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durch den Hinweis auf die trostlose Einsamkeit, der sie anheimfiele, wenn er auf mehrere Stunden sie verließe, und das vor Jahren getroffene Ab- kommen.
Otto war ein Mann von Herz und Cha> rakter; er hätte ja gern einmal wieder seinen Scat gedroschen, ach wie gern; hätte wieder einmal die Bier, nnd Tabakluft einer soliden Kneipe geatmet, wieder einmal donnernd auf den Tisch geschlagen bei einem verlorenen Grand, kurz wieder einmal Junggeselle gespielt, wenn sein Lenchen nur ein klein wenig die Zügel losgelaffen hätte. Aber sie pochte auf ihr gutes Recht und das fragliche Abkommen, was vermißte denn ihr Mann an ihrer Seite? Hatte er ihr denn nicht oft genug erklärt, wie glücklich er sich fühle, hatte er, nun seit einem Jahr ihr Sohn geboren war, nicht Abwechslung genug in der Familie? Strahlte er nicht jedesmal vor innerem Glück, wenn sie ihm mit ihrem süßen Jungen auf der Treppe entgegenkam? Im Ernst konnte er doch sicher nicht einen ganzen Abend in der Woche von ihr fern sein und die verpestete Luft einer Bierkneipe einatmen; und wie wenig berechtigt waren seine Klagen, die er ein Mal. allerdings nur einmal schüchtern vorbrachte, daß s!ie eigentlich der Herr im Hause sei und Alles sich nach ihrem Willen drehe; hatte sie nicht willig die Repräsentation nach Außenhin. nament- lich wenn es Unannehmlichkeiten mit dem Hauswirt, Zänkereien mit den Dienstboten gab, ihrem Manne überlassen? Da konnte er ja seine Hausherrnwürde hinlänglich beweisen.
Sie mußte wohl Recht haben, die junge Frau, denn ihr Gemahl wagte keine Anspielung mehr, allein ausgehen oder allein irgend etwas unternehmen zu wollen; sie hätte ihn gewiß überzeugt; wohl brummt er hin und wieder, wenn das Geschrei des Kindes ihm zuviel wurde, oder er Wirtschaftssorgen mittragen sollte, — du lieber Gott, sie hatte es ja auch nicht besser, sie hatte ja das Kind und die Wirtschaft den ganzen Tag um sich, was sollte sie denn sagen? Und Otto beugte sich dieser Logik; er fühlte sich ja auch glücklich, liebte Weib und Kind, ward wieder geliebt, und Sehnsucht nach Abwechselung und nach Unabhängigkeit, die ihn hin und wieder überschlich, wohl nur eine schwache Erinnerung an sein langes Junggesellentum sein.
Was mochte ihn heute so tiefsinnig aus- sehen lassen? Was rief eine so böse Falte zwischen den Augenbrauen hervor?
Er war leichtsinnig gewesen; schnöde hatte er heute sein gegebenes Versprechen gebrochen, zum ersten Male trat er seinem Weibe schuldbewußt entgegen.
Die Einladung des Gutsbesitzers Schmidt zur Hühnerjagd, die Aussicht auf das Herumbummeln in Gottes freier Natur und — zu feiner Schande sei cs gesagt — auf die goldene Freiheit im Thun und Lassen, die er mit der Ehe verloren zu haben schien, alles das war zu verlockend für ihn gewesen, als daß er der Versuchung, seiner Fesseln auf einen Tag sich entledigen zu können, hätte widerstehen können.
Er hatte die Jagdeinladuug angenommen und beschäftigte sich in Gedanken mit dem Problem, auf unauffällige Weise in den Besitz eines Paares wasserdichter Stiefel zu kommen und seiner Lene sein Vorhaben so gefahrlos wie möglich beizubringen.
So war er denn in seiner Wohnung angelangt; die junge Frau, welche seine Heimkehr vom Fenster aus beobachtet hatte, trat ihm an der Treppe, mit ihrem Söhnchen auf dem Arm, holdselig lächelnd entgegen und er hätte ein undankbarer Barbar sein müssen, wenn sich seine düstere Miene beim Anblick seines häuslichen Glücks, beim Kusse seines wirklich reizenden Weibchens nicht sofort erhellt hätte.
Sollte er thatsächlich seinen Hausfrieden stören? Es war doch wohl das Beste, wenn er den Gedanken an die Jagd ablehnte.
Seine Lene sah ihm während des Mittagsmahls an, daß ihn etwas bedrückte.
„Ist Dir nicht wohl, Männchen?"
„O. nichts von Bedeutung; ich glaube ich leide an kalten Füßen und werde den Schnupfen bekommen."
' „Siehst Du, lieber Otto, wie oft habe ich Dir gesagt, Du sollst nicht so leichte Stiefeln tragen; aber Du hörst niemals auf Deine Frau, Du mußt ja immer Deinen Kopf für Dich haben."
„Recht hast Du. Lenchen. weißt Du. ich werde mir heute noch ein Paar recht solide Schaftstiefeln bauen lassen, welche ich zu dem kommenden Winter doch hätte haben müssen."
Lenchen konnte den Entschluß nur billigen, die Stiefel wurden also bestellt und sollten in acht Tagen fertig sein.
(Fortsetzung folgt.)
Pferde-Heimweh. In der „MetzerZtg." lesen wir über das Heimweh eines alten Dragonerpferdes folgendes Geschichtchen: „Geplagt von schwerem Heimweh, meldete sich durch Scharren an den Stallungen des Dragoner- Regiments auf dem Fort Mosel ein Pferd, welches bei der kürzlichen Versteigerung an einen Bauersmann in der Nähe von Bolchen verkauft worden war. Dem Ausreißer mochte wohl das Zivilleben nicht gefallen haben; er hatte sich Nachts in seiner neuen Behausung losgerissen und hatte die etwa 36 Kilometer betragende Strecke in der Nacht zurückgelegt — ein sicherer Beweis dasür, daß unsere Kavalleriepferde in der Umgegend sehr gut Bescheid wissen." Aber auch ein Beweis, daß das Pferd bei der Truppe gut behandelt worden war.
Die Gehälter der Oberbürgermeister (bezw. ersten Bürgermeister in den deutschen Großstädten) sind folgende: Es gewähren Berlin 30 000 Mk.. Frankfurt a. M. 26 000 Mark. Breslau 21 000 Mk., Köln 20 000 Mk., Magdeburg, Elberfeld und Düsseldorf je 18 000 Mark, Altona 17 000 Mk., Stettin, Königsberg, Dresden, Stuttgart, Leipzig, Danzig, Barmen und Mannheim je 15 000 Mk., München 13 800 Mark, Charlottenburg und Dortmund je 13 500 Mark. Halle a. S. 13 000 Mk.. Metz 12 500 Mk., Freiburg, Chemnitz, Posen. Kassel, Aachen, Mainz und Wiesbaden je 12 000 Mk., Erfurt 11000 Mark, Potsdam 10 000 Mk.,
Die Pariser Aerzte Richet und Horicourt haben ihre vor einem halben Jahre begonnenen Versuche mit Krebsheilserum bis jetzt an 50 Kranken fortgesetzt und in einer der letzten Sitzungen der Akademie der Medizin darüber Bericht erstattet. Aus ihren Beobachtungen geht hervor, daß durch die Serumeinspritzungen die Schmerzen schnell und oft dauernd gemildert werden, daß die Geschwulst an Umfang bedeutend abnimml, daß die Entwicklung des Leidens langsamer fortschreitet und endlich das Allgemeinbefinden sich derartig bessert, daß bereits aufgegebene Kranke drei, vier Monate und noch länger in verhältnismäßig befriedigendem Zustande haben leben können. Die Injektionen an sich sind harmlos, das heißt, sie rufen außer den leichten Ausschlägen, wie übrigens jedes Serum es thut, keine lokalen Störungen hervor. Die beiden Gelehrten ziehen aus diesen Thatsachen den Schluß, daß das Krebsheilserum zwar nicht imstande sei, bösartige Neubildungen radikal zu heilen, daß es dieselben jedoch in so günstiger Weise beeinflußt, wie keines der bisherigen Mittel.
Gesundheitssohlen gegen kalte Füße an denen in jetziger Jahreszeit viele leiden, kann man sich leicht selbst Herstellen, indem man sich dem Fuße entsprechende Sohlen aus Pappe schneidet und dieselben dann mir Eiweiß bestreicht. Hierauf bestreut man die beiden Seiten der Sohle mit Wollstaub und überplättet diesen mit einem heißen Plätteisen. Dadurch wird ein festes An- einandcrhaften von Wollstaub und Eiweiß herbeigeführt u«d — eine recht hübsche, sehr wärmende Einlagesohle gegen Kälte, Nässe und dergleichen ist fertig. Das Fabrikat empfiehlt sich zudem allen sparsamen Leuten durch seine unvergleichliche Billigkeit.
(Eine sogen. Eisenbahn-Signal-Uhr), welche eine Neuerung auf dem Gebiete der Uhren- Jndustrie in Verbindung mit der Elektrotechnik
dargestellt, soll demnächst zur Einführung ge. langen. Sie hat den Zweck, in Wartesälen, Restaurants u. s. w. beliebig viel Minuten vor Abfahrt eines leben fahrplanmäßigen Zuges zu läuten und gleichzeitig die Richtung, wohin der Zug fährt, mittelst eines Täfelchens anzuzeigen.
(Altes Mittel gegen hartnäckigen Katarrh und Husten.) Man läßt sich aus einer Brauerei 1 Liter ungehopften Malzabsud holen und kocht ihn mit 560 Gramm Kandiszucker bis zur Hälfte ein. Dieser Absud wird, wenn man ihn nicht sogleich verbraucht, erkalten gelassen, in gut verschlossenen Flaschen oder Gläsern aufbewahrt, und bei Bedarf kaffeelöffelweis genommen.
(Dienstbotenhumor.) Als mein Mann, ein fleißiger Beamter, mir im Haushalt einiges, wie defekte Stühle u. s. w. Herrichten half, rief die Magd bewundernd, aber bedauernd aus: „Wie Schade, daß der Herr nichts Rechtes geworden ist!"
(Verfängliche Frage.) Wirt: „Der Wein scheint Ihnen nicht zu munden; vielleicht war die Flasche nicht luftdicht verschlossen." Gast: „Sie meinen wohl nicht wasserdicht?"
(Das neue Bild.) Dilletantin: Sehen Sie nur, schon wieder haw ich ein Bild fertiggestellt." Herr: „Was schon wieder? Das geht bei Ihnen ja wie geschmiert!"
(Falsche Anwendung) Arzt: „Also, Sie fühlen sich noch etwas schwach auf den Beinen? Nun, so kaufen Sie sich Liebigs Fleischextrakt, das wird Ihnen aufhelfen." Der Patient kommt einige Tage später wieder zum Doktor und sagt: „Die Salbe ist ja soweit ganz gut. aber Sie müssen sie mir dünner verschreiben, damit sie sich besser auf das Bein schmieren läßt."
Telegramme.
Sofia, 17. Nov. Prinzessin Ferdinand wurde heute mittag von einem Prinzen entbunden, welcher den Namen Cyrill erhielt und den Titel eines Prinzen von Preslav, eines kleinen Ortes am nordöstlichen Abhang des Balkan.
Konstantinopel, 17. Nov. Bei dem Gemetzel, welches am 14. d. in Siwas stattfand, sind zuverlässigen Nachrichten zufolge, gegen 500 Menschen umgekommen. Die etwa 4000 Einwohner zählende Stadt Churun in der armenischen Provinz Marasch ist von Kurden eingeschlossen worden. Ein großes Gemetzel ist bei der Einnahme der Stadt zu befürchten.
London, 17. Nov. Das „Reuter'sche Bureau" meldet aus Wien: Der Vorschlag des Ministers des Auswärtigen, Grafen Golu- chowski, betreffend die Türkei, hat sich darauf beschränkt, dem Wunsche der österr.-ungarischen Regierung Ausdruck zu geben, daß die Mächte in fester Uebereinstimmung bleiben und zu dem Zweck zu einem völligen Einverständnis betr. der Maßregeln kommen, welche gemeinschaftlich zu ergreifen seien in Anbetracht der äußerst kritischen Lage der Besitzungen des Sultans.
London, 17. Nov. Das „Reuter'sche Bureau" meldet aus Gibraltar: Der italienische Dampfer „Solferino" mit 1200 Auswanderern nach Südafrika unterwegs ist 25 Meilen südlich von Ceuta gescheitert. Schleppdampfer wurden zur Hilfe abgeschickt. Ein Boot ist beim Bergen der Passagiere gekentert, wobei mehr als 20 Personen ertrunken sind. Die übrigen wurden gerettet und an der Küste gelandet.
Newyork, 17. Nov. In Cleveland am Eriesee stürzte gestern abend infolge falscher Signalisierung ein elektrischer Motorwagen der Straßenbahn, als er über die Zugbrücke eines Viaduktes fuhr, aus einer Höhe von 100 Fuß in den Cuyhego Fluß hinab. Von den 20 bis 30 Passagieren sprangen einige, worunter der Motorbeamte, ab, die übrigen Insassen ertranken. 13 Leichen wurden geborgen. Der Beamte ist verhaftet.
Mil einer Beilage von C. Breitmayer Generalagentur, Stuttgart.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.