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liche Zusätze wurden mit angenommen. Eine etwas längere Erörterung veranlaßte Z 129 (Recht der Handwerker Lehrlinge zu halten). Von der Kommission war hiezu beschlossen worden, daß das Recht Lehrlinge zu halten, nur jenen Handwerkern zustehen solle, welche die Berechtig, ung zur Führung des Meistertitels besitzen. Staatssekretär v. Bötticher erklärte indessen, daß eine etwaige Aufrechterhaltung dieses Kom. Missionsbeschlusses das ganze Gesetz für die ver. bündeten Regierungen unannehmbar machen würde, weil derselbe den Befähigungsnachweis, wenngleich in beschränktem Umfange, einführen wolle. Infolgedessen erklärten die Abgeordneten Hitze (Zrr.), Gamp (Rp.). Kcopatscheck (kons.) und Dr. Bachem (Ztr.f. ihre Fraktionen würden, um das Gesetz nicht scheitern zu lassen, an dem genannten Kommissionsbeschlusse nicht weiter sesthalten. Gegen denselben sprach mit Bestimmt- heit auch der Nationalliberale Bassermann, während sich zu seinen Gunsten der Antisemit Zimmermann und für seine Person der Zenlrumsabgeordnele Eulersich äußerten. Bei der Abstimmung wurden denn auch ß 129 unter Streichung des erwähnten Kommissionszusotzes angenommen. Die ferneren Bestimmungen des Entwurfes gelangten ohne wesentliche Diskussion zur Annahme, nur gab es bei den Uebergangs- bestimmungen nochmals eine namentliche Ab. stimmung, da der Abg. Richter beantragte, einen zu Art. 6 der Uebergangsbestimmungen von der Kommission hinzugefügten Zusatz betreffs der Umwandlung bestehender Innungen in Zwangsinnungen wieder zu streichen. Das Haus entschied sich jedoch mit 125 gegen 83 Stimmen für Beibehaltung des Zusatzes; hiemit war die zweite Lesung der Handwerker-Vorlage zu Ende geführt. Am Mittwoch erledigte der Reichs­tag die Beamtenbesoldungs-Vorlage und den jüngsten Nachtrags. Etat in zweiter' Lesung. Bei der Letzteren äußerte sich Abg. Richter (sreis. Volksp.) bemerkenswerter Weise zu den Artillerieforderungen (30 Mill. Mark) er u. seine Freunde seien geneigt, hier das Dreifache von dem zu bewilligen, was sie bei den Marine­forderungen gestrichen hätten, sie würden sich den Konsequenzen im Interesse der Wehrkraft des Landes nicht entziehen, denn sie wüßten, was sie eventuell hier an Eisen sparen könnten, würden sie später mit Blut heimzahlen müssen. Die Forderung wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. In der Haupt- sache wurden die Nachtragsetats debattelos den Kommisstonssnträgen entsprechend, unver- ändert bewilligt. Darauf vertagte sich der Reichs­tag bis zum 22. Juni.

Prinz Ludwig von Bayern hat in diesen Tagen in der Generalversammlung des bayer. Kanalvereins eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der er unter anderm folgendes ausführle: Ich kann mir nicht denken, daß der bayerische Kanal an der Grenze Halt machen muß. Wozu haben wir ein Deutsches Reich, wenn ein Staat neben dem andern sich abschließt? Und das Schlimmste wäre es, wenn der größte Staat im Reiche aus kleinlichen Rücksichten dem andern Staate die Vorteile nicht gönnen würde, die er selbst hat. Der erste Mann im Reiche, der zu- gleich der König Preußens ist, ist ein Freund der Wasserstraßen, das hat er mir selber gesagt. Wenn man ein solcher Freund ist, glaube ich nicht, daß sich Preußens König als Feind der Kanalfortsetzung erweist.

Der Prozeß Tausch-Lützow vor dem Berliner Landgericht I will noch immer nicht die vielfach erwartete sensationelle Wendung nehmen. Der angeklagte Kriminalkommissar v. Tausch leugnet fortgesetzt, daß er politische Zntriguen gesponnen habe, während ihn der Mitangeklagte Schriftsteller v. Lützow nach Kräften zu belasten sucht. Uebrigens veranlaßte der Gang des Verhörs am Dienstag p. p. Tausch zu dem Geständnisse, daß er sich Jahre lang in schweren finanziellen Bedrängnissen befunden habe und in Wucherhände geraten sei.

Der Ueberschuß der preußischen Staats- einnahmen für 1896/9? wird auf 80 bis 100 Mill. Mark geschätzt.

Gerolstein, 22. Mai. Der Schloß­brunnen Gerolstein in dessen unmittel­

barer Nähe sich das fürchterliche Eisenbahn­unglück vor einigen Tagen ereignete, wurde auf der Kochkunst- und Fachausstellung zu Barmen für sein ausgezeichnetes natürliches Mineralwasser mit der goldenen Medaille und Ehrenpreis preisgekrönt.

Karlsruhe, 25. Mai. In seiner Hauptversammlung beschloß der badische Schwarzwaldverein die Erwerbung der Köcperschaftsrechte bis zur Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs zu vertagen; es soll ein Vereinsorgan begründet werden. Der Vor- anschlag für das lausende Jahr stellt sich auf 15 000 Mk. Mehrere Beschlüsse wurden in Bezug auf das Kartenwerk gefaßt.

Von einem Weltkongreß der Juden ist in den Blättern die Rede. Am 25. August d. I. soll nach Zeitungsberichten in München ein solcher Weltkongreß abgehalten werden, auf dem die Möglichkeit der Wiedererrichtung eines jüdischen Reiches erörtert werden soll. An der Spitze der Bewegung stehen Dr. Theodor Herzl, Max Nordau, Rabbiner Hildesheimer u.a. Allem Anschein nac^ handelt es sich um den Plan der sogenanntenZionisten-, die Israel in Palästina wieder sammeln wollen.

Württemberg.

Tübingen. Die Schwurgerichtssitzungen des II. Quartals beginnen dahier unter dem Vorsitz des Landgerichtsrats Kohlhund am Montag den 21. Juni d. I.

Am letzten Sonntag fand die 5. General­versammlung des Württ. Schutzvereins für Handel und Gewerbe statt. Der Verein, welcher z. Z 1350 Mitglieder zählt, erweist sich von Jahr zu Jahr immer noch nützlicher für seine Mitglieder und für die Interessen des ge­samten kaufmännischen und gewerblichen Mittel­standes. Der Verein gewährt seinen Mitgliedern unentgeltlichen Rat und Beistand, auch in allen möglichen Privatangelegenheiten. Wegen seiner Thätigkeit zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und der Gesetzesumgehung seitens verschiedener Geschäftsleute, welche Detailreijen lassen, hat der Verein bekanntlich eine warme Anerkennung seitens des Vorsitzenden des deut­schen Bundesrats, Staatssekretär v. Bötticher, erhalten.

Ulm, 28. Mai. Gestern Abend und heute Nacht hatten wir hier schwere Gewitter. Es sind 18 Liter Regen auf den m m gefallen. Die Donau ist stark angeschwollen. Oberhalb Ulm ist sie ausgetreten und überschwemmte die Wiesen. Heute früh stürzte sich ein hiesiges Dienstmädchen oberhalb der Eisenbahnbrücke in die Donau, wurde unter mehreren Flößen durch­gerissen. aber von dem Aufseher Zuber und dessen Sohn noch lebend den Fluten entrissen. Die Leiche des am 2. Mai ertrunkenen Pionierfizrfeldwebel Scheffold wurde heute Vormittag in Donauwörth beerdigt, wozu sich eine Abteilung seiner Kompagniekameraden be­geben hat.

Marbach, 27. Mai. Ein Schreiner­lehrling von hier, der vorgestern nachmittag ein Vogelnest in einer Baumspalte ausnehmen wollte, mußte diesen Unfug schwer büßen. Um das Vogelnest erreichen zu können, saß er seinem Lehrgenossen auf die Schulter und zwängte mit Gewalt seine Hand durch die enge Spalte. Schon glaubte er seiner Beute sicher zu sein, als er zu seinem nicht geringen Schrecken die Hand nicht mehr zucückdrachte und je mehr er sich bemühte, desto mehr schwoll jene. Als sein Genosse ihn nicht mehr halten konnte, riefen sie um Hilfe. Nach stundenlanger Arbeit mit Säge und Meißel gelang es endlich, die eingezwängte Hand zu befreien.

Ausland.

In Oesterreich steigert sich die durch die Badenische Sprachenverordnung hervorgerufene Erregung unter den Deutschen. Im Abgeordneten­hause kommt es fast täglich zu stürmischen Auf­tritten, welche jede ordnungsmäßige Verhandlung unmöglich machen. Die nationalen Gegensätze werden auch dort durch den Uebermut der Slaven geschärft. Diese treten gleich heraus­fordernd gegen die Deutschen und Ungarn aus,

so daß es bei Neuwahlen wiederholt zu blutigen Zusammenstößen gekommen ist. So wurden erst wieder in der letzten Woche in Kroatien bei solchen Tumulten 8 Personen getötet und 31 verwundet.

Nach kurzer Pause ist in Frankreich der Panamajkandal wieder auf die öffentliche Tages­ordnung gesetzt worden. Die radikalen Pariser Blätter behaupten, die Regierung selbst habe einen Diener des bekannten Panamisten Alton mit einer großen Summe bestochen oder bestechen wollen, damit dieser den Namen eines bis jetzt noch außer Gefecht gebliebenen hervorragenden Parlamentariers, der auch Panamagelder be­kommen habe, verschweigen solle.

Paris, 27. Mai. In Saint-Denis und in Saint-Qucn bei Paris haben große Hunde zwei Kinder getötet. Das eine der Tiere ist ein Pyrenäenhund aus dem Fort Brichr bei Saint-Denis, der ohne jede Veranlassung über ein spielendes Kind herfiel und es zer­fleischte; der andere war eine sogenannte Bor­deauxdogge.

WieOsservatore Romano- aus angeblich guter Quelle erfährt, zeige der Kaiser von Rußland, in seiner Billigkeit gegenüber allen seinen Unterthanen, auch den Umarm gegenüber die besten und versöhnlichsten Ge­sinnungen, indem er dafür einlrete, daß die Uniaten wegen ihres Glaubensbekenntnisses nicht belästigt werden, sondern ihren Glauben frei bekennen und die Gebräuche desselben ausüven können.

Die italienischen Freiwilligen, welche mit Menotli Garibaldi, dem Sohne des bekannten Freischärlers aus den 60er Jahren, nach Griechen­land gegangen sind, um gegen die Türken zu kämpfen, haben dort sehr schlechte Gefchäfle ge­macht. Eia Sohn Garibaldi's ist in dem Kampfe gefallen und zu guterletzt haben die Italiener mit der griechischen Heeresleitung noch ernste Koufl'kie bekommen, so daß die ital. Freiwilligen, soweit sie nicht aus der Armee deiertlert sind, schleunigst wieder nach Hause befördert werden.

Italien. Bei der Revision der Stadt­kasse von Foggia hat sich ein Fehlbetrag von 354 000 Lire herausgestelll. Der gesamte Gemeinderat wurde von der Regierung dafür haftbar gemacht.

Die türkischen Siege haben überall im muhamedanischen Orient, in Kleinasien, Synen, Egypten und auch in Algerien, eine Hebung des Selbstgefühls hervorgerufen. Ja Algerien scheint diese Aufregung einen Grad er­reicht zu haben, der die Aufmerksamkeit der französischen Behörden auf sich gelenkt hat. Zu­nächst ist es zu großen Ausschreitungen gegen die Juden gekommen, die sich an mehreren Tagen wiederholten.

Im spanischen Senat kam es zwischen dem Minister des Auswärtigen, dem Herzog v. Tetnan und einem liberalen Senator namens Comas zu einem jo heftigen Auftritt, daß der Minister den Senator beohrfeigte. Anlaß zu diesem thatkräftigen Meinungsaustausch gab ein Beschluß des amerikanischen Senats, daß die Ver. Staaten von Nordamerika die Aufständischen auf der Insel Kuba als kriegführende Partei anerkennen wollen. Der Präsident der Ver. Staaten, Mac Kinley, hat übrigens bis jetzt dem Beschluß des Senats noch keine Folge ge­geben, und jetzt hat auch die Ernennung der Aufständischen als kriegführende Partei keinen großen Wert mehr. Die Aufständischen haben schon lange keinen Schlag mehr führen können und werden dies nach Beendigung der Regenzeit wohl auch nicht thua können, da Spanien selne bedeutend vermehrte Flotte rings um die Insel Kuba stationieren will. Der schlagfertige Mi­nister des Auswärtigen hat übrigens seine Ent­lassung genommen.

Aus Alessandria (Piemont) wird uns gemeldet: Im Wchlafraum eines Armenasyls fand man Dienstag früh 4 Männer tot und 17 in Lebensgefahr infolge der Einatmung von Kohlenoxydgas, das aus einem Ofen im Waschhaufe entströmt war.