dieses offene Gegengeständnis Ihnen das Herbe nehmen und die Enttäuschung über das, was ich auf Ihr Schreiben allein zu antworten imstande bin, erträglich machen. In einer unseligen Stunde, durch ein unüberlegt verpfändetes Wort, habe ich mein Glück, ein Glück, welches mir jetzt, wo ich es in ein Nichts versinken sehe, fast überselig dünkt, verscherzt. Ich bin ge- zwungen. Ihren Antrag abzulehnen! O. fragen Sie mich nicht: warum. Graf Niko, ich bin ein thörichtes, eigensinniges Geschöpf, eine Närrin gewesen! Seit gestern Abend befinde ich mich in einem Zustande grenzenloser Verzweiflung. Ich überlege, grüble, weine! aber es hilft alles nichts. Sie wissen, was ein Ehrenwort bedeutet! Gott schütze Sie. Nikolaus!
— Es hat nicht sollen — sein'" Barbara."
Wie ein Wahnsinniger, mit wildflammenden Augen den soeben erhaltenen, offenen Brief von Barbara Otlerstein in der Hand, stürmte Gras Lieven die Treppe hinab, nach dem in der unteren Etage gelegenen Zimmer des Oberst von Donnersberg.
„Nanu, was hast Du denn, was ist denn los?" Der alte Herr, die Zeitung in der Hand, lehnte in der Sophaecke und blickte voll Verwunderung in das wilderregte und schmerzlich zuckende Gesicht des Pflegesohnes.
„Es ist aus, alles aus! Nach Afrika will ich gehen, wenn ich aus dem Inhalte des Briefes klug werde!" rief stöhnend der Graf.
„Was, aus? was, Afrika? Glaubst Du denn, ein vernünftiger Mensch könne Dich ver- stehen, mein Junge!?" fragte der Onkel, das Monokle ins Auge klemmend.
„Vater — sie — Barbara — hat mir einen Korb gegeben, weist mich zurück!" kam es zögernd, aber ähnlich einem Schluchzen aus des jungen Mannes Munde.
„Alle Wetter, das — das ist nicht möglich! Das kann nicht sein!" der alte Herr war auf gesprungen und starrte den Sprecher ganz ungläubig an.
„Doch, Vater! — So lies nur einmal dieses unselige Schreiben!"
„Her damit!" Erregt riß der Oberst dem Sohne das verhängnisvolle Papier aus der Hand und überflog es rasch Dann aber brach er in ein schallendes Gelächter aus und ließ sich mit dem ganzen Gewichte seines schweren Körpers wieder auf das Sopha fallen
„Vater, was hast Du denn? Allmächtiger Gott, das ist doch nicht zum Lachen! Ich liebe Barbara, liebe sie wahrhaft — heiß, glühend, bis zum Wahnsinn, habe sie vor sieben Jahren schon geliebt und seitdem vergeblich gerungen, ihr Bild aus meinem Herzen zu reißen, und Du
— Du lachst!?"
„Herzensjunge, sei nicht böse, aber die Geschichte ist gar zu komisch! pustete der alte Herr, indem er sich die Setten hielt.
„Tragisch, meinst Du wohl? Dieses Stück Papier zerstört mir jede Lebenshoffnung!" rief in auswallender Bitterkeit der Graf.
Endlich hatte sich der Oberst einigermaßen gefaßt und fragte scheinbar ernst, allein mit schalkhaft zuckenden Mundwinkeln:
„Sag' mal. Du weitgereister Mensch, hast Du in Deinem Leben schon einmal etwas von einer Zuckerzange gehört?"
„Zuckerzange? Das ist doch so ein Ding, mit dem —!"
„Jawohl, mit dem alle gebildeten, wohlerzogenen Leute sich Zucker nehmen," siel ihm der Oberst ins Wort. „Und grade unsere schöne, kleine Exzellenz gehört zu den Frauen, die sich durch den kleinsten Verstoß gegen gute Sitte und Anstand leicht verletzt fühlen. Ich hoffe doch. Niko, Du wirst gestern beim Kaffeetrinken die Zuckerzange manierlich gehandhabt haben, wie?"
Der alte Herr hätte plötzlich zu ihm chinesisch reden können, vollständig verblüfft, fast blöde starrte Ncko jetzt in dessen gutmütiges, heiteres Gesicht.
„So viel ich mich zu entsinnen vermag, habe ich diese Zuckerzange gar nicht in die Hand genommen, die Existenz eines solchen Dinges gar nicht einmal bemerkt! Meinst Du, ich habe gestern irgend etwas anderes gesehen, als sie?"
„Na, da haben wir ja die Bescheerung! Setze Dich, bitte, einmal ein paar Minuten ganz still und vernünftig hier neben mich aufs Sopha. damit ich Dich über den rätselhaften Inhalt dieses Briefes, wie über ein — von Dir begangenes Verbrechen aufkläre." sagte der Oberst schmunzelnd und zog den Widerstrebenden zu sich herab.
In anschaulicher, dabei aber höchst drastischer Weise erzählte er darauf von seinem Streit mit seiner Nichte und von ihrem ihm so unbedacht und leichtsinnig verpfändeten Worte. Immer Heller wurde Niko's bisher so finsteres Gesicht. Und als der alte Herr längst geendet hatte, saß er noch immer regungslos und blickte in stummer Verklärung vor sich hin.
„Na '— und was sagst Du nun, mein Junge, hm?" Aus seinen seligen Träumen aufgejchreckt. fuhr der Graf empor und umschlang mit beiden Armen des alten Mannes Hals.
„Vater — Du — Du giebst ihr dieses Wort zurück, Du fährst hin zu ihr, gleich auf der Stelle, Du klärst diesen unseligen Irrtum auf. Du nimmst meine Partei, sagst, um so einer Thorheit willen dürfe das Glück zweier Menschcnherzen nicht verscherzt werden!" bettelte der junge Mann in zärtlichem, doch leidenschaftlichem Tone.
„Und Du meinst, das nütze? Barbara ist ein äußerst fester Charakter, hart wie Stahl in Bezug auf Recht und Pflichterfüllung." gab der Oberst, den Pfl'gesohn scharf durch das Glas beobachtend, ruhig zurück
„Aber, mein Himmel, es liegt ja nur an Dir. die ganze Geschichte für einen harmlosen Spaß zu erklären, ihr zu versichern. Du habest sie für etwas anderes nie gehalten!" rief Niko. indem er jetzt wie elektrisiert emporsprang'
„Hier, Väterchen., ist Dein Paletot, Dein Hut und Stock; ich bringe Dich bis zu einer Droschke!"
„Und Du ?" fragte der alte Herr lauernd.
„Ich? — ich werde in einer halben Stunde — Nachkommen," sagte er zögernd.
„Topp! Aber ich sehe, mein Junge, Du bist ein Filou!"
Baron Donnersberg und Barbara standen Hand in Hand im Boudoir der schönen Frau. Eine sichtbare Röte um die blauen Kinderaugen verriet, wie diese geweint hatten, allein der so ahnungsvolle, selige Zug um die frischen Lippen deutete durchaus nicht auf tiefen inneren Schmerz
„Graf Lieven!" meldete der Diener.
Auch über das joviale Gesicht des alten Herrn glttt ein vergnügtes Schmunzeln, und indem er seine große Rechte den kleinen Fingern rasch entzog, schlich er auf den Zehenspitzen bis zur Thür des Nebenzimmers.
„Oakel, Heczensonkel, gehe nicht fort!" bat Barbara atemlos, wobei sie Miene machte, zu folgen
„Pst — dageblieben!" damit verschwand er hinter der Portiere.
Die Hände gegen die hochwogende Brust gepreßt, mit schimmernden Augen, starrte die schöne Frau dem eintretenden Gast entgegen, welcher wortlos, mit gesenktem Haupte, vor wärts kam. Aber nur wenige Sekunden dauerte jene bedrückende — herzbeklemmende Stille — dann brach es wie Helle Jubeltöne aus beider Brust:
„Niko!"
„Barbara!" und fest hatten sich die Liebenden auch schon umschlungen, während die zitternden Fcauenlippen leise flüsterten:
„Du bekommst ein thörichtes, eigenwilliges Weib, Niko!"
„Einen Engel, der alles opfert, um einen armen Mann zu freien!" entgcgnete er und preßte die schöne Gestalt leidenschaftlich an seine Brust.
„Ja, alles, mit Freuden!" sagte sie fest.
„Auch die Zuckerzange?" Onkel Donners- berg war es, der den Kopf durch die Portiere steckend, diese launige Frage stellte.
„Natürlich, auch sie, ich hasse dieses Ungetüm!" rief Barbara mit Schelmenlachen und zog den Geliebten zu dem Onkel hin.
Telegramme.
Dresden, 23. April. Der Kaiser ist heute Abend nach Kaltenbronn abgereist.
Rom, 23. April. Heute Vormittag wurde hier ein A r b ei t s g e n o s s e des Meuchelmörders Acciarito, Pietro Colla- bona aus Beletri, und die Geliebte Acciaritos, das Dienstmädchen Pasqua Benaraba ^
aus Poggio Catino, verhaftet. Acciarito bleibt bei seiner Erklärung, daß er keine Mit- schuldigen habe. — Auf dem Wege zur , Kirche del Sudario, wo im Beisein des Königs- !i Paares, des Kronprinzen und der Kronprinzessin heute ein feierliches Tedeum stattfand, wurde der König stürmisch begrüßt. Vom '
Schloß bis zur Kirche bildete eine ungeheure Menge i
Reihen. Die Stadt hat sich allenthalben mit !
reichem Flaggenschmuck bedeckt; der -
Bürgermeister erließ einen Aufruf, worin er den König und die Dynastie der Treue und Anhänglichkeit und der Liebe des römischen und !
italienischen Volkes versichert. Heute Abend werden die Kriegervereine eine große Kundgebung vor dem Schlosse veranstalten, j
Die Presse fährt fort, den Anschlag dem Wahn- «
sinne zuzuschreiben. Nur „Popolo Romano" !
vermutet, daß der Mörder durch sozialistische ?
Ideen auf Abwege gebracht worden sei, und verlangt unterdrückende Maßregeln. Aus allen Städten werden heute große Huldigungen gemeldet. Wie „Popolo Romano" erfährt, äußerte der Verbrecher kurz vor der That zu seiner Mutter, jetzt wolle er noch etwas Großes vollbringen und dann als Freiwilliger nach Griechenland gehen. i
Konstantinopel, 23. April. Das Gerücht von einem griechischen Seeangriff gegen Saloniki hat hier eine große Beunruhigung hervorg ruien. Die Ring, mauer der Stadt und das Castell Irdikule sind i für den Fall eines Angriffes von der See her ! wertlos. Einen solchen können nur die im Jahre 1885 erbauten Küstenbatterien zurückweisen, die mit Krupp'schen 15 und 21 Centimetergeschützen ausgerüstet sind. DietürkischenTruppen i
sollen am Luro (in Epirus, westlich vom Arta) eine Schlappe erlitten haben. Auf der Pforte wird zugegeben, daß die Werke von !
Prevesa, die auch durch das griechische Fort ^ Punta sehr gelitten haben, größtenteils zerstört sind. Nach den letzten Nachrichten betragen die bisherigen Verluste der Türken mehr als 700 Mann. !
Konstantinopel, 23. April. Nachrichten aus Saloniki zufolge soll die von Arta aus abgegangcne griechische Armee am i
Louros-Flusse einen Erfolg über eine türkische Division davongetragen haben.
Konstantinopel, 23. April. Marschall Edhem Pascha wurde abberufen und Ghazi Osman Pascha an seiner Stelle zum Höchstkommandierenden der türkischen Truppen in
Elassona ernannt. Saad Eddin Pascha wurde an Stelle von Hifzi Pascha zum Kommandierenden der Armee in Janina ernannt.
Die neuen Befehlshaber reisen heute Abend ab.
— Ghazi Osman Pascha reist heute nach dem Kriegsschauplatz. (Osman Pascha, der
„Löwe von Plewna," steht im 60. Lebensjahre.
Nach seiner heldenmütigen Führung vor 20 Jahren gelangte er zu hohen Ehren und erhielt den Ruhmestitel „Ghazi". Von 1878 bis 1885 war er Kriegsminister und Palastmarschall; letztere Würde hat er noch inne.)
Athen, 23. April, 1 Uhr nachmittags.
Das griechische Westgeschwader beschießt Aghois Saranto an der Küste von Epirus.
Canea, 23. April. Hwr hat man die Rollen getauscht. Oberst Vassos ent- sandte Offiziere mit einem Brief an die Admiräle, denen er ankündigt, daß er infolge der Kriegserklärung zum Angriff auf die t ü r k i s ch e n Stellungen schreiten werde, und ersucht die fremden Truppen, sich zurückzuziehen. (!)
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neue nbürg.