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Truppen an fünf verschiedenen Stellen die Grenze überschritten und marschierten auf Elassona zu. Es herrscht große Erregung und allgemeine Entrüstung.

Wichtige Ereignisse scheinen sich in Süd­afrika vorzubereiten. Der Streit um die Delagoabei tritt anscheinend in ein neues Stadium. In der englischen Presse wird von geplanten Flottenkundgebungen gesprochen. Man darf auf den weiteren Gang der Dinge sehr gespannt sein.

Unterhaltender Teil.

Die Zuckerzange.

Erzählung von Doris Freiin v. S P ä t g e n.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Barbara von Otterstein entstammte einer guten baierischen Adelsiamilie. Ihr vor einigen Jahren verstorbener Vater, Baron Bieregg, war Besitzer eines recht stattlichen, in der Nähe von Regensburg gelegenen Lehngutes gewesen, welches nach seinem Tode auf seinen Sohn überging. Da dieser indes noch unvermählt war, so hatten die Mutter und die zwei jüngeren Schwestern daselbst ihren Wohnsitz behalten.

Anläßlich eines Aufenthalts in Jnterlaken lernte die Familie Vieregg einen noch aktiven preußischen General, Herrn v. Otterstein, kennen, der, obgleich bereits nahe den Sechzigern, noch ein recht stattlicher Mann war und durch sein jugendfrisches, liebenswürdiges Wesen sich als höchst angenehmer Gesellschafter erwies. Die beiden gleichaltengen Herren atlachierten sich sehr aneinander, so daß Baron Vieregg den General ersuchte, sich auf der Weiterreise ihnen anzuschließen.

Mit den drei jungen Mädchen verkehrte dieser in völlig harmloser Weise, und auch als man später nach Hause zurückgekehrt war und sich den neuen Freund als Gast heimgebracht, ahnten die Eltern noch immer den Grund nicht, weshalb Herr v. Otterstein sich solche Mühe gab, die liebenswürdigste, jugendlichste Seite herauszukehren. Eines Tages aber versetzte er alle in größte Ueberraschung, indem er um die Hand der liebreizenden, kaum 19jährigen Bar­bara anhielt. In rückhaltloser Weise offenbarte er sich dem Vater und erklärte, Barbara's kind­liche Anmut und bezaubernde Natürlichkeit hätten ihn, den alten Junggesellen, in dessen Innern sich bisher nie Heiratsgedanken geregt hätten, ganz entzückt; er würde es als höchste Ver­günstigung des Schicksals anschen, Barbara sein Weib zu nennen. Er glaubte, auf der gemein­schaftlichen, für ihn verhängnisvoll gewordenen Reise des jungen Mädchens freundliches Interesse für ihn wahrgenommen zu haben. Bei solchem Altersunterschiede könnte er leidenschaftliche Liebe nicht beanspruchen, allein die kleinsten Zeichen ihrer Zuneigung zu ihm würden ihn befriedigen und beglücken.

Dem Baron, wie seiner Gemahlin kam diese Enthüllung selbstverständlich aufs Höchste überraschend. Sie vermochten nichts zu thun, als die Entscheidung der Tochter selbst zu über­lassen.

Vom praktischen Standpunkte aus erschien den Eltern dreier heiratsfähiger Töchter diese Partie als durchaus nicht verwerflich. General v. Otterstein hatte sich außerdem über das ihm zur Verfügung stehende namhafte Vermögen ge­äußert, welches nach seinem Ableben unverkürzt der jungen Witwe zufallen soll. Baron von Vieregg berücksichtigte bei seiner Zustimmung dieses ebenso, wie den hohen Rang des Be­werbers und die Annehmlichkeiten seiner bevor­zugten Stellung in Berlin. Barbara hatte da­gegen, wie ihre Schwestern, da die Besitzungen Baron Viereggs ein Lehn waren, von Hause aus nicht viel zu erwarten. Trotz dieser Er­wägung waren die Eitern weit davon entfernt, das junge, unerfahrene Mädchen zu diesem, für's Leben entscheidenden L-chritt zu überreden.

Barbara entschied selbst und willigte zur allseitigen Verwunderung und zum größten Ent­zücken Olterstein's ein, seine Gattin zu werden.

Sie hatte für den um fast 40 Jahre älteren Monn wirkliche, wahre Zuneigung gefaßt.

Die Hochzeit wurde für den Herbst bestimmt, und hinsichtlich der Wohnungs- und Aussteuer­frage reisten die Baronin und Barbara einige Wochen später, nachdem der glückliche Verlobte sie verlassen, nach Berlin.

In der Uckermark besaß der einzige Bruder der Baronin Bieregg, Oberst von Donnersberg, ein hübsches Landgut, woselbst man einige Tage zu verbringen die Absicht hatte.

Dienstgeschäfte halber konnte General von Otterstein die Braut nicht dorthin begleiten. Beim Eintreffen der seltenen Gäste in Lützow kam auf der breiten Freitreppe des Schlosses der Oberst den Damen entgegen, und in väter­licher Weise umarmte er die holde Braut mit den Worten:

Du bist das vernünftigste Mädel unter der Sonne, Barbara! Von Dir weiß ich. hast Du einmal A gesagt, wirst Du auch B sagen, das heißt» Du wirst unfern lieben Otterstein, den wir alle hoch schätzen, glücklich machen.«

Noch ehe die Angeredete zu antworten vermochte, sielen ihre Blicke auf einen hinter dem Onkel stehenden jungen Mann, dessen schönes, etwas bleiches Antlitz und hohe Gestalt durch die kleidsame Uniform der deutschen Marine besonders gehoben wurde. Ein Paar tiefblaue, seltsam fragende Augen trafen die ihrigen. Mit dunkler Purpurglut übergossen, vermochte sie nur einige nichtssagende Phrasen zu stammeln und hielt, bis man ins Schloß getreten war, den Kopf gesenkt.

Das ist Nikolaus Graf Lieven, Lieutenant zur See auf Sr. Majestät SchiffNiobe." mein Pflegesohn!« sagte der Oberst vorstellend. Leider ist das der letzte Tag seines Urlaubes, da er sofort nach dem Mittagessen aufbrechen und zur Bahnstation fahren muß. Ich freue mich sehr, die kurze Zeit zu Eurer gegenseitigen Bekanntschaft ausnützen zu können!«

Bei Tische saß Barbara neben dem Marine- Offizier, dessen Blicke den ihrigen wohl öfters begegneten, aber zu keiner anregenden Unter­haltung führten, nur wenige Worte waren zwischen diesen beiden jungen Menschen gewechselt. Nach auffallend raschem, fast hastigem Abschiede war Graf Lieven in des Onkels Equipage davon­gefahren; in Barbara aber trat plötzlich ein schmerzliches Gefühl der Verlassenheit auf; die bisher ihr in rosigem Lichte vorgeschwebte Zu­kunft erschien ihr nun von einer schwarzen Wolke verdunkelt.

Was war mit ihr vorgegangen? War dem so heiteren, in seligem Frohsinn dahin wandelnden Mädchen jetzt die Erkenntnis geworden, es bestehe zwischen Mann und Weib doch noch etwas beglückenderes. höheres als Werschätzung, Zu­neigung und Freundschaft? Hatte Barbara in ihrem jungen Schmetterlingslebeä noch nichts von der Liebe auf den ersten Blick vernommen, von jener Liebe, die weder Zeit und Entfernung zu ändern noch zu unterdrücken vermag, die im Herzen gleich einer jähen Flamme emporschießt und durch keine irdische Macht zu ersticken ist?

Seit jenem Besuche auf Lützow war die Stimmung der jungen Braut eine andere geworden; sie ließ es aber weder ihren Ver­lobten, noch ihre Eltern merken. Mit fast über­menschlicher Gewalt suchte sie gegen etwas an­zukämpfen, was ihr Inneres nicht allein in wilden Aufruhr gebracht, sondern auch mit peinigender Angst erfüllte; Wochen lange Wochen hatte sie mit dem Entschlüsse gerungen, vor den Verlobten hinzutreten und ihm zu sagen:O erbarme Dich meiner und gieb meine Hand wieder frei; denn ich bin Deiner Güte undNachsicht unwert, ich liebe einen andern!«

Aber der Gedanke, dem edlen Manne durch solch' ein .Bekenntnis den Todesstoß versetzen zu müssen, hielt sie immer davon ab.

Hatte sie einmal etwas Fassung erlangt, so schalt sie sich eine phantastijche Närrin, eine überspannte Jdealistin, die nach einem Phantom hasche und sich Dinge in den Kopf setze, welche ein vernünftig und ruhig denkender Mensch und so natürlich auch Olterstein belächeln würde. Nein, einer Schuld war sie ihm gegenüber sich nicht bewußt; so beschwichtigte sie ihr hoch- klopfendes Herz und bemühte sich durch innige

Beweise treuer Hingebung und Zuneigung ihrem Verlobten im stillen abzubitten.

General von Otterstein war überglücklich und überschüttete Barbara mit fürstlichen Ge­schenken. Sein Glück, seine Freude und seelische Zufriedenheit hatten ihn förmlich verjüngt.

(For tsetzung fo lgt.)

Wo wohnt Bismarck? Ein Lehrer in Mittelfranken teilt folgendes hübsche Bor- kommnis mit:Am Donnerstag, den 1. April, ! veranstaltete ich in meiner Schule eine kleine Bismarckfeier, die darin bestand, daß ich meinen Kindern Einiges aus dem Leben unseres Alt­kanzlers erzählte und dann ein Hoch auf den­selben ausbrachte, in welches die Kindern fröhlich einstimmten. Als ich dann einige wiederholende Fragen stellte, bekam ich von einem Knaben auf die Frage:Wo wohnt nun Bismarck?« die Antwort:In den Herzen der Deutschen!« Ich war erfreut über diese Antwort und wünschte dem Knaben, cs wolle ihm sein patriotischer Sinn erhalten bleiben.

(Ein heiterer Zwischenfall), der für die gute Stimmung Zeugnis ablegt, in welcher sich der neue Präsident der Vereinigten Staaten befindet, erreignete sich jüngst, als Herr Mac Kinlcy unter einer Anzahl von politischen Klubs auch eine Abordnung aus Minnesota empfing und ihm einer der Sprecher alsHerr Bryan« vorgestellt wurde.Den Namen muß ich schon einmal irgendwo gehört haben.« bemerkte Mac Kinley unter homerischem Ge­lächter der Anwesenden.

Telegramme.

Stuttgart, 19. April. Der General der Infanterie z. D. v. Halden wang ist gestern hier gestorben.

Berlin, 19. April. Der persönliche Adjutant des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen, v. Krosigk, ist in der Nacht vom Samslag zum Sonntag in Ha l l e am S terd e- bett seiner Mutter, nachdem diese verschieden war, vom Herzschlag getroffen worden und g e st o r b e n.

Berlin. 18. April. Dem Vernehmen nach ist einem, von der Pforte hier ausgesprochenen Wunsche zufolge, der kaiserl. Gesandte in Athen für den Fall des Abbruchs der Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland mit der diplomatischen Wahrnehmung der Jnteitssen der türkischen Staatsangehörigen in Griechenland betraut worden.

Elassona, 17. April, 9 Uhr abends, Reutermeldung. Im Lager gilt der Krieg that- sächlich als ausgebrochen. Längs der ganzen Grenze finden Scharmützel statt.

Konstanlinopel, 18. April. Meldung des Wiener Corr.-Bureaus. Der gestrige außer­ordentliche Ministerrat beschloß, Griechenland den Krieg zu erklären. Der griechische Gesandte Maurocordato wurde hievon verständigt. Von der griechischen Gesandtschaft sind die Wappenschilder entfernt. Den griechischen Kauf­leuten wurde eine 14lägige Frist zum Verlassen der Türkei gegeben. Der griechische Gesandte wird am Dienstag von hier abreisen.

Konstantinopel, 19. April. Eine Depesche desJkdar« aus Elassona meldet, daß die befestigte griechische Position Jilaulipe von den türkischen Truppen genommen wurde. Die griechischen Truppen seien geflohen und die türkischen Truppen überall siegreich vorgedrungen.

Athen, 19. April. Die Kammer ge­nehmigte die Maßnahmen der Regierung und vertagte sich sodann auf unbestimmte Zeit. Die Sitzung dauerte bis heute früh 2 Uhr.

London, 19. April. Das Reutersche Bureau meldet vom 19.: Eine Depesche vom Fuße des MelunwPasses vom 18., 10 Uhr vormittags meldet: Seit dem letzten Tage wüte ein verzweifelter Kampf am Meluna-Passe, an welchem über 20 000 Mann teilnahmen. Die Türken haben beinahe den ganzen Paß genommen. Da aber die Griechen ihre Stell­ungen auf den Höhen noch halten, ist der Kampf bis jetzt noch nicht entschieden.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.