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Hlnteryaltender Teil.
Falsche Spuren.
Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann.
(Fortsetzung.)
Paul hatte seine unüberlegte Aeußerung schon wieder bereut, und am liebsten würde er die unbequeme Fragerin mit einem barschen Wort abgefertigt haben: aber als er einen scheuen Seitenblick auf Tronow warf, sah er dessen ernst und prüfend auf ihn gerichtete Augen und fühlte die Notwendigkeit, eine Antwort zu geben. So zwang er sich denn gewaltsam zu einem klanglosen Lachen meinte:
„Ach, ich bin nicht so träge und leichtsinnig gewesen, als Ihr Alle glaubt, ich habe eben nur eine andere Art, zu arbeiten, als die gewöhnlichen Menschenkinder. Ich habe ein großes Werk geschrieben, das nicht geringes Aufsehen machen wird und das mir ein schönes Honorar eingetragen hat. Ihr werdet staunen, wenn es Euch einmal zu Gesicht kommt!"
Er hatte sich seit Langem auf diese Erklärung seines plötzlichen Wohlstandes vorbereitet; aber nichtsdestoweniger war ihm das Unbehagen anzumerken, mit welchem er sie gab, und er brachte das Gespräch so schnell auf einen anderen Gegenstand, daß der Referendar nicht weiter forschen konnte, wenn er seinen Argwohn nicht von Neuem rege machen wollte. Früher als sonst stand der Doktor auf, um seine Zeche zu berichtigen und sich zu entfernen. Tronow begleitete ihn, wie gewöhnlich, nach Hause, und als sie sich vor Paul's Wohnung trennten, fragte er noch einmal, ob es ihm wirklich Ernst damit sei, nach Amerika auszuwandern.
„Ja," versetzte der Andere kurz. „Man hat mir ein vorteilhaftes Angebot gemacht; und ich sehne mich nach Aufregungen und Abenteuern. Das Einerlei dieses gesitteten europäischen Lebens bringt mich um!"
„Und wann gedenkst Du zu reisen?"
Er hatte sich auf Paul's Antrag dazu verstehen müssen, das kameradschaftliche Du zu gebrauchen.
„Wann ich reisen will? Nun, Dir kann ich's ja anvertrauen? Das Schiff geht in vier Tagen ab; aber nicht von hier aus, sondern von Havre. Ich habe meine Gründe, bis dahin den Landweg zu wählen; denn ich möchte gern ohne jedes Aufsehen von der Bildfläche verschwinden. Dies lästige Abschiednehmen ist mir in meiner gegenwärtigen Stimmung geradezu unausstehlich. Und dann sind da auch noch ein paar filzige Wucherer, denen ich gar zu gern eine Nase drehen möchte. Du verstehst mich doch? Darum möchte ich Dich auch bitten, Nichts zu verraten. Es fuhr mir vorhin ein bischen unüberlegt heraus! Aber Dir kann man ja vertrauen, altes Haus, nicht wahr?"
„Ich werde Jedermann versichern, daß Du nicht nach Amerika reisen wirst," erwiderte Tronow mit eigentümlicher Betonung, deren Zweideutigkeit dem Andern in seinem Rausch indessen entging.
„Du bist eine brave Seele! versetzte er mit etwas schwerer Zunge. „Auf Wiedersehen also! Gute Nacht!"
Er ahnte nicht von welcher Art ihr Wiedersehen sein sollte.
Tronow war entschlossen, der Sache mit einem raschen und entschiedenen Schlage ein Ende zu machen. Die unwürdige Komödie, in welcher er da um des guten Zweckes willen eine peinliche Rolle übernommen hatte» widerte ihn an, und er glaubte überdies, die Federn jetzt genügend in seiner Hand vereinigt zu haben, um den letzten Aufzug des seltsamen Spiels beginnen zu lassen.
Er ging in das Restaurant zurück, welches sie soeben verlassen hatten; und bestellte eine Flasche Champagner, die beiden Kellnerinnen, von denen die eine gewisse Zuneigung für ihn gefaßt hatte, leisteten ihm auf seinen Wunsch auch jetzt Gesellschaft und begannen über den abwesenden Doktor zu sprechen, für dessen vertrauten Freund sie den Referendar halten mußten.
„Er ist ein guter Junge," meinte die Eine, „nur etwas launenhaft und verwirrt, und er
liebt das Aufschneiden zu sehr! Bon der Geschichte mit dem großen Werk zum Beispiel glaube ich ihm kein Wort!"
„Und doch werden Sie ihm ohne Zweifel einen großen Gefallen damit thun, die Geschichte Jedermann zu erzählen, der sich etwa über seinen Reichtum wundern sollte. Ist sie auch nicht wahr, so giebt sie doch immerhin eine lediglich glaubhafte Erklärung."
„O. was das anbetrifft, so kann er sich ganz auf uns verlassen! Mit solchen Dingen wissen wir Bescheid."
„Natürlich! Habt Ihr ihm doch neulich recht freundlich aus der Verlegenheit geholfen!"
„Wir?" fragten die Mädchen verwundert wie aus einem Munde, und lächelnd erwiderte er:
„Nun ja, Ihr braucht Euch mir gegenüber nicht gar so unschuldig zu stellen. Ich bin ja von Allem unterrichtet. Oder wollt Ihr auch mir gegenüber behaupten, daß er an dem Abend vor seiner Abreise bis um Mitternacht hier in Eurer Gesellschaft gewesen?"
Etwas verblüfft und unsicher sahen sich die beiden Mädchen an. Ahßr die Eine, der an Tronow's Freundschaft offenbar viel mehr gelegen war, als au derjenigen des Dokters, meinte endlich mit einem leichtsinnigen Lachen:
„Nun ja, warum sollten wir ihm den kleinen Gefallen nicht erweisen? Sie wissen doch jedenfalls, was für einen Grund er dazu hatte?"
„Natürlich weiß ich's! Aber ich wäre neugierig zu hören, ob er Euch die Wahrheit gesagt hat. Das hättet Ihr doch mindestens für Eure Bereitwilligkeit verdient!"
„O, er hat gar kein Geheimnis aus seinem großen Verbrechen gemacht. Er weiß, daß wir über solche Unthaten nicht so streng urteilen, wie die löbliche Polizei: Er hatte an jenem Abend gespielt und war eben im Begriff ge- wesen, die Bank zu sprengen, als ein paar Polizisten hereindrangen und das ganze Nest aufheben wollten. Zwar gelang es ihm, mit seiner Beute durch einen Notausgang zu entwischen, aber einer von den Blauröcken glaubte ihn erkannt zu haben, und er sah darum voraus, daß man ihn verhören würde. Wenn wir ihm nun bestätigten, daß er um die nämliche Zeit hier bei uns gewesen sei, so war die Gefahr beseitigt, und wir machten uns ein Vergnügen daraus, ihm diesen harmlosen Wunsch zu erfüllen. Einen Eid hat man uns ja "sticht abgenommen !"
„In diesem Fall aber würdet Ihr doch lieber die Wahrheit gesagt haben?"
„Nun gewiß! Für einen Freundschaftsdienst, der uns ins Zuchthaus bringen könnte, würden wir uns denn doch wahrscheinlich bedankt haben.
„Ihr thut sehr recht daran", sagte der Referendar ernst und eindringlich. „Denn es könnte leicht genug geschehen, daß andere glaubwürdige Leute eine gegenteilige Aussage machen, und dann wäre es um Euch geschehen! Er ist also an dem Abend überhaupt nicht hier ge- wesen?"
„O doch! Er kam nach 11 Uhr, hatte die Taschen voll Geld und das Portefeuille voll von großen Kassenscheinen, mit denen er ziemlich freigebig umgieng, denn dem Giftmischer steckte er, nachdem er zwei Flaschen Champagner getrunken hatte und nicht mehr recht wußte, was er that, sogar heimlich eine Tausendmarknote in die Rocktasche."
Tronow fühlte etwas wie einen heftigen Ruck durch seinen ganzen Körper.
„Dem Giftmischer?" fragte er, sich mit Aufbietung seiner ganzen Energie zu einem gleichgültigen Lächeln zwingend. „Wem habt Ihr denn diese lächerliche Bezeichnung gegeben und was soll sie bedeuten?"
„Ach das wissen Sie nicht? Nun freilich, er ist ja auch seit jenem Abend nicht wieder hier gewesen. Wahrscheinlich ist er krank geworden, oder es ist ihm sonst etwas zugestoßen. Cr pflegte fast unser regelmäßiger Gast zu sein, wenn er uns auch wenig genug zu verdienen gab."
„Aber was hat eS mit seiner Beziehung als Giftmischer auf sich? War es denn ein so gefährlicher Mensch?"
„O nein! Nichts weniger als das!" lachte die Sprechende. „Ich glaube, er hätte keiner Fliege etwas zu Leide thun können. Er war ein Sonderling, ein alter Narr, der früher einmal Chemie, oder wie das sonst heißt, studiert haben soll, und der sichs in den Kopf gesetzt hatte, irgend etwas, ich weiß nicht recht, was, zu erfinden. Da er uns und die anderen Gäste immer mit seinen Erzählungen von Säuren und Elementen und Mixturen langweilte, hat ihm einer den Spitznamen des Giftmischers gegeben, den er sich denn auch ohne viel Widerspruch gefallen ließ. Er war eine kreuzbrave Haut, und namentlich der Doktor hatte sich sehr mit ihm befreundet. Ich glaube sogar, er hat ihn öfter in seiner Mansarde aufgesucht, weil er sich, wie er sagte, für seine Experimente interessierte."
Tronow vermochte seine Aufregung kaum noch zu bemeistern.
„Das ist mir ja ganz neu", sagte er. „Rellinghausen hat mir niemals davon gesprochen. Aber man könnte demnach ja selber Neigung verspüren, sich mit dem Alten bekannt zu machen. Wo liegt denn eigentlich diese denkwürdige Mansarde?"
Die Mädchen vermochten sich nicht gleich zu erinnern; aber nach einigem Nachdenken kamen sie doch darauf und nannten dem Referendar die Adresse, die er sich nicht erst zu notieren brauchte, da sie ihm wie jedes Wort ihrer Erzählung fest im Gedächtnis haftete.
(Fortsetzung folgt.)
Trier, 25. Mai. Eine moderne Schatzgräberei wird dieser Tage in der Maximinkaserne, dem alten Heim der 9. Husaren, ausgeführt. Dort sollen nach der Sage die Mönche des ehemaligen Klosters vor über 100 Jahren beim Anrücken der Franzosen ihre Kostbarkeiten vermauert haben; oft, aber stets vergeblich, wurde nach ihnen gesucht. Jetzt hat sich ein Mann aus Elberfeld gemeldet, der nach Angaben seines aus Trier stammenden Großvaters die genaue Stelle wissen will, wo der riesige Schatz ruht. Das Geheimnis sei 100 Jahre zu wahren gewesen. Die Militärverwaltung hat sich auf die Sache eingelassen; der Mann hat 500 Kaution zu deponieren und bekommt ein Drittel der eventuellen Funde, während der Staat zwei Drittel erhält. Kirchengeräte fallen der Kirche zu. So der Vertrag, von dem man nur wünschen kann, daß er nicht gegenstandslos bleibe.
Berlin, 23. Mai. Das Berliner Tgbl. schreibt: Zweihundert. „Zur nächsten Winter-Konzertzeit sind die Säle
bereits für- 200 Konzerte fest bestellt."
So schreibt uns ein kundiger Freund; wir teilen es hiermit auch dem Publikum schonend mit.
(Kurz gefaßt.) Sie: „Ach Arthur, ich habe heute schreckliche Kopfschmerzen!" — Er (in eifriger Arbeit begriffen): „Na — wie viel kostet der Hut, den Du haben möchtest?"
Telegramme.
Berlin, 28. Mai. Bei der Einfahrt eines gestern Abend 10 Uhr auf dem Anhalter Bahnhofe ankommenden V o r o r t z u g e s stieß die Maschine, vermutlich infolge zu späten Bremsens, gegen einen Prellbock, wodurch 22 Fahrgäste verletzt wurden.
TropPau, 28. Mai. Gestern stürzte in dem Eugensschachte zu Paterswalde anläßlich vorgenommener Ausbesserungen die Zimmerung in einer Höhe von 26 w ein. 4 Zmimerleute wurden verletzt; 3 von ihnen wurden noch lebend aus dem Schachte herausgezogen. Auch den einen noch im Schacht befindlichen hofft man noch lebend ans Tageslicht zu bringen.
Pest. 28. Mai. Gestern gingen in der Ortschaft Mad mehrere Wolkenbrüche nieder. Eine Person ist ums Leben gekommen, 60 Häuser wurden umgerissen. Eingleich ejs Unwetter richtete in der Ortschaft Szolak großen Schaden an. Dort wurden drei Menschen getötet, ganze Häuserreihen vernichtet und viel Vieh hinweggeschwemmt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.