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Wien, sogleich die Auflösung des Gemeinderats erfolgt.
Konstantinopel, 10. Nov. Gestern traten sämtliche Botschafter zu einer Besprechung der Lage zusammen, ohne daß jedoch ein neuer Schritt vereinbart wurde. — In Iildiz-Kiosk wurde gestern ein außerordentlicher Ministerrat über die zur Beruhigung der Bevölkerung zu ergreifenden Maßregeln abgehalten.
Zur Lage in Konstantinopel schreibt der Londoner Korrespondent der D. W.: In der türkischen Angelegenheit ist bisher keine Wendung zum Besseren eingetreten. Die Lage flößt den neuesten Nachrichten zufolge die größte Besorgnis ein. Die Tage des neuen türkischen Ministeriums sollen bereits gezählt sein, und in diplomatischen Kreisen verhehlt man sich nicht, daß seine Zusammensetzung sehr ungünstig ist. — Die Kämpfe in Kleinasien dauern fort. Die von den Konsuln ciugegangenen Berichte stimmen mit Nachrichten aus zuverlässiger Privat-Quelle darin überein, daß sich die Anzahl der armenischen Opfer auf mehrere Tausend beziffert. Neuerdings wird bestätigt, daß in einzelnen Fällen die Provokation von türkischer Seite ausgegangen wäre, was daraus hervorgehe, daß die Behörden und die Truppen sich passiv verhielten und mitunter an den Ausschreitungen teilgenommen haben sollen. Es scheine übrigens, daß die Ausschreitungen sich auch gegen andere Christen zu richten beginnen.
Konstantinopel, 12. Novbr. Aus Jerusalem wird gemeldet, daß eine erregte Volksmenge die nahe bei der Stadt gelegenen Gebäude einer englischen Missionsgesellschaft angriff Den Missionaren gelang es, zu entkommen, aber einige Bedienstete wurden getötet.
In Peking hat am 8. November die Unterzeichnung des Vertrages stattgefunden, durch welchen sich die Japaner zur Räumung der Liatong-Halbinsel verpflichten. Ueber den Zeitpunkt, bis zu welchem die Räumung beendet sein soll, ist indessen bis jetzt noch nichts gemeldet worden.
London, 10. Nov. Die Rede, welche der englische Premierminister Lord Salisbury auf dem Lord-Mayor-Bankett in der Guild- hall hielt, enthält sehr viele beruhigende Elemente. Mit dem Ausdruck der Entschlossenheit, daß England sich nicht aus den im Orient gewonnenen Positionen verdrängen lassen werde, verband Lord Salisbury die feste Hoffnung, daß das durch Vertrag besiegelte Einverständnis der Mächte, auf welchem der für den Weltfrieden so notwendige Bestand der Türkei beruhe, auch in Zukunst ungetrübt bleiben werde, ebenso wie es gegenwärtig ungefährdet ist. Er erinnerte an das Wort Beaconsfields: „In Asien ist Raum für uns Alle." Auch die armenischen Unruhen verloren ihr gefahrdrohendes Aussehen, wenn man bedenkt, daß die Regierung des Sultans dem Druck der vereinigten Autorität der Großmächte nachgeben müsse. — Die Rede wurde mit Beifall und Befriedigung ausgenommen.
Aus der Schweiz, 11. Nov. Von einer Prügelei im stillen Davos berichten die „Basler Nachrichten": Am Samstag Abend wollten die ausständigen Schneider eine Versammlung abhalten. Als sie in den hiefür bestimmten Saal treten wollten, war der Raum von Bürgern bereits besetzt. Die Genossen wollten nun die Versammlung im Vereinslokal abhalten. Die Bürger folgten ihnen auch dorthin und es kam zu einer schweren Schlägerei, die zu verschiedenen Verletzungen führte. Es wurden mehrere Verhaftungen vorgenommen.
Paris, 10. Nov. Der hiesige Großindustrielle Jaques Läbaudy hat gegen 13 Blätter, welche jüngst berichteten, daß er infolge von Börscnverlusten geisteskrank geworden sei, die Verleumdungsklage angestrengt. Lobaudy verlangt von jeder dieser Zeitungen einen Schadenersatz von 150000 Franken. Ein etwas teurer Herr!
In Lacourtensourt beging ein junger Mann einen eigentümlichen Selbstmord, indem er auf einem Zweirad gegen einen heranbrausenden Zug fuhr. Der Unglückliche wurde voll- ständig zermalmt.
Vermischtes.
Ein tapferes Mädchen.
Zum Preise der tapferen Schwester ward folgende Berliner Gerichtsverhandlung. „Er" sitzt auf einer Bank in dem Flur desjenigen Flügels des Gerichtsgebäudes, in welchem Privatbeleidigungen verhandelt werden. Ein etwa 24jähriger Mensch mit Lackstiefeletten, übermäßig weiten Beinkleidern mit breiten auffallenden Seilenstreifen, am Gehrock glänzende Seidenauflagen. Auf seinem blassen Gesicht ein selbstzufriedenes Lächeln, das sich aber jedesmal in ein höhnisches verwandelt, wenn eine junge Dame, die auf dem Flur auf und abwandelt, an ihm vorübergeht. Sie sieht „chic" aus. Ihre Kleidung hat guten Geschmack und sie hat etwas in ihrem Wesen, das die ihr begegnenden Personen veranlaßt, ihr höflich Platz zu machen. Ihr scharf geschnittenes Gesicht verrät Erregung. Die Gänge nach dem Gericht sind eben nicht Jedermanns, besonders nicht eines jungen Mädchens Geschmack. Ein einziges Mal wirst sie dem jungen Manne im Vorbeigehen einen Blick zu, der nur zu deutlich verrät, daß zwischen den Beiden Beziehungen standen, die nur vor Gericht erörtert werden sollen. Wenn Blicke tätlich wirken könnten, wäre der junge Mann gewiß eme Leiche gewesen. — „Kunze wider Seifert!" ruf der Gerichtsdiener auf. Die beiden beschriebenen Personen folgen dem Aufruf; das junge Mädchen errötet und atmet schwer. Der Gerichtsdiener weist ihnen ihre Plätze an, dem jungen Mann als Kläger zur Rechten, der jungen Dame als Beklagten zur Linken des Richtertisches. Bei Feststellung der Personalien erfahren wir, daß Kläger Uhrmachergehülfe, Beklagte Klavierlehrerin ist. Er verlangte Ihre Bestrafung, weil sie ihm eine Ohrfeige gegeben hat. Der Richter sieht die Beklagte prüfend an. „Gerichtsdiener, geben Sie der Dame einen Stuhl!" Wie dankbar ihre Augen blicken können! Nun macht der Vorsitzende Vergleichsvorschläge, die aber bei dem Kläger auf unfruchtbaren Boden fallen.
— Vorsitzender: Dann müssen wir die Sache erörtern. Fräulein, Sie sollen dem Kläger am 30. Juni auf dem Schlesischen Bahnhofe eine Ohrfeige gegeben haben. Sie werden uns erzählen müssen, was'Sie dazu ver- anlaßte. — Beklagte: Herr Präsident, ich hatte am 30. Juni Besuch von meiner Schwester aus Potsdam. Es ist ein kleines schüchternes Mädchen, viel jünger als ich. Am Nachmittag fuhr ich mit ihr nach Johannisthal. Dabei hatten wir das Unglück, mit diesem Herrn hier in einem Abteil sitzen zu müssen. Er saß meinem Schwesterchen gegenüber und brachte das arme Mädchen durch fortwährendes Anstieren in Verlegenheit. Dazu rauchte er aus einer Zigarrenspitze, die mir unanständig zu sein schien. — Klüger: Es war diese hier.
— Vors, idieselbe betrachend): Sonderbarer Geschmack.
— Erzählen Sie weiter, Fräulein. — Beklagte: Er versuchte wiederholt ein Gespräch anznknüpfen; meine Schwester ging aber auf nichts ein. Wir waren froh, als wir Johannisthal erreicht hatten. Sie können sich ( denken, wie fatal es uns war, als wir am Abend bei der Rückfahrt entdeckten, daß wir wiederum mit dem Herrn in einem Abteil saßen. Der Zug war überfüllt und sollte gleich abgehen: an ein Wiederaussteigen war nicht zu denken. Ich richtete es wenigstens so ein, daß mein Schwesterchen einen Eckplatz weit von ihm erhielt, so daß er das Kind nicht belästigen konnte, aber ich mußte ihm gegenüber Platz nehmen. Richtig sängt er auch mit mir eine Unterhaltung an. Nachdem er eine Zeit lang keine Antwort erhalten, fragte er mich: „Kennen Sie Ibsen?" Ich antwortete wieder nicht, aber neben mir sitzt eine gesunde Berlinerin, die erwidert ihm: „Ick kann nich ibsen, wie wird det gemacht?" Er lächelt so recht albern und fragt meine Nachbarin: „Aber Shakespear kennen Sie doch?" — „Nee", sagt meine Nabarin wieder, welche augenscheinlich sehr schnell und schlagfertig war, „so'n Zeig's drinken wir nich, bei uns kommt bloß Weißbier uf'n Disch." — „Verstehen Sie etwas von Musik?" Sie kennen doch den „Barbier von Sevilla?" — „I wo, mein Vater rasiert sich selber." — Auch von Händel und Gluck und von Meyerbecr haben Sie noch nichts gehört, mein Fräulein? meint er wieder. — „Sie meenen woll von Handel un Jlück, det jehvrt ja zusammen, un mit die Maibeeren meinen Sie wahrscheinlich unsere Blaubeeren?" In dem Tone ging es weiter, und ich war meiner Nachbarin im Herzen dankbar, daß sie der Sache einen harmlosen Anstrich zu geben wußte. Aber es dauerte nicht lange. Der Herr hier fing an, sie zu fragen, ob sie den Unterschied zwischen diesem und jenem Gegenstand kenne, und dann gab er selbst die Auflösung, die manchmal recht zweideutig ausfiel. Mein armes Schwesterchen that mir leid. Als er wieder so eine zweideutige Redensart gemacht hatte, wurde es mir zu arg. Ich zog mir den rechten Handschuh an und stand auf. „Jetzt will ich Sie mal fragen," sage ich, „kennen Sie den Unterschied zwischen Ihnen und einem unanständigen Menschen?" Er sieht mich erstaunt an. „Ich kenne keinen," sage ich und versetze ihm gleichzeitig eine derbe Ohrfeige. Da wir gerade auf dem Schlesischen Bahnhof halten, springe ich hinaus und mein Schwesterchen folgt mir. Das ging Alles sehr schnell. Er holt uns auf dem Bahnsteig ein und läßt mich durch einen Schutzmann feststellen, weil er mich verklagen wolle. So ist die Geschichte gewesen. Ich habe mich wohl übereilt und muß die Folgen tragen." Der Gerichtshof erkennt nur auf drei Mark. Kläger: Aber das ist zu wenig für eine Ohrfeige. — Vors.: Die behalten Sie. Die Sache ist hier zu Ende.
(Wunder der Chirurgie.) Als solche kann man die Erfolge bezeichnen, die der Leiter des größten deutschen Krankenhauses „Bergmannsheil" in Bochum, Professor Löbker, jüngst zu verzeichnen hatte. So stellte derselbe vor einigen Tagen gelegentlich der in Dortmund stattgefundenen 34. General-Versammlung der Aerzte im Regierungsbezirk Arnsberg einen Kranken vor, der früher an einer hochgradig sortge- schrittenen Rippenfellentzündung litt. Durch eine vollkommen gelungene Operation, Entfernung sämtlicher Rippen auf einer Seite, war cs Professor Löbker möglich, die Krankheit des Mannes wirksam zu bekämpfen und seine Rettung vom sicheren Tode zu bewerkstelligen. Andererseits gelang es dem bewährten Chirurgen auch, bei einem ebenfalls der Aerztevcrsammlung vorgestellten Kranken nicht bloß durch völlige Exstirpation der kranken Stellen unterhalb des Kehlkopfes den Kehlkopfkrebs zu heilen, sondern dem schon aufgegebenen Kranken die Sprache zu erhalten.
Das Zweirad wird seit Kurzem in Nordamerika im Dienste des Signalkorps der Bundesarmee mit ausgezeichnetem Erfolge beim Legen und Aufnehmen von Telephon- u. Telegraphendrähten verwendet Der zu spannende Draht befindet sich auf einer an der Maschine angebrachten Trommel und bei der Vorwärtsbewegung wickelt er sich ab. Hinter dem Sattel ist ein Behälter mit Telegraphen- und Telephon- instrumenlen angebracht, so daß in kürzester Zeit an einer beliebigen Stelle eine Station errichtet werden kann. Bei den in Texas in ausgedehntem Maße angestellten Versuchen hat sich die Maschine in jeder Weise bewährt.
(Das Fräulein mit dem schönen Tenor.) Am Stadttheater in Landshut in Bayern ist eine Dame, Fräulein Johanna Conti-Geißler, engagiert, welche Tenor mit einer Bruststimme bis in die höchsten Lagen singt, ja sie hat, wie die dortigen Blätter berichten, sogar die Modulationsfähigkeit, selbst auf den Tönen a, d, Ii, e der zweigestrichenen Octave crsseencko und üe- ereseoncio ohne Wanken hervorzubringen.
(20 000 Mark für die Katze.) Aus London wird berichtet: Zwanziglausend Mark ist eine erkleckliche Summe und scheint um so schwerer zu wiegen, wenn man hört, daß sie auf der „Krystall-Palace-Schau ' für „Lenophon" — ein Prachtexemplar von Katze — gefordert wurde.
Bekanntlich haben die Stacheldraht- Zäune in den amerikanischen Farmen eine sehr ausgedehnte Anwendung gefunden und erstrecken sich oft über viele Hunderte von Meilen. Eine ganz eigenartige und neue Verwendung haben, wie das Berliner Patentbureau von Gerson und Sachse schreibt, einige Farmer in Jow für diese Stacheldrahtzäune gefunden, indem sie solche als Leitungen für Telephonlinien benutzen. Durch den einfachen Anschluß von Fernsprech-Apparaten gelang cs ihnen, auf sehr große Entfernungen sich zu verständigen.
(In der Reitbahn.) Herr (Sonntagsreiter): „Ich möchte gern ein Pferd haben, auf dem ich ganz sicher retten kann." — Stallmeister (in den Stall rufend): „Johann, ein Schaukelpferd!"
(Gemütlich.) Wcrt: „Warum riechen Sie denn so oft an der Wurscht?" — Gast: „Weil sie schlecht riecht!" — Wirt: „Na, da sollten Sie aber erst recht nicht daran riechen!"
(Natürlich.) „Nun, wie gefällt Dir unser berühmter Gast?" — „Wenn er mich beim Tanzen nur nicht immer auf die Füße träte!" — „Ja, liebes Kind, bei einem Orgelvirtuosen darf Dich das nicht Wunder nehmen!"
(Schlagfertig.) Ein dicker Herr ist im Eisenbahnwagen ein wenig eingenickt, hört aber doch noch, wie einige junge Leute sich über ihn lustig machen. Als einer sagt: „Der Dicke ist ein wahres Bierfaß!" öffnet er die Augen und erwidert: „Sie irren sich, ein Faß ist von Reifen umgeben, ich aber von Unreifen."
Redaltion, Druck und^Verlag von C. Meetz cn Neuenbürg.