923
meldet: Bon den 3 für heute anberaumten Versammlungen der Ausständigen fanden nur 2 statt. Die Redner forderten die Streikenden auf, auszuhalien, wenn auch keine oder nur teilweise Unterstützungsmittel vorhanden seien. Die beiden Versammlungen, in denen die sozial- demokratischen Reichstagsabgeordneten Molken« buhr und Frohme sprachen, verliefen in ruhiger Weise. Für Sonntag waren wieder mehrere Versammlungen angesagt.
In den deutschen Blättern dauern die Erörterungen über den Prozeß Leckert-Lützow bezw. den bevorstehenden Prozeß gegen den Berliner Polizeikommissar v. Tausch noch immer fort. Eine große Anzahl von Akten stücken, welche Tausch in Verwahrung hatte, wurden beschlagnahmt und in letzteren soll so viel interessantes Material zur Ausdehnung der Anklage gegenTausch gefunden worden sein, daß daß man dem Schwurgerichtsprozeß gegen letzteren mit der größten ^Spannung entgegensetzen darf. Wenn die Berliner Blätter recht unterrichtet sind, ist es auch Tausch gewesen, der die ganz unqualisizierbaren Verläumdungcn gegen die Person des deutschen Kaisers in französische und englische Blätter lanciert hat.
Der Gouverneur von Deutsch Ostafrika, Oberst Liebert, hat Berlin verlassen, um sich über Neapel auf seinen Posten zu begeben.
Das Kanonenboot „Hyäne" hat den Befehl erhalten, von Kamerun aus eine Rund reise nach dem wcstafrikanischen Schutzgebiet anzutreten, die sich bis Kapstadt ausdehnen wird. Dabei wird das Kanonenboot auch Deutsch- Südwestafrika anlaufen, wobei sich Gelegenheit finden dürfte, den von Dr. Esser kürzlich entdeckten Augusta-Viktoria-Hafen zu untersuchen Die „Hyäne" befindet sich bereits von Kamerun nach dem Süden Afrikas unterwegs.
Die Einnahme der preußischen Eisenbahn. Verwaltung für die Zeit vom April bis Ende November d. I. hat 42 Millionen Mark mehr betragen als in demselben Zeitraum des Vorjahres.
Von der Ob er Haardt/ 22. Dez Im Weinverkaufsgeschäfte ist. nachdem dasselbe sich in letzter Zeit in ganz lebhaften Bahnen be-- wegt hatte, in letzten Tagen etwas Ruhe einge> treten. Obgleich noch viele Proben besonders von 1896er entnommen wurden, führten dieselben zu wenigen Abschlüssen, da die Produzenten mit ihrer Ware zu hoch hinaus wollen Acltere Weine dagegen wurden zu früheren Preisen in größeren Posten verkauft. Von der Mittelhaardt, aus Edenkoben wird dagegen ein reges Einkaufsgeschäft in neuen Weinen ge- meldet.
(Ausschließung gewisser Neujahrskarten von der Postbesörderung.) Neujahrskarten — Postkarten oder Drucksachen —, welche unflätige Zeichnungen oder beleidigenden Inhalt haben und von den Postanstalten als solche erkannt werden, sind von der Postbesörderung ausgeschlossen. Diese allgemeine Bestimmung, deren strenge Durchführung die zunehmende Verrohung der Neujahrskarten immer notwendiger macht, gilt auch für jene Neujahrskarten, welche laut Vordruck im Verlage von I. Junginger in Stuttgart erscheinen, auf der Rückseite mit „Prosit Neujahr» und „Brüsewitzkarte Nr. 1 u. s. w. bis 6" bezeichnet sind und für den Empfänger beleidigende Reime enthalten.
Württemberg.
Stuttgart, 23. Dez. Für die große deutsche Wirtsausstellung, welche im August nächsten Jahres in der Gewerbehalle hier statt» findet, ist der Garantiefonds nunmehr auf über 100000 angewachsen. Bon den Brauereien von hier und Umgebung wurden 30000 ge- zeichnet, von 20 Bäckermeistern 20500
S t u t t g a r t, 26. Dez. Bezüglich der kürzlich gebrachten Notiz, wonach die antisemitische „Schwäbische Reform" in Württemberg keinen Drucker mehr gefunden habe, teilt der Redakteur Bösenberg mit, daß verschiedene bedeutende Stuttgarter Druckereien bereit gewesen seien, den Druck zu übernehmen. Das Blatt werde aber seit 1. Okt. 1895 aus dem einfachen Grund in Heidelberg gedruckt, weil die betr. dmuge
Druckerei in den Händen von Parteigenossen ist und weil die Herstellungs Bedingungen dort weit günstigere waren als bei sämtlichen Stuttgarter Druckereien.
Stuttgart, 17. Dez. Die Sänger des Stuttgarter Liederkranzes beabsichtigen an Ostern 1897 eine Sängerfahrt nach Italien zu unternehmen. Es ist geplant, auf der Reise in Basel, Mailand re. Konzerte zu geben.
Karlsvorstadt Heslach, 27. Dez Heute Vormittag kurz nach 9 Uhr als die Leute eben zur Kirche gehen wollten, schlugen die Hellen Flammen aus dem Dache des Frank'schen Gartcnsaales heraus. Nach halbstündiger angestrengter Thätigkeit der hiesigen freiwilligen Feuerwehr war das Feuer gelöscht.
Oeh ringen. 27. Dez. Gestern wohnte der Kaufmann Lang. Lebens-, Unfall- und Feuervcrsicherungs Agent der „Thuringia", einer Beerdigung in Skolzenhof bei Jagsthausen, OA Neckarsulm an Auf dem Rückweg von dort fuhr er auf einem Schlitten mit Posthaltcr Geröll und dessen Frau nach Eindringen. Das Straßengeiäll und die glatte Bahn brachten die Pferde in raschen Lauf, so daß Gerock als Fuhrmann die Pferde nicht mehr zu bemeistern vermochte. Bei Sindringen an einer Straßen- biegung schlug der Schlitten um, so daß die Insassen herausgeschleudert wurden und Ver- lctzungen davontrugen. H. Lang war aber sofort tot und die Frau des Gerock mußte bewußtlos vom Platze getragen werden.
T u t t l i n g e n, 21. Dez. Wie leicht der Viehzüchter trotz aller Vorsicht in Verlust geraten kann, beweist ein Fall, der in den letzten Tagen hier passierte. Dem als erfahrener Viehzüchter bekannten I Kaufmann zum „Rosengarten" war ein wertvolles hochträchtiges Zuchttier, das auf über 500 »kL gewertet wird, erkrankt, so daß eine Notschlachtung erfolgen mußte. Als Ursache desselben konnte festgestellt werden, daß das Tier eine Nadel verschluckt hatte, die in Lunge und Herz vorgedrungen war und in der Folge den Tod des wertvollen Tieres herbeigeführt haben dürfte. Darüber, wie dieser kleine Gegenstand unter das Futter gekommen sein kann, ob schon auf der Wiese oder erst im Stall, lassen sich höchstens Vermutungen aufstellen.
Ausland.
Nach den glänzenden Zarenfesten inParis sind die Franzosen jetzt viel schlechter mit den Russen daran, als seit vielen Jahren. Der russische Finanzminister will nämlich das russ. Papiergeld einziehen und die Goldwährung einführen, welche Maßregel freilich den russ. Staat eine beträchtliche Anzahl Millionen kosten wird, welche andererseits aber im Interesse von ganz Rußland gut angelegt sein würden, denn die Wohlthat einer soliden Währung wirkt dauernd auf alle Bevölkerungskreise. Nun fürchten die Franzosen, es könnte bei diesem Anlaß der von Witte angcsammelte Kriegsschatz aufgebraucht werden und sie haben deshalb die Russen gebeten, die Währungsreform doch noch einige Jahre zu verschieben. Daraufhin ist aber den Franzosen. seitens Rußland bedeutet worden, daß sie sich in innere russische Angelegenheiten nicht einzumischen hätten, — eine böse moralische Ohrfeige, welche den Sozialdemokraten in der französischen Deputiertenkammer, welche ohnehin kurz vor deren Vertagung gegen die Bewilligung des Kredits für die Zarenfeste protestiert hatten, einen willkommenen Anlaß bietet, um das Kabinet Meline-Hanotaux alsbald nach dem Wiederzusammentritt der Dcputiertenkammer in Verlegenheit zu bringen. Bei den französischen Bauern suchen die Sozialdemokraten jetzt da- durch Stimmung zu machen, daß sie den Ministerpräsidenten Meline als Feind der Landwirtschaft hinstellen, weil er sich keinerlei Mühe gegeben habe, das Zuckerexportprämiengesetz vor der Vertagung der Kammer einzudringen und durchzusetzen.
Mit ungewöhnlichem Interesse wird von allen Parteien in Frankreich den Erneuerungs- Wahlen für den Senat entgegengesehen, die am 3. Januar 1897 zu vollziehen sind. Die Er-
Neuerungswahlen sind darum von großer Bedeutung. weil die gemäßigten Republikaner diesmal in zahlreichen Wahlsitzen von den Radikalen ernstlich bedroht sind. Diese hoffen am 3. Januar Bresche in die gemäßigte Senatsmehrheit zu legen, der sie es nicht vergessen können, daß sie das Ministerium Bourgeois zu Fall gebracht hat.
Paris, 24. Dez. Der bekannte Hungerkünstler Succi, der sich im hiesigen Olympia- Theater produzierte, ist gestern Nacht beim Verlassen des Theaters tobsüchtig geworden und mußte in ein Irrenhaus gebracht werden.
Paris. 20 Dez. Zweimal zum Tode verurteilt wurde in Lyon der Soldat Surrel vom 158. Linienregimenk. Das erste Mal im Oktober, weil er sich an seinem Hauptmann halte, das zweite Mal gestern, weil er sich einem Sergeanten vergangen, der in seine Ge^D^ fängniszelle eingetreten war.
Unterhaltender Teil.
Eine lustige Weihnachtsgeschichte.
Herr R . . . in unserer Nachbarstadt N. N. ist, was Geldausgaben betrifft, ein etwas zäher Herr, am zähesten aber in dem Punkte des Geschenkgebens. Deshalb ist ihm namentlich der Weihnachtsrag ein Gräuel, und jedes Jahr predigt er im Dezember den erwachsenen Seinigrn, daß der Wert der Gabe nicht in ihrer Kostbar- keit, sondern in der Liebe bestehe, mit welcher sie gespendet werde.
Diesem Grundsatz entsprechend sind seine Gaben trotz seiner notorischen Wohlhabenheit immer höchst dürftig, was allerdings auf eine größere Liebe schließen läßt. Auch für dieses Fest hatte er für Frau und Tochter sehr „liebreich", das heißt sehr spärlich eingekauft.
Aber Herr R.. . ist nicht nur „ökonomisch", sondern auch sehr wißbegierig — die böse Welt nennt es neugierig — und schnüfelt gern ein bischen im Hause umher.
Zwei Tage vor dem Feste benutzte er die Abwesenheit der Seinigen, um wieder einmal, wie weiland Mephistopheles, „ein bischen zu revidieren", und entdeckte bei dieser Gelegenheit zu seinem freudigen Erstaunen, tief versteckt rm Kleiderschranke seiner Frau, einen geradezu prächtigen, offenbar sehr kostbaren Herren-Plüsch- Schlafrock, der ganz pompös von dem außerordentlich schäbigen gleichen Garderodestück abstach, welches er seit-Jahren sein eigen nannte.
Das war also sein Weihnachtsgeschenk! O! Und er halte sich so knickerig gezeigt! Er fühlte etwas wie Schamgefühl und eilte, seinem Impuls folgend, in ein Konfektionsgeschäft, wo er sich zu der ungeheuren Ausgabe für ein seidenes Kleid und zwei feine Wollkleider aufraffte, um sich nicht von Frau und Tochter beschämen zu lassen.
Im Traume der Nacht selbst schwebte ihm der kostbare „Plüschene" vor, und die Freude darüber stimmte ihn so weich, daß er am Nachmittage in einer Anwandlung von Großmut den alten Schlafrock, der ihm jetzt schäbiger denn je erschien, der alten Scheuerfrau schenkte, damit sie damit ihrem kranken Manne eine Cyristfreude bereite.
Und der feierliche Abend der Bescherung kam heran. Auf das höchste und freudigste überrascht, musterten die Seinigen die vollständig ungeahnten reichen Geschenke des Gatten und Vaters, während dieser etwas verblüfft die Seinigen beaugenscheinigte. Ein Paar bescheidene gestickte Pantoffeln — eine gestickte, kleine Haarbürste — ein Packet Zahnstocher! Herr R. .. wehrte zerstreut die Dankesbezeugungen der Seinigen ab und forschte so auffallend im Zimmer umher, daß endlich seine Gattin fragte:
„Suchst Du etwas?"
„Na, Kinder." platzte er heraus, „nun gebt ihn her, denn offen gestanden, ich Hab ihn ja, ganz zufällig, weiß Gott, doch schon gesehen!"
„Wen?" erwiderte Frau R . . .
„Nun, den prächtigen Plüschschlafrock, den ihr mir gekauft habt. la. bonkour macht Eurem Geschmack alle Ehre."
„Der Schlasrock in meinem Schranke", spcach entsetzt Frau R .. ., der jetzt ein Licht über die ungewohnte Freigebigkeit ihres Gatten