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Athen, 8. Mai. Gestern Abend zog ein Bataillon Reservisten nach Thessalien ab. Heute gehen 1200 Garibaldianer unter Garibaldis Führung ebendahin. Es dürfte damit ein Element der Unruhe aus der Hauptstadt entfernt sein, das sich besonders in den letzten Tagen etwas auffällig machte. Die in Arta stehenden Garibaldianer werden auch nach Thessalien gesandt. — Bei der Abreise der Garibaldianer nach der Grenze kam es zu unliebsamen Zwischenfällen. Mehrere Garibaldianer waren betrunken und zogen durch die Straßen mit dem Ruf: „Es lebe die soziale Republik!" Diese Rufe erregten den Unwillen der Bevölkerung:
Der Bericht des Finanzausschusses des nordamerikanischen Senats über den Tarifentwurf schlägt den l. Juli statt des I. Mai für das Inkrafttreten des Gesetzes vor.
Unterhaltender Heil.
Falsche Spuren.
Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann.
(Fortsetzung.)
Die Beamten ließen nicht eher von ihren Nachforschungen ab, als bis auch kein Winkelchen und kein Behälter im Zimmer mehr un durchstöbert geblieben war. Therese hatte nicht einmal eine Aufklärung darüber verlangt, weshalb man während dieser überaus peinlichen Szene die Thür verschlossen und sie zur Gefangenen gemacht hatte, aber mit verzweifelter Heftigkeit forderte sie eine solche Ausklärung, als ihr am Schluß der furchtlosen Haussuchung der Polizei- Kommissar mit großer Ruhe erklärte, sie sei verhaftet und habe ihm auf der Stelle zu folgen.
„Es ist eine Schändlichkeit, die man da an mir begehen will," rief sie mit hervorbrechenden Thränen aus. „Ich will wissen, wissen man mich beschuldigt. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren; denn ich bin ein wehrloses Mädchen, das sich gegen die Schmach, welche man ihr anthut, nicht verteidigen kann!
Der Polizeibeamte blieb bei diesem leidenschaftlichen Ausbruch eines heftigen Schmerzes vollkommen ungerührt.
„Sie vergessen, daß ich nur ein ausübender Beamte bin, der die Befehle seiner Vorgesetzten einfach auszusühren hat, und der Ihnen über die Ursache derselben keine Rechenschaft schuldig ist" sagte er kalt. „Ihre Deklamationen sind darum durchaus zwecklos, und es wird Ihnen die Unannehmlichkeit Ihrer Lage wensentlich er- leichtern, wenn Sie sich jetzt so ruhig als möglich meinen Anordnungen fügen."
Therese mußte wohl einsehen, daß dieser Mann in dem Bewußtsein, seine Pflicht zu erfüllen, vollkommen unerbittlich bleiben würde, und mit jener Seelenstärke, die ihr in Folge einer ausgezeichneten Erziehung zu eigen geworden war und die sie auch jetzt nicht verließ, gab sie es auf, sich durch weitere Vorstellungen und Klagen noch tiefer vor ihm zu demütigen. Leise schluchzend legte sie Hut und Mantel an, und bat dann nur noch um die Erlaubnis, ihre Wirtin mit wenigen Worten in Kenntnis setzen zu dürfen, welche Bedeutung der Besuch der beiden Herren gehabt. Aber auch das bescheidene Verlangen wurde ihr rundweg abgeschlagen.
„Ueberlassen Sie diese Mitteilung nur getrost uns selbst!" meinte der Polizei-Kommissar unfreundlich. „Für Ihre Rechtfertigung wird es vollkommen genügen, wenn Sie als unschuldig wieder entlassen werden sollten!"
Und dabei hatte es in der Thal sein Bewenden. Frau Fehning machte große Augen, als ihre junge Mieterin mit todenbleichem Antlitz und verweinten Augen inmitten der beiden fremden Herren aus dem Zimmer kam und ihr statt einer genügenden Aufklärung über diese befremdliche Erscheinung nur mit einem unsäglich traurigen Lächeln stumm zunickte; aber sie kam gar nicht erst dazu, eine Frage auszusprechen; denn schon im nächsten Augenblick hatte sich die Thür hinter den drei Personen geschloffen, und als sie ihnen, nachdem die erste Bestürzung vorüber war, nachfolgte, um sich die verweigerte Aufklärung selbst zu erbitten da kam sie gerade noch zur rechten Zeit, um die geschloff ne Droschke
abfahren zu sehen, welche während der ganzen Zeit auf der Straße vor dem Hausthore gehalten hatte. —
In einer Zelle des Untersuchungsgefängnisses aber lag in dieser Nacht ein schönes, blasses Mädchen in Thränen gebadet auf dem harten Lager und rang verzweiflungslos die Hände über die Grausamkeit eines Schicksals, für dessen zermalmende Härte es keinen anderen Trost gab. als den. daß sie Nichts gethan hatte, um dasselbe über sich beraufzubeschwören.
Die Obduktion der Leiche der mutmaßlich Ermordeten hatte ein höchst überraschendes Resultat ergeben, ein Resultat, auf welches Niemand gefaßt sein konnte, obwohl es die Vermutungen jenes jungen Arztes, welcher den ersten Verdacht geäußert, mehr als hinreichend bestätigte.
Wenn man bisher angenommen hatte, daß der Tod des Fräuleins durch fortgesetzte Einatmung starker Chloroformdünste erfolgt sei, so erwies sich jetzt, daß diese Vermutung eine irrige gewesen. Allerdings unterlag es keinem Zweifel, daß jenes Betäubungsmittel zunächst in Anwendung gekommen war, und daß die Wirkung davon die alte Dame durch einen sehr geschickten und sicheren Gebrauch desselben in einen Zustand völliger Bewußtlosigkeit versetzt hatte. Erst dann aber war das eigentliche Verbrechen zur Ausführung gekommen, da dem Thäter das Chloroform ledenfalls als nicht zuverlässig genug für den Zweck einer raschen Tötung erschienen war. Die Sektion hatte ergeben, daß als die entscheidende Ursache des Ablebens der Verblichenen eine sehr starke Dosis von Blausäure anzusehen sei. die ihr nach ihrer Betäubung eingeflößt worden sein mußte und die ohne jeden Zweifel, unmittelbar tödlich gewirkt hatte. In welcher Weise ihr das furchtbare Gift beigebracht worden war. ließ sich allerdings durch die Sektion selbst nicht genügend feststellen; denn merkwürdiger Weise fanden sich in der Mundhöhle nicht die winzigsten Spuren der verheerenden Säure vor — eine Erscheinung, über deren befremdlichen Charakter von Seilen der Aerzte die verschiedenartigsten Vermutungen geäußert wurden.
Es war selbstverständlich, daß durch diese Vermutungen der Verdacht, der sich gerade um seines Berufes willen von vornherein gegen den Bruder der Schneiderin gerichtet hatte, noch wesentlich verstärkt werden mußte. Der Besitz zweier so gefährlicher und für einen Laien so schwer erhältlichen Gifte, wie es Chloroform und Blausäure sind, legte ja ohnedies die Ver- mutung nahe, daß dem Verbrecher besondere Mittel zur Erlangung derselben zur Verfügung stehen müßten, dieselbe war selbstverständlich für Niemanden leichter als für einen Apotheker, der außerdem über ihre Anwendung und Wirkung auf das Genaueste unterrichtet sein mußte.
Noch vor der Vernehmung Theresens hatte man darum mit den Erhebungen bezüglich ihres Bruders begonnen, und wenn sich auch vorläufig noch keine weiteren direkten Beweise für seine Schuld gefunden hatten, so war doch das beschaffte Material noch weniger darnach an- gethan, zu seiner Entlastung zu dienen.
Er selbst halte nicht nur jede Kenntnis von dem Verbrechen mit großer Entrüstung in Ab- rede gestellt, sondern auch aus das Entschiedenste geleugnet, das alte Fräulein jemals gesehen oder ihr Haus auch nur ein einziges Mal betreten zu haben. Allerdings sei ihm bekannt gewesen, „daß Fräulein Hegemeier seiner Schwester Therese ein besonderes Wohlwollen entgegenbringe, und als ihm darum die Letztere mitgeteilt, daß die alte Dame den Wunsch hege, auch ihn kennen zu lernen, sei er mit Freuden dazu bereit gewesen. Aber aus dem projektierten Besuch sei nichts geworden; vielmehr hätte er sich am verflossenem Abend darauf beschränkt, mit seiner Schwester einen Spaziergang zu machen, von welchem er etwa um elf Uhr Nachts nach Hause zurückgekehrt sei. Nun erschien namentlich die Erzählung von dem Spaziergang recht unglaubwürdig, denn das Wetter war für einen solchen an jenem Abend nichts weniger als geeignet gewesen, und es mußte namentlich befremden, daß der junge Apotheker auf die
Frage, wohin dieser Spaziergang gerichtet gewesen sei, erst nach längerem Zögern und in sichtlicher Verlegenheit die Erklärung abgegeben hatte, jener Tag sei der Todestag seiner Mutter gewesen, und seine Schwester^habe ihn darum gebeten, mit ihn zum Friedhofe hinaus zu gehen. Weder der Polizei-Kommissar noch der Staatsanwalt. der die erste Vernehmung leitete, schenkte dieser Erklärung irgend welchen Glauben, und der Umstand, daß auch Therese bei dem zweiten Verhör mit derselben hervortrat, trug nichts dazu bei, ihre Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Hier lag nach der übereinstimmenden Ansicht des Beamten offenbar eine Verabredung zwischen den beiden Geschwistern vor, denen man eine gewisse Schlauheit nicht absprechen konnte, denn für einen Besuch auf dem Kirchhof konnten Zeugen füglich nicht verlangt werden. Andererseits aber kennzeichnete sich nach der Meinung des Staatsanwalt dieser Versuch eines Alibi- beweises mit Rücksicht auf die ungünstige Witterung und die sehr ungewöhnliche Stunde, in welcher der Klrchhofsbesuch unternommen sein sollte, als ein sehr haltloser und plumper.
(Forts etzung fo lgt.)
Wie n , 28. April. Ein Fi s ch -R i e se, wie er selbst in der Donau zu den größten Seltenheiten gehört, wurde vorgestern von serbischen Fischern in der Nähe Ocsovas gefangen, Es war dies ein Hausen, welche die Länge von zwei und zwei Drittel Metern hatte und rm Durchmesser 90 Centimeter zählte. Er wog 280 Kilogramm und enthielt un Innern 38 Kilogramm Caviar von beinahe erbsengroßen Körnern! Der Fisch-Riese, dessen Wert billig gerechnet, 1360 Mark ausmachte wurde nach Pest gebracht.
Telegramme.
C ou rz e l l e b er Me tz, 9. Mai. Der Kaiser und dieKaiserin trafen mit ihren Kindern und mit der Prinzessin Theodore von Schleswig-Holstein um 10 Uhr hier ein. Das Kaijerpaar fuhr von der gesamten Bevölkerung mit Hochrufen begrüßt, zur Courzeller Kirche und alsdann nach dem Schloß. Der kaiserliche Statthalter mit Gemahlin, General Häseler und Graf Hammerstcin mit Gemahlin nahmen an der Abendtafel teil.
Athen, 9. Mai. (Früh.) Oberst Bassos ist von Kreta hier eingetroffen. — Rcutermeld- ung vom 8. ds.: Die Regierung hat den Mächten die Zurückberufung von 25 Ossizieren und 10 Kompagnien Sappeur aus Kreta mitgeteilt und die Zusage gemacht, baß die anderen griechischen Truppen innerhalb einer kurzen Frist aus Kreta wieder zurückberufen werden. Nach diesen Erklärungen boten die Mächte ihre Vermittelung zwischen Griechenland und der Türkei an, indem sie gleichzeitig verlangten, Griechenland solle die Wahrung seiner Interessen ohne Vorbehalt in die Stände Europas legen. Die griechische Regierung dringt auf eine Modifizierung dieser Bedingungen.
Aus Domokos wird gemeldet: Die türkische Kavallerie setzt ihre Rekognoszierungen fort. Die türkischen Vorposten stehen bei Kryssia und Kitini. Die griechischen Truppen sind eifrig damit beschäftigt, ihre Stellung bei Domokos zu verschanzen , auf welches ein Angriff der Türken bevorsteht. — Wienermeldung. Die türkischen Truppenabteilungen, welche gegen Domokos einerseits und Halmyror (Ermia) andererseits Rekognoszierungen unternehmen, sind ziemlich weit vorgedrungen. In Volo wurden Geschütze und anderes zahlreiches Kriegsmaterial, sowie Proviant erbeutet.
Konstantinopel, 9. Mai. Wienermeldung. Die Botschafter traten gestern nach längerer Pause wieder zu einer Beratung zusammen. Morgen findet, ehe der russische Botschafter sich in die Sommerfrische begibt, eine weitere Konferenz statt. Die hier umlaufenden Gerüchte, als handle es sich bei den Beratungen um Friedensverhandlungen entbehren bislang jeder Begründung.
Konstantinopel, 9- Mai. Der Einzug der türkischen Truppen in Volo erfolgte gestern vormittag 10 Uhr.
Redaktion, Druck und Beüag von C. Meeh in Neuenbürg.