Kriegschronik 1870/71.
28. Dezember 187«.
Der Belagerungs-Artillerie auf der Ostfront von Paris gelingt es, nachdem der Mont Avron am Tag vorher zum Schweigen gebracht war, den Bahnhof von Noissy le sec wirksam zu beschießen und die in Bondy contonnierende französische Artillerie zu vertreiben.
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 26. Dez. In Grunbach wurde in der Christnacht die Einwohnerschaft durch einen Brand fall erschreckt. In dem Hause mit angebauter Scheuer des Schuhmachers Fr. Fastnacht war um '/r 12 Uhr plötzlich Feuer ausgebrochen. Dasselbe griff so rasch um sich, daß die Mwa 70jährigen schlafenden Eheleute Fastnacht kaum noch ihr Leben retten konnten. Durch herbeigeeilte Leute wurde das Vieh im Stalle noch geborgen. Die ringsum befindlichen Nachbargebäude, namentlich das des Bäckers Bohnenberger waren sehr gefährdet. Die Hochdruckwasserleitung leistete aber vorzügliche Dienste, ohne dieselbe hätte der Brand sicher größere Ausdehnung angenommen, da ja das Herbei- holen von Wasser bei dem GlatteiH in den Ortsgassen sehr erschwert und verzögert worden wäre. Der Hr. Oberamtmann und Hr. Oberamlsbau- meister fuhren nachts 2 Uhr zur Brandstelle nach Grunbach. Ueber die Entstehung des Feuers ist man auch in diesem Falle wieder sehr im Unklaren.
Neuenbürg, 27. Dez. Die gestrige Christbaumfeier des Militärvereins im Gasth. zum Bären hatte eine solch lebhafte Beteiligung, daß die gesamten Lokalitäten bis aus das letzte Plätzchen besetzt waren. ja es konnten manche, die der Feier auch anwohnen wollten, keinen Platz mehr finden. Dem Besuch entsprechend fand auch die Gaben-Verlosung wieder den gewünschten Anklang Der Männerchor des Vereins trug einige Lieder vor, auch wurde vorher das humoristische Stück: „Der Ritzebütteler Land- sturm" in gelungener Weise vorgeführt. Vorstand Lustnauer hielt eine Ansprache, die in einem Toast auf Kaiser und König gipfelte.
Deutsches Weich.
Berlin, 27. Dez. Prinzessin Friedrich Leopold. Schwester der Kaiserin, brach heute vormittag beim Schlittschuhlaufen auf dem Griebnitzsee bei Potsdam ein und konnte erst nach längeren Bemühungen wieder aus dem Wasser gezogen werden. (Die Prinzessin Friedrich Leopold ist die 1866 geborene Luise Sophie.)
Berlin, 27. Dez. Der frühere kommandierende General des Gardekorps, Freiherr von Meerscheidt-Hüllesem ist gestern nachmittag am Gehirnschlag gestorben. Er hat eia Alter von 70 Jahren erreicht.j
Württemberg.
Stuttgart, 27. Dez. Entgegen der bekannten Äeußerung des Landtagsabgeordneten der Stadt Tübingen, Schweickhardt, daß es unter den württb. Landwirten keinen Notstand gebe, hat sich das Gesamtkollegium der Kgl. Zentralstelle für Landwirtschaft in einer, auch von dem Minister des Innern besuchten Sitzung veranlaßt gesehen, diesem unleugbaren Notstand wenigstens nach einer Richtung hin einige Erleichterung zu verschaffen. Es wurde nämlich beschlossen, die Staatsregierung zu ersuchen, daß sie mit dem Württ. Kreditverein ein Abkommen treffen möge, damit dieser in ähnlicher Weise wie die Rheinische Hypothekenbank in Mannheim dies gegenüber den badischen Landwirten thut, den württb. Landwirten zu möglichst günstigen Bedingungen Anlehen auf Teilabzahlung ge- währen möge und zwar auch in kleineren Beträgen als dies bisher der Fall war. Bei dieser Gelegenheit hat der Staatsminister des Innern den Landwirten auch staatliche Unterstützung zur Anschaffung von Trieurs, unentgeltliches Vorstrecken von Betriebskapital, sowie direkte Bei- träge zu den Berwaltungskosten für gemein- schaftliche Einrichtungen der Landwirte in Aussicht gestellt. Damit sind freilich die furchtbar gedrückten Getreidepreise noch lange nicht gehoben und die Einnahmen unseres hart bedrängten
Bauernstandes auch in keiner Weise verbessert. Immerhin ist es dankbar anzuerkennen, daß die Regierung wenigstens den Kredit für die Landwirte zu erleichtern bestrebt ist.
Bei der Gemeinderatswahl in Göppingen ging es wochenlang vorher schon heiß her. Die hauptsächlichsten zwei sozialdemokcati- scheu Hetzer kamen aber nicht auf das Göppinger Rathaus und die deutsche Partei ist jetzt um zwei Mitglieder stärker in diesem Kollegium vertreten als bisher. Die scharfen Preßfehden wegen dieser Wahl werden voraussichtlich noch ein gerichtliches Nachspiel haben. — Der Landes- verband der Wirte Württembergs hat eine nicht ungeschickt abgefaßte Denkschrift zur Begründung der Forderung auf Abschaffung des Umgeldes veröffentlicht. Wie mehrere Blätter zu melden wissen, hat der Kammerpräsident Payer «einer Abordnung des genannten Landes- Verbands gegenüber der Abschaffung des Um- gelds seitens der Kammer der Abgeordneten in Aussicht gestellt und versprochen, seine (die de- mokratische) Partei werde für anderweitige Staatseinnahmen in Höhe von 1 */- Millionen sorgen Demnach würde also die Fraktion der Volkspartei in der Kammer der Abgeordneten eine ziemlich scharfe Erhöhung der direkten Steuern beantragen müssen, aber nicht blos im Betrag von 1Millionen, sondern von über 2 Mill. jährlich, da unseres Wissen das Umgeld in den letzten Jahren immer über 2 Millionen für die Staatskasse ertragen hat. Man darf nun sehr begierig sein, wie Herr Payer und seine Partei dieses Versprechen einlösen werden.
Göppingen, 24. Dez. Herr Apotheker Haller hier wurde heute Vormittag plötzlich vom Schlage gerührt und war alsbald tot.
Stuttgart, 27. Dez. In der größten Druckerei des europäischen Kontinents, der „Union" in Stuttgart, wird binnen Kurzem die Setzmaschine ihren Einzug halten. Nachdem die Herren Paul Kröner und Oberfaktor Stohrer vor ca. 14 Tagen in einer auswärtigen Druckerei die Konstruktion und die Herstellung des Satzes persönlich in Augenschein genommen, ist der Handel perfekt geworden und sind bereits Vorbereitungen zur Einrichtung in dem Etablissement getroffen worden. Es ist dies eine schlechte Weihnachtsfreude für die Stuttgarter arbeitslosen Buchdrucker; aber auch den mittleren und kleineren Druckereien ist damit jede Konkurrenz erschwert.
Leutkirch, 27. Dezbr. Ein am Weihnachtsabend um 10 Uhr in dem Weiler Au. Gem. Göttlishofen, verübter Raubmord erregt in der ganzen Umgegend die größte Aufregung und Bestürzung. Der in genanntem Weiler mit seiner bejahrten Frau allein wohnend 67jährige Alois Bodenmiller wurde von einem Ein- brecher ermordert. Mit vielfachen Wunden bedeckt, fand man ihn arg entstellt in der Stube des untern Stockes seines Hauses tot auf. Der Mörder begab sich nach vollbrachter That ruhig in den oberen Stock, wo die fußkranke Frau zu Bett lag, bedrohte dieselbe ebenfalls mit Tötung und durchsuchte unter ihren Augen die Wohnung nach Geld. Er legte seine Kleider teilweise ab, zog solche des Ermorderten an und entfernte sich dann mit dem gefundenen Geld, ca. 14 «/A Die zu Tode geängstete Frau lief nachher zu Nachbarn und fanden sie den Mann wie oben geschildert, zu ihrem Entsetzen in seinem Blute liegen. Der Mörder war inzwischen entkommen, ist aber noch am Christfestabend verhaftet worden. Er hatte in der Frühe in der Wirtschaft z. Mohren in Jsny gezecht, war sodann auf der Landstraße gegen Schweinebach und Dorenwaid zu weiter gegangen; an letzterem Orte nahm ihn Landjäger Böhm fest und führte ihn gefesselt nach Jsny. Er ist der 31 Jahre alte Quirin Etsele von Unterbaldingen bei Donaueschingen.
Ulm, 24. Dez. In Nusplingen bei Ebingen nahm der 6jährige Sohn des dortigen Gemeinderats Ritter aus einer Kommode den geladenen Revolver seines Vaters, während dieser mit dem Ordnen von Schriftstücken beschäftigt war. Das Kind spielte mit der Waffe, die sich entlud, und die Kugel drang dem in der Nähe stehenden 3'/,jährigen Xaver Weiger
in den Hals, so daß dieser auf dem Weg in's Elternhaus verschied.
Tübingen. 24. Dez. Ein hier studierender Japaner ist Ende voriger Woche mit Hinterlassung ganz bedeutender Schulden durchgebrannt. Nach einem gestern hier eingetroffenen Telegramm ist derselbe in Charloktenburg verhaftet worden. Die Schulden sollen über 10 000 «46 betragen.
Stuttgart. fLandesproduktenbörse. Bericht vom 23. Dezember von dem Vorstand Fritz Kreglinger.s Auch in diesem Jahre trat, wie jedes Jahr kurz vor den Weihnachtsseiertagen, am Getreideweltmarlt Ruhe ein. In der abgelaufenen Woche ermäßigte zum Schluß Amerika seine Forderungen, die Angebote von Rußland und Rumänien sind nicht dringend und ohne Preismäßigung. Auch von Argentinien sind die Offerten etwas billiger und soll die Qualität gut sein. Die Landmärkte sind gut befahren und fanden die Zufuhren bei ziemlich gleich bleibenden Prellen schlank Aufnahme. Es notieren per 100 Kilogr: Weizen, Gyrka 15 «4L 90 ^ bis 16 «k 25 ^j, Azima 16 «4L 25 »j bis 16 -4L Rumänier 16 «L 25 bis 17 «4L — «j, dto. la. 17 «4L
— ^ bis 17 «4L 50 »j, Laplata 16 «4L 50 bis 16 «4L 75 Nikolajeff 16 «LL 60 russ. la. 16 «4L 50 «!, Kernen, Oberländer la. 17 «4L 90 Landkernen 17 «4L
— «>, Roggen rusf. 14 «4L 25 bis 14 «4L 50 «j, dto. Is. 15 «4L — 4 >, rumän. 14 »4L 50 Gerste, mährische 19 «4L — Pfälzer 18 «4L 75 bis 19 «4L 25 böhmische 19 «4L 50 bis 20 «4L 50 Landhafer 12 «4L 40 »!, Albhafer la. 13 «4L 90 »>, La Platamais 10 «4L 80 ^ bis 11 «4L 75 Mixedmais 11 «4L 25 bis 11 «4L 50 weißes amerik. Mais 11 «4L 50 bis 11 «4L 75 «j. — Mehlpreise per 100 Kilogr. incl. Sack bei Wagenladung: Letztwöchentlich.
Ausland.
Die österreichischen Blätter beschäftigen sich lebhaft mit der großen rulhenischen Bauerndeputation, welche beim Kaiser Franz Joses um Audienz nachsuchre. Der Kaiser ließ nur einen kleinen Teil derselben zu sich kommen, um deren Forderungen anzuhören. Nach dem Weggang der Deputation soll aber Kaiser Franz Josef geäußert haben: „Arme Bauern, wer mag ihnen wohl das Reisegeld gegeben haben? In Oesterreich ist man darüber einig, daß dieses Reisegeld aus Rubeln bestanden hat.
Lüttich, 24. Dez. Laut Mitteilungen hiesiger Blätter ist gestern als Waffe für die ganze belgische Bürgergarde das Mausergewehr angenommen worden.
In Frankreich dauert die nichtswürdige Hetze einiger Blätter gegen den Präsidenten Faure noch immer fort. Das anlisemilische Blatt „Libre Parole" hat sogar eine öffentliche Geldsammlung ausgeschrieben, um die Schulden des verstorbenen Schwiegervaters des Präsidenten Faure zu decken. Infolge der schrankenlosen Preßfreiheit in Frankreich ist die Regierung machtlos gegenüber derartigen Ungezogenheiten.
— Laut Beschluß des englischen Gerichtshofes wird nun der Bestechungsagent Arlon an die französische Regierung ausgeliefert, aber nicht wegen Urkundenfälschung, sondern wegen Ban- kerotts und Unterschlagung. Wegen Urkundenfälschung darf Arton also auch nicht prozessiert werden. Man darf nun begierig sein, wie sich der Panamaskandal 2. Auflage weiter entwickeln wird, wenn einmal erst Arton vor dem Pariser Gericht seine Aussagen macht. Der französische Ministerpräsident Bourgeois verlangt von der englischen Regierung nun auch die Auslieferung des kranken Herz bezw. ein wiederholtes ärztliches Zeugnis, ob derselbe transportfähig sei oder nicht.
Paris, 26. Dez. Dem Vernehmen nach überreichte der deutsche Botschafter Gras Münster im Aufträge des deutschen Kaisers am Weihnachtsabend dem Präsidenten Faure ein Exemplar der vom Kaiser entworfenen Allegorie: „Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter!"
Paris. 24. Dez. Die parlamentarische Kommission für die Weltausstellung von 1900 sprach sich mit allen gegen eine Stimme grundsätzlich für die Ausstellung aus
Das engl. Ministerium Salisbury und die ganze öffentliche Meinung Englands lassen sich von den Kriegsdrohungen des Präsidenten Cleveland der Ver. Staaten vorerst nicht einschüchtern und beschleunigen bloß ihre Flottenausrüstung. In Nordamerika selbst hat, wie schon berichtet, die Botschaft des Präsidenten Cleveland eine sehr fatale Wirkung hervorge»