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Meitcrge zu Wr. 44 des AnzLHäters.

Neuenbürg, Samstag den 20. März 1897.

Württemberg.

Stuttgart, 16. März. Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Tagesordnung: Hauptfinanzetat Kap. 1015. Justizdepartement Berichterstatter Abg. Haußmann-Balingen er- sucht um Auskunft, welchen Standpunkt der Minister in Beziehung auf die Begnadigung ein­nehme. In längeren Ausführungen kritisiert Redner den Duellunfug. Der Abgeordnete führt sodann aus seiner Praxis einige Fälle der Be­gnadigung an und knüpft zustimmende und kritisierende Bemerkungen hieran an. Bei dem Avancement der Richter solle die Examensnote nicht allein ausschlaggebend sein, die praktische Befähigung, namentlich im Vorsitz, sei nicht weniger von Bedeutung, die Berufung der Staatsanwälte gegen erstinstanzliche Urteile er- folge oft in unnötiger Weise. Die Einführung der Berufung in Strafsachen ist zweckmäßig. Bei dem jetzigen Zustand habe der Strafsenat des Oberlandesgerichts gar keinen Einfluß auf das materielle Recht. Minister v. Breitling: Er habe schon in der letzten Sitzung betont, daß er für die kgl. Gnadenakte die volle Verant Wörtlichkeit übernehme. Das Staatsoberhaupt sei bei der Ausübung des Begnadigungsrechts vollständig unbehindert, abgesehen von der Be­schränkung im § 97 der Verfassungsurkunde. Auch der vom Vorredner kritisierte Fall der Begnadigung sei im Justizministerium nach jeder Seite hin pflichtmäßig erwogen worden. In der Duellfrage steht Redner ganz auf dem Boden des bestehenden Strafrechts, er werde auch hier seine Pflicht thun. Im Fall Wangenheim-Uxkull ist olles geschehen, was möglich war. In der Frage der Berufung in Strafsachen giebl der Minister entgegenkommende Erklärungen ab. Abg. v. Geß: Die Stände haben das Recht, ihre Wünsche zur Ausübung des Begnadigungs­rechts zu äußern. Auf einzelne Fälle sollte man doch nicht eingehen. Im übrigen ist Redner mit einzelnen Ausführungen des Abg. von Balingen einverstanden. Kanzler v. Weizsäcker: Die Mensuren der Studenten dürfen nicht mit dem Duell zusammengeworfen werden. Es handelt sich hiebei ja eigentlich nur um eine höhere praktische Anwendung der Fechlkunst. (Heiterkeit.) Man sollte die Mensur nicht ganz aufheben. Abg. Haußmann-Balingen ist mit den Aus­führungen des Ministers nicht durchaus einver- standen. Das Weihnachtsduell har nach der Erklärung des Ministers eine Sühne nicht ge­funden, das ist sehr bedenklich. Der Herr Kanzler sei natürlich in einer eigentümlichen Lage, als Vertreter der Universität müsse er die Mensuren halb und halb verteidigen. Was da der Pro­fessor der Theologie dazu sage? (Heiterkeit). Wenn man die kleineren Schlägereien nicht ab- schaffe, dann hörten die Duelle nicht auf. Minister v. Breitling: Er habe nicht gesagt, daß in dem bekannten Weihnachtsduell keine Verfügung ge­troffen worden sei, er wisse nur nichts davon. Abg. Dr. Kiene ist bezüglich der Mensuren und des Duellwcsens ganz mit den Ausführungen des Abg. Haußmann einverstanden. Diese Un­sitte werfe ihre Schatten auch in das bürgerliche Leben hinein. Prälat v. Sandberger tritt in längeren Ausführungen gegen das süddeutsche Mensurenwesen ein und spricht die Hoffnung aus, daß cs noch einmal abgeschafft werde. Der gemeine Mann verstehe nicht, daß diese Ver- sehlungen gegen das Strafgesetz nicht genügend ge­ahndet werden. Bravo. Domkapitular Dr. v. Linsenmann spricht sich auch ganz entschieden gegen die Mensuren aus. Abg. v, Geb: Nachdem Gesetz sei das Duell zu bestrafen. Die Studenten wollen nicht, daß ihre Mensuren als Spielerei angesehen werden Der Ueberzeugung des Volkes müsse man gerecht werden. Die Diskussion wird geschlossen, der Titel angenommen; ebenso mit Mehrheit der Antrag Haußmann, die Entschädig, ung unschuldig Verurteilter betreffend.

Stuttgart, 14. März. Der Sultan richtete, denM.,N. N." zufolge, an den König

von Württemberg ein Schreiben, worin er den König über die Lage der württ. Kolonisten in Palästina beruhigt. Wie man sich erinnert, entstand zwischen diesen und den türkischen Be­hörden vor einigen Jahren ein Konflikt, der von der deutschen Reichsregierung beigelegt wurde. Auch der König von Württemberg hatte damals interveniert.

Stuttgart. Der am 10. März be­gonnene Beleidigungsprozeß des Schultheißen Schlör von Beutelsbach gegen den Verlags­buchhändler Lutz wird die Stuttgarter Straf­kammer statt der ursprünglich vorgesehenen 10 Tage wahrscheinlich 14 Tage oder noch länger beschäftigen. Schon von Anfang an waren ca. 160 Zeugen zu dem Prozeß geladen und während der ganzen Zeit der bisherigen vor- und nach­mittags statifindenden Verhandlungen wurden immer wieder neue Zeugen vorgeschlagen und vom Gericht angenommen. Ohne dem Urteils­spruch des Gerichts vorzugreifcn, kann man heute schon sagen, daß der Schultheiß von Beutelsbach ein gerichteter Mann ist, wenn auch der Ver- lagsbuchhändler Lutz vielleicht wegen formeller Beleidigungen und einiger unbeweisbarer Be­hauptungen hängen bleiben sollte. Daß Schlör nicht schon längst seines Amtes entsetzt ist, muß jedermann, der nunmehr Einsicht in dessen Treiben gewinnt, einigermaßen wundernehmen. Besonders peinlich muß es berühren, daß es die Vorgesetzten Behörden entweder nicht gewußt, oder über die leichte Achsel angesehen haben, daß Schlör in sittlicher Beziehung sich seit Jahr und Tag unter jeder Kritik aufgeführt hat, so daß keine Frauensperson, ob jung oder alt, schön oder häßlich, ledig oder verheiratet, sich zu Schlör auf dessen Rathaus wagen konnte.

Stuttgart, 15. März. Die Ausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe, die im Sommer und Herbst des vorigen Jahres hier staltgefunden hat, ergab einen mehr als eine Viertel Million Mark betragenden Ueberschuß. Da- von erhalten u. a. der Gewerbeverein in Stutt­gart 40000 Mk., andere Gewerbevereine den gleichen Betrag, das Landesgewerbe-Mufeum zum Ankauf von Gegenständen für die Sammlungen 20000 Mk., die König Karl Jubiläum-Stiftung zum Ankauf von Motoren für das Kleinge­werbe 30000 Mk., Beitrag zu der zu errichten­den Fachschule für Feinmechanik und Elektro­technik 12 000 Mk., die Kunstgewerbeschule in Stuttgart 6000 Mk., das Kunstgewerbemuseum in Gmünd 3000 Mk., die Zentralstelle für Ge- werbe und Handel zu Ankäufen für die Samm­lungen 7000 Mk. Größere Beträge erhielten ferner die Frauenarbeitsschulen in Stuttgart, Heilbronn, Ulm und Reutlingen, sowie ähnliche gemeinnützige Anstalten und Vereinigungen. Auch die Arbeiter, die sich bei Herstellung der Aus­stellung und der in ihr ausgestellten Gegen­stände besonders verdient gemacht hatten, sowie solche Arbeiter, die schon bemerkenswert lange Zeit auf ein und derselben Arbeitsstätte sich be­finden, wurden durch entsprechende Gaben er- freut So fröhliches Nachspiel ist nicht vielen Ausstellungen beschieden.

Stuttgart, 12. März. Im Württemb. Verein für Handelsgeographie sprach heute abend Stabsarzt Dr. A. Widermann von Kehl über Land und Leute am Kilimandscharo (Afrika). Redner brachte in der Stellung eines Stabs arzls der deutschen Schutztruppe mehrere Jahre dort zu und hatte Gelegenheit daselbst Studien zu machen. Der Kilimandscharo wurde 1848 von den württb. Missionaren Krapf u. Rebmann als den ersten Europäern entdeckt. Die Mit- teilung derselben von einem Schneeberg in Afrika wurde anfangs nicht geglaubt, durch den Reisen- den v. d. Decken, der denselben im Jahre 1861 bestieg aber als richtig nachgewiesen. Bis an den Gipfel bestieg denselben im Jahr 1889 Hans Mayer und entdeckte daselbst einen Krater. In eingehender Weise beschrieb Redner die mancherlei Kämpfe, die endlich im Jahre 1894 zur Unter­

werfung führten, nachdem bereits im August 1893 die Station Moschu gegründet worden war. 36 Häuptlinge beherrschten daselbst ebensoviele Ländchen und führten gegenseitige Raubkriege. Der Charakter der Bewohner läßt viel zu wün­schen übrig, sie trinken, spielen und lügen, ver­sprechen viel und halten wenig, sind abergläubisch, mißtrauisch, sinnlich, grausam und eigennützig. Bei diesen Eigenschaften ist es begreiflich, daß die christlichen Missionare mit ihren Bestrebungen einen schweren Stand haben. Die Sonne halten sie für den guten Gott, der Mond ist die Ge­mahlin, die Sterne die Kinder der Sonne. Der böse Gott ist der Teufel bezw. die Teufel, denn sie kennen deren viele. Vielweiberei ist ein Zeichen der Wohlhabenheit, die Männer arbeiten möglichst wenig, dazu hat man die Frauen und Sklaven Die Bewaffnung besteht aus Speer, Schild und Schwert. In den Kämpfen mit den Deutschen hatten sie übrigens Hinterlader Ge­wehre, die aber konfisziert wurden. Jetzt haben sie nur noch Vorderlader. Das Land ist frucht­bar und die klimatischen Verhältnisse gut. Als Haupthindernis steht der wirtschaftlichen E» I jchließung des Gebiets am Kilimandscharo die große Entfernung von der Küste im Wege. Bei dem Mangel jeglicher Verkehrsmittel kann hier­an zunächst nicht gedacht werden. Eine Aus­wanderung im größeren Umfang nach dort könnte jetzt noch nicht empfohlen werden. In dieser Hinsicht kommen für jetzt näher gelegene deutsche Gebiete in Betracht. Mit der Schilderung einer bis zur Höhe von 550 Mtr. unternommenen Besteigung des Berges schloß Redner seine in­teressanten Ausführungen.

Derendingen, 15. März. Voriges Jahr starb ans dem Bläsiberg ohne männliche Nachkommen Schott v. Schottenstein. Ueber die Besitzungen desselben entspinnt sich nun ein Prozeß wegen der Erbfolgefrage des männlichen Nachfolgers. Das zum Bläsiberg gehörende Areal ist im Verhältnis kein so sonderlich großes und wird auf ca. 100000 Mark geschätzt.

Unterhaltender Heil.

Im Dunkel der Nacht.

Eine Erzählung von Otto Ebjerstein.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

II.

Der Winter hatte rasch und frühzeitig seinen Einzug gehalten; noch war der November nicht zu Ende und schon Wald und Flur unter fußtiefem Schnee begraben. Ueber Nacht war er gekommen, der kalte Mann, hatte seine starren Eislocken geschüttelt und die Natur in ein blendendes Gewand gekleidet.

Von der langen Reihe kleiner Häuschen, welche die Vorstadt von I. . . bildeten, war es das kleinste, welches wegen seines mehr als be­scheidenen Aeußercn ganz besonders in die Augen fiel. Es bestand nur aus dem Erdgeschoß, über dessen kleinen Fenstern sich sofort das mit Schindeln gedeckte Dach .erhob. Zwei Fenster nach der Straße und eines an der Giebclseite erhellten das Innere, welches aus einer niedrigen Stube mit daranstoßender Kammer bestand. So dürftig das Haus von außen aussah, so be­scheiden war auch seine innere Einrichtung. Ein unverhältnismäßig großer Kachelofen nahm einen guten Teil der Stube ein; in der Mitte stand ein viereckiger Tisch, über welchen eine bunte, etwas verwaschene Damastdecke gebreitet war; eine altmodische, mit gelben Messing, beschlägen versehene Kommode, ein Kanapee, über welchem, ebenso wie über den Polsterstühlen, roikarrierle Kattunüberzüge lagen und ein kleiner Nähtisch am Fenster vollendeten daS Meublement. Unter dem Spiegel über dem Kanapee hing die Photographie eines hübschen jungen Mannes in Infanterie-Uniform, und auf dem Brette, welches über der nach der Kammer führenden Thür angebracht war, lagen