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Stuttgart, 2. Nov. (Marktbericht.) Auf dem Lebensmittelmarkt ist die Vermehrung der italienischen Zufuhr* um so leichter wahrzunehmen, als die Menge der angebotenen einheimischen Trauben eine sehr geringe ist. Preise für Trauben in Kist- chen und Henkelkörben etwas höher als bisher, von 1 50 bis 2 20 A Obst reichlich; viel
sorgfältig verpacktes italienisches Obst von schönster Erhaltung; etwas rohe Kastanien. Linken, wieselt voriger Woche 25—30 A Rosenäpfel 25 A Immer noch Zwetschgen und Himbeer (30 A, ein Beweis, daß noch kein tötender Reif ins Land- gekommen. Auf dem Blumenmarkt sind Chrysanthemum mit ihrer aufdringlichen Pracht völlig überwiegend. Als Zierde für das Wohnzimmer werden ganz artige Körbchen, in Eichenrinde gefaßt, ange- boten. Unter den Rosen noch die harten William Allen Richardson. An Gewinden ganze Berge von Kränzen, zum Schmuck der Gräber bestimmt. An Gemüsen einheimische Bohnen, den eingeführten somit vorgezogen: im Allgemeinen bietet diese Seite des Marktes eine große Auswahl; nicht minder der Keller mit seinen Hasen und Rehbraten. Wild trifft Wagen voll ein. An Fischen werden wieder Prachtexemplare von Wellern erwartet. (Schw. M.)
Cannstatt, 1. Nov. Vorgestern hielt die hiesige Sektion des deutschen Flottenvereins im Kursaal eine Versammlung unter dem Vorsitz von Rektor Mayer und in Anwesenheit des Herzogs Karl von Urach. Der Referent, Oberwinder, verbreitete sich über die gegenwärtige weltpolitische Lage, während zum Schluß eine Anzahl schöner Lichtbilder und lebende Photographien dem zahlreich erschienenen Publikum vorgeführt wurden.
Ludwigsburg, 1. Nov. Raubmörder Steinharter aus Mühringen wurde heute mittag ins hiesige Zuchthaus eingeliefert. Sein Verhalten auf der Fahrt von Rottweil hierher war ein ruhiges.
Bückingen, 1. Nov. Heute Mittag 1 Uhr wurde der flüchtige Oberamtssparkassier Lob er von Backnang auf dem Sonnenbrunnen bei Bückingen, wo er einkehrte und von dem Wirt erkannt wup^Bp verhaftet und durch den Stationskommandanten nach Heilbronn eingeliefert.
Holzelfingen, 31. Okt. Einen festlichen Empfang fanden zwei Söhne der hiesigen Gemeinde, Robert Münz und Gottlob Münz, von denen elfterer als Pionier, letzterer beim Train die Expedition nach China mitgemacht hat. Nachdem sie mit dem Dampfer „Batavia" aus China zurückbefördert worden waren, mußten sie sich auf dem Truppenübungsplatz Munster in Hannover einer fünfwöchigen Quarantäne unterziehen, so daß erst in den letzten Tagen ihre Entlassung zur Reserve erfolgen konnte. Auf dem Bahnhof Unterhausen wurden sie von ihren Altergenossen mit Wagen abgeholt und am Eingang des Orts von der Feuerwehr und der ganzen übrigen Einwohnerschaft empfangen. Mit einem Fackelzug wurden sie alsdann
in ihre elterlichen Wohnungen geleitet. Vor dem Gasthaus zur Rose hielt der Ortsgeistliche eine Ansprache, in welcher er die beiden Chinakrieger in der Heimat willkommen hieß und der allgemeinen Freude über ihre glückliche Wiederkehr, ebenso den besten Wünschen für ihr ferneres Wohlergehen Ausdruck gab. Er schloß mit einem Hoch auf die beiden Heimgekehrten. Unter lebhafter Beteiligung der gesamten Einwohnerschaft fand später im Gasthaus zur Rose noch eine gesellige Unterhaltung statt, die bei verschiedenen Reden und Gesängen den schönsten Verlauf nahm. Den Toast auf Kaiser und König brachte Schullehrer Rieger aus. Namens der Gemeinde hieß der Gemeindepfleger Tröster die Heimgekehrten willkommen und überreichte jedem derselben als Geschenk der Gemeinde 20
Von der badischen Grenze, 1. Nov. Heute abend nach 6 Uhr fuhr ein Motoromnibus des Unternehmers Rösch die steile Tiefen- bronner Straße gegen Pforzheim zu, als unweit des Pforzheimer Octroihäuschens die Bremse versagte und der mit etwa 12 Personen besetzte Omnibus umfiel. Dabei explodierte der Bezinbehälter und der Wagen geriet in Brand.' Soviel bis jetzt festgestellt werden konnte, ist eine Frau Frisch schwer am Kopf, mehrere andere Mitfahrende leichter verletzt.
Klosterwald, 31. Okt. Im Laufe dieser Woche wurde dahier der zweite Teil des von der Zentralstelle des landwirtschaftlichen Vereins in Hohenzollern eingerichteten Obstbaukursus abgehalten. Diese Lehrgänge werden jedes Jahr in einem anderen Teil des Landes abgehalten und hat jedermann freien Zutritt, im Frühling 6 Tage, im Herbst 4 Tage. Dabei werden alle diejenigen Punkte der Obstbaumpflege, welche jeder Landwirt notwendig verstehen muß, sowohl in theoretischer wie namentlich auch in praktischer Weise eingehend behandelt. Wie sehr diese Einrichtung einem wirklichen Bedürfnis entspricht und von der Bevölkerung gewürdigt wird, zeigt der Umstand, daß der Lehrgang hier von 50 Personen besucht war. Der Unterricht wurde von Landesobstbaulehrer Deigen- desch aus Sigmaringen erteilt.
München, 2. Nov. Eine Schreckensszene spielte sich gestern abend während des Konzerts im königlichen Odeon ab. Als ein Saaldiener einem anscheinend geistesgestörten Manne den Zutritt verweigerte, zog dieser einen Revolver und feuerte einen Schuß auf den Saaldiener ab, welcher diesen schwer verwundete. Der Irrsinnige gab sodann noch einen zweiten Schuß ab, welcher einen andern Diener in das Becken traf. Hierauf erschoß sich der Attentäter selbst.
Mainz, 2. Nov. Wie der Mainzer Anzeiger meldet, wurde der katholische Pfarrer Landmann zu St. Christoph heute früh °/»8Uhr, während er die heilige Messe las, von einem Schlag- anfalle betroffen. Er brach tot zusammen.
Berlin, 1. Nov. Nach einem Telegramm des Berliner Tageblatts aus Budapest ist gestern anläßlich des Reformationsfestes eine von 7 Bischöfen und über 600 Seelsorgern aller protestantischen Gemeinden Ungarns unterfertigte Adresse an den König Eduard als Oberhaupt der anglikanischen Kirche abgegangen, in welcher dem König die Bitte unterbreitet wird, dem mörderischen Bruderkriege zwischen dem protestantischen England und den Buren ein Ende zu machen.
Berlin, 1. Novbr. Von angeblich zuverlässiger Seite erhält die Deutsche Tageszeitung folgende Mitteilung: Aus Kapstadt- ist die Meldung eingegangen, daß die Buren das Haupt-Pferde- Depot der britischen Armee-Verwaltung mit Tausenden von Pferden in unmittelbarer Nähe Kapstadts aufgehoben haben.
Berlin, 2. Nov. Die zweite Lesung des Zolltarifgesetzes und des ZolltarifeS ist gestern Nachmittag in den Bundes-Ausschüssen begonnen worden. Man nimmt der Nationalliberalen Korrespondenz zufolge an, daß das Plenum des BundeS- rats in nächster Woche oder wahrscheinlich erst in übernächster Woche über die Vorlage beschließen wird. Ob verschiedene Einzelstaaten gegen den ganzen Entwurf oder nur einzelne Teile desselben stimmen werden, steht noch dahin. Jedenfalls wird der Tarif abgesehen von einer Reihe einzelner Positionen doch im Großen und Ganzen die Beratungen des Bundesrats in der Gestalt verlassen, in der er eingebracht und am 26. Juli veröffentlicht worden ist.
Berlin, 2. Nov. Wie dem Lokal-Ajnzeiger aus An nab erg (Kreishauptstadt Zwickau) depeschiert wird, steht dort der am Bahnhof gelegene Petroleum-Lagerschuppen der Firma Flister sowie die Lagerplätze der Speditionsfirma Müller und des Dachdeckermeisters Hofmann in Brand. Petroleum- Fässer explodieren fortwährend. Eine Rettung ist unmöglich, obwohl die Feuerwehr in voller Thätig- keit ist. Der Schaden ist noch nicht zu übersehen.
Berlin, 2. Novbr. Das Berliner Tageblatt meldet aus London: In einem Teile von Wales verbreitete sich gestern das Gerücht, der englische Staat sei bankerott und das Geld in den Postsparkassen werde für Kriegszwecke in Südafrika verwandt. Hierauf wurde über eine halbe Million Mark zurückgezogen und niemand will weiter Einlagen machen.
Graudenz, 1. Nov. Wie der Graudenzer „Gesellige" meldet, haben in der Ortschaft Knob- benort im Kreise Angerburg zwei Schulknaben einen furchtbaren Mord verübt, und zwar der 9jährige Grigo und der 8jährige Lasch, beide Arbeitersöhne. Sie fanden, wie sie selbst zugestanden haben, den 70jährigen Ortsarmen Korsch am Wege in betrunkenem Zustande schlafend und schlugen ihn mit Stöcken solange, bis sie glaubten, daß er tot sei. Dann versuchten sie ihm die Augen auSzu- stechen, indem sie ihm Stiche unter und über den
„Von mir?" Lily wurde sehr blaß; sie fühlte, daß ihre Ahnung sie nicht ! betrogen. I
„Nun ja! Warum auch nicht? Wir haben dich so sehr lieb und wünschen ' nur dein Wohl. Sage mir, fühlst du dich glücklich bei uns, Lily?"
Einen Augenblick zögerte das junge Mädchen. Dann erwiderte sie hastig: „Ja, ich bin glücklich "
„Das freut mich zu hören! Ich wünschte, ich könnte dies auch von Philipp sagen, aber er ist nicht glücklich!
„Warum nicht?" fragte Lily, unwillkürlich vor der Antwort zitternd.
„Kannst du das fragen, Kind? Du bist ein Weib und müßtest doch den Instinkt eines solchen besitzen. Siehst du denn nicht, daß mein Sohn dich liebt?"
„O, sprich nicht weiter, Tante! Ich beschwöre dich!" rief Lily mit gefalteten Händen und einem Blick, in dem sich Bestürzung und Verzweiflung malte. Lady Culwarren erkannte sofort die Ursache, aber sie that, als bemerke sie es nicht.
„Warum soll ich nicht darüber reden?" sagte sie, eine würdevolle Miene annehmend. „Du wirst doch nicht dein Spiel mit seinem Glück treiben, nach all' den Jahren, in denen wir für dich gesorgt haben, wie eine Fremde von uns gehen wollen. Ist es zu viel verlangt, wenn ich dich ersuche, mir einige Minuten zuzuhören?"
„So sprich, Tante!" erwiderte das junge Mädchen mit gepreßter Stimme.
„Philipp liebt dich!" fuhr die Lady mit stolzem Ton fort, „und er wünscht dich zu seinem Weibe zu machen. Es giebt in England kaum eine Familie, aus der er nicht hätte seine Gemahlin wählen können, aber er zieht es voc, dir diese Ehre zu erweisen und auch ich würde mich freuen, dich in Wirklichkeit meine Tochter nennen zu können. Ich kann deshalb nicht glauben, daß du die Absicht hast, seinen Antrag zurückzuweisen."
„O nein!" stammelte Lily, wie ein Espenlaub zitternd, „um keinen Preis der Welt möchte ich undankbar gegen euch erscheinen, ab r trotzdem, — ich kann picht, — es wäre unrecht-"
„Was wäre unrecht?" unterbrach die Gräfin sie scharf. „Willst du damit sagen, daß du Philipp Nicht liebst?"
„O, gewiß ich liebe ihn, aber nicht in der Weise —"
Sie stockte, während dunkle Röte ihr Gesicht übergoß.
„Was weißt du von den verschiedenen Arten der Liebe? Wer hat gewagt, mit Dir über dieses Thema zu reden?"
„Niemand, Tante. Ich dachte nur-"
„Du hast nichts zu denken; Deine Pflicht ist, zu gehorchen!" brauste die Lady auf. Doch sie beherrschte sich rasch wieder und sagte in freundlicherem Ton: „Komm, Lily, sei vernünftig! Versprich mir, daß Du Philipp glücklich machen willst!"
„Kann ich es denn?" war die zweifelnde Antwort.
„Natürlich kannst Du es! Seit Jahren schon wünschte ich eine Verbindung zwischen Euch und war froh, daß Philipp dem entgegenkam. Aber warum schaust Du so trübselig d'rein? Ist es Dir nicht recht?"
„Ich werde Alles thun, was Du willst!" entgegnete Lily verwirrt.
„So kann ich Philipp sagen, daß Alles in Ordnung ist?"
Das Mädchen nickte stumm und brach dann in Thränen aus. Die Lady legte ihren Arm um die Weinende und, sie zärtlich an sich ziehend, sagte sie: „Nun, nun, ich will Dich jetzt nicht weiter drängen. Trockne Deine Thränen, zukünftige kleine Gräfin von Culwarren! Ich weiß genug und bin überzeugt, daß Du Dein Wort nicht zurücknchmen wirst. Glaube mir, Du wirst einst auf diesen Tag als den glücklichsten Deines Lebens zurückblicken!"