eine Leiche im Hause und komme in die ärgsten Ungelegenheiten mit den Behörden — ich, die ich in meinem ganzen Leben nur ein einziges Mal mit der Polizei zu thun hatte, damals, als sie meinen Azor ohne Maulkorb aufgegriffen hatten! — Und wovon soll ich mich denn bezahlt machen für meine Gutmütigkeit? Mit den Scherben etwa und den scheußlichen Mixturen?" Oder mit den Töpfen und Mörsern, die so ungeschickt gemacht sind, daß ich sie nicht einmal in der Küche würde gebrauchen können? Nein, wahrhaftig, es ist um aus der Haut zu fahren!"
(Fortsetzung folgt.)
Vom Bodensee, 20. Mai. Dieser Tage trug sich laut „Oberschw. Anz." in einer Bodenseestadt folgender scherzhafter Vorfall zu. Ein junges Mädchen kam zum Herrn L. und richtete ihm eine Bestellung des Herrn N aus, wonach Herr L. sofort kommen möge, um den Redakteur aufzuhängen. Als Herr L., der über den etwas ungewöhnlichen Auftrag mit Recht erstaunt war, in der Wohnung des letzteren eintraf, klärte sich das Mißverständnis in erfreulicher Weise dahin auf. daß cs sich nicht um einen Akt der Lynchjustiz, sondern nur um das harmlose Aufhängen eines Regulators handelte. O diese Fremdwörter!
(Ein russischer Riesenkanal.) Eine Nachricht von großer Bedeutung für Mitteleuropa, namentlich für Oesterreich-Ungarn, wird den am 25. Mai in Wien zusammentretenden Deutsch- Oesterreichisch- Ungarischen Binnenschifffahrts- Verband beschäftigen, nämlich der von der russischen Regierung in einer Ausdehnung von 1600 Kilometer geplante großartige Kanalbau, welcher die Ostsee (Riga) mit dem Schwarzen Meer (Cherson) verbinden soll Es sind alle Vor- und Projektionsarbeiten für den neuen Wasserweg Vollender: der Kanal, der eine Breite von 65 Meter an der Oberfläche nnd 35 Meter an der Sohle und eine Tiefe von durchgehends 8,5 Meter erhalten soll, wird, von Riga ausgehend, dem Laufe der Düna, dann der Beresina und später der Dniepr folgen und bei Cherson in das Schwarze Meer münden. Der Kanal soll so gebaut werden, daß auch die größten Schiffe mit einer Geschwindigkeit von 6 Seemeilen oder 11 Kilometer in der Stunde denselben befahren, ihn also in genau sechs Tagen ganz passieren können, vorausgesetzt, daß, wie geplant, der ganze Kanal nachts elektrisch beleuchtet wird. Die Gesamtkosten sind von der Regierung auf
400 Millionen Mark präliminiert. Ende des Jahres 1902 muß dieses Riesenwerk vollendet sein. Es wird dies der längste Kaya! der Erde sein.
(Ein glückliches Dorf.) Das Steuerzahlen ist gewiß für alle Welt eine sehr unangenehme Beschäftigung. Man kann sich daher die Freude des kleinen Dorfes Liendo (Santander, Spanien) vorstellen, als seine Einwohner vor wenigen Tagen für „ewige" Zeiten von Steuern befreit wurden. Das ging nämlich folgendermaßen zu: Vor vielen Jahren wanderte ein armer Bauer nach Südamerika aus, erwarb sich dort ein bedeutendes Vermögen und kehrte vor Kurzem wieder nach seinem Heimatsorte zurück, um hier seine letzten Tage zu verbringen. Das Klagen seiner Mitbürger über die hohen Steuern schmerzte den alten Mann sehr, und er reiste eines schönes Tages nach Madrid, um für 500000 Pesetas Staatspapiere auf den Namen seines Hcimstsortes zu kaufen. Die Zinsen kommen der Dorfverwaltung zu gute mit der Bedingung, daß davon sämtliche Staats- und Kommunalabgaben der Einwohner bestritten werden.
Der Schauerroman „Schinderhannes" hat in Schwelm 10 junge Burschen im Alter von 16—20 Jahre» zur Organisation einer Räuberbande als Anleitung gedient. Die Bande hatte ihren Hauptmann und jedes Mitglied führte einen Räubernamen, wie „schwarzer Wolf", „Anton Bärenherz", „Falkenauge", „Eisenfaust", „der schlaue Fuchs", „Jose" u. s. w. Unter dem Wahlspruch „Einigkeit macht stark" wurde jedes Mitglied dem Hauptmann durch einen Eid auf Messer und Revolver verpflichtet. Die Burschen hatten sich 4 Revolver unb scharfe Patronen angeschaffl. Bei Entdeckung der Bande durch die Polizei hatten sie für diese 24 Schüsse bereit. Die Beute brachten die Räuber in einer Höhle unter, die sie selbst angelegt haben. In ihrem Besitze fanden sich außerdem 70 Schlüssel.
(Ein Preisausschreiben ganz eigener Art), welches auch die Leser unserer Zeitung interessieren dürfte, hat die Redaktion von „Küche und Keller", eine neue, vornehm ausgestattete, in Berlin erscheinende Fachzeitschrift erlassen. Es handelt sich um das besteMenu für ein Souper von fünf Gängen, welches Mitte Juni veranstaltet werden soll. Für das beste Menu ist ein Preis von 20 Mark ausgesetzt. Preisarbeiten nebst Motto und Adresse (in geschloffenem Kouvert) sind an die Redaktion von „Küche und Keller" in Berlin zu richten. Als Preisrichter fungieren Autoritäten ersten Ranges auf dem Gebiete der Gastronomie.
Rud. Falb erwartet mit dem 3l. Mai, einen kritischen Termin III. Ordnung, neuerdings eine Zunahme der Niederschläge und Gewitter, verbunden mit einem Rückgang der Temperatur, während für den Monat Juni, mit kurzer Unterbrechung um den 8., günstiges Wetter mindestens bis in die Mitte desselben wahrscheinlich sei.
(Ein Mißverständnis.) Ein paar Leute kommen ans Theater und fragen: „Was giebt's heute?" — „Was Ihr wollt!" (Von Shakespeare.) — „Weeßte," sagte der eine, „August, da bestell'« mir uns „De Reiwer"!"
(Aus Kalau.j Was ist das, wenn einer sich abends auf die rechte Seite schlafen legt und am Morgen auf der andern liegt? — Früh — lings — erwachen.
Auflösung des Versteckrätsels in Nr. 82.
„Pfingsten."
Pferd Folge Inn Niger Ger Stil Ton Erich Not
Rätselfrage.
Wie erhält man aus den Wörtern „Erde", „Pfad", „Werft", „Stunde", „Riff", „Agnes" den Anfang eines Gedichtes von Uhland?
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.