Armenien.

Seit Jahresfrist sind die Augen der christ- lichen Will mit tiefster Teilnakme auf das un glückliche Armenien gerichtet. Mehr als 100000 Christen Männer, Frauen und Kinder wurden nicdergemetzelt, 2500 Dörfer, 568 Kirchen geplündert und zerstört. Die Bewohner von 650 christlichen Dörfern wurden unter Androh ung eines gualvollen Todes mit Gewalt zum Islam bekehrt, 320 christliche Kirchen in Moscheen verwandelt und 190 Prediger grausam ermordet Es ist dies vielleicht die größte und blutigste Christenverfolgung, welche die Geschichte kennt, und beweist, daß der muhamedanische Haß gegen das Christentum noch »mmer so unheimlich glüht wie in früheren Jahrhunderten, Ja, sagt man uns, die Armenier sind eben Revolutionäre, Ge wiß, die nächste Veranlass ung zu den Schlächtereien war eine politische, aber im Handumdrehen wurde eine religiöse Angelegenheit daraus, und der beste Beweis, daß das Ganze im tiefsten Grunde eine Christenverfolgung war, liegt darin, daß man diejenigen leben ließ, welche zum Islam übertraten. Daß die Armenier aber nicht so schlimm sind, wie sie in manchen Zeitungen ge- schildert werden. davon weiß Pastor Schneller, der im Morgenland ausgewachsen ist und von Jugend auf viel mit den Armeniern zu thun hatte, zu erzählen. Er schreibt:Von keiner andern orientalischen Nation habe ich so gute Eindrücke empfangen wie von den Armeniern. Ich habe sie nüchtern, mäßig und sparsam ge funden. Und darauf beruht, neben ihrem kauf, männischen Geschicke ihr Wohlstand. Besonders wohlthuend ist die Wärme und Innigkeit ihres Familienlebens, die allgemeine Ehrfurcht vor dem Alter, die hohe Achtung, welche ihre häus­lichen, sittenstrengen und fleißigen Frauen seitens ihrer Männer und Söhne genießen."

Würden sie dieses Lob auch nicht verdienen, so wäre es doch unsere Christenpflicht, ihnen beizustchen. Also zu einem Kreuzzug gegen die Türken aufrufen? Gott bewahre. Wir wollen keine neuen Wunden schlagen, sondern Ocl in die allen träufeln Tausende armer, unschuldiger Kinder irren hohlwangig durchs Land. ohne Obdach, ohne Bett, ohne Nahrung, ohne Barer und Mutter, ihnen wollen wir unsere besondere Teilnahme zuwenden. Schon sind an ver­schiedenen Orlen Waisenheime unter tüchtiger deutscher Leitung begründet worden, aber ihre Erhaltung und Erweiterung erfordert kräftige Unterstützung. Aus diesem Grunde hat sich auch in Stuttgart ein Hilfsverein gebildet, der nach willigen Herzen und Händen sucht. Mögen sich auch tn unserem Bezirk deren viele finden lassen!

Den obigen Ausführungen schließt der Unter­zeichnete gerne sich an mit dem Bemerken, daß ohne besonderenAufruf" aus Stadt und Be­zirk schon namhafte Gaben für die a r m e n i- schen Waisen gespendet worden sind. Dem Unterzeichneten selbst sind in jüngster Zeit zur Uebermittlung an eine der Sammelstellen zuge- gangen: N. N 60 »lL, N. N, 2 «U; aus Calm­bach von Holzsetzer Rau 1 -M. von der Klein- kinderschule 2 von Lehrer Klingenstein 2 für welche Gaben herzlich Dank gesagt wird.

Neuenbürg, 8. Januar 1897.

Dekan Uhl.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 8. Jan. Die würtlemb. Eisenbahnverwallung macht im heutigen Staats­anzeiger bekannt, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1897 die -Station Pforzheim in den Ausnahmetarif für die beschleunigte Beförderung von Lebensmitteln in vollen Wagenladungen aus Italien nach Deutschland einbezogen worden ist.

Arnbach, 8. Jan. Bei dem gestern dahier stattgehabten Stamm- und Kleinnutzholz­verkauf der hiesigen Gemeinde waren besonders Stangen begehrt. Bei einem Gesamtanschlag zum Rcvierpreis von ca. 2900 beträgt der Erlös 4800 ^

Pforzheim, 8. Jan. Bei der gestrigen Bürgermei st erwähl erhielt der seitherige Bürgermeister Holzwarrh 80 von 101 ab- gegebenen Stimmen. Ein Teil der hiesigen Fabrikanten, denen der Bürgermeister in seiner

Eigenschaft als Vorsitzender des Gewerbegerichts und sonst alseigenartiger Charakter" nicht angenehm war. demonstrierte durch Abgabe un­beschriebener Wahlzettel, Die Sozialdemokraten auf dem Rathause traten Mann für Mann für ihn ein. Das Vorgehen der hies. Stadtver­waltung, welche die Gemeinden des Landes aufgefordert hat, sich ihrem Protest gegen die bundesrätliche Vorlage über die Militäranwärter anzuschließen, hat nur geteilte Zustimmung ge- funden und insbesondere zeigt sich das führende Organ der Nationalliberalen, dieBad. Landes- Zeitung", ungehalten hierüber. Sie urteilt abfällig über denPforzheimer Radikalismus" und meint, daß die Art und Weise der Bekund­ung desselben nicht dazu angelhan sei, die Regierung zu Gunsten der Pforzheimer zu stimmen. Bemerkt mag übrigens bei dieser Ge­legenheit werden, daß die hies. Bürgerschaft in der Sache vollständig auf Seiten der Stadtver­waltung steht.

Neuenbürg. 9. Jan. Sämtliche auf den heutigen Schweinemarkt zugebrachte 60 St Milchschweine wurden zu 914 vfL das Paar rasch verkauft. Für 1 Paar Läufer wurde -.k 25. erlöst.

Streiflichter auf unsere Zustande.

m.

Ist man genötigt, im Eisenbahnwagen in solcher Gesellschaft zu fahren, was kann man da erst erleben! Nicht nur hagelt es Flüche und schandbare Worte für die Ohren der geduldigen Mitreisenden; erwehren sie sich der Zudringlich keilen, dann entsteht ein Hohngelächter, das geradezu höllisch genannt werden kann. Sind keine Mitreisenden da, an welchen der Uebermut ausgelassen werden kann, dann muß der Eisen- bahnwagen herhalten. Fensterriemen, Fenster­scheiben. Schüreisen und Schürhaken, Aschen behälter n. s. w. werden zu Angriffspunkten der Büberei.

So hat in letzter Zeit die badische Eisen­bahnverwaltung vielem Treiben Einhalt zu thun versucht, indem sie drohte, im Wieder- holungsfall die betreffenden Wagen nicht mehr zu Heizen. Es ist gerade, wie wenn Geister der Hölle losgelassen wären, so geberden sich viele der jungen Leute. Manchem älteren ist es angst und bang in dieser Gesellschaft; aber keiner wagt es, diesem Treiben entgegenzulreten. Daher kommt es, daß nach und nach diese Rohheiten so allgemein auftreten und nachgerade alle Ar­beiter dafür verantwortlich gemacht werden.

Sollte jemand über das bisher Gesagte im Zweifel sein, der wage es, Sonntags auf dem Lande eine Wirtschaft zu besuchen. Um 4 oder 5 Uhr geht das Skandalieren los. So lange sie sich von den Augen angesehener Bürger beobachtet wissen, geht es noch an, obgleich diese ein gutes Trommelfell haben müssen, daß ste's länger aushalten. Ist man gekommen, im Kreise anständiger Bürger edler Geselligkeit zu pflegen, so hat man sich gründlich getäuscht Entweder ziehen es ältere Bürger vor daheim zu bleiben, da ihnen dieses Treiben zuwider ist, oder aber sind sie genötigt zu schweigen, da sie vor Lärmen und Krakehlen, öfters auch Tätlichkeiten, nicht zum Worte kommen können. Ist es aber einmal geglückt, eine anständige Unterhaltung zu finden und seinen Sonnlagsschoppen in Ruhe zu trinken, so kann cs einem auf dem Nach­hausewege passieren, daß solche unmündige Burschen auf der Straße skandalieren, wohl auch mit Messern aufeinander losgehen. Will man sie zur Ruhe verweisen, so zücken sie die Messer auf den Störer oder drohen mit dem Re­volver.

Da ist es kein Wunder, wenn anständige Bürger Sonntags zu Hause bleiben und sich zu­weilen ihren Schoppen ins Haus holen lassen. Da fragt sich jeder besonnene Bürger:Ist niemand da, der helfen kann?!" Den Ausschreitungen der jüngsten, der fortbildungs­schulpflichtigen Jugend versuchte der württemb. Landtag entgegenzutreten, dadurch, daß er für diese 1416jährigen Leute das Wirtshaus- verbot erließ. Wie schwierig es ist. dasselbe zur Wirksamkeit zu bringen, ergab sich aus den Verhandlungen der Abgeordnetenkammer in letzter

Zeit. Doch dürfte die Ausübung und Befolgung dieses Gesetzes auf dem Lande nicht zu den Un­möglichkeiten gehören, wenn Orksvolizei, Geistliche und Lehrer ihre Pflicht thun. Es sind ja der Pfl-chiigen nicht zu viele, daß sie den genannten Organen nicht bekannt wären. Wird jede Uebertretung unnachsichtlich geahndet, so wird man solche Bürschlein bald klein be­kommen.

Aber da sind es wieder die Väter, die dem Gesetze eine Nass drehen. Da nimmt der Sohn den Vater als Begleitsmann mit in das Wirtshaus. Der Sohn zahlt die Zeche, so lang es ihm beliebt. Da heißls dann,Alter s .. f, mer ganget no net heim! Da hast au no a Zigarr!"

Verweist man Töchter aus dem Tanzsaal, gleich kommt eine andere:Was! die steht unter meiner Obhut!" Was nun?

Dann aber haben charakterfeste Männer und gesittete Arbeiter selbst diesen Aus­schreitungen entgegenzutreten. Wenns nicht anders geht, kann es auch einmal handgreiflich geschehen, wie es derVerein für Wieder­einführung der Prügelstrafe" beabsichtigt. Wozu ein feiges Zurückweichen der Männer vor einer Handvoll Buben?! DaS Vaterland ist in Gefahr durch diese innere Feinde! Mut gefaßt! Es muß gehen! Ein einzelner Mann hat in solchen Lagen schon vieles ausgerichtet, wenn er von anderen unterstützt wird Weiter gilt es, die noch unverdorbenen Jünglinge zu sammeln; sie wissen oft nicht, wohin sie sich Sonntags wenden sollen. In größeren Städten und auch in manchen Landgemeinden findet man Jünglings- und Gesellenvereine, in welchen Jünglinge unter Anleitung oder ohne solche sich in einem geheizten Lokal im Rathaus oder Schulhaus, zujammcnfinden, lesen oder auf andere anständige, Geist und Ge­müt anregende Weise unterhalten. Keine Ge­meinde sollte die Kosten scheuen, derartige Ein­richtungen zu treffen zum Wohl und zum Schutz der Heranwachsenden Jugend. Es finden sich viele, die gerne solche Gelegenheiten evler Unter­haltung suchen und wertschätzen. Aber Elle thut not, ehe es zu spät ist! Wer Hilst?!

Deutsches Aeich.

Die abgelausene erste Woche des neuen Jahrs hat als zweifellos bemerkenswertesten Vorgang für Deutschland die Veröffentlichung des von Kaiser Wilhelm am 1. Januar verfügten Erlasses gegen denZweikampf der Offiziere gebracht. Der kaiserliche Erlaß charakterisiert sich indessen keineswegs als ein bestimmtes Verbot aller künftigen Zweikämpfe in der Armee, welches sich auch kaum durch­führen lassen würde, sondern nur als eine aller­dings sehr energische Maßnahme zu einer thun- lichsten Einschränkung des Duells. Dieselbe soll wesentlich dadurch erreicht werden, daß kein O fi» zier, welcher in einen Ehrenhandel mit einem andern Ossizier verwickelt ist, auf eigene Faust sich Genugthuung verschaffen darf, sondern unter allen Umständen zunächst dem für ihn zuständigen militärischen Ehrenrale Mitteilung von dem Bor­gefallenen zu machen hat. Der Ehrenrat ist dann gehalten, nach den Vorschriften der kaiser­lichen Ordre für einen gütlichen Ausgleich der Sache zu wirken. Jedenfalls zielt der Erlaß in seinem Kernpunkt dahin, daß Offiziere zwiichen denen ein Ehrenhandel spielt, vor allem die Be­schlußfassung des Ehrenrats, sein Bemühen um einen Ausgleich, abzuwarten haben, ehe sie viel­leicht doch zu den Waffen greifen, von welcher Anordnung mindestens bei Konflikten unbedeut­enden Anlasses eine Verhinderung des Duells wohl zu erwarten steht. Freilich wird es anderer­seits auch in Zukunft nicht an zahlreichen Fällen fehlen, in denen die Offiziere ungeachtet der kaiserlichen Verordnung zum Zweikampf schreiten, immerhin darf man annehmen, daß das Vorgehen des Kaisers eine wesentliche Einschränkung deS Duellwesens im Offizierkorps zur Folge haben wird. Bemerkenswert ist noch, daß auch der Prinz-Regent Luitpold eine ganz gleiche Ver­fügung für die Osfiziere des bayerisches Heeres erlassen hat, womit die Einheitlichkeit dieser re-