eilige zu Wr. 66 des KnzlbciLers.
Neuenbürg, Donnerstag den 29. April 1897.
Württemberg.
Stuttgart, 25. April. Die Juki- läumsausstellung des Vereins für Vogelfreunde wurde gestern Vormittag 11 Uhr in Gegenwart des Königs, welcher von der Königin und Prinzessin Pauline begleitet war, in der städl. Gewerbehalle eröffnet. Es ist kaum zu beschreiben, welche Pracht aus allen Gebieten inländischer und ausländischer Vogel- arten diesmal ausgestellt sind, wozu noch die elektrische Brutmaschine kommt, welche vor den Augen der Besucher, die gerade das Glück haben, im richtigen Augenblick zur Maschine zu gelangen, junge Hühnchen zur Welt bringt. Die Ausstellung enthält 488 Vögel, einzeln oder zu Paaren, von den kleinsten Zwergen an, bis zu wahrhaft riesengroßen Tieren. Die Zahl der Aussteller beträgt etwa 120 (Hühner und Großgeflügel), 60 (Tauben). 50 (Exoten und Gerätschaften) — Der König sprach sich über die Ausstellung sehr befriedigt aus, ebenso die übrigen höchsten Herrschaften. Im Laufe deS Tages erschienen u. a. der Minister von Pischek. O B.M. Rümelin, zahlreiche Mitglieder der bürgerl. Kollegien, gegen Tausend zahlende Besucher, dazu die Vereinsmitglreder und deren Familienangehörige. Besondere Aufmerksamkeit wurde noch dem großen Bcieftaubenkäfig zu Teil, mit 130 wohlgeübten Brieftauben des Stuttg. Klubs, welche am Dienstag Abend von der Ausstellung aus aufgelösten werden Die mit der Ausstellung verbundene Lotterie wurde sehr rasch abgesetzt. Bekanntlich wurden als Gewinne großenteils Gegenstände der Ausstellung angekauft, so z. B. 30 Kanarienhahnen, feine Sänger, von Fr. Herrmann und eine Anzahl Exoten von Beck, beide Aussteller hier. Die Prämierung hatte folgendes Ergebnis: Ehrenpreise: für Gesamtleistung in Hühnern W. Weiffendach hier, beste Langshan I. Kurz Kirchberga. I., beste Italiener G. Haasis- llnterlengenhardt, beste Emdener Gänse I Gavatz-Jngoldingen, beste Wyandotte G, Auten- rieth-Stuttgart, Subdir. I. Groner-Cannstatt, Italiener G. Weipert-Stuttgart und Truthühner G. Pfefferle-Stuttgart, ferner 5 I., 34 II. und 45 III. Preise für Hühner. Es folgen die Preise für Tauben, Zier- und Singvögel und für Geräte.
(Zum einjährig-sreiwilligen Militärdienst der Schulamtskandidaten.) Den kürzlich aus den württembergischen Seminaren entlassenen Schulamtskandidaten ist gleichzeitig mit der Erstehung der I. Dienstprüfung das Zeugnis für den einjährig-freiwilligen Militärdienst ein- gehändigt worden. Da vom Jahre 1900 an die Volksschullehrer als Einjährig-Freiwillige ihrer Militärpflicht zu genügen haben, sei es nun auf Kosten des Staates oder auf eigene Kosten und mit der Aussicht auf Entlassung als Unteroffiziere, so haben die Oberschulbehörden, evangelische wie katholische, jetzt schon die Frage erwogen, wie beizeiten völliger Ersatz für die auf ein ganzes Jahr dem Schuldienste entzogenen Lehrer zu erhalten sei. Evangelischerseits sind sämtliche Präparandenanstalten angewiesen worden, unter möglichster Ausnützung des Raumes, mehr Zöglinge für die nächsten Jahre aufzunehmen, als seither üblich war. Die Anzahl der Aufzunehmenden wurde erhöht von 25 auf 32. Die gleichen Bestimmungen sind maßgebend auch für die katholischen Präparandenanstalten Gmünd und Saulgau. Die Oberschulbehörden haben selbstverständlich die Pflicht, jetzt schon dafür zu sorgen, daß nicht mit dem Einjährigendienst der Volksschullehrer von I960 ab plötzlich großer Lehrermangel eintritt, wenn vielleicht 75 Proz. einer ganzen Promotion aus allen Seminarien zum Militärdienst einberufen sind. Zurzeit sind die Verhältnisse derart, daß die vorhandenen unständigen Lehrkräfte gerade zu den nötigen Stellvertretungen ausreichen. Es wird vorausgesetzt werden dürfen, daß die Berechnungen der Behörden in
dieser Beziehung für jedes Jahr so gestellt werden, daß wederLehrerüberfluß noch Lehrermangel eintreten kann.
Warum ist das Jnvalidenversicher- ungsgesetz unbeliebt? Unter diesem Titel veröffentlicht Kommissär Hochstetter von Reutlingen einen im dortigen evangelischen Arbeiterverein gehaltenen Vortrag als einen Beitrag zur Ehrenrettung des Gesetzes. Anhebend mit der Widerlegung des im Bolksmund so oft gehörten Borwurfs: „Was hat das Gesetz für einen Wert für mich? Ich werde doch keine 70 Jahre alt?" führt uns das Merkchen in lichtvoller, durchaus populärer Darstellung die Ungerechtigkeit der meisten, durch keine Sachkenntnis getrübten Einwendungen gegen das Gesetz vor Augen. Nicht erst mit dem 70.. sondern schon vom 21 Lebensjahr an hat der Versicherte beim Eintritt der Erwerbsunfähigkeit Anspruch auf Rente. Diesen Fundamentalsatz deS Gesetzes muß der Praktiker — es ist nach sechsjährigem Bestehen des Gesetzes kaum glaublich — auch jetzt noch immer und immer wieder betonen. Als weiteren Grund der Unbeliebtheit des Gesetzes führt Hochstetter die Sage an, duß die Beiträge für die Personen verloren seien, die infolge Heirat nicht mehr in ein Geschäft gehen und für diejenigen Versicherten, die sterben, ehe sie in den Genuß einer Rente gekommen sind. Auch dieses Gerede ist total falsch. Fast in allen diesen Fällen werden die Beiträge auf Heller und Pfennig zurückoergütet. Ganz nebensächlich sei die Altersversicherung. Der Punkt, wo der Hebel angesetzt werden müsse um gegen die Unbeliebtheit des Gesetzes vorzugehen, sei, dafür zu sorgen, daß die unrichtige Bezeichnung „Alters Versicherung" aus dem Wörterschatz des deutschen Volkes verschwinde. Wir können die Broschüre, in welcher uns überall die im täglichen Verkehr mit dem Publikum gesammelte Erfahrung entgegentritt. jedem, der zur Popularität dieses so viel geschmähten und verkannten Gesetzes etwas beitragen will, bestens empfehlen.
Solitude, 25. April. Am Samstag früh zwischen 7 und 8 Uhr hatten wir hier bei einer Temperatur von 1° Wärme ein starkes Schneegestöber.
Nagold, 24. April. Die Heidelbeerblüte hat nun überall in unfern Wäldern begonnen. Der Ansatz an Blüten ist ein sehr reicher. Da auch die Obstbäume massenhaft mit Fruchtknospen versehen sind, so steht für uns. günstige Witterung vorausgesetzt, eine reiche Obst- und Becren- ernte in Aussicht.
Ausland.
Kaiser Franz Joseph ist nunmehr in Ausführung seines angekündigten Gegenbesuches beim Zaren Nikolaus in Petersburg eiugctroffen. Die gegenwärtigen kriegerischen Vorgänge auf der Balkanhalbinsel verleihen dem Ereignisse seine unverkennbare hohe politische Bedeutung, die im Speziellen außerdem noch aus dem Umstande erhellt, daß der österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen Graf Goluchowski seinen kaiserlichen Herrn nach Petersburg begleitet hat. Mit Zuversicht erwarten alle Friedensfreunde Europas von der persönlichen Aussprache zwischen dem Kaiser Franz Joseph und dem Zaren ein Ergebnis. welches die fernere Ruhe des Weltteiles trotz der gegenwärtigen kriegerischen Ereignisse in seinem Südosten zu sichern geeignet.
Petersburg, 27. April. Heute Nach- mittag 2 Uhr fuhr Kaiser Franz Joseph mit dem Erzherzog Otto nach der Kirche in der Peter-Paul-Festung. Kaiser Franz besuchte die Gräber der Kaiser und legte dort Kränze nieder. Später machte der Kaiser Besuch bei den Mitgliedern des kaiserl. Hauses.
Das lange Provisorium in der Leitung des russischen Ministeriums des Aeuß- ern ist nunmehr beseitigt, Graf Murawiew, der seitherige Verweser dieses Ressorts, ist cnd-
giltig zum Minister des Aeußern ernannt worden. Diese seine Ernennung galt ja allerdings schon bisher nur als eine Frage der Zeit, aber es ist doch immerhin bemerkenswert, daß jene gerade zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu welchem sich die orientalische Krisis bedrohlich zugespitzt hat; der Vorgang beweist mindestens, daß sich die bisherige Leitung der russischen Politik in der orientaischen Frage durch Murawiew der vollsten Zustimmung des Zaren Nikolaus erfreut. Gleichzeitig mit der Ernennung Murawiew's sind zahlreichen Mitgliedern des diplomatischen russischen Korps im Auslande vom Zaren Ocdens- auszeichnungen verliehen worden; von denselben ist die Verleihung der Brillanten zum Alexander- Newsky-Orden an den russischen Botschafter in Konstantinopel, v. Nelidow. hervorzuheben.
InRom wird die Untersuchung in Sachen des gegen König Humbert unternommenen Mordanfalles eifrigst weitergeführt. Obwohl der Verhaftete Attentäter Acciarito bei der Behauptung bleibt, daß er keine Mitschuldige besitze, deuten doch die ganzen Umstände darauf hin. daß es sich um ein Komplott handelt, dessen Ausführung Acciarito anvertraut war. Mehrere Personen, die wegen Verdachts der Mitschuld an dem Attentat verhaftet wurden, sind jedoch bereits wieder sreigelasfen worden, mit Ausnahme des sechzehnjährigen Frederico Guidmi, eines Freundes des Attentäters.
Auf dem orientalischen Kriegsschauplätze ist wieder einmal eine Wendung eingetreten, diesmal aber ganz entschieden zu Gunsten der Türken. Dieselben scheinen zu Anfang voriger Woche allerdings einige Schlappen durch den Gegner erlitten zu haben, infolgedessen ihr allgemeiner Vormarsch auf Larissa stockte, aber inzwischen hat sich das Blatt erneut völlig zu Gunsten der Türken gewendet. Alle vom Sonntag vorliegenden Meldungen bekunden dies, und die Verlegenheitsdepeschen von griechischer Seite vermögen die schwere Niederlage der Griechen nicht zu beschönigen. Die Griechen haben infolge des blutigen Gefechts bei Mati ihre Stellungen bei Larisso und Tur- navo aufgegeben. Larisso war der Stützpunkt der griechischen Kriegsoperationen in Thessalien, aber den bedeutenden Verstärkungen, welche die türkische Armee erhalten hatte, konnten die Griechen doch nicht Stand halten und mußten der Uebermacht weichen. Die türkische Division Handi Paschas warf nach fünftägigem Kampfe die griechischen Truppen zurück und erbeutete viel Kriegsmaterial. Nunmehr haben sich die Griechen, wie aus den bereits mitgeteilten Telegrammen hervorgeht, nach dem südlich von Larissa gelegenen Pharsala zurückgezogen, das Hauptquartier nach Pharsala verlegt und ihre gesamten Streitmächte hier konzentriert. Pharsala. das Pharsalos der Alten, ist durch zwei Schlachten im klassischen Altertum historisch denkwürdig, einmal durch den Sieg der Römer über Philipp von Makedonien im Jahre 196 v. Ehr., und sodann noch mehr durch die Entscheidungsschlacht zwischen Cäsar und Pompejus am 9. August 48 v. Chr. Das heutige Pharsala ist Hauptort einer Exarchie im griechischen Nomos (Bezirk) Larissa, ist Sitz eines griechischen Erzbischofs und hat etwa 1600 Einwohner. Auf einer Anhöhe befindet sich noch ein Schloß mit den Trümmern der Arkopolis des alten Pharsalos, im Altertum einer der reichsten und wichtigsten Städte Thessaliens. Nachdem die Griechen jetzt nun Pharsala nach dem Verluste Larissas zu ihrem zweiten Stützpunkte gemacht haben, ist cs leicht möglich, daß es hier zu einer Entscheidungsschlacht kommt. Möglich ist es aber auch, daß sich die Griechen schließlich von hier nach dem Engpässe der Thermopylen zurück- ziehen, der als Haupteingang von Thessalien nach 'Hellas von Alters her ein strategisch wichtiger Pnnkt ist. Berühmt ist der Paß besonders durch die heldenmütige Aufopferung des Leonidas und seiner dreihundert Spartaner