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vergöttert von der Menge, das Gewissen der Nation genannt. Er stieg wie ein leuchtender Meteor empor zur Sonnenhöhe des Ruhmes, um plötzlich, vielleicht im rechten Augenblicke für ihn, zu sterben — ich glaube, es ist ihm der Weg zur Guillotine erspart geblieben. Mein Name, fuhr der Sprechende fort, ist Napoleon Bonaparte, Bürgergeneral; auch ich bin in der Hand der Vorsehung ein leicht zerbrechliches Werkzeug und vertraue allein auf meinen Stern und mein Glück. — Dein Vater ist der Graf Anton von Nordenne?"
„Ja, Herr Bürger. General," erwiderte Jeanette, „in der Vendee lag unser nunmehr zerstörtes Ahnenschloß. Als die Nachricht von der Ermordung des Königs in unsere Gegend drang und die flüchtenden Girondisten, verfolgt von den Häschern der Republik bei uns eintrafen und das Volk unter die Waffen riesen, da war es mein Bruder Arthur und der greise Vater selbst, welche für die Sache des Königs eintraten und die Girondisten unterstützten. Der Bruder stritt unter Chatelineau bis endlich die Uebermacht der republikanischen Heere die Vendeer unterwarf. Der Bruder mußte fliehen und soll, wie es heißt, verwundet in die Hände der Republikaner gefallen und nach Paris geführt worden sein. Unser Schloß wurde gänzlich von den entmenschten Horden zerstört, die Dörfer und Städte ringsum verwüstet. Treuergebene Unterthanen boten mir und dem Vater einige Zeit Zufluchtsstätten, bis der Vater vom Mute der Verzweiflung erfaßt, mit mir nach Paris ging, um hier sich über das Schicksal des unglücklichen Sohnes Gewißheit zu verschaffen und gegebenen Falles alles daran zu setzen, um ihn zu befreien und ihm das Leben zu retten. Gott hat es anders gefügt, und wir sind aus Befreiern selbst nun unglückliche Gefangene geworden.
„Es war ein kühnes, ja thörichtes Unter- fangen, liebes Kind," erwiderte der Offizier, „in die Höhle des Löwen zu gehen und ihm seine Opfer streitig machen zu wollen. Weder Deine Schönheit noch Dein Bitten und Flehen vermöchten die Männer, deren Leitstern nur die Politik der Rache ist, in ihrer Gesinnung wankelmütig zu machen.
Jeanette schluchzte bei diesen Worten ihres Beschützers.
„Fasse Mut, Mädchen." fuhr dieser gerührt von den Thränen der Unglücklichen in seiner Rede fort, „fasse Mut, die Vorsehung, welche über uns Menschen waltet, ist ja mächtiger als alle Gewalten der Erde; vielleicht ist die Rettung der Gefangenen und ein Wiedersehen mit dem längst Totgeglaubten näher als Du vermutest. Was immer ich zu thun vermag, um Unschuldige nicht das Los von Schuldigen teilen zu lassen, das werde ich thun. Obwohl mich die Pflicht, das Vaterland zu verteidigen, schon demnächst von hier wegruft und ich somit Paris auf einige Zeit verlassen soll» so will ich doch nicht unter- lassen, Alles zu thun, was zu Deinem Schutz notwendig ist."
Noch sprach der General, als es an die Thüre klopfte und auf den Hereinruf ein schlanker bleicher Mann erschien, dessen Gesichtszüge und Haarputz, wie überhaupt seine ganze Haltung den Künstler verriet.
„Hier, mein Freund Talma", sprach Bonaparte mit der Hand auf den Eintretenden deutend, welcher sich höflich vor dem Mädchen verbeugte,
— und hier — Jeanette von Nordenne aus der Vendee, mein Schützling, den ich hicmit feierlich für solange Deiner Obhut anvertraue, als mich die Pflicht auf dem thatenvollen Schauplatze des Lebens festhält. Die Ereignisse verlangen es, daß diese Dame hier bis auf Weiteres unerkannt und verborgen bleibt."
Talma, der berühmte Tragöde Frankreichs
— denn dies war der Eingetretene — reichte freundlich lächelnd Jeanette die Hand. „Seien Sie unbesorgt, mein Fräulein," begann er dann mit wohlklingender Stimme, „ich bürge Ihnen dafür, daß Niemand Ihre Einsamkeit stören und Niemand Ihnen ein Leid zufügen wird.
Jeanette neigte dankend das schöne Haupt.
Nachdem von den beiden Männern noch einige Sicherheits- und Schutzmaßregeln für Jeanette besprochen wurden, verabschiedeten sie sich auf das Freundlichste von dem Mädchen.
„Auf Wiedersehen!" rief der General, als er an der Seite seines Freundes Talma das Gemach verließ.
Kaum hatten die beiden Beschützer Jeanette verlassen, als sie weinend auf das Sopha sank und ihr Antlitz in den weichen Damastkissen des- selben barg. Wirre Gedanken durchfluteten ihr Hirn, bis sie endlich infolge der Ermattung und der unter Thränen durchwachten Nacht, schlafens- müde die Augen schloß und in tiefen Schlummer versank.
Schon vergoldete die Mittagssonne die Kuppeln, Thürme und Zinnen des Häusermeeres von Paris und streute ihren hcllrosigen Schimmer auch auf die kostbaren Teppiche und Wandgemälde des Gemaches, als die müde Schläferin erwachte. Vor ihr aber stand freundlich grüßend eine Frau in mittleren Jahren mit einnehmenden Gesichtszügen. Dieselbe gab sich als Jungfer Clair', Talmas Dienerin zu erkennen, die gekommen sei, die Wünsche und Befehle des schönen Fräuleins entgegenzunehmen.
(Fortsetzung folgt.)
München, 7. Okt. Der trinkkundige Vater- lands-Redakteur ist über das Hofbräubier sehr aufgebracht: er macht folgende bissige Bemerkungen über den „Stoff": Das „Staubwasser" im k. Hofbräuhaus ist z. Z. wieder derart, daß selbst die verbissensten Bierfilze ausreißen. Das sind die Resultat? der vielen Millionen, die einer — unqualifizierbaren Liebhaberei geopfert wurden und einem Regime entsprechend, wo Aerzte an die Spitze des Verkehrswesens, Gendarmen in der Verwaltung des Hofbräuhauses und ge lernte Buchhalter „Pächter" von Schankhallen sind. Landboten schaut euch doch das Hofbräu- hausviertel an der Wienerstraße an und versucht eine Stehmaß; aber seht euch vorher nach einem guten Doktor um! — Muß dem das Bier geschmeckt haben! Staubwasser heißt der technische Leiter des Hofbräuhauses.
Jag stheim, 11. Okt. Ein recht nettes Stückchen hat sich im Laufe dieser Woche in unserem Orte zugetragen. In die hiesige Restauration am Bahnhof kam neulich ein Handelsmann, um daselbst zu übernachten, wo ihm aber bedeutet wurde, er müsse mit einem anders gläubigen Kollegen das Zimmer ttilen. Aus irgend einem Grunde ging derselbe frühzeitig zu Bette und als sein Genosse später kam, hat es ihm jedenfalls geträumt, denn er schimpfte ganz erbärmlich, worauf ihm sein Schlafgenosse zu verstehen gab, daß dieses bei ihm nicht gehe. Infolgedessen wurde er so von Angst ergriffen, daß er in den Unterhosen in die Wirtschaft sprang, schreiend, cs sei ihm alles geraubt. Als er dort bei den noch anwesenden Gästen keinen Glauben fand, rannte er zum Landjäger, wo er aber unterwegs von Leuten wegen seiner auffälligen Kleidung angehalten und wieder zur Restauration gebracht wurde. Beim Nachsehen seiner Mobilien fehlte ihm aber auch gar nichts. Ins Zimmer ging er nicht mehr, sondern ging noch nach dem eine Stunde von hier entfernten Crailsheim.
Singe, wem Gesang gegeben Aus Berlin wird berichtet: Die Macht der Töne hat einen jungen Mann reich und glücklich gemacht. Er erfreute sich des Besitzes einer schönen Stimme, von der er auch ausgiebigsten Gebrauch machte. Die Eigentümerin des Hauses, in dem er wohnte, eine reiche Witwe, fand derartigen Gefallen an dem Sänger und stiner Stimme, daß sie ihm Herz und Hand an! rüg. So dürfte der junge Mann, der früher in dem Hause seiner Braut ein bescheidenes Ollambro Zarin innehatte, nunmehr als „mehrfacher Hausbesitzer" seiner Frau Gemahlin etwas Vorsingen.
Der Präsident der Transvaalrepublik, Krüger, stammt, wie jetzt ermittelt woiden, aus dem Dorfe Mehlin im Kreise Salzwedel.
Er ist ein Enkel des daselbst früher wohnhaft gewesenen und später nach Holland ausgcwander- ten Handelsmanns Krüger. Die Familie des jetzigen Schulzen zn Mehlin bewohnt noch heule den Stammhof des afrikanischen Präsidenten.
Chur, 12. Okt. Schlechter Sommer — früher Winter! Die „Basler Nachrichten" schreiben: Seit heute Morgen 10 Uhr fällt hier Schnee in Masse. Im Domlescha litten Obstbäume und Mais stark unter dem Schneedruck. Der Schaden ist groß.
sUnfreiwillige Komik) Niemand darf Federvieh mit Ausnahme der Tauben, Ziegen, Schafe, Schweine und Rindvieh auf der Straße herumlaufen lassen. (Verordnung der Polizeiverw. 8 13 im Wochenbl. Kreis Salz, wedel Nr 6 von 1872.) — Gesucht ein Kinder, mädchen für ein neugeborenes Kind, welches gesund ist und stricken und nähen kann. (Heilbr, Anz 1889 Nr. 118.)
(Im Theater s Herr: „Bitte, mein Fräulein, nehmen Sie doch den Hut ab! Wir können sonst nichts sehen!" — Fräulein: „Aber ist denn der Hut keine Sehenswürdigkeit?"
(Empfehlend.) Diener: „Sie können mich nehmen, gnädiger Herr, — ich sehe es jedem Besuch gleich an, ob sie zu Hause sind!"
(Ein perfekter Nimrod.) Waffenhändler: „Diefes doppelläufige Gewehr kann ich Ihnen empfehlen!" — Käufer: „Nein, danke — ziele nur mit einem Auge!"
(Doppelsinnig.) „ . . . Für Sie, meine Gnädige, ginge ich bis ans Ende der Welt!" — „Sie gehen entschieden zu weit, mein Herr!"
Auflösung des Wechsel-Rätsels in Rr 159. Wien Sieg.
Rätselfrage.
Wie kann man aus den Wörtern: Dichter, Jude, Hirt, Biß, Gras, Elsa die erste Zeile eines sehr bekannten Liedes erhalten?
Telegramme.
Berlin, 14. Okt. Der Leiter des russischen Ministeriums des Auswärtigen, Schischkin, ist gestern Abend nach Petersburg abgereist.
Gotha, 14. Okt. Auf dem sozialdemokratischen Parteitage griffen die Abgeordneten Fischer, Auer und Schmidt sehr heftig die Redaktion und die Haltung des Vorwärts an, welcher zu keiner aktuellen Frage Stellung nehme und den Anforderungen nicht genüge. Liebknecht sei 6 Monate jährlich verreist und als Chefredakteur ungeeignet. Liebknecht erklärt, der „Vorwärts" müsse den verschiedenen Strömungen in der Partei Rechnung tragen, die Stellungnahme des „Vorwärts" zur bayerischen Streitfrage hatte mindestens eine vorübergehende Spaltung hervorgerufen. Er, Liebknecht, sei gern bereit, freiwillig zurückzutreten, sobald ein Ersatz für ihn gefunden sei.
Paris, 13. Okt. Im Ministerrate verlas heute Hanotaux eine Depesche des franz. Gesandten in Peking, wonach China den Neubau eines Arsenals zu Futschou französ. Ingenieuren übertragen hat. — Ein französ. Ingenieur wurde zum Adjunkten der russisch-chinesischen Bank ernannt.
Konstantinopel, 14. Okt. Ein aus 8 Schiffen bestehendes russisches Schwarzmeer-Geschwader ging nach Batum ab nach kurzem Aufenthalt auf der Rhede von Trapezunt.
BeMiWil Hilf kn „WOr"
für das vierte Quartal
werden noch von sänulichen Postanstalten und Postboten angenommen. In Neuenbürg abonniert man bei der Exped. d. Bl.
Redaktion, Druck und Verlag von L. Meeh in Ne«««bürg.