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Sie. die sonst schnell und pünktlich zu antworten pflegte, hüllte sich nun auf einmal ohne jeden für ihn ersichtlichen Grund in beharrliches Still­schweigen! Mehr als einmal war er schon im Begriff gewesen, seinem letzten, unbeantwortet gebliebenen Schreiben ein zweites Nachfolgen zu lassen, sie darin zu fragen, ob sie krank fei. ob sie ihm zürne? Aber immer wieder hatte ihn am Ende die Scheu, ausdringlich zu erscheinen, an seinem sehnsüchtigen Verlangen gehindert. Heute aber ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er mußte wissen, warum er sein stilles Glück, die Glanz­punkte seines arbeitsamen Lebens; die Briefe jenes wunderbaren Mädchens, das er liebte und verehrte, ohne sie zu kennen, weil er es ver­standen, in ihrer Seele zu lesen. warum er diese Briefe nun entbehren sollte! Unter dem Vorwand, für seine Zeitschrift noch eine kleine Weihnachtsgeschichte nötig zu haben, schrieb er an Magdalene. Mit der vorwurfsvoll-innigen Frage:Warum lassen Sie jemand, der nach einer Kunde von Ihnen schmachtet, so lange trauernd warten?" schloß das Schreiben. Nein, er war nicht der Mann, der gewillt war, aus Bescheidenheit zu entsagen! Lange schon hatte er das Ziel seiner Hoffnungen und Herzens­wünsche kühn ins Auge gefaßt: sie, ohne die er nicht mehr zu leben vermochte, zu erringen als sein Eigen für feine gange Lebenszeit. Aber als Mann von Ehre und strengster Rechtschaffen­heit durste er erst dann daran denken, der Geliebten auch persönlich näher zu treten, wenn er im Stande sein würde, ihr ein einigermaßen sorgenfreies und behagliches Leben zu bieten Da aber lag die Schwierigkeit: Dr. Gilbert Kaltenhofs gehörte nicht zu den Begüterten dieser Erde. Das Gehalt, das er als Redakteur für die Zeitschrift, deren Eigentümer er nicht eim mal war, erhielt, das Honorar für die Stunden, die er mehreren Privatschülcrn im Griechischen und Lateinischen erteilte, langten kaum hin, um ihm selber notdürftig durchs Leben zu verhelfen. Unaufhörlich war er daher in seiner karg be­messenen, freien Zeit bemüht, eine einträgliche Stelle als Gymnasiallehrer zu erlangen. Aber der Kampf ums Dasein war schwer und hart, und der Sieg schien ewig fern zu bleiben! Dennoch gab er nichts von seinem Vorhaben auf; denn allzu lockend und süß winkte und grüßte, aus weiter Ferne zwar, aber dennoch klar und deutlich, Magdalenens schönes Antlitz ihm entgegen.

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Als Magdalene Felsing am folgenden Tag seinen Brief erhielt, hatte sie einen schweren Kampf mit ihrem Herzen zu bestehen. Ihr Ver­stand sagte ihr unaufhörlich, daß sie sich von dem geliebten Mann trennen müsse, nachdem sie erfahren, daß er verheiratet sei und dabei ent- deckt hatte, daß ihr Herz in lauten, unruhigen Schlägen ihm entgegenpochte. Nicht mehr wunschlos, wie sie sich einzureden oft versucht hatte, sondern in hcißbegehrender Sehnsucht und Liebe. Was sollte sie nun thun, nachdem er zum zweiten Mal an sie geschrieben, ohne auf ihre Antwort gewartet zu haben. Ihm ant­worten, ohne den Schmerz ihres Lebens zu offenbaren, oder zu verraten, das schien ihr un­möglich! Seine Bitte ganz übersehen, ihm gar nicht schreiben? Auch das wollte ihr nicht in den Sinn. Sie traute sich weder zu dem Einen noch zu dem Andern die nötige Seelen- stärke zu. Ja, es war ein bittcrschwerer Kamps! Endlich hatte sie sich entschlossen: In kurzen Worten, so sachlich und knapp als mög­lich, schrieb sie, daß es ihr unmöglich wäre, in der gegebenen Frist bis Weihnachten, seinen Wunsch in Betreff der Geschichte zu erfüllen. Er möge verzeihen, daß sie nicht ausführlicher schreibe allerlei andere Beschäftigungen, Vor­bereitungen zürn Fest u. s. w. hielten sie vom Schreibtisch fern. Nur eine knappe Seite füllten diese wenigen Worte, Seufzend drückte sie das Blatt, auf dem die erste Lüge ihres Lebens stand,. einen Augenblick an ihr Herz. Darauf werden nach kurzer Zeit seine Augen ruhen", sprach sie träumerisch,was wird er von diesem Brief denken!" Am liebsten hätte sie das Schreiben wieder vernichtet, um ihm in

einem andern ihr ganzes Herz auszuschütten! Aber sie widerstand tapfer der in ihr aussteigen­den Versuchung. Schnell schloß sie den Brief in einen Umschlag, schrieb in fliegender Hast die Adresse und trug ihn selber zu dem nächsten Briefkasten, ehe sie im Stande war. ihren müh­sam erkämpften Entschluß zu ändern.-

(Fortsetzung folgt.)

Wolfach, 14. Dez. Eine recht unlieb­same Ueberraschung wurde am letzten Donners­tag einem Brautpaare hier zu Teil. Dasselbe wollte an diesem Tage Hochzeit halten und kam deshalb vom Kinzigthal, dem Hninatsort der Braut, hierher, um sich trauen zu lassen. Als das Pärchen zum Standesamt kam, wurde dem­selben jedoch eröffnet, daß die gesetzliche Frist des AuShängcns am schwarzen Brett noch nicht vorüber und deshalb auch die Trauung noch nicht vollzogen werden könne. Natürlich mußte nun auch noch die kirchliche Trauung abgesagt und verschoben werden. Aber trotz alledem wurde doch der übliche Hochzeitsschmaus in einer hiesigen Wirtschaft gehalten und soll es bei dem­selben auch ganz fidel gewesen sein. Die Trau­ung wurde dann am folgenden Tage vollzogen.

Zur Reform des Wirtshauslebcns macht der Geschäftsführer des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, Dr. W. Bode in Hildcsheim, beachtenswerte Vor­schläge. Dr. Bode empfiehlt, ein Platzgeld oder Stundengeld für den Aufenthalt im Wirtshaus einzujühren. Dieses würde 5 oder 10 oder 20 Pfennige die Stunde betragen, je nach der Vor- nehmheit des Lokales. Damit würde der Gast das Recht auf Benutzung aller Annehmlichkeiten der Wirtschaft erkaufen und von jeder Ver­pflichtung, etwas zu verzehren, namentlich etwas zu trinken, befreit sein. Will er etwas trinken, so würde er 5 oder 10 Proz. Rabatt erhalten. Wer eine Wirtschaft auf längere Zeit oder häufig besucht, würde Tageskarten zu 25, 40 oder 100 Pfennig nehmen, wieder je nach Klasse der Wirt­schaft, oder aber Monatskarten zu 5 bis 20 Dann käme der Wirt zu seinem Einkommen, der Gast zu seiner Freiheit, das Wirtshaus zu einem ganz anderen und viel besseren Charakter. Der Wirt brauchte nicht mehr vom Trinken der Gäste zu leben; er würde ohne persönlichen Schaden der Unmäßigkeit entgegenarbeiten können. Er würde die Preise der Getränke ermäßigen können, da er seine altdeutsche Einrichtung rc. ander- weilig bezahlt bekommt; er würde dadurch in die Lage kommen, diese Getränke so billig zu liefern wie jeder andre Wiederverkäufe! auch, also einer jetzt sehr verdrießlichen Konkurrenz enlhoden werden. Er würde größere Liebe zu seinem Berufe gewinnen. Manche Wirtschaften würden den Lesehallen und Kasinos ähnlicher werden. Die Wirte sind schon heute Ver­mieter auf kurze Zeiten (z. B. in Hotels); Bode'S Antrag geht nur dahin, sie in noch viel höherem Maße Vermieter werden zu lassen, damit sie in gleichem Maße aushören, interessierte Agenten des Geträukehandels zu sein. Er fordert von den Wirten zunächst nur die Anbringung von Plakaten etwa folgenden Inhalts:Gäste, die ein Stundengeld von . . Pfg. oder ein Tagegeld von . . Pfg. oder ein Monatsgeld von . . Mark zahlen, sind willkommen, auch wenn sie Speisen und Getränke nicht verzehren, und erhalten bei allen etwaigen Bestellungen . . Prozent Preis­ermäßigung. Diese Plakate lassen den Gästen volle Freiheit, im Wirtshause nach der bisherigen Weise oder nach einer besseren zu leben.

DieBerliner N euesten Nachrichten" veröffentlichen eine ergötzliche Blumenlese von Entschuldigungs-Zetteln, wie solche den Lehrern und Lehrerinnen der Kommunalschulen unterbreitet werden. Hier einige Proben:Ich bitte, meinen Sohn mehr ins Rechnen zu schonen, indem er mir die Nacht keine Ruhe läßt, indem er fortwährend phantasiert. Auch ich habe in meiner Jugend nicht rechnen können; leider hat cs sich später von selber gefunden, so daß ich mit Leichtigkeit die Buchführung vollende." Geehrtes Fräulein. Meine Armida mußte die

Schule versäumen, weil mein Mann eine Brief­tasche verloren hatte. Wo sie halt das Lotterielos besaß, wo wier uns die Größte Mühe mußten geben, daselbe wieder in Besaz zu bekommen und sie ihn Oktober 14 Jahre alt wird, da wird es nicht darauf ankommen." Besondere Zärtlichkeit für ihren Liebling legt eine Mutter mit folgenden Worten an den Tag:Ich bitte mein Dorchen wegen Kopfweh an die Luft zu setzen." Nicht blos ein Drachentöter, sondern auch ein Drachenverschlinger scheint der Schul­knabe zu sein, von dem es also heißt:Ich bitte meinem Sohne Karl zu entschuldigen; er hat gestern Ungeheuer gebrochen." In resoluter Weise verteidigt eine Mutter den von ihr der Tochter mitgegebenen Stullenbelag:Geehrtes Fräulein. Indem das cs Sie ferr zu verindre- sihren thut, was uf die Schtullcn druf is, wollte ich Sie man sagen, das Sie das jarnischt angeht, indem das cs noch kein geschneben^Gesez gibt, was uf die Schtullen druf soll " Nicht ganz klar ist folgender Zettel gehalten:Meine Tochter Loise hat gefehlt, weil sie einen kleinen Bruder hat gekricht. Sollte es nächste Woche wieder Vorkommen, so entschuldigen Sie, bitte." Kurz und bündig lautet folgender, jeden Zweifel ausschließender Entschuldigungszettel, der einfach die Worte enthält:Wegen Kop W."

(Vier Regeln über die Wahl der Dienst­boten.) I. Nimm nie ein Mädchen, welches sich über seine letzte Herrschaft tadelnd ausspricht. Sie wird auch über dich bei anderen Leuten sprechen. 2. Nimm nie eine Person, welche alles zu verstehen vorgiebt. 3. Nimm nie eine, welche vorher ausmachen will, was sie zu thun hat und was nicht. 4. Verdirb dir ein gutes Dienst­mädchen nicht dadurch, daß du cs zu deiner ständigen Vertrauten machst. Daß du sie anderer­seits freundlich behandeln sollst, ist selbstver­ständlich.

(Drastischer Bescheid.) Der geistreiche, aber höchst eitle Dichter Courbet wollte von dem satirischen, aber sehr geschickten Maler Alfred Merlin sein Bild malen lassen, und besprach mit demselben hinsichtlich der Tracht, Stellung rc. alles Nähere.Wo bringen wir aber den Lor­beer hin?" fragte endlich der von Eitelkeit be­rauschte Courbet.In den Mund," erwiderte der Maler.

(Ausgeschnitten.) Ein Bewohner von Vivis fischt im Genfcrsee.Sehen Sie, in einer Stunde habe ich schon fünfzehn Fische gefangen", sagte er zu einem zuschauenden Marseiller.Pah, das ist gar nichts," erwiderte dieser,wenn man bei uns fischen will, muß man zuerst die Fische auscinandertreiben, damit man nur die Angel­schnur ins Wasser versenken kann."

(Die Ueberraschung.) . . . Also, Papa, ich habe nun doch durch drei Monate das Kochen unter Anleitung der Mama und der Köchin er­lernt! Jetzt bitte ich aber auch um die mir versprochene Ueberraschung!"Recht gern, liebe Bertha! Am Eisten kündigen wir der Köchin!"

(Renommisterei.) Lieutenant von Rockwitz: Ah, Kamerad, hinken ja; Wohl Malheur ge­habt?" Lieutenant von Strachwitz:Aller­dings'' äh-Portemonnaie auf den

Fuß gefallen!".

(Kellerschnecken zu vertreiben.) Man be­streiche Holzstückchen mit Teer und lege dieselben an die von dem Ungeziefer besuchtesten Stellen, worauf die Schnecken in Kürze verschwinden werden.

Versteck-Rätsel.

Aus jedem der nachstehenden Wörter kann man eine Silbe entnehmen und dadurch ein Citat eines bekannten Dichters bilden.

Wildermuth, Einsiedelei, Ungehorsam, Vergött­lichung, Menschlichkeit, Finsternis, Tourist, das­selbe, Unvernunft, Angebinde, Liebenburg.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.