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Luz von Nothfelden OA. Nagold und der Stein­hauer Holzäpfel von Calmbach. Wie die Haupt­verhandlung ergab, ist der Angekl. Maisenbacher ein arbeitsscheuer, dem Trünke ergebener Mensch, der sein Dasein lediglich aus den Erträgnissen des Wilderns fristet. Er ist nirgends jagdberechtigt, gleichwohl aber durchstreift er die um die Gemein­den Naislach-Würzbach und im Thale der kleinen Enz gelegenen Wälder, die zum Jagdgebiet dreier Teilhaber gehören, täglich und stellt dem Wild nach. Eine Hausdurchsuchung förderte bei ihm allerlei Jagdutensilien zu Tage. Heute nun leug­nete er alles. Wenn er hin und wieder mit Ge­wehr ausgerüstet in Feldern und Wäldern herum­laufe, so sei seine Absicht, Raubvögel zu erlegen, auch habe er die Kirschenernte vor Tauben und Reb­hühnern schützen wollen. Zugeben müsse er aller­dings, daß er jenes Reh, bei dem er erwischt wurde, geschossen habe; dies sei aber das erstemal gewesen, daß er gewildert habe. Ter der Beihilfe angeklagte Kronenwirt Luz gestand zu, dem Maisenbacher ein Gewehr geliehen zu haben; auch der weitere Mit­angeklagte Holzäpfel zog nicht in Abrede, an M. einen Rehruf abgegeben zu haben. Beide glaubten jedoch, damit nichts Strafbares gethan zu haben, obgleich sie M. ebenfalls für einen Wilderer halten. Auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung wurde Maisenbacher zu '/'Jahr Gefängnis ver­urteilt, auch wurde auf Einziehung des zur That benützten Gewehres erkannt. Die Mitangeklagte^- wurden freigesprochen.

Schwieberdingen, 25. Okt. Ein Ein­brecher wurde heute hier festgenommen. Derselbe hatte in einem Bauernhause, während die Bewohner auf dem Felde waren, eine Fensterscheibe einge­drückt, stieg ins Haus und durchsuchte es. Als er durch die Rückkehr des Besitzers gestört wurde, ver­setzte er diesem mit einem Misthacken einen Hieb auf den Kopf. Der Bauer wurde schwer verletzt, konnte aber noch um Hilfe rufen, worauf der Ein­brecher festgenommen wurde. Bis die Polizei kam, wurde von den herbeigeeilten Nachbarsleuten derart Lynchjustiz geübt, daß der Stromer auf einem Wagen nach Ludwigsburg eingeliefert werden mußte.

Riedlin gen, 27. Okt. In der hiesigen Oberamtssparkasse wurde in der Nacht von gestern auf heute ein Einbruch verübt. Der durch das Fenster in das Kassenzimmer eingestiegene Dieb, welcher, um dasselbe zu öffnen, einen Teil der Fensterscheibe herausgeschnitten hatte, durchstöberte die Schublade am Schreibtisch und das Pult, in welchem sich nur Briefmarken, Couverte u. dergl. befanden, während der Kassenschrank unversehrt blieb.

Vom Allgäu, 28. Okt. In Altenstadt beging der Handelsmann M. Marx und dessen Ehefrau das Fest der diamantenen Hoch­zeit. Der Bräutigam, ein Greis von bewunderns­würdiger geistiger und körperlicher Rüstigkeit, zählt 93, die Braut 81 Jahre.

Karlsruhe, 28. Okt. Das 4 Jahre alte Söhnchen des Gemeinderats Friedrich Baumann in Teutschneureuth fand in einem Schrank ein Gläschen, welches Augentropfen enthielt. Das Kind trank davon und mußte unter gräßlichen Schmerzen sterben.

Gotha, 28. Okt. Heute nachmittag 1 Uhr fand die Feuerbestattung von Georg v. Siemens statt. Außer den Familienangehörigen wohnten der Trauerfeier Staatsminister v. Strenge und eine Anzahl Parteifreunde des Verblichenen bei. Pfarrer Bärbach hielt die Trauerrede.

Berlin, 29. Okt. Nach einem Telegramm der Vosfischen Zeitung aus London veröffentlicht der Manchester Guardian die Abschrift eines Briefes des Präsidenten Steijn vom August als Ant­wort auf Lord Kitcheners vielbesprochene Kundmachung, welche die Vereinbarung der Burenführer an den Oberbefehlshaber gerichtet hat. Präsident Steijn behauptet, der Einfall Jamesons wäre der britischen Regierung nicht unbekannt ge­wesen. Tie Buren haben Beweise dafür in Hän­den, daß seit 1896 die Engländer fest entschlossen gewesen, in die beiden Republiken einzufallen. Die Buren haben mithin nicht das Schwert gezogen, sondern nur das Schwert zurückgestoßen, das schon an ihrer Kehle war. Hinsichtlich der militärischen Lage bemerkt Steijn, daß im Oranje-Freistaat und m Transvaal Ordnung und Frieden von den Buren und nicht von den Briten aufrecht erhalten werde. Deren Macht reiche nicht weiter als ihre Kanonen. Die Burensache habe im Vorjahre wun­derbare Fortschritte gemacht. Von Hoffnungslosig­keit könne bei den Buren keine Rede sein und kein Friede sei annehmbar, der nicht die Unabhängigkeit der Republiken verbürge und die Interessen der Kapholländer wahre.

Wien, 29. Okt. Der hiesige persische Ge­sandte bezeichnet die Meldung über ein gegen den Schah gerichtetes Komplott für sehr über­trieben. Besonders sei es unrichtig, daß sich zwei Brüder an dem Complott beteiligt hätten. Wahr sei nur, daß zwei höhere Beamte aus der Umgebung des Schahs aus Teheran ausgewiesen wurden.

Fiume, 28. Okt. Hier treffen demnächst 7 englische Dampfer ein, um 5400 von England aufgekaufte Pferde nach Südafrika zu transportieren.

Haag, 28. Okt. Der Antrag der Buren auf Entscheidung der südafrikanischen Frage durch den Haager Schiedsgerichtshof wird voraussichtlich der im November stattfindenden Sitzung des Ver- waltungsrates des Schiedsgerichtshofes unterbreitet werden.

Paris, 28. Okt. In Versailles und seinen Nachbarorten herrscht seit einigen Tagen große Aufregung infolge eines tollen Hundes, der verschiedene Personen und andere Hunde biß. Der­

selbe, ein großer Schäferhund, fiel vergangenen Samstag eine Schar zur Schule gehender Kinder an und biß deren 8 in Beine und Hände. Dem Flurschützen von Chaville gelang es, ihn zu er­schießen, worauf der Tierarzt die Tollwut feststellte. Im Ganzen sollen etwa 12 Personen gebissen wor­den sein. Daher hat der Präfekt des Seine- und Oisedepartements sofort strenge Maßregeln ergriffen und in allen Gemeinden des Arrondissements Ver­sailles für Hunde Maulkorb und Leine vorge­schrieben.

Marseille, 29. Okt. Hier herrscht große Unruhe über das Ausbleiben des transatlantischen DampfersChristian", welcher aus Oran kommend bereits 24 Stunden überfällig ist. Trotz des schönen Wetters ist der Dampfer nirgends signalisiert.

London, 28. Okt. Große Aufregung hat hier die Meldung aus Moskau hervorgerufen, 'wonach sich dort die Bevölkerung gestern zu anti- englischen Kundgebungen hat Hinreißen lassen. Der Konsul wurde beschimpft und auf der Straße verfolgt, die Fenster des Konsulats einge­worfen und burenfreundliche Proklamationen in den Straßen angehcftet. Man fordert die Regierung auf, auf diplomatischem Wege gegen diese Kund­gebungen zu protestieren.

London, 28. Oktbr. Daily Mail meldet aus Blömfontein: Alles Geld, welches von den Buren bei den Banken im Oranje-Staat depo­niert war, wurde beschlagnahmt und soll zur Be­zahlung der Kosten der Concentrationslager dienen.

London, 29. Okt. Nach neueren Meld­ungen war im gestrigen Ministerrat, der 2'/, Stun­den dauerte, die Lage in Südafrika fast aus­schließlich Gegenstand der Verhandlungen. Soweit bekannt ist, wurde beschlossen, den Krieg durch keine anderen Mittel als die völlige Unter­jochung der Buren zum Abschluß zu bringen. Man wird ferner alles bewilligen, was zur energischen Fortsetzung des Krieges verlangt wird.

Pretoria, 28. Okt. Louis Botha ist der Gefangennahme durch den Obersten Remington mit knapper Not entgangen. Die Engländer überraschten sein Lager. Botha entkam mit nur wenigen 100 Aards Vorsprung und büßte Hut, Revolver und Papiere ein, die den Engländern in die Hände fielen. 10 Buren wurden gefangen ge­nommen. Botha hat nur einen kleinen Rest der Truppen bei sich, die kürzlich Natal bedrohten, die übrigen sind zerstreut.

Auburn, 29. Oktbr. Czolgosz wurde heute vormittag 7'/« Uhr mittelst Elektrizität hin­gerichtet. Als CzolgoSz auf dem elektrischen Stuhle saß, sagte er: Er empfinde keine Reue über die That. Er bedauere nur, daß er seinen Vater nicht mehr gesehen habe. Nachdem der Strom dreimal eingeschaltet war, wurde der Tod bekannt gegeben.

Das sollen Sie auch, entweder wenn sie meine Frau ist oder vorher!" erwiderte Antony stolz."

Seien Sie nicht zu vertrauend, junger Freund! Ein Jahr ist eine lange Zeit für ein Mädchen von neunzehn Jvhren. Wer weiß, ob sich bis dahin nicht ein Nebenbuhler einfindet."

Niemals I Lily ist treu wie Gold!"

Das haben schon viele gesagt. Aber eS fängt bereits an zu dämmern; ich glaube, wir sollten versuchen, noch ein wenig zu schlafen. Morgen wollen wir zusammen abreisen, und ich werde alles aufbieten, Ihnen das Exil erträglich zu machen. Gute Nacht, Antony! Ich bin Ihnen wirklich dankbar für das, was Sie für mich gethan haben, und für die Großherzigkeit, die Sie mir gezeigt. Dies, ein gewisser Blick Ihrer Augen, der mich an glückliche Zeiten erinnert, macht mich zu Ihrem Freund auf Lebenszeit. Ein guter Mensch bin ich nicht, Antony, ich erhebe keinen Anspruch darauf, aber Sie Hab n nie etwas von mir zu befürchten. Lieber ließ ich mir die rechte Hand abschlagen, als daß ich das Vertrauen mißbrauchte, das Sie mir heute bewiesen haben."

3. Kapitel.

Im Boudoir der Gräfin.

Leute mit unparteiischem Urteil würden schwerlich der Charakterschilderung beigestimmt haben, die Antony Melstrom von seinem Bruder entworfen, denn für die meisten galt Lord Culwarren als energieloser, schwachherziger und verschlossener Mensch. Da er nicht für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten brauchte, doch aber sehnlich wünschte, irgend eine Rolle in der Welt zu spielen, so versuchte er es, sich für einen Dichter auszugeben; er schrieb schlechte Novellen und noch schlechtere Verse, die niemand las, und für deren Veröffentlichung er den Verlegern große Summen zahlte. Trotz seiner Mißerfolge glaubten seine Mutter und er doch fest

an sein Talent, das sich sicher Bahn brechen und die Welt eines Tages zur Be­wunderung zwingen werde.

Etwa vier Wochen nach den im vorigen Kapitel geschehenen Ereignissen saß Lady eines Morgrns in ihrem Boudoir, auf das Erscheinen des jungen Grafen wartend. Sie bewohnte eine Flucht Zimmer im linken Flügel des Schlosses, hielt sich aber mit Vorliebe in dem fast überladen ausgestatteten Boudoir auf, wo sie ihr Frühstück einnahm und ihre intimsten Freunde empfing. Lord Culwarren war natürlich der häufigste und willkommenste Gast, der fast jeden Tag einige Stunden hier zuzubringen pflegte, um der Mutter seine neuesten litterarischen Produkte vorzulesen. Zwischen der Gräfin und ihrem Sohn bestand eine aufrichtige, wenn auch stark mit Selbstsucht gemischte Zuneigung; im Charakter jedoch waren sie völlig verschieden und auch äußerlich hatten sie keine Ähnlichkeit mit einander. Philipp war ein großer, schlanker Mann mit dunklen Augen, braunem Haar und leidlich hübschen Gesichtszügen; die Lady hingegen, die einst gefeierte Schönheit ge­wesen, war blond und trotz ihrer fünfundfünfzig Jahre eine noch immer an­ziehende Erscheinung obgleich man nicht sagen konnte, wie viel dabei auf Rechnung der Kunst zu setzen war.

Als der junge Graf bei ihr ein trat, bemerkte sie auf den ersten Blick, daß ihn etwas bedrückte.

Nun, mein lieber Philipp," rief sie, ihm die Hand reichend,was ist geschehen? Hoffentlich hast du keine schlechte Kritik über deine letzte Erzählung erhalten."

Nein, Mutter, das ist es nicht. Es war ja auch noch gar keine Zeit, das Werk zu kritisiren."

(Fortsetzung folgt.)