738

stark engagiert. Die Meldung der Times, daß Rußland mit China einen Vertrag abgeschlossen habe, wonach russ. Kriegsschiffe in dem vorläufig noch von den Japanern besetzten chines. Kriegs- haven Port Arthur stationieren dürfen, ist zwar dementiert worden, aber die russ. Politik zielt doch auf etwas ähnliches hin und wenn nur erst einmal die ostsibirische Eisenbahn auch eine Abzweigung nach dem Meerbusen von Liaotung erhält, wird Rußland sich daselbst schon festzu­setzen wissen. Das aber können die Engländer unmöglich dulden, weil damit ihr maritimes und kommerzielles Uebergewicht in Ostasten vernichtet würde. Uns deutschen kann es nur angenehm sein, wenn Rußland in so großer Entfernung eine Hauptaktion einleitet; denn bis zu deren Durchführung vergehen Jahre und dies würde auch den Russen nicht gestatten, als Bundesge­nossen Frankreichs einen Krieg gegen Deutschland zu führen.

Zlnteryaltender Teil.

Der gute Onkel.

Humoreske von Georg Grad.

(Schluß.)

Nicht lange währte es und die Drotschke brachte drei fröhliche Menschenkinder zurück, die sich beeilten, die warmen Zimmer zu gewinnen.

Aus dem dichten Shawl enthüllte sich Mariechens zierliche Gestalt. Sie sah heute ent- zückender aus wie je und die Herzen der beiden Vettern pochten gewaltig bei ihrem Anblick.

Die erste Begrüßung war vorüber, sie war den Umständen gemäß ziemlich steif ausgefallen, nur Onkel Wiese war prächtiger Laune, er schwamm förmlich in Glückseligkeit.

Franz war bald mit Frau Bertram Wtw. in ein Gespräch verwickelt, während Paul sich angelegentlichst mit der so vielumworbenen Marie beschäftigte, doch kam ihre Unterhaltung über gleichgiltige Dinge nicht hinaus.

Onkel Wiese verschwand auf einige Augen­blicke im Nebenzimmer.Wenn ich ein Klingel- zeichen gebe, dann ist's Zeit zum Eintreten", rief er.Franz, willst Du eben der Mine und den Gesellen Bescheid sagen?"

Gewiß, lieber Onkel," rief dieser und sich auf einige Augenblicke bei seiner Partnerin be­urlaubend. führte er die gesamte Hausgenossen­schaft im Triumph hinein. .

Jetzt steckte Onkel Wiese seinen Kopf aber­mals durch die Thür.Ist alles in Ordnung?"

Alles all riZlrt! antwortete Paul.

Das verabredete Klingelzeichen ertönte; die zu dem Nebenzimmer führenden Flügelthüren wurden weit geöffnet und der Blick der Ver­sammelten fiel auf einen prachtvoll geschmückten Christbaum, der mit seinem milden Licht das Zimmer weithin erleuchtete.

Immer herein in den Norddeutschen Bund", ertönte Onkel Wieses melodische Stimme.

Der freundlichen Aufforderung folgten die Anwesenden. Den Reigen eröffnete Franz, der Frau Bertram im Arm führte, dann folgte Paul mit deren Tochter, und ihnen schlossen sich Jungfer Mine, die Gesellen und die Lehrlinge an, deren jüngster Mund und Nase aufsperrte über die Herrlichkeiten, die sich vor ihm aus­breiteten.

Peter Wiese stellte sich jetzt in Positur, wischte sich dann mit dem Taschentuch übers Gesicht und hielt die längste Rede, die er jemals in seinem Leben gesprochen hatte.Sie alle, die Sie hier zugegen sind unter dem brennenden Weihnachtsbaum", begann er,sollen zunächst Zeugen sein der Vereinigung zweier Liebender. Meine beiden Neffen, die hier vor Ihnen stehen, haben sich auf mein Anraten hin je nach einer braven Hausfrau umgesehen und sie gefunden. Unglücklicherweise fedoch hatten sie das Mißge- schick, sich in eine und dieselbe Dame zu ver­lieben, die hier". indem er auf das bis unter die Stirn errötende Mariechen deutete,vor Ihnen steht. Sie machten diese Entdeckung erst, als ihr Herz bereits Feuer gefangen hatte, als es zu spät war. Ich, als der Onkel und ihr väterlicher Freund, wurde von einem jeden der beiden, ohne Vorwissen des anderen, mit dem

schmeichelhaften Aufträge beehrt, für ihn den Brautwerber zu spielen und ich bin diesem Auf- trage nach bestem Wissen und Gewissen nachge­kommen. Das Resultat dieser meiner Bemüh­ungen ist folgendes: Du, lieber Franz bist der Aeltere und an Dich wende ich mich zunächst. Leider ist es keine freudige Nachricht, die ich Dir übermitteln kann, Du hast durch mich einen Korb in der schönsten Form zu erhalten."

Aber auch Du, lieber Paul", wandte er sich an diesen, dessen Gesicht bei den ersteren Worten des Onkels eine glühende Röte über­gossen hatte und dessen Augen freudig auf- blitzten, um jedoch gleich darauf den Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit zu zeigen,bist nicht glücklicher daran, als Dein lieber Vetter, auch Du mußt mit einem Korb heimziehen, da das Herz Deiner Auserwählten keine Gegenliebe für Dich empfindet. Somit wäre meine Mission für Euch erfüllt. Da ich jedoch nun gerade einmal so schön in der Uebung war, habe auch ich ein- mal mein Glück versucht und bin für mich selbst als Brautwerber aufgetreten und da habe ich denn einen besseren Erfolg erzielt, wenn sich der schöne Gegenstand meiner Bewerbung nicht inzwischen anders besonnen hat. Da kein Wieder­spruch erfolgt, nehme ich an, daß es nicht der Fall ist", fuhr er fort, indem er das Mariechen, das sein purpurrotes Gesichtchen an der Mutter Brust verbarg, schalkhaft ansah,und so erlaube ich mir denn hiermit, Euch allen Fräulein Marie Bertram, Tochter der Frau Bertram Witwe, meiner lieben zukünftigen Schwiegermama, als meine teure Braut vorzustellen und hoffe, daß sie bei Euch Allen die beste Aufnahme finden wird." Lächelnd schloß er das holde Kind in seine breiten Arme.

Wir gratulieren, wir gratulieren", riefen die Gesellen und Lehrbuben und reichten ihrem wackeren Meister die Hände, die er derb schüttelte.

Nun. Jungen," wandte er sich an seine beiden Neffen, die noch immer ganz verblüfft dastanden,habe ich meine Sache gut gemacht?"

Paul faßte sich zuerst.Nun. Onkelchen, das muß ich sagen, Du hast brillant agiert, aber", setzte er hinzu, ein andermal sende ich Dich nicht wieder auf die Brautwerbung, da fasse ich mir ein Herz und trage mein Anliegen selbst vor."

Ich danke auch in Zukunft für dergleichen Kommissionen." rief der Onkel,an der Einen habe ich reichlich genug bekommen, nicht wahr, mein liebes Mariechen?"

Meinen aufrichtigsten, herzlichsten Glück-. Wunsch, Fräulein Marie," fügte Paul hinzu. Eine bessere Wahl hätten Sie in der That nicht treffen können."

Das will ich hoffen, lachte die holde Braut sanft errötend.

Auch meinen herzlichsten Glückwunsch, Fräulein Marie nnd Dir, lieber Onkel", schloß Franz sich seinem Vetter an, der sich ohne Murren in sein Schicksal ergab.

Es ist Schade," lachte Paul,daß Franz nun auch aus seiner Karriere als Minnesänger gerissen ist, er hat so schöne Anlagen dazu. Die glühendsten, mehr gutgemeinten als metrisch richtigen Verse hat er Ihnen gewidmet, zukünftige Frau Tante," scherzte Paul.

Und davon habe ich niemals etwas er­fahren?"

Bei meiner Schüchternheit", entgegnete Franz,wagte ich nicht, sie Ihnen zu über­reichen."

Nun, Kinder," unterbrach ihn der Onkel, habe ich hier für Euch ein kleines Schmerzens­geld" , indem er aus dem Papier zwei Porte­feuilles herauswickelte, die ein jedes eintausend Reichsmark in Banknoten enthielten,nun wollen wir lustig und guter Dinge sein," rief er aus, einem jeden der beiden eines der kleinen inhalts­schweren Portefeuilles übergebend.

Eine fröhliche Tafelrunde vereinigte kurze Zeit später die Gesellschaft. Die Einzige, deren Gesicht ob der verfehlten Spekulation einen mürrischen Anblick zeigte, war Jungfer Mine.

Es lebe die zukünftige Herrin dieses Hauses, Frau Bäckermeister Wiese", toastete Paul, der seine gute Laune schnell wiedergewonnen hatte.

Wenn es auch anders gekommen ist. als es wohl ein jeder von uns gedacht hat, können wir uns doch trösten, es bleibt ja in der Familie. Der gute Onkel und seine holde Braut, die künftige Frau Tante ihrer Anbeter, sie leben hoch, jetzt und alle Zeit," und die Gläser stießen zusammen im harmonischen Klang.

(Unfreiwillige Komik.) Wie man aus Thüringen mitteilt, weiß dasWitzenhäuser Kreisblatt" folgendesNaturwunder" in der mit 24. Oktober datierten Nummer anzukündigen: Ein Kalb ohne Augen erblickte bei einem hiesigen Einwohner vor einigen Tagen das Licht der Welt." Dieses seltsame Vorkommnis er­innert an das bekannte Vorkommnis, wonach eine Frau einem toten Kinde das Leben geschenkt hat.

Kommt's runter. Ein Bauer aus Mieß- bach schickte dem Kurfürsten Maximilian von Bayern, der bekanntlich, da er ein Herz und eine freigiebige Hand für seine Unterthanen hatte, noch jetzt in gesegnetem Andenken steht, einst nachstehende Bittschrift:Ich bitt', Euer Durchlaucht möchten auch mit unserein reden. Ich Hab' was notwendigs. Ich werd' heut Nach, mittag auf der Kaiserstiegen warten. Ich mag nit 'naufgehen zu den anderen großen Herren. Seid so gut und kommr's runter."

(Eine Trauung in den Reichsfarben.) Ein eigenartiges Zusammentreffen ergab sich kürzlich auf dem Standesamt zu Brandenburg a. H. Die Braut hieß Schneeweiß, ein Zeuge Roth und und der Standesbeamte Schwarz.

(Möbel von Fliegen- und anderem Schmutz zu reinigen.) Man macht von gewöhnlicher zartgeriebener Stärke, mit Salat- und Olivenöl vermischt, einen dünnen Teig, taucht ungefähr eigroß Baumwollwalte hinein und reibt die Lack- und Politurmöbel damit ab, bis aller Fliegen­schmutz davon gewichen ist, dann wird mit reinen Wolltüchern blankgeneben Schnitzerei und Drch- arbeit benötigen für Vertiefungen weiche Bürst- chen, auch kann man bei letzteren die Zipfel von Lappen durchziehen.

Auflösung der arithmet. Aufgabe in Nro. 169

Das Eselchen trug 7 Pfund.

Die Eselin trug 5 Pfund.

Lösungen haben eingereicht: W. Köhler (durch algebraische Gleichung), Julius Pfrommer, Aug. Loos m Neuenbürg , Aug. Großmann von Feldrennach und Wilhelm Schußler von Schwann.

Zifferblatt-Rätsel.

Die Ziffern der Uhr sind durch.Buchstaben so zu ersetzen, daß bezeichnen:

1 2 3 4 biblischer Name,

3 4 5 6 7 8 Leckerbissen.

5 6 7 8 9 10 Wellkörper,

6 7 8 9 10 Lottogewinn,

9 10 11 12 1 Letztes.

Telegramme.

Wildparkstation, 1. Nov. Der König von Portugal ist heute abend 6'/i Uhr hier ein­getroffen und wurde am Bahnhofe von dem Kaiser in Gegenwart der Prinzen des königlichen Hauses, der Herren vom Hauptquartier und dem Staatssekretär v. Marschau empfangen. An ver­schiedenen Punkten waren Ehrenkompagnien auf­gestellt. Im Neuen Palais begrüßte die Kaiserin den hohen Gast. Abends fand ein Familien- Diner bei den Majestäten statt.

Berlin, 1. Nov. DerReichsanz." ver­öffentlicht eine allerhöchste Verordnung, wonach der Reichstag auf 3. Dezember einberufen wird.

München, 1. Nov. Hier erschoß sich ein junger Buchhalter in dem Augenblick, als er von der Gcnsdarmerie wegen Unterschlagung von 10000 vkL verhaftet werden sollte.

Rom, 1. Nov. Heute früh 4.30 wurde eine starke lang andauernde wellenförmige Erd­erschütterung verspürt. Die Bevölkerung eilte auf die Straßen. Bisher ist kein bemerkens­werter Schaden festgestellt worden.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.