860
eine derselben zu öffnen und durchzulesen. — Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. Rasch hinter einander schnitt er einen Brief nach dem andern auf. prüfte dessen Inhalt mit gewohnter, eingehender Sorgfalt, machte bei jedem einzelnen einige kürzere oder längere Bleistiftnotizen und schichtete dann alles in peinlicher Ordnung in einem besonderen Fache seines Schreibtisches auf. Hierauf rückte er sich einen Briefbogen zurecht, nahm die Feder zur Hand und fügte mit seiner klaren, männlich schönen Handschrift Zeile an Zeile zu einem längeren Brief. — Draußen fegte der kalte Nordwind den Staub wirbelnd durch die Straßen und rüttelte an den Fensterscheiben seines Studierzimmers. Er achtete dessen nicht. Während des Schreibens war der finstere Zug aus seinem Antlitz verschwunden und hatte einem sonnigen, warmen Ausdruck Platz gemacht. Es war. als ob die Frühlingssonne einen lichten Strahl in das Herz des einsamen Mannes hineingcsandt hätte.
» *
*
In dem behaglichen Wohnzimmer des Kommerzienrats Felsing zu Br ... . saßen einen Tag später zwei junge Mädchen. Die jüngere von ihnen war die blondhaarige, einzige Tochter des Kaufherrn, Magdalene. Ihre tiefblauen, großen, träumerischen Augen hatten einen weltvergessenen . beinah sehnsüchtigen Ausdruck, die weißen, schmalen Hände ruhten lässig im Schoß, um die halbgeöffneten Lippen lag ein Zug tiefer Niedergeschlagenheit. Neben ihr saß Ilse Eckart. Magdalenens liebste Freundin, emsig an einer Stickerei arbeitend Sic war so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie nichts von der traurigen Stimmung ihrer Genossin wahrnahm. Ihre Wangen glühten, die dunklen kurzen Kraushaare fielen ihr tief in die Stirn Unaufhörlich flog die Nadel in ihrer fleißigen Hand auf und nieder, während sie mit komischer Verzweiflung von den vielen, noch zu beendenden Weihnachtsgeschenken für Eltern und Geschwister der stumm neben ihr sitzenden Magdalene eine lebhafte Schilderung entwarf. „Du Glückliche hast gar nichts zu thun", schloß sie endlich ihre Rede und blickte zum ersten Mal seit langer Zeit ausruhend von ihrer Arbeit zu der Freundin auf. „Du dichtest Deine schönen Lieder, schreibst Märchen und Geschichten und hast keine Ahnung von dem. was so ein geplagtes Menschenkind wie ich. das Dir zu Deinen Höhen nicht folgen kann, belastet!"
„Spotte doch nicht, Ilse," war die ernste Antwort, „wer weiß, wer von uns beiden glücklicher ist, Du oder ich! Was kann ich dafür, daß sich Vater nichts aus weiblichen Arbeiten macht, und daß ich nimand außer ihm habe, den ich mit dergleichen Dingen erfreuen könnte. Außer- dem weißt Du ja, daß ich das „Dichten und Schreiben" schon seit Monaten aufgegeben habe. Mem Kopf und Herz sind leer geworden. Alle poetischen Gedanken und Empfindungen sind wie weggeweht. Sie schlafen einen langen Winterschlaf. Und ich selber fühle mich zu nichts aufgelegt. Ach, ich bin zu gar nichts auf der Welt!" M't umschleierten, thränennasfen Augen blickte sie in das ganz verdutzt dreinschauende, hübsche Gesicht Jlfen's „Liebling, was hast Du nur heute," tröstete sie mit ihrer sympathischen Stimme das schwermütige Mädchen an ihrer Seite. „Du, — das von so Vielen beneidete Glückskind, die verwöhnte, einzige Tochter des reichen Kommerzienrats Felsing, wirst doch nicht so verzagten Gedanken nachhängen. Du mußt Dich aufraffen und Dein schönes Talent nicht länger vertrauern und versauern lassen. Es ist währ. Du hast polizeiwidrig lange nicht geschriftstellert. Wie wäre es, wenn Du Deinen Vater, der doch so stolz aus sein begabtes Kind ist. mit einer gedruckten, kleinen Weihnachtsgeschichte in Prosa oder Poesie überraschest?" Wehmütig schüttelte Magdalene den Kopf. „Ich kann nicht, ich kann wirklich nicht." seufzte sie, „mir fehlt ein gewisses Etwas, das mich dazu inspirieren müßte. Meine Geistesschwingen sind gefesselt, und es müßte erst etwas Absonderliches sich ereignen, um sie wieder freizumachen.
Und das „Absonderliche" kam.
Als Magdalenen's Freundin mit dem Ver- sprechen, bald wiederzukommen, gegangen war. begab sich das allein gebliebene Mädchen in ihr eignes, reizend ausgcstattetes, kleines Zimmer und setzte sich an ihren Schreibtisch. Den Kopf in beide Hände gestützt, begann sie zu träumen.
— „Eine Weihnachtsgeschichte soll ich schreiben." sprach sie leise vor sich hin — „ach. immer schreiben!" Erleben möchte ich viel lieber etwas! Etwas sehr Schönes erleben, das mir das Herz bis in seine Tiefen zu erschüttern vermöchte. Was nützt es mir. wenn mir die eigene Seele leer bleibt, während meine Phantasie Menschen schafft, die glücklich werden im Glück und Leid der Liebe!" und seufzend ließ sie den schönen
Kopf auf ihren Armen ruhen.-Da
klopfte es von außen an die Zimmerthür. Brigitte, das alte Faktotum des Hauses, die ihr „Fräulein Magdalenchen" schon als kleines Kind auf ihren treuen Armen getragen. brachte die Postsachen. „Leg' nur hin." sagte das Fräulein gleichgültig, „und bringe mir die Lampe." Erft nachdem dieser Befehl geräuschlos ausgeführt und Brigitte wieder gegangen war. nahm Magdalene die Sachen zur Hand, um einen Blick daraus zu thun. Plötzlich nahm ihr vordem so gleichgiltiges Gesicht einen gespannt interessierten Ausdruck an. Unter den Briefen befand sich einer, dessen Adresse von ganz unbekannter Hand geschrieben war! — „Wer schreibt an mich aus K . . . .! Eine fremde Männer»Handschrift! Wie sonderbar!" — Neugierig erbrach sie das Schreiben und las und las. Und während sie los, überzog sich allmählich ihr süßes, blasses Gesicht mit einem tiefen Rot. Ihre Augen leuchteten. Lange währte es. bis sie den Brief
— es war derselbe, den Dr. Gilbert Kaltenhofs am verflossenen, bereits geschilderten Morgen geschrieben — wieder in seinen Umschlag gesteckt. und dann lächelte sie. Ein strahlendes glückliches Lächeln!" — „Nun werde ich doch wohl schreiben müssen", sprach sie zu sich selber, „ich hätte es nie gedacht, daß meine Einsendungen vermißt oder so erwünscht sein könnten, daß sich der Redakteur einer angesehenen Zeitschrift mit einer direkten, persönlichen Bitte an eine unbekannte und unberühmte Mitarbeiterin, wie ich bin, wenden könnte!"
(Fortsetzung folgt.)
Arbeiter-Versicherung. Welche nachteilige Folge die unterlassenen oder verspäteten Anmeldungen von Arbeitern, Gehilfen, Lehrlingn, Dienstboten u. s. w. zur Krankenkasse haben kann, mögen u. A. folgende Fälle beweisen: Am 26. Februar 18 . . trat bei Bauunternehmer N. N. Taglöhner F. Sch. in Arbeit. Sch. er- krankte am 23. März, also 26 Tage nach seinem Eintritt und wurde erst an diesem Tage zur Krankenkasse angemeldet. Da diese Meldung aber nach den bestehenden Vorschriften spätestens am 3. Tage nach Beginn der Beschäftigung hätte erfolgen fallen, wurde der Arbeitgeber gemäß § 50 des R.-Ges. vom 15 Juni 1883 für die der Krankenkasse erwachsenden Kosten ersatzpflichtig und hatte daher den 96 Mk. 69 Pfennig betragenden Aufwand auf Sch. zu ersetzen. Am 22. Mai 18 . . stellte Gypsermeister N. N. den Ehr. W. von B. als Handlanger ein; am 3. Juni desselben Jahres erkrankte W.» während er erst am darauffolgenden Tage zur Krankenkasse angemeldet wurde. Die der Krankenkasse erwachsenen Kosten betragen 158 M. 25 Pf. und wäre der Arbeitgeber wegen der verspäteten Anmeldung zum Ersatz dieser Kosten verpflichtet gewesen. Im Wege des Vergleichs vor dem Gcmeinderat hier wurde jedoch am 25.Okt 18 . . der von dem Arbeitgeber N. N. zu ersetzende Betrag auf 100 Mk. ermäßigt. B'ele solcher Fälle könnten noch angeführt werden. Die Arbeitgeber, Lehr- und Dienstherren werden darauf aufmerksam gemacht, daß sie die von ihnen beschäftigten Personen spätestens am 3. Tage nach Beginn der Beschäftigung anzumelden haben, wenn sie sich nicht den angeführten Folgen aussetzen wollen. Dabei wird noch bemerkt, daß die unterlassene bezw. verspätete Anmeldung ver- sicherungspflichtiger Personen nach den bestehen
den gesetzlichen Bestimmungen neben der Ersatzpflicht mit Geldstrafe bis zu 20 Mk. bedrobt ist und daß nach einem neuerdings gefaßten Beschlüsse die Vertreter der Krankenkasse des verspäteten Anmeldungen von kranken Versicher- nngspflichtigen. wenn nicht ganz besondere Verhältnisse, vorliegen, den Ersatz-Anspruch beim Arbeitgeber iinachtsichtlich zur Geltung bringen.
Millionenschenkungen sind der Chicagoer Universität zuteil geworden. John D. Rocke- fester hat der Universität von Chicago eine Million Dollars, zahlbar am 1. Januar 1896. und weitere 2 Millionen, zahlbar am 1. Januar 1900, gestiftet. Damit erreichen die gesamten Schenkungen dieses Wohlthätcrs an die Universität Chicagos die Höhe von 7 600 000 Dollars.
(Aepfel mit Meerettich.) Man schält Bors, dorfcr Aepfel, schneidet sie in Viertel und dünstet sie mit etwas warmem Wasser, dem Saft einer Cilrone und etwa« Zucker weich und verrührt sie nach dem Erkalten mit getriebenem Meerrettich und ein wenig gutem Weinessig zu einem steifen Mus. Diese Mischung ist vorzüglich zu kaltem Fleisch. Wild und Wildgtslügel.
Freiburg i. B. Am Samstag ist in einem hiesigen Briefbehälter folgendes Schreiben gefunden worden, das vielleicht unter Mithilfe der Eltern geschrieben, aber heimlich in den Kasten gesteckt worden war:
Liebes Kristkindlein! Der Fritz und ich mechten so arg gern so ein schön Kaufladen wie die Lisel ein hat, ich will dann immer arg braf sein unt dich recht lieb haben. Gell unt du tust auch so ein Kaufbüble derzu. Dein Mariele.
Der Brief ist in die rechte Hand gelangt. Ein Kinderfreund hat sich bereits erklärt, den Vermittler beim Christkindchen zu machen und dem Mariele den Kaufladen zu besorgen.
Weihnachtsbitte.
Immer näher rückt die Weihnachtszeit — Jeden Abend in der Dämmerstunde Heißt es schon aus srohem Kindermunde: „Jetzt ist Weihnacht aber nicht mehr weit!"
Heimlich liegt so manches schon bereit — Stilles Lächeln giebt davon uns Kunde;
Alles freuet sich aus Herzensgründe Auf die nahe Weihnachtsherrlichkeit.
Kinder können es erwarten kaum —
Aber welch ein Jubel wird erst sein Um den reichgezierten Tannenbaum!
Bitten wir nur all, groß und klein,
Mitten in dem süßen We'chnachtstraum: „Christkind, komm auch in mein Herz hinein!"
Telegramme.
Konstantinopel, 17. Dezbr. Aus amtlicher türkischer Quelle verlautet: Die Aufständischen von Zeitun haben 9 von Muselmanen bewohnten Ortschaften in der Nähe von Zeitun» darunter den Hauptort En der in geplündert und in Brand gesteckt. Die Zahl der in diesen Ortschaften eingeäscherten Häuser beträgt gegen 500. Bon der muselmanischen Bevölkerung wurden 266 Personen, darunter 7 Frauen getötet und mehrere Hundert, worunter ungefähr 100 Personen weiblichen Geschlechts verwundet. Es wurde festgestellt, daß die Aufständischen große Grausamkeiten gegen Frauen verübten und Kinder vor den Augen der Eltern ermordeten, nachdem sie das Augenlicht derselben vorher mit Pulver zerstört hatten. 2 Gensdarmen aus Enderin wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Der Kommandant der Gensdarmerie von Marasch wurde mit 3 Gensdarmen aus seiner Begleitung getötet. Lieutenant Hassan Addha und dessen Frauen wurden ermordet» nachdem zuvor ihre 3 kleine Kinder vor ihren Augen niedergemetzelt worden waren. Ein Gens- darmeriesergeant und ein Korporal der türkischen Armee wurden von den Insurgenten auf der Brücke von Enderin erdolcht. Außer den erwähnten Schandthaten haben sich die Aufständischen noch anderer Mordthaten, Grausamkeiten und Plünderungen in Zeitun und Umgebung schuldig gemacht.
Redaktion, Druck und «erlag von T. Meeh in Neuenbürg.